Das Verhalten unserer Freunde

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Das Verhalten unserer Freunde … und eine denkwürdige Diskussion

Mit Blick auf ihre Feinde, den stärker werdenden Nazis in der Weimarer Republik und all denen, die ihnen begeistert bis gehorsam folgten, hatte Hannah Arendt nichts anders erwartet.

 

„Die Frage der Moral tauchte erst mit dem Phänomen der Gleichschaltung auf, weniger aus einer sich aus Angst speisenden Heuchelei, sondern mehr aus diesem sehr früh an den Tag gelegte Eifer, nur ja nicht den Zug der Geschichte zu verpassen, und mit diesem sich manchmal über Nacht vollziehenden Gesinnungswandel, der die große Mehrheit der öffentlichen Personen quer durch alle Schichten und Berufe erfasste, während lebenslange Freundschaften mit unglaublicher Leichtigkeit aufgekündigt und abgebrochen wurden. Kurz gesagt, was uns verstörte, war nicht das Verhalten unserer Feinde, sondern das Verhalten unserer Freunde, auch wenn sie für das, was geschehen war, eigentlich nichts konnten; sie waren nicht verantwortlich für die Nazis, sondern nur von deren Erfolg beeindruckt, und sie waren unfähig, ihr eigenes Urteil gegen den, wie sie es sahen, Urteilsspruch der Geschichte zu setzen. Ohne diesen fast vollständigen Zusammenbruch, weniger der persönlichen Verantwortung als vielmehr des persönlichen Urteilsvermögens in den Anfangszeiten des Nationalsozialismus, kann man unmöglich verstehen, was tatsächlich später gesehen ist.“

(Hannah Arendt, Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?)

 

Ich halte diese Erfahrung und diese bittere Erkenntnis aus dem 1930er Jahren, als noch niemand wusste, wohin die Entwicklung geht, wo sich Gleichgültigkeit, Beschwichtigungen und apokalyptischen Vorahnungen wild abwechselten, für sehr gegenwartstauglich.

Dabei geht es ganz und gar nicht darum, die Verhältnisse heute mit denen der Weimarer Republik in eins zu setzen. Es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, welche Strukturen, welche Verhaltensweisen nach wie vor wirksam und mächtg sind, die selbst Freundschaften zu opfern bereit sind, um nur nicht den “Zug der Geschichte” zu verpassen, mit all den kleinen Lügen und beachtlichen Vorzügen, die damit verbunden sind.

Man würde sich täuschen, wenn man die Kapitäne im “Zug der Geschichte” unbedingt als Nazis outen muss.

Wolf Wetzel                                    31.12.2021

Diskussion

Ich möche hier erneut die Diskussion wiedergeben, die dieser kleine Beitrag ausgelöst hat.

Erneut meldete sich „Volker de Lacan“ zu Wort. Wie man schnell erkennt, kennt er sich aus, hat seinen Marx und seine Hannah Arendt gelesen. Ihm zu folgen, also zu widersprechen, ist sehr wichtig, denn diese „linke“ Stömung hat einen vermeintlich guten Kern: Man möchte gegen das vermeintlich/tatsächlich Schlimmere das jetzt Bestehende verteidigen. Mit dieser Denkfigur hat man einen kleinen Teil der deutschen Linken auf die deutschen Bühnen geholt und manche von ihnen haben es mit dieser „linken“ Kriegsanleihe bis in die akademischen/ideologischen Thinktanks der herrschenden Klasse geschafft. Die alles entscheidene Matrix hatte damals sehr treffend und sehr tödlich der ehemalige Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza auf den Punkt gebracht, als er das „Schreckliche“ für das „jetzt Richtige“ (Konkret 3/1991) ausgab, um so dem US-alliierten Krieg gegen den Irak 1991 seine Zustimmung zu geben. Im Prinzip nahm er damals bereits vorweg, was seitdem eine nicht unerhebliche Grundstömung in der Linken geworden ist: Nachdem der Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblockes (1989) „alternativlos“ geworden ist, geht es jetzt darum, ihn gegen die „Vormoderne“ zu verteidigen. Zehn Jahr später hieß die angebliche Schickalsentscheidung des 21. Jahrhundert: Islamismus versus Imperialismus/Kapitalismus. In dieser Frage haben sich viele „antideutsche“ Linke dafür entschieden, dem „fortschrittlichen“ Kapitalismus treu zu dienen, da dieser den Rückfall in die (religiöse/islamistische/fundamentalistische) Geschichte verhindern würde.

Diese Denkfigur taucht – ohne ausgesprochen zu werden – in der Diskussion um die Corona-Politik in Deutschland wieder auf: Man hat sich längst mit dem Kapitalismus abgefunden, im besten Fall lebt man damit ganz gut. Jetzt und aktuell will man ihn gegen seine vermeintliche rückständigen Varianten (Trump/ Bolsonaro/Orban/Erdogan) verteidigen. In diesem Weltbild nehmen die „Querdenker“ eine klar definierte Rolle ein: Man macht sie zu Nazis, die selbst das Gute am Kapitalismus in Gefahr bringen könnten. So bekommt man kostenlos und gefahrlos ein „antifaschistisches“ Ticket, also einen welthistorisch legitimierten Auftrag.

 

Volker de Lacan:

„Danke für den Service-post. Er erklärt recht eindrücklich den Wahn vieler auf Querdemos: unfähig, die Komplexität der Moderne, ihres eigenen Lebens zu ertragen, unterwerfen sie sich einem Verschwörungssystem, das ihnen plausibel macht, warum alle anderen (Bill Gates, Rockefeller, die USA oder schlicht „die Herrschenden“) schuld sind; eine durch den bewussten Verzicht auf rationales Nachdenken gewählte Unterwerfung, die denjenigen „die Verantwortung für das eigene Leben abnimmt“. Das soll jetzt durchaus behaupten, dass, würden diese zum Glück zahlenmäßig noch niedrigen Beteiligtenzahlen irgendwann die Mehrheit stellen, wir ganz, ganz düsteren Zeiten entgegensähen.“

Meine Antwort:

„Es ist schon beeindruckend, aber auch ein Lehrstück, wie Sie den Inhalt von Hannah Arendt umdrehen: Sie wissen doch sehr genau, dass Hannah Arendt mit dem “Zug der Zeit” die herschenden Verhältnisse meinte, zu dem auch ein Hass auf vermeintlich alles beherrschende Minderheiten gehörte. Dass sich (auch) die FreundInnen von Hannah Arendt diesem Druck beugen, spricht sie hier bitter an. So und jetzt übertragen Sie das auf Ihr Verhalten.“

Seine Erwiderung:

„Ich lese Hannah Arendt gänzlich anders, so wie in meinem Kommentar beschrieben. Letztlich thematisiert sie den inneren Schweinehund, der damals massenhaft rausgehängt wurde, das Herausbrüllen der eigenen Unzufriedenheit, ohne, und das ist entscheidende Punkt, je für sich reflektiert worden sei. Das ist heute bei einer kleinen Minderheit der Querfurzer wieder so. Sie sind nicht alle Nazis, nein, aber sie stehen für einen gesellschaftlichen Autoritarismusprozess.“

In diesen Disput mischte sich glücklicherweise ein weiterer Leser ein:

„Wenn Sie Hanna Arendt gänzlich anders lesen, meinen Sie damit: ‚nur jedes zweite Wort lesen‘, ‚den Text auf mandarin übersetzen, dann italienisch und zurück‘ oder ‚bekifft und alkoholisiert‘? Höchstwahrscheinlich wäre es der Debatte zuträglich, wenn Sie sie einfach nur ganz normal lesen würden …“

Ich kann es auch nicht lassen:

„Vielen Dank für die Antworten. Ja es geht ums Eingemachte! Wenn Herr de Lacan vom “innernen Schweinehund” redet, den Hannah Arendt vielleicht meint, dann hat er ein klein wenig benannt, aber eben nicht das Entscheidene: Hannah Arendt hat den “Schweinehund” erwähnt, der dem deutschen Schäferhund folgt, dem herrschenden Konsens! Und man kann ganz viel (und auch zurecht an Querdenkern kritisieren), aber sie werden eines ganz sicher heute und morgen nicht: Mit ihrem Widerspruch privilegiert – ganz im Gegensatz zu denen, die Hannah Arendt ‚nur‘ ganz anders lesen. Es wäre doch besser, Herr de Lacan, sie zeit- und gegenwartsnah als “Querfurzerin” zu bezeichnen. Das wäre treffender, als nicht lesen zu wollen. Aber ich weiß, Sie möchte selbst Hannah Arendt für diese autoritäre, stinknormale kapitalistische Politik missbrauchen. Ein 9-11-Syndrom, nicht wahr?!“

 

Quellen und Hinweise:

Antideutsche Kriegsführung. Eine Nachtwanderung durch antideutsche Gedankenwelten: https://wolfwetzel.de/index.php/2020/10/14/10070/

Links und für Krieg und Kapitalismus? Telepolis vom 08. September 2021: https://www.heise.de/tp/features/Links-und-fuer-Krieg-und-Kapitalismus-6184960.html

 

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Ein Kommentar

  1. Jaja, dieser Troll, der nur seine eigenen VORURTEILE von sich gibt, ist mir auf Fakebook auch schon aufgefallen. Ich würde da mal eher fragen, woher er denn weiß,wie “DIE Querdenker” sind. War er auf den vielen verschiedenen Demos und hat eine repräsentative UMFRAGE gemacht?

    Irgendwo meinte Hannah Arendt lakonisch, jeder habe eine Meinung (im Sinne von: auch wenn mensch nichts genaues weiß).

    In politischen Fragen ist es sinnlos über bloße Meinungen zu Fragen die keinerlei empirische Basis haben, die – mit Karl Popper zu sprechen – nicht intersubjektiv überprüft und auch nicht falsifiziert werden können.

    Wenn diese diffuse Szene es nicht schafft, sich inhaltlich mehr von den immer wieder auftauchenden rechten Trittbrettfahrer klar abzuheben, dann ist das allerdings schon ein Problem. Wenn mensch nicht auf Telegram herumwuselt (wie ich) ist dieses Szene ja in keinster Weise nachvollziehbar.

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