Die Querdenker und die Linke. Und was ist mit den Gewerkschaften?

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Die Querdenker und die Linke. Und was ist mit den Gewerkschaften?

Seit der Corona-Krise ist nicht nur die Linke weitgehend abgetaucht. Auch die Gewerkschaft, also der Deutsche Gewerkschaftsbund/DGB übt sich vor allem in Schweigen.

Medial ist ganz viel von Querdenkern die Rede und von all denen, die sich dagegenstellen. Auffallend still ist es jedoch um die Gewerkschaften. Gibt es sie noch? Sind sie nicht (mehr) der Rede wert?

Ganz nüchtern muss man festhalten, das der DGB eine zentrale Rolle im Pandemiegeschehen spielt. Der DGB deckt – rein beruflich – das größte Feld des Pandemiegeschehens ab, das Berufsleben.

Natürlich hat er auf die Opfer der Pandemie hingewiesen, die Held*innen an der „Front“ gelobt und auch ein bisschen Geld gefordert. Aber hat sich der DGB ausdrücklich und klar zu den Corona-Maßnahmen geäußert?

Hat er etwas dazu gesagt, dass seine Arbeitnehmer*innen nach der Arbeit nicht mehr ins Café, ins Kino dürfen, weil selbst bei Einhaltung der AHA-Regeln ein Infektionsrisiko nicht auszuschließen ist? Hat der DGB etwas dazu gesagt, dass seine Arbeitnehmer*innen nach der Arbeit auf keiner Parkbank sitzen dürfen, weil diese sich in einer Verweilverbotszone befindet?

Hat der DGB seinen Mitgliedern erklärt, wie bekloppt man sein muss, all das hinzunehmen und gleichzeitig alles dafür tut, dass seine Mitglieder acht Stunden und mehr in geschlossenen Räumen, mit ganz vielen Kolleg*innen einem Infektionsrisiko ausgesetzt sind, das deutlich höher ist, als im Privatbereich?

Man muss wissen: Was im Privatbereich gilt, was es dort an Einschränkungen, Sanktionen und Verboten gibt, gilt nicht für den Produktionsbereich, schon gar nicht für die Schlüsselindustrien, wo man bekanntlich nicht im Home-Office Autos montieren, Maschinen bauen und Computer herstellen kann. Denn der Unternehmerverband hat ausdrücklich davor gewarnt, dieselben Maßstäbe an Corona-Maßnahmen in Groß-Unternehmen anzulegen. Und diese Warnung wurde ganz schnell verstanden. Bis heute gibt keine einzige Verordnung, wie im Privatbereich. Alles was im Privatbereich sanktioniert ist, ist im Produktionsbereich im Flow. Alle medizinischen Erkenntnisse, die für den Privatbereich gelten, sind im Produktionsbereich Schall und Rauch.

Man darf nicht in ein Café, das sich an alle AHA-Regeln hält. Aber man darf arbeiten gehen, wo es keine Verordnungen gibt, keine Sanktionen, wo alle Schutzmaßnahmen im Belieben der Unternehmen liegen!

Dass Groß-Unternehmen keine Skrupel haben, ihre Extra-Legalität zu behaupten und zu verteidigen, ist nicht furchtbar neu.

Hand in Hand … mit den Bossen

Aber was machen die (Einzel-)Gewerkschaften? Wehren sie sich dagegen, dass die Arbeitnehmer*innen im 8-Stunden-Tag alle dem ausgesetzt sind, und zur „Belohnung“ abends zuhause bleiben dürfen? Schützen die Gewerkschaften ihre Mitglieder vor dieser Schizophrenie? Drohen sie wie der Arbeitgeberverband?

Und wie verhalten sich die Gewerkschaften zur verabschiedeten Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, in dem u.a. eine Ausgangssperre ab 22 Uhr festgeschrieben wurde, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt?

Warum äußert sich der DGB nicht zu dem Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung (GaeF) vom 19. Februar 2021, das sehr eindeutig festhält, dass die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen sehr groß ist („Die Übertragung der SARS-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in Innenräumen statt.“) hingegen im Freien sehr gering?

Warum sagen die Gewerkschaften nichts zu dem Irrsinn, dass man die Einschränkungen im Freizeitbereich verschärfen will, obgleich genau diese Maßnahmen auf das Pandemiegeschehen wenig Einfluss haben, weil sie den kleinsten Bereich des Infektionsgeschehens abdecken?

Wir wissen es, nicht erst seit der Corona-Pandemie: Die Gewerkschaften sind eher Co-Piloten der Standort- und Unternehmenslogik, als dass sie sich dagegenstellen.

Jetzt kann man das der Schwäche zuschreiben, der fehlenden Kampfbereitschaft der Belegschaft. Kann man. Aber man darf dabei nicht verschweigen, dass fast alles Einzelgewerkschaften diese Ohnmacht mit erzeugen und gar stärken. Sie stellen sich sogar vor die Unternehmen und verteidigen deren Corona-Leugner-Politik. Als man es nicht mehr ganz verschweigen konnte, dass Corona auch vor Fabriken und Großraumbüros nicht Halt macht, kam ganz wachsweicher Druck auf, auch die Unternehmen in die Corona-Maßnahmen einzubeziehen. Wer kam dem laut um sich schlagenden Unternehmerverband zur Hilfe? Ja, erraten: Die Gewerkschaften.

Als so ganz langsam dämmerte, dass zum Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht nur Maßnahmen im Privatbereich notwendig sind, sondern eben überall dort, wo die meisten Menschen die meiste Zeit zusammen verbringen, eben bei der Lohnarbeit, wagte man einen kurzen Blick hinter die verschossenen Fabriktore. Sogar ein CDU-Mann wie Thorsten Frei, Unionsfraktionsvize im Bundestag, wagte das fast Unsagbare:

Wir sollten uns die Frage stellen, ob letztlich nicht ein kompletter Lockdown von zwei bis drei Wochen besser ist als eine endlose Hängepartie, sagte er dem Magazin Der Spiegel.

Nun fing die Hütte aber zu brennen an. Raten Sie einmal, wer ganz schnell die Feuerwehr spielte, und mit Löschschaum so gar nicht sparte?

„Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält es zwar ebenfalls für nötig, dass ‚alle nicht erforderlichen Kontakte eingeschränkt werden‘. DGB-Chef Reiner Hoffmann ist aber derzeit gegen Betriebsschließungen in großem Stil: ‚Um die ohnehin angespannte Wirtschaft nicht weiter zu belasten und die Beschäftigung der Menschen zu sichern, sollten Betriebe unter Wahrung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes geöffnet bleiben‘, sagte er ‚nd – Die Woche‘. Nach seiner Einschätzung ‚haben die letzten zehn Monate gezeigt, dass Betriebe – von der Fleischindustrie abgesehen – keine Infektionstreiber sind‘.

Auch IG-Bau-Chef Robert Feiger zeigt ‚Verständnis dafür, dass die Politik das Wirtschaftsleben so weit wie möglich am Laufen halten will, um einen erneuten Einbruch zu verhindern. Ein solcher würde am Ende auch Arbeitsplätze kosten‘. (…)

Die mächtige IG Metall stellt sich ebenfalls gegen einen harten Lockdown: ‚In den mitbestimmten Betrieben haben unsere Betriebsräte Hygienekonzepte durchgesetzt, die Beschäftigte wirksam schützen. Daher halten wir großflächige Betriebsschließungen derzeit nicht für zielführend‘, sagte ein Sprecher. (Das andere Risiko, Neues Deutschland vom 16. 1.2021)

Zu dieser Form der „Mitbestimmung“ äußerte sich Hans-Christian Lange, Vorsitzender der Band- und Leiharbeitergewerkschaft Social Peace, ganz anders:

„Die Stimmung dort wird immer gereizter, denn viele arbeiten auf engem Raum unter ständig steigendem Druck und fühlen sich nicht genug geschützt vor dem Virus. Nicht nur bei den Leiharbeitern in der Fleischindustrie steigen die Infektionszahlen dramatisch angesichts der dort miesen Arbeits- und Wohnbedingungen. Von den großen Gewerkschaften war zu den Missständen im Metallbereich nicht viel zu hören.“ (Strittiges Signal der IG Metall zum 1. Mai, NDS vom 1. Mai 2021)

Jetzt knallt es in der IG-Metall, die Sektkorken ganz oben und die Wut ganz unten: Bernd Osterloh, der wichtigste IG-Metall-Boss im VW-Konzern, wechselt auf einen Vorstandsposten der LKW-Tochter von VW, Traton. Dort wird er dem Personalvorstand angehören und die anstehenden Kündigungen exekutieren. Die einen werfen ihm nun Verrat vor. Andere werden bitter feststellen, dass er gar nicht so richtig die Seite gewechselt hat. Denn auch als Angehöriger des IG-Metall-Establishments vertrat er vor allem Konzerninteressen und das mit einem Gehalt von „bisher zeitweise ungeheure 750.000 € im Jahr“ (s.o.). Auch das ist nicht neu, sondern hat Kontinuität in der IG-Metall. Sein Vorgänger, der VW-Betriebsratsvorsitzender Klaus Volkert hat das ganz offen und schnörkellos so formuliert:

„Ich und die anderen (…) Wir haben die Aufgaben von Managern übernommen.“ (s.o.)

 Doppeltes Spiel

Es kommt noch etwas dazu: Die Gewerkschaft deckt nicht nur die „Corona-Leugner-Strategie“ der Unternehmen. Sie kann sich auch ganz schnell umziehen, um auf der „anderen“ Seite mutig mitaufzulaufen, um dann lautstark gegen die „Corona-Leugner“ auf der Straße zu demonstrieren.

So auch an dem Tag, als Querdenker*innen in Stuttgart demonstrieren wollten und eine „Querfront“ aus Stadtregierung, Gerichte und „Stuttgart gegen Rechts“ dafür sorgte, dass diese Demonstration verboten wurde.

Der DGB zeigte sich an diesem Tag mutig und zeigte Kante … gegen die Querdenker … für die Spurgeraden. Das Gewerkschaftshaus war reichlich „geschmückt“ mit Transparenten, die mal so richtig zeigten, was in einer kämpferischen Gewerkschaft steckt. Man hatte ja reichlich Reserven angelegt, die man nun in die „Schlacht“ werfen konnte. Auf der Web-Seite von „Stuttgart gegen Rechts“ kann man es sehen:

 

 

„Corona existiert. Die Krise lösen wir gemeinsam. Aber niemals mit Nazis.“

 

Das klingt wie der „Wachturm“! Ach ja, Gott, pardon Corona existiert. Was Sie nicht sagen! Also doch!? Okay, wenn das so ist und nun gewerkschaftseigenes Wissen ist, dann stellt sich nur noch die Frage: Existiert Corona auch in den Betrieben? Gelten dann dort andere Regeln wie außerhalb? Kann uns das einmal ein schlauer Gewerkschaftsfunktionär erklären?

Und gleich darauf folgt der Knaller: Die Krise lösen wir gemeinsam. Ach ja? Echt? Wie war das in der letzten Krise 2008ff, in der Finanzkrise? Hat da nicht ähnliches auf den Transparenten gestanden, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen, dass diese Parole den Kampf bestimmt, um so etwas auch durchzusetzen?

Keine Frage, man kann so einen Kampf verlieren, aber man muss ihn erst einmal beginnen, oder?

Die Krise lösen wir gemeinsam. Ja doch, wenn man sich ein bisschen umdreht und die Parole von hinten anschaut … könnte etwas dran sein: Bis heute haben alle Gewerkschaften gekämpft, zusammen mit den Unternehmen, dass Corona in den Betrieben so gut wie nicht existiert, dass die Unternehmen von ‚unnötigen/weiteren Belastungen‘ befreit sind, damit die Gewinne explodieren, und zwar gewaltig, auch im Jahr 2020:

„Der Volkswagen-Konzern hat das schwierige Geschäftsjahr 2020 mit einem Milliarden-Gewinn abgeschlossen: Rund 8,8 Milliarden Euro bleiben nach Steuern in der Kasse.“ (ndr.de vom 16.3.2021)

„Mit einer Umsatzrendite von 14,6 Prozent dürfte Porsche der am besten verdienende Serien-Fahrzeughersteller der Welt sein. Die Mitarbeiter, die vor einem Jahr in ihrer Kurzarbeitsphase mit der freudigen Nachricht überrascht wurden, dass sie fürs Vorjahr eine Prämie von 10.000 Euro erhalten (was entsprechende Diskussionen in Politik und Gesellschaft entfacht hatte), bekommen nach der überraschenden Aufholjagd im Corona-Jahr wieder einen hohen Bonus. Pro Mitarbeiter würden bis zu 7850 Euro bezahlt, kündigte Porsche-Vorstandschef Oliver Blume in der Präsentation an, ohne ins Detail zu gehen.“ (faz.net vom 19.3.2021)

Da drängt sich die Frage auf: Kann man mit Prämien (für die Arbeiter*innen) und fette Gehälter (plus Extras) für IG-Metall-Bosse das Virus viel erfolgreicher bekämpfen?  Ist gar – um jetzt aufs Ganze zu gehen – Geld der viel bessere Impfstoff?

Wenn man an einem Ende ganz stark quetscht …

Mit der Pandemie haben wir wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Gesundheit oberste Priorität in unserem Land hat und dass dieses sehr edle Ziel massive und einschneidende Einschränkungen rechtfertigt. Das ist das Narrativ, vor dem wir alle, fast alle in Knie gehen und alle anderen zu Ketzer und Egoisten macht, die sich diesem Kanon widersetzen. Und da es ja um unser aller Wohl geht, tuen wir es alle zusammen, in Solidarität, egal, wie groß die Unterschiede waren und sind. So ist die Erzählung, die landauf, landab verbreitet wird – selbst wenn sie mehr Kratzer bekommt.

Es gibt kaum einen besseren Ort, als die Großbetriebe, wo man zeigen kann, dass die ganzen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie um ein großes ‚schwarzes Loch‘ herum erlassen werden. Denn all das Gerede von Solidarität und Zusammenstehen hört an den großen Fabriktoren auf. Die Produktion läuft seit Langem auf Hochtouren und nichts darf sie aufhalten, selbst Verordnungen zum Schutz vor der Pandemie nicht.

Das wissen selbstverständlich auch Virologen. Dass das wissenschaftlich Irrsinn ist, wissen sie auch. Wie vereinbaren sie das dennoch mit ihrem Berufsethos? Wie gelingt, auf Gefahren aufmerksam zu machen (im Privatbereich) und die allergrößten Gefahren in der Arbeitswelt zu verschweigen und in Kauf zu nehmen?

Man sollte diesen Spagat an einem sehr guten Beispiel erklären, an einem Mann, der sicherlich in seinem Fach ausgezeichnete Kenntnisse aufweisen kann. Dazu gehört ganz sicher der Virologe Christian Drosten, Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin, der ganz lange das Corona-Gesicht der Bundesregierung war. Auch wenn er auf den Bundespressekonferenzen nicht mehr zu hören ist, ist er nach wie vor öffentlich aktiv, zum Beispiel in Podcasts, wo er zur aktuellen Situation Stellung nimmt.

 

Wie schlägt man ein Ei auf, ohne die Schale kaputt zu machen?

Christian Drosten ist viel zu klug, um dieses „schwarze Loch“ Arbeitsleben zu leugnen. Wie gelingt es ihm also, etwas zu sagen ohne es (wirklich) zu sagen? Hören wir Herrn Drosten genau zu. Es lohnt sich. Mit Blick auf die beschlossene „Bundesnotbremse“ führt er aus:

„Wir haben da im Moment über all die Verhandlungen mit verschiedenen Interessengruppen gegenüber der Politik in Deutschland eine etwas schief verteilte Situation. Wir wissen alle, das Arbeitsleben ist relativ wenig eingeschränkt. Das Freizeitleben ist stark eingeschränkt. Das ist die Gewichtung, die wir in Deutschland gesamtgesellschaftlich so gewählt oder erreicht haben. Natürlich ist das, was jetzt als Bundesnotbremse bezeichnet wird, dann noch mal eine stärkere Verschärfung in den Bereichen gerade außerhalb dieses Wirtschaftslebens, wenn es eben um Ausgangssperren geht. (…). Das sind so Gebiete, in denen eigentlich schon Reduktionen gemacht worden sind und wo man jetzt noch mal die Reduktionen verstärkt. Man hätte das natürlich auch anders wählen können. Man hätte auch in anderen Gebieten des Erwerbslebens, der Wirtschaft stärkere Reduktion machen können. (…) Wenn man solche Maßnahmen gleichmäßig in allen Bereichen verteilt, dann haben Sie auch eine stärkere Gesamtwirkung, als wenn man nur an einem Ende ganz stark quetscht und am anderen Ende alles noch so lässt wie vorher.“

Und abschließend redet er mehr wie ein Berater, als ein Virologe:

Na ja, also man kann das mehr in den Blick nehmen. Man kann an diesen Stellen auch Maßnahmen der Kontaktreduktion verhängen. Aber das hätte natürlich Auswirkungen auf bestimmte Wirtschaftszweige. Da geht es um Lieferketten und Produktion und so weiter. Das sind eben Bereiche der Wirtschaft, die man nicht von zu Hause vom Homeoffice machen kann. Da schlägt natürlich auch durch, dass die Personen, die in diesen Wirtschaftszweigen arbeiten, sozial nicht so gut dastehen und natürlich auch in Stadtteilen wohnen, wo vielleicht der Wohnraum günstiger ist und so weiter. Alle diese Dinge bedingen sich natürlich. Die kann man so beschreiben. Sollte man aber nicht als Wissenschaftler tun, sondern vielleicht eher aus anderen Kompartimenten der Gesellschaft. Kann man auch kritisieren und anprangern. Und man kann Änderungen fordern. Aber ich glaube, im Moment ist es vor allem wichtig, dass man sich klarmacht, wie es ist.“

Der Kampf gegen die Pandemie, der Kampf gegen die völlig untragbaren und unhaltbaren Einschränkungen im Privatbereich, die immer absurdere Ausmaße annehmen müssen, um einen Handlungsbedarf zu demonstrieren, den man an zentraler Stelle ganz generell aussetzt, muss die Konfrontation mit den Gewerkschaften einschließen. Sie sind ihren Mitgliedern verpflichtet, also alles zu tun, damit auch ihre Gesundheit nicht gefährdet wird, ganz egal, was die Wertschöpfungskette dazu sagt.

Was tun?

„Das Virus geht nicht nachts spazieren, sondern tagsüber arbeiten. Ausgangssperre für das Kapital.“ (Antifa United, Frankfurt)

 

Fast jeder Gewerkschaftsfunktionär hat auf den 1. Mai-Kundgebungen ein Hohelied auf die Pflegekräfte gesungen und vielleicht sogar eine Lohnerhöhung angemahnt. Das erinnert an den jährlich stattfindenden Karnevalszug, der Bonbons in die Menge wirft. Die Gewerkschaft weiß doch ganz genau, nicht erst seit der Corona-Krise, dass man sich vernünftige Forderungen an die Backe schmieren kann, wenn man nicht den Druck so stark erhöht, dass etwas in diese Richtung geschieht!

Warum initiiert sie nicht Demonstrationen vor all den privaten und staatlichen Verwaltungsstellen, die für diese miesen Arbeitsbedingungen und eine ebenso miese Entlohnung verantwortlich sind? Dazu könnten alle jene dazukommen und sich tatkräftig beteiligen, die sich solidarisch mit den „Held*innen“ seit einem Jahr erklären. Dann wäre Solidarität kein Wort auf Löschpapier, sondern etwas Erlebbares, wofür man sich auch ein wenig einsetzen muss.

Wie wäre es, wenn (auch) die Gewerkschaft nicht nur die Einsparungen im Gesundheitssektor anprangert, sondern die 20 Krankenhäuser und Kliniken, die alleine im letzten Jahr „nach Plan“ geschlossen wurden, zu einem Kristallationspunkt des Protestes macht? Man könnte einmal mehr deutlich machen, dass der (Gesundheits-)Notstand ein gemachter, ein gewollten, ein scharf kalkulierter ist, und wenig mit dem Pandemiegeschehen zu tun hat.

Und was wäre das für ehrlicher Schritt, wenn man in allen (Groß-)Unternehmen außerordentliche Betriebsversammlungen einberuft, um mit den Arbeiter*innen darüber zu diskutieren, wie man mit der Angst vor Corona in der Arbeitswelt umgeht?

Man sollte dazu unbedingt „Regierungs-Experten“ einladen, die den Versammelten erklären, warum ein Acht-Stunden-Tag in der Fabrik ungefährlich ist, aber ein Besuch in einem Café (mit allen AHA-Regeln) zu deren Schutz verboten wird?

Dazu würde auch die Einladung von Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen gehören, die auch zur Rolle der Ökonomie einer Pandemie Stellung nehmen würden.

Das wäre doch einmal ein Anfang, der für allerlei Überraschungen gut sein wird!

Wolf Wetzel

Nachtrag:

Dass das Virus das Firmenschild: „Betreten verboten“ nicht lesen kann, dass man aus dieser Berufswelt nur durch Zuall etwas mitbekommt, kann man nachfolgender Meldung entnehmen:

180 Corona-Fälle in Fahrzeugwerk gemeldet

In einem Fahrzeugwerk in Mecklenburg-Vorpommern infizieren sich 180 Mitarbeiter mit dem Coronavirus. Das treibt die Inzidenz des Landkreises in die Höhe. Nun wird dort der höchste Wert seit Beginn der Pandemie verzeichnet. 180 Angestellte eines Fahrzeugwerks in Lübtheen im Kreis Ludwigslust-Parchim haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Das berichtet unter anderem der „Nordkurier“ am 28. April 2021:

https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/massiver-corona-ausbruch-in-fahrzeugwerk-luebtheen-2843319804.html

Für weitere Beispiele bin ich dankbar!

 

Publiziert auf den NachDenkSeiten am 4. Mai 2021: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72130

 

Quellen und Hinweise:

Das andere Risiko, Neues Deutschland vom 16. 1.2021

Offener Brief von Aerosolwissenschaftler vom 11. April 2021: http://docs.dpaq.de/17532-offener_brief_aerosolwissenschaftler.pdf

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/offener-brief-aerosolforscher-100.html

Strittiges Signal der IG Metall zum 1. Mai, Bernd Osterloh, NDS vom 1. Mai 2021: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72052

Coronavirus Update, Folge 86, Korrina Henning (Wissenschaftsredakteurin/NDR Info) und Christian Drosten (Virologe/Charite Berlin), S.19/20: https://www.ndr.de/nachrichten/info/86-Coronavirus-Update-Das-Beispiel-Indien,podcastcoronavirus308.html#Bundesnotbremse

Kreative Buchführung. Intensivbetten kommen und gehen – wie es in die Bilanz passt, Ralf Wurzbacher: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72019#more-72019

Bündnis warnt vor mehr als 30 Klinikschließungen: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/122735/Buendnis-warnt-vor-mehr-als-30-Klinikschliessungen

 

Publiziert auf den NachDenkSeiten am 4. Mai 2021: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72130

 

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