Gegen den Strom
– und damit gegen diese Zeit
Der Film „Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson wird als Tragikomödie, als Märchen, als Politsatire angeboten. Eine extreme Verharmlosung.
Eine Hommage an einen widerständischen Film, den man ganz oft anschauen kann, wie zuletzt auf ARTE am 8. Juli 2020
Man sieht eine etwa 50-jährige Frau, die mit einem Bogen ein Plastikseil über eine Stromleitung eines Hochspannungsmastens schießt. An diesem ist ein Stahlseil befestigt, das sie dann über die Stromleitungen zieht und somit kurzschließt. Wenig später zischt und blitzt es. Der Kurzschluss ist perfekt und das daran angeschlossene Aluminiumwerk ohne Strom.
Ein Tramper mit Rad wird in der Nähe des Tatortes festgenommen, während die Frau Hilfe von einem Bauern erhält, der die Familienbande höher hält, als den Verdacht, dass er gerade einer „Terroristin“ zur Flucht verhilft.
Er versteckt sie im Heu und bringt sie aus der Gefahrenzone und mit ein bisschen Verspätung kommt sie zu einer Probe, die sie als Chorleiterin führt.
Zu dem Chor gehört auch ein Mann aus dem Ministerium, mit dem sie zusammen die Sabotageaktionen plant. Wenn sie sich treffen, deponieren sie ihre Handys in der Mikrowelle.
In den Medien vermutet man eine Grüne Armee Island. Tatsächlich wird eine „Bergfrau“ wenig später eine Erklärung verfassen, in der sie die Sabotageaktionen begründet.
Nachdem die Regierung erklärte, dass sie an dem Großprojekt festhalten und den Kampf gegen den Terrorismus mit allen Mitteln fortsetzen werde, entscheidet sich die Bergfrau dazu, ebenfalls zuzulegen. Sie bringt sich in den Besitz von gewerblichem Sprengstoff und …
Mehr sei hier nicht verraten, denn man muss diesen Film unbedingt sehen. Er ist so ungeheuer klar und konsequent, ruhig und spannend, dass man ihn schnell als Märchen abtuen kann, abgesehen von den tatsächlich märchenhaft-mystischen Zwischentönen in Gestalt von isländischen Musikern, die an den unmöglichsten Stellen die Sabotagehandlungen untermalen.
Das ist keine Schwäche dieses Filmes, sondern sein Geheimnis, der Wirklichkeit nicht das letzte Wort zu überlassen.
Alles, was in einem Märchen genau so sein darf, wird der „Bergfrau“ zuteil. Ihr kommen zur rechten Zeit genau die Menschen zur Hilfe, die sie braucht, wenn man nicht (ganz) alleine gegen den Rest der Welt untergehen will.
Da ist zum einen ein benachbarter Schafszüchter, der anfangs ziemlich abweisend ist und Zug um Zug zum Mittäter wird, mit einer Selbstverständlichkeit, die man wie Lavendelduft einsaugen möchte. Er leiht ihr sein Auto, ohne damit in etwas hineingezogen zu werden. Beim nächsten Anschlag steht er bereits genau da, wo sie ihn für die letzte Etappe der Flucht dringend braucht. Schließlich gilt es Straßensperren zu überwinden, die sofort nach dem Anschlag eingerichtet wurden. Und als die Protagonistin doch noch festgenommen und inhaftiert wurde, wurde aus dem wortkargen Schafszüchter ein Saboteur.
Und dann ist da noch ihre Zwillingsschwester. Auch mit ihr geht es märchenhaft zu. Sie war auf einem ziemlich esoterischen Trip und gerade dabei, in einem Ashram in … na wo sonst … Indien ihre innere Ruhe und ihr wahres Ich zu finden.
Obwohl sie sich alles vorwerfen, was ein „wahres Ich“ von einem anderen Leben trennen kann, kommt auch hier eine ungeahnte Wendung, die beide befreit, nicht nur in ihrer Innerlichkeit.
Wolf Wetzel
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