Über die Ebbe – auch in den Köpfen der „Klugen“ und über eine Zeit, die kalte Füsse bekommt

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Über die Ebbe – auch in den Köpfen der „Klugen“ und über eine Zeit, die kalte Füsse bekommt

 

Wir leben nicht in den 30er Jahren, in der Weimarer Republik, in der der Faschismus, die NSDAP in aller Ruhe und mit viel Unterstützung groß werden konnte, bis jene, die die (bürgerliche) Demokratie zur Farce verkommen ließen, jene an die Macht brachten, die die Demokratie von Anfang an für einen Bus hielten, aus dem man aussteigt, wenn man am Ziel angekommen ist.

 

Umso bedrückender ist es, wenn man folgendes Gedicht von Erich Kästner liest, das er um 1930 veröffentlicht hatte, als die NSDAP immer stärker wurde, und es dennoch genug Zeit, Möglichkeiten und Bereitschaft gegeben hätte, den Faschismus zu stoppen, ihn zu schlagen.

Was das Gedicht von Erich Kästner so eindringlich macht, ist die Stimmung, die er einfängt, die Dummheit, die auch und gerade mithilfe der „Klugen“ zur Epidemie wird:

 

Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie.

Sie wächst zu rasch. Es wird ihr schlecht bekommen.

Man nimmt ihr täglich Maß und denkt beklommen:

So groß wie heute war die Zeit noch nie.

Sie wuchs. Sie wächst. Schon geht sie aus den Fugen.

Was tut der Mensch dagegen? Er ist gut.

Rings in den Wasserköpfen steigt die Flut.

Und Ebbe wird es im Gehirn der Klugen.

Der Optimistfink schlägt im Blätterwald.

Die guten Leute, die ihm Futter gaben,

sind glücklich, daß sie einen Vogel haben.

Der Zukunft werden sacht die Füße kalt.

Wer warnen will, den straft man mit Verachtung.

Die Dummheit wurde zur Epidemie.

So groß wie heute war die Zeit noch nie.

Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung.

Erich Kästner (etwa um 1930)

 

Wolf Wetzel 10.10. 2019

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