Die Widersprüche sind die Hoffnungen – Mein Engagement als freier Beiträger für die Tageszeitung Junge Welt wurde beendet

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Die Widersprüche sind die Hoffnungen – Mein Engagement als freier Beiträger für die Tageszeitung Junge Welt wurde beendet

von Markus Mohr

Vorwort

Eigentlich könnte diese Geschichte aus der DDR-Zeit lehrhaft sein. Man könnte aus ihr lernen – gerade die Linke. Aber warum auch? Stattdessen wiederholt man sie im ziemlich unbedeutsam Kleinen …

Zu DDR-Zeiten wurden nicht nur „Systemfeinde“ überwacht und bespitzelt, sondern auch jene, die den Sozialismus nicht für eine Angelegenheit eines Politbüros hielten, sondern für einen gesellschaftlichen Prozess. In diesem Fall geht es um eine Gruppe, die die STASI den Namen „OV Kreis“ gab.

Wenn diese Gruppe dennoch als „Republikfeinde“ und „Abweichler“ denunziert wurde, dann hatte man damit also nicht den Sozialismus verteidigt, sondern ausschließlich seine eigene Macht.

Warum hat man nicht diese Gruppe zu Diskussionen eingeladen, um in aller Öffentlichkeit über die Zukunft des Sozialismus zu debattierten? Das hätte dem Sozialismus nicht geschadet, sondern überhaupt erst attraktiv gemacht. Stattdessen hat man die Bespitzelung bis zum bitteren Ende fortgesetzt.

Darüber hat Markus Mohr in einem Beitrag für die Rote Hilfe Zeitung (1/2019) geschrieben.

 

Im Zentrum stehen „zwei unterschiedliche Vorstellungen von Kommunismus (…):  Der der stets tönernen Macht sans Phrase und der der freien Assoziation“.

 

Die Reaktion im Umgang mit Differenzen und Widersprüchen kam prompt. Dieses Mal passiert es nicht in der DDR, sondern in der Chefredaktion der Tageszeitung „Junge Welt“.

Anstatt über diesen Beitrag zu streiten, ihn zum Anlass einer Debatte zu machen, schaltet man Markus Mohr als „freien Mitarbeiter“ ab. Das ist dämlich – und bei fortgesetzter Wiederholung eine Farce.

Wolf Wetzel

 

Irgendwann in den 2000er Jahren habe ich angefangen Beiträge für die Tageszeitung Junge Welt zu schreiben. Der letzte stammt von Ende Januar dieses Jahres – ein Kurzabriss über die Geschichte des Berliner Extradienstes aus den 1970er Jahren. Diesem Engagement ist nun von der Chefredaktion und Verlagsleitung der Jungen Welt ein Ende gesetzt worden. Die letzte knappe Information, die mir der diensthabende Feuilleton-Redakteur Mitte März noch zukommen ließ, bestand in einer Falschbehauptung: Ich soll wegen eines Beitrages in der Zeitung der Roten Hilfe 1/2019 über einen von dem jW-Mitarbeiter Arnold Schölzel in den 1970er Jahren gegen linke DDR-Oppositionelle erfolgreich absolvierten Spitzeleinsatz die Zusammenarbeit mit der Jungen Welt abgebrochen haben. Dem habe ich widersprochen, und seitdem habe ich von der Redaktion auch auf Angebote zu weiteren Beiträgen nichts mehr gehört. Ein Brief an die Verlagsleitung und den Chefredakteur von Ende Juli mit der Bitte meinen Status für das Blatt zu klären, blieb ohne Antwort.

Die Linke zeichnet sich im Unterschied zur politischen Rechten auch darin aus, dass niemand sakrosankt ist, Kritik und Selbstkritik gehören zu einer fortschrittlichen, gar sozialistischen Bewegung dazu. Auch die Junge Welt muss damit leben, dass es Linke gibt, die Schölzel für diese von ihm auch heute noch gut geheißene Praxis seines Spitzelengagements für das MfS nicht feiern, sondern fundamental kritisieren. Seine vielfach dokumentierte Behauptung, die Intellektuellengruppe, deren Teil er war, hätte „17 Millionen“ verraten, ist nicht nur Ausdruck für einen brutalen Realitätsverlust, sondern auch ein Schlag ins das Gesicht eines kritischen Marxismus.

Nun darf man in der Jungen Welt Anfang Juli 2019 u.a. folgendes lesen:

„Mit heftigen Angriffen auf die junge Welt soll verhindert werden, dass sich die verkaufte Auflage der Zeitung weiter positiv entwickelt. Darüber berichtete jW-Chefredakteur Stefan Huth, der auf die offensichtlichen Lügen im aktuellen Verfassungsschutzbericht hinwies.  (…) Aber auch aus vermeintlich linker Ecke kämen weiter Angriffe: (…) Die Rote Hilfe habe in ihrem Mitgliederheft einen Artikel über den langjährigen jW-Chefredakteur Arnold Schölzel gebracht, der »mit allen journalistischen Standards gebrochen« habe. In einem Beitrag des Verdi-Magazins ‘Menschen machen Medien’ werde die Rhetorik des Verfassungsschutzberichts aufgenommen und junge Welt als »Kampfblatt« bezeichnet.“ (O.N., Kurs halten, in: jW vom 1.7.2019, S. 4)

Die „vermeintlich linke“ Rote Hilfe Seite an Seite mit dem wahrscheinlich nicht so linken Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam vereint in „heftigen Angriffen“ gegen die Junge Welt? Und das womöglich auch noch im Zusammenhang einer „Rhetorik des Verfassungsschutzberichts“?

Da reibt man sich doch ein wenig die Augen. Die jW zieht den Kreis der Leute und Gruppen, auf die sie politisch konstruktiv zugeht, zuweilen sehr eng. Wenn nun auch noch die Rote Hilfe lediglich „vermeintlich links“ ist, wer soll dann eigentlich noch erreicht werden?

Es ist wohl so, dass die Junge Welt staatliche Repression gegen Linke und GenossInnen, also eben das, was von Arnold Schölzel auch heute noch gutgeheißen wird, als Ausweis von Bündnis- und Zukunftsfähigkeit begreift. Eine Kritik daran von links unten dahingegen nicht. Wenn das so ist, dann ist es richtig, die jW allerdings tatsächlich als ein „Kampfblatt“ zu begreifen, und zwar für eine schlechtere und nicht für eine bessere Welt.

Gegen mich wurde nun eine stille Form der kalten Kündigung praktiziert. Natürlich trifft mich das, auch eingedenk der ausgezeichneten Erfahrungen in der jahrelangen Zusammenarbeit insbesondere mit dem Genossen Christof Meueler. Gerne hätte ich die Junge Welt durch weitere Beiträge bereichert. Doch das ist nun vorbei. Mist.

Sowohl die Beendigung meines Engagements für die Zeitung als auch das diesbezügliche Schweigen führen eine Entwicklung weiter, die als eine Selbstauflösung der Linken benannt und beklagt werden soll. Ganz im hoffnungsfroh artikulierten Geist des Thomas Brasch wendet sich diese Erklärung damit als ein praktizierter Widerspruch selbstverständlich an alle Kräfte, die zur Abschaffung der gegenwärtigen Zustände beitragen, die keine menschenwürdigen sind.

Markus Mohr

Berlin, den 26. August 2019

 

Siehe: Thomas Brasch: Rede zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises, in: ZEIT Nr. 4 vom 22. Januar 1982, URL: https://www.zeit.de/1982/04/rede-zur-verleihung-des-bayerischen-filmpreises Die Rede in Anwesenheit des bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß  kann auf youtube angesehen werden, URL: https://www.youtube.com/watch?v=bYX-tY_pnu0

Und hier der Verweis auf den „kündigungswürdigen“ Beitrag in der Zeitschrift „Rote Hilfe“:

  1. Mohr, Gegen die, die „Morgenluft wittern und frech zu werden versuchen“ – Die radikaloppositionelle Studentengruppe und der IM, in: Rote Hilfe Zeitung, 1/2019, S. 36 – 39, URL: https://www.rote-hilfe.de/rote-hilfe-zeitung

RHZ_2019_1-Markus-Mohr

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