“Die haben uns kaputtgemacht”

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“Die haben uns kaputtgemacht”

Abdulkerim Şimşek ist Sohn des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek, der in Nürnberg im Jahr 2000 umgebracht wurde.

 

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In einem Interview spricht Abdulkerim Simsek über „Sicherheitsbehörden“, die ihn und seine Familie nicht beschützt, sondern kaputt gemacht haben – und nichts von allemdem vorbei ist und wie all dies mit dem Mordfall Lübcke zusammenhängt.

Auszüge aus dem Interview von Wiebke Ramm/DER SPIEGEL vom 11.07.2019:

SPIEGEL ONLINE: Vor einem Jahr fiel das Urteil im NSU-Prozess. Sind Sie seither etwas zur Ruhe gekommen?

Simsek: Wenn ich nicht in Deutschland bin, so wie jetzt gerade, gelingt es mir ganz gut, nicht an den NSU zu denken. Ich will mit dem Thema wirklich abschließen. Ich ertrage es einfach nicht mehr. Ich will nichts mehr davon hören. Aber es hört ja nicht auf. Erst die Drohmails gegen meine Anwältin, Seda Basay-Yildiz, dann der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Das alles macht mich so wütend!

SPIEGEL ONLINE: Was genau ärgert Sie so sehr?

Simsek: Wir haben immer gesagt, Kassel ist eine Neonazi-Hochburg. Darauf haben wir im Prozess immer wieder hingewiesen. Wir haben geschrien: Es gibt noch andere Leute! Aber auf uns wurde nicht gehört. Es wurde immer so dargestellt, dass der NSU nur aus drei Leuten besteht – aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Aber für mich ist ganz klar: Das ist ein Netzwerk. Die Familie Lübcke tut mir furchtbar leid. Ich bin fest davon überzeugt, dass der NSU und der Mord an Herrn Lübcke miteinander verstrickt sind. Da steckt mehr dahinter. Ich habe nur keine Hoffnung, dass wir die Hintergründe jemals erfahren werden.

SPIEGEL ONLINE: Warum nicht?

Simsek: Weil ich nicht sehe, dass es den Sicherheitsbehörden und dem Verfassungsschutz wirklich um Aufklärung geht. Seit Jahren wird im NSU-Komplex gegen weitere Leute ermittelt. Ohne dass da irgendetwas bei herauskommt. Hätte man sich um das Umfeld viel früher gekümmert, ich bin mir sicher, der Mord an Herrn Lübcke hätte verhindert werden können. Und was nützt es, dass der hessische Verfassungsschutz jetzt die Sperrfrist einer NSU-Akte von 120 Jahren auf 40 Jahre herabgestuft hat? Ich will jetzt wissen, was da drinsteht. (…)

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie noch Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes?

Simsek: Nein, das Vertrauen ist wirklich komplett zerstört. Als mein Vater ermordet wurde, wurden wir über Jahre zu Unrecht verdächtigt. Die Polizei hat uns beschuldigt. Mein Vater wurde als Drogendealer hingestellt, meine Mutter immer und immer wieder verhört. Das kann man nicht vergessen. Meine Mutter hat darunter psychisch sehr gelitten. Dann geschah der zweite, der dritte, der vierte Mord. Es hörte nicht auf.

SPIEGEL ONLINE: Sie mussten miterleben, wie der NSU weitere Menschen ermordete…

Simsek: Meine Mutter hat mit den Familien unendlich mitgelitten, weil sie wusste, was auch deren Angehörige nun durchmachen mussten. Und jedes Mal kam die Polizei wieder zu uns, hat uns verhört und verdächtigt. Das hält man schwer aus. Die haben uns kaputtgemacht. Eigentlich dachte ich, dass das alles nicht mehr zu toppen ist. Dann kam die Sache mit den Drohungen gegen unsere Anwältin. Einfach unfassbar.“ (..)

Quelle:

https://m.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-prozess-jahrestag-des-urteils-abdulkerim-simsek-im-interview-a-1276712.html

 

 

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4 Kommentare

  1. Die NSU-Morde fügen sich nahtlos in die aktuelle große Welteroberungsstrategie des Kapitals ein. Nachdem es in den entwickelten Ländern kein für die Aufnahme von großangelegten Kapitalinvestitionen unentdecktes Land mehr gibt – praktisch alle materiellen Lebensvollzüge bis hinein in das Wünschen und Begehren eines jeden einzelnen sind dem Kommando des Kapitals unterworfen – mußte das sich unendlich vermehren könnende und zu beständiger Erweiterung seiner Basis gezwungene Kapital (Tendentieller Fall der Profitrate) auf Gedeih und Verderb darangehen, Brachland urbar zu machen, sprich: den grandiosen Erfolg in seinen altangestammten Metropolen in den wenig und nicht vom Kapital durchdrungenen Ländern zu wiederholen. Dazu 1.) und betreffs des konstanten Kapitals: Auslagerungen von Warenproduktionen, auch wenn dadurch höhere Herstell- und Transportkosten entstehen (Begründung: Investition in zukunftsträchtige neue Märkte). Dazu 2.) und betreffs des variablen Kapitals: Immigration zwecks erst Einweihung in die Künste, Logiken und Maximen industrieller Warenproduktionen und sodann Rückkehr in die dann kapitalistisch bereits aufstrebenden Heimatländer. So kehrten Immigranten aus Spanien, Portugal, Griechenland, Italien und Jugoslawien bereits vor 1989 beinahe vollzählig in ihre Herkunftsländer zurück. Nur die aus der Türkei Eingewanderten schienen bleiben zu wollen, obschon die Immigration von Osteuropäern bereits voll angelaufen war. Ja, sie wurden einfach kaputt gemacht, die Türken — “Willensbekundung durch schlüssiges Handeln” heißt das im juristischen Fachjargon.

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