Die Urteile im NSU-Prozess in München. Alles gesagt?

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Für den 11. Juli 2018 wurden die Urteile im NSU-Komplex angekündigt. Sie richten sich gegen das letzte lebende (Gründungs-)Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und vier Unterstützer.
Laut Süddeutsche Zeitung ist der NSU-Prozess „ein Prozess der Superlative: der längste, der größte, der teuerste. Ein Jahrhundertprozess, nur zu vergleichen mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, den Auschwitzprozessen und den RAF-Verfahren. Es geht um zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.“
In der medialen Vorbereitung auf das Urteil wurde immer wieder an das Versprechen erinnert, das die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einer zentralen Gedenkfeier im Februar 2012 gegeben hatte:

Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“

Dass dieses Versprechen nichts wert ist und mit Bedacht nicht eingelöst werden sollte, hat sich nicht erst im Laufe des Prozesses herausgestellt.
Bereits vor Beginn des Prozesses im Jahre 2013 hat die Bundesanwaltschaft angekündigt, worum es in diesem Prozess nicht gehen wird:

  • Gegenstand des Prozesses wird nicht sein, ob der NSU aus mehr als drei Mitgliedern besteht.
  • Nicht aufklärungswürdig ist die Begründetheit des Vorwurfes, dass der Staat in direkter bzw. indirekten Form am Zustandekommen des nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) beteiligt war.
  • Ebenfalls sei es nicht Gegenstand dieses Prozesses, ob und wie viele V-Leute die Taten des NSU ermöglicht bzw. nicht verhindert haben.

 
Diese Prozesslinie hatte der Bundesanwalt Dr. Diemer am 25. Juli 2017 nochmals unterstrichen, als es um die verweigerte Beweiserhebung in diesem Verfahren ging:

Eine Beweisaufnahme, die das politische und mediale Interesse nicht immer befriedigen konnte, weil die Strafprozessordnung dem Grenzen setzte. Rechtsstaatliche Grenzen, die verlangen, das Wesentliche vom strafprozessual Unwesentlichem zu trennen. So ist es schlicht und einfach falsch, wenn kolportiert wird, der Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt, denn mögliche Fehler staatlicher Behörden und Unterstützerkreise – welcher Art auch immer – seien nicht durchleuchtet worden. Mögliche Fehler staatlicher Behörden aufzuklären, ist eine Aufgabe politischer Gremien. Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen sind nicht aufgetreten.“ (Wortprotokoll der Nebenklage)

Von daher ist die bis heute andauernde Enttäuschung über den fehlenden Aufklärungswillen auch eine Selbsttäuschung, die mit der Weigerung einhergeht, sich nicht mit dem deutlich artikuliertem Faktum auseinanderzusetzen, dass „schonungslose“ Aufklärung weder die Aufgabenstellung der Bundesanwaltschaft war, noch die des Staatsschutzsenats.
Kein-Schlussstrich-2018-Netz

Diesen Umstand formulierte die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John, mit großer Vorsicht. Ein Fazit, das sie bereits vor der Verkündung der Urteile gezogen hat: Sie bezeichnet „die Vernichtung von Akten zur Neonaziszene in Thüringen im Bundesamt für Verfassungsschutz als ‚Skandal erster Güte‘. (…) Sie glaube nicht, dass die Aufklärung der Verbrechen von den Verfassungsschutzbehörden ernst genug genommen worden sei, sagte John dem Bayerischen Rundfunk. So sei ein beim NSU-Mord in Kassel am Tatort anwesender hessischer Verfassungsschützer immer noch bei einer hochrangigen Landesbehörde beschäftigt. Auch sei in den Ermittlungsbehörden kein einziges Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt gegen Mitarbeiter eingeleitet worden, die Informationen nicht weitergegeben und so eine frühzeitige Festnahme der Täter verhindert hätten, kritisierte John.“ (zeit.de vom 7. Juli 2018)

Zwischen zehn Jahre und lebenslanger Haft

Man verrät sicherlich nicht zu viel, wenn man davon ausgeht, dass die allermeisten auf das Urteil gegen Beate Zschäpe, laut Anklageschrift das einzig lebende Mitglied des „NSU“, gespannt sind:
Die „Altverteidiger“ forderten Freispruch im Sinne der Anklage.
Die Rechtsanwälte, die die neue Linie Beate Zschäpes vertreten sollen, forderten zehn Jahre.
Die Anklagevertretung forderte für Beate Zschäpe als „Mittäterin“ eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender „Sicherungsverwahrung“.
Ganz entscheidend wird es darauf ankommen, wie das Gericht ihr weitgehendes Schweigen wertet und wie es ihre Einlassungen zugunsten der Anklage „würdigt“.

Kein Schlussstrich?

Das Bündnis „Kein Schlussstrich“ hat mit Bekanntgabe des Termins für die Urteilsbegründung zu Aktionen unter dem Motto: „Gegen den Schlussstrich, gegen Rassismus und rechten Terror!“ aufgerufen:
In diesem Prozess setzte sich fort, was sich auch sonst durch den NSU-Komplex zog: Verdrängung der Perspektiven der Betroffenen und Schutz des Staates statt tatsächlicher Aufklärung. Das, was den NSU-Komplex überhaupt erst möglich gemacht hat, besteht weiterhin.
Deswegen finden am Tag der Urteilsverkündung in München ganztägig Aktionen statt, um klar zu machen, dass mit dem Ende des Prozesses die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht abgeschlossen sein darf.“
Über die Kundgebung um acht Uhr vor dem Gerichtsgebäude in München berichtete der Focus Live-Ticker:
„Vor dem Urteil haben sich vor dem Oberlandesgericht auch etliche Demonstranten versammelt. Sie halten Transparente mit Aufschriften wie ‚Wieviel Staat steckt im NSU?‘ hoch.“
Für 18 Uhr hat das Bündnis „Kein Schlussstrich“ eine Demonstration zum Bayerischen Innenministerium am Odeonsplatz angekündigt.

Die letzte Chance

Bevor ich – das muss bei einem sehr mäßigen Gerichtsdrama so sein – auf das Urteil eingehe, ein Schritt zurück, um die Spannung zu steigern. Eine Spannung, für die es sich lohnt, sie auszuhalten.
Beate Zschäpe hat ihr Recht auf ein Schlusswort – vor der Urteilsverkündung – in Anspruch genommen, für ungefähr fünf Minuten.
Sie nutzte es, um irgendwie zu erklären, wie sie in den Neonazismus gestolpert ist, wie sie sich lossagen wollte, aber ihre Liebe zu Uwe Böhnhardt dies nicht zuließ. Ansonsten bereute sie das, wovon sie nichts gewusst habe.
Man könnte ein wenig verspielt sagen: Das geht ganz vielen Ehefrauen so, die irgendwann erschrocken darüber sind, was ihre Männer getan haben, als sie das Haus verlassen haben. Dutzende Ehefrauen von Aufsichtsratsmitgliedern und Vorständen bei VW und Deutscher Bank (die Auswahl ist rein willkürlich) könnten ein Lied davon singen.
Die allermeisten Kommentatoren waren über das Schlusswort sehr enttäuscht. Es sei nicht ehrlich gewesen, die Reue sei vorgetäuscht und überhaupt: Sie habe ihre letzte Chance nicht genutzt.
Das ist schnell dahingesagt und gerade deshalb ein Grund, diesem Argument nachzugehen.
Es wird gerade jenen auf die Füße fallen, die so tun, als wollten sie tatsächlich von Beate Zschäpe die Wahrheit erfahren!
Mit dem Vorwurf, Beate Zschäpe habe ihre letzte Chance vertan, ist gemeint, dass sie ihr Wissen hätte preisgeben sollen und müssen. Nur so könne sie ihr Reue tatsächlich unter Beweis stellen.
Spielen wir diesen Gedanken laut und detailliert durch und fangen vom Ende her an.

Das Schweigen von Beate Zschäpe als Faustpfand

Sollte sich Beate Zschäpe daran erinnern, wer sie am 4. November 2011 – kurz nachdem die Zwickauer Wohnung brannte – von einem Handy aus angerufen hatte, das auf das sächsische Innenministerium zugelassen war?
Brennen Staatsanwaltschaft und Staatsschutzsenat darauf, Genaueres über diesen vertuschten Vorgang zu erfahren: „Mit wem sprach Beate Zschäpe? Verbindungsdaten zeigen, dass die NSU-Angehörige (Beate Zschäpe, d.V.) mehrfach von der Polizei und vom Innenministerium angerufen wurde. Nun zeigt sich: Protokolle dazu wurden offenbar gelöscht.“ (mdr.de vom 11.2.2016)
Sollte sie sagen, in welchem Verhältnis sie zum „Kameraden“ André Eminger stand, der sie im Untergrund unterstützte und mit dem sie auf ihrer Flucht in regem Kontakt stand? Soll sie tatsächlich die Lücken füllen, die die Beweissicherung ganz zufällig hinterlassen hatte? Es handelt sich dabei um eine sehr gezielte und sehr gründlich durchgeführte Lücke, um die Löschung von Telefondaten, die André Eminger und Beate Zschäpe in den Tagen ihrer Flucht betreffen. „Zufällig“ wurde auch die automatisch angefertigte Sicherungskopie vernichtet.
Sollte Beate Zschäpe tatsächlich alle Gründe auf den Tisch legen, die ihren „Aufbruch“, die Angst, die seit Wochen präsent war (und zu allerlei Vorsichtsmaßnahmen führte, unter anderem die Installation von Videoüberwachungskameras rund um die Wohnung und selbst im Campingwagen) erklären helfen?
Sollte sie verraten, warum sie die vier Tage „Flucht“ nicht dazu nutzte, sich in Sicherheit zu bringen? Sollte sie nachvollziehbar machen, warum das Fehlen einer „heiße Spur“ aufseiten der Verfolgungsbehörden, der Besitz legal-illegale Papiere (einschließlich falscher Identitäten), beste Kontakte ins Ausland nicht ausreichten, um sich einer jahrelangen Inhaftierung und dem erwartbaren Urteil „Lebenslänglich“ zu entziehen?
Sollte Beate Zschäpe über die ausgezeichneten und intensiven Kontakte zur Neonaziszene in Baden-Württemberg berichten, über das Sammelsurium aus Ku-Klux-Klan(KKK)-Mitgliedern, V-Leuten, kroatischen Faschisten und Waffenhändlern, über Polizeibeamte als KKK-Mitglieder und darüber, was all dies mit dem Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 zu tun hat?
Könnte Beate Zschäpe die recht zentrale Frage beantworten: Warum endet 2006 nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel die rassistische Mordserie? Weiß Beate Zschäpe etwas mehr über den V-Mann-Führer Andreas Temme, über den „Kameraden“ Andreas, über den Zeugen Andreas Temme? Weiß sie zufällig, dass er nicht zufällig am Tatort war?
Sollte Beate Zschäpe tatsächlich erzählen, was sie über all die anderen „Kameraden“ weiß, die als V-Leute aktiv waren, also auch an der Schaffung, Ausstattung und Propagierung des neonazistischen Untergrundes beteiligt waren?
Wollen wirklich alle wissen, was Beate Zschäpe über den „Kameraden“ und ehemaligen Geliebten Thomas Starke weiß, der ihnen 1998 gewerblichen Sprengstoff lieferte und gleichzeitig als V-Mann das Depot (eine Garage in Jena) verriet, in dem der Sprengstoff gelagert wurde und so die Flucht in den Untergrund einleitete?
 
Es gibt sicherlich noch mehr Fragen, die Beate Zschäpe beantworten könnte. Aber alleine die Beantwortung dieser Fragen würden den Prozess platzen lassen.
Ganz sicher gibt es die Angehörigen der Mordopfer, die das vorbehaltlos wissen möchten.
Aber will das die Anklagevertretung wissen? Will sie all das zur Kenntnis nehmen, was durch eine Kette von „Pannen“ verschwunden ist und nur so die Anklage zusammenhält?
Und will der Staatsschutzsenat wirklich erfahren, dass ihre Annahme haltlos ist, dass ein „Duo/Trio“ ganz alleine neun Morde begangen hat, dass staatliche Stellen weder beim Aufbau eines neonazistischen Untergrundes, beim Gewährenlassen, noch bei der Verhinderung von möglichen Festnahmen beteiligt waren?
Wenn eines ganz sicher zu diesem Prozess in München gesagt werden kann, dann dieses: Weder die Generalstaatsanwaltschaft, noch der Staatsschutzsenat wollen das wissen. Sie leben vom Schweigen des angeblich letzten lebenden Mitgliedes des NSU, Beate Zschäpe.
Was diese Fragen angeht, so hat Beate Zschäpe bis heute geschwiegen, im Sinne der Anklage. Sie hat, und das steht in Gänze im Widerspruch zum Chor der enttäuschten Kommentatoren, ihre Chance genutzt.
Beate Zschäpe hat nicht nur mit ihrem Schweigen die Anklage geschützt – was jemand nur macht, wenn sich das Schweigen auszahlt, wenn es „belohnt“ wird.
Sie hat, wie im Beitrag: „Am Ende des NSU-Prozesses“  ausgeführt, zwei ganz wichtige Stützbalken der Anklage bandagiert: Sie hat ein Motiv für den Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 geliefert – auch wenn es haarsträubend ist: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten endlich gut funktionierende Waffen gewollt, wozu sie annähernd 400 Kilometer durch die Bundesrepublik fuhren, um auf einem Festplatz ganz zufällig auf einen parkenden Streifenwagen zu stoßen.
Und noch ein Motiv lieferte sie im Sinne der Anklage: Der „einvernehmliche Selbstmord“ in Eisenach 2011 sei ganz im Sinne der beiden toten NSU-Mitglieder gewesen, womit ein Mordgeschehen aus dem Weg geräumt werden sollte.
 

Eine Verteidigung, die vor allem der Anklage diente

Die Verteidigung von Angeklagten hat zwei zentrale Anliegen: Zum einen hat sie die Aufgabe, entlastendes für ihre Mandantin anzuführen.
Die zweite Aufgabe einer Verteidigung besteht darin, die wesentlichen Bausteine der Anklage zu erschüttern. Warum hat sie im Wesentlichen das Gegenteil gemacht? In den allermeisten Fällen ist sie aktiv geworden, um die Anklage gegen die Nebenkläger zu verteidigen. Für die Verteidigung von Beate Zschäpe wäre es zum Beispiel darum gegangen, die Ermittlungsergebnisse in Frage zu stellen, die einen „einvernehmlichen Selbstmord“ der beiden NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untermauern sollen. Nirgendwo wurde ein Tatort so unbrauchbar gemacht, wie in Eisenach 2011. Nirgendwo ist die Beweisführung für einen Selbstmord so dünn – wie ein Löschpapier.
Warum hat die Verteidigung nicht alles getan, um ein Verwertungsverbot durchzusetzen? Warum hat sie nicht mit zahlreichen Beweisanträgen dafür gesorgt, dass die abenteuerliche Annahme bereits vor Gericht widerlegt wird, ein Repetiergewehr könne von alleine nachladen, wenn es zu Boden fällt?
Selbst wenn sie damit nicht vor Gericht durchkommt, sammeln Verteidiger damit wichtige Revisionsgründe. Für diese Aufgaben einer Verteidigung braucht man keine Sympathie für die Mandantin, sondern nur durchschnittliches Anwaltskönnen.

Das Urteil

„Zum Ende des NSU-Prozesses. Nichts ist in Ordnung!“ (Christiane Mudra, Deutschlandfunk Kultur vom 9. Juli 2018)

Um 10.00 Uhr hat das Gericht die Urteile verkündet:
Beate Zschäpe wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie bekommt aber keine Sicherungsverwahrung. Das Oberlandesgericht München sprach sie des zehnfachen Mordes schuldig. Das Gericht stellte zugleich die besondere Schwere der Schuld fest.
Ralf Wohlleben wird als Waffenbeschaffer für den „Nationalsozialistischen Untergrund“ zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Oberlandesgericht München sprach ihn der Beihilfe zum Mord schuldig.
Holger Gerlach wird wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Er wurde schuldig befunden, dem NSU eine Waffe übergeben und den Untergetauchten mit falschen Papieren geholfen zu haben.
Carsten S. wurde zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt.
André Eminger ist zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Der Staatsschutzsenat sprach Eminger allerdings nicht der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig, sondern lediglich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Was macht Beate Zschäpe mit diesem Urteil?
Um ehrlich zu sein, bin ich von einer etwa zehnjährigen Haftstrafe ausgegangen, womit das Wissen berücksichtigt worden wäre, das Beate Zschäpe gegen zahlreiche Bausteine der Anklage in der Hand haben dürfte. Warum die lebenslange Haftstrafe ohne die von der Staatsanwaltschaft geforderten Sicherungsverwahrung ausgesprochen wurde, kann man möglicherweise aus der Urteilsbegründung herauslesen.

Ein Schein-Urteil

Überraschend ist auch das extrem milde Urteil gegen André Eminger, einem der treuesten „Kameraden“ des NSU. Ob dies auch mit den geschilderten Lücken zusammenhängt, die die Beweissicherung hinterlassen hat, wird man herausfinden müssen. Die Nebenklage kommentierte dies so:
„Selbst wann man annehmen würde, dass ihm die Beihilfe zu dem Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse nicht nachzuweisen war, ist seine Strafe von 2 1/2 Jahren nicht nachvollziehbar. Das Gericht hat nun angenommen, Eminger habe bis zu dem Wasserschaden in der Wohnung Böhnhardts, Mundlos‘ und Zschäpes keine Kenntnis von deren terroristischen Aktivitäten gehabt. Erst danach sei ihm mitgeteilt worden, dass ‚die Drei‘ noch andere Straftaten mit politischer Zielsetzung machen. Danach habe er noch einmal eine Bahncard geliefert – dies die Unterstützungshandlung, für die er nun verurteilt wird. Diese Begründung ist gleichwohl kaum nachvollziehbar, sie widerspricht im Übrigen auch den Ausführungen des Senats im Haftbefehl gegen Eminger. Insbesondere ignoriert eine solche Beurteilung aber die ideologische Ausrichtung Emingers, die in der Beweisaufnahme deutlich wurde. Eminger war verantwortlich für ein Fanzine, in dem für rassistische Morde geworben wurde, in dem rechtsterroristische Konzepte verbreitet wurden. Die Nebenklage hatte aus diesem Grunde auch beantragt, den Zwickauer V-Mann Ralph Marschner zu vernehmen, weil dieser Angaben zu den weiteren Aktivitäten Emingers hätte machen können. Dieser Antrag wurde von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft vereitelt, das Gericht hatte kein Interesse an weiterer Aufklärung. Nun wird argumentiert, es gäbe keine weiteren Informationen dazu, dass Eminger von den Aktionen Zschäpes, Böhnhardt und Mundlos gehabt habe. Der Verfassungsschutz hat also erfolgreich die Aufklärung verhindert, dies führt im Ergebnis zu einer milderen Verurteilung Emingers.“ (nsu-nebenklage.de vom 11. Juli 2018)
Beate Zschäpe wird – wenn sie das Urteil nicht anfechtet – noch neun Jahre im Knast bleiben, bevor ihre lebenslange Haft nach fünfzehn Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Wie ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe entschieden wird, ist dabei ziemlich offen.
Bereits vor der Urteilsverkündung äußerte sich ihr Verteidiger Hermann Borchert: „Sollte Zschäpe zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden, wird Borchert in Berufung gehen und vor den Bundesgerichtshof ziehen. ‚Der BGH wird das Urteil trotz 438 Verhandlungstagen kassieren‘, sagte Borchert zur ‚Bild‘.“ (Focus Live Ticker vom 11. Juli 2018)
Vielleicht lässt sich dazu einiges aus der Urteilsbegründung herauslesen, was ein nächster Beitrag leisten sollte.

Auf ein letztes Wort

Ein Staatsschutzsenat hat überhaupt nicht die Aufgabe, (alles) aufzuklären, sondern genau die “Staatsgeheimnisse” zu schützen, von denen der ehemalige Vize-Chef des Verfasssungschutzes Klaus-Dieter Fritsche bereits 2012 gesprochen hat:
„Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.“
Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? 3. Auflage, Unrast Verlag 2015
Alle Beiträge und Recherchen der letzten sechs Jahre zum NSU-VS-Komplex finden sich hier:
https://wolfwetzel.wordpress.com/category/02-bucher/der-nsu-vs-komplex-2013-2015/
 
Publiziert auf NachDenkSeiten am 11. Juli 2018: https://www.nachdenkseiten.de/?p=44894
 
 
 
 
 
Eine erste Einschätzung haben Nebenkläger auf ihrem Blog: „Nebenklage NSU-Prozess“ gezogen:
Das Urteil des Staatsschutzsenats des OLG München schützt den Staat und lässt die Opfer einmal mehr im Stich
Das OLG München hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag all denjenigen, die sich um eine wirkliche Aufklärung Straftaten des NSU und ihrer Hintergründe bemühen, einen Schlag ins Gesicht versetzt. Die Beschränkung der Aufklärungsbemühungen auf eine harte Verurteilung Beate Zschäpes, bei gleichzeitiger Verharmlosung der Tatbeiträge und der Ideologie der Unterstützer und Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit staatlicher Stellen, geht viel weiter, als dies nach der bisherigen Beweisaufnahme zu befürchten war.“
Bitte weiterlesen: https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2018/07/11/11-07-2018/
 
 
 
publiziert für die NachDenkSeiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=44894
Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? 3. Auflage, Unrast Verlag 2015
Alle Beiträge und Recherchen der letzten sechs Jahre zum NSU-VS-Komplex finden sich hier:
https://wolfwetzel.wordpress.com/category/02-bucher/der-nsu-vs-komplex-2013-2015/
Eine erste Einschätzung haben Nebenkläger auf ihrem Blog: „Nebenklage NSU-Prozess“ gezogen:
„Das Urteil des Staatsschutzsenats des OLG München schützt den Staat und lässt die Opfer einmal mehr im Stich
Das OLG München hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag all denjenigen, die sich um eine wirkliche Aufklärung Straftaten des NSU und ihrer Hintergründe bemühen, einen Schlag ins Gesicht versetzt. Die Beschränkung der Aufklärungsbemühungen auf eine harte Verurteilung Beate Zschäpes, bei gleichzeitiger Verharmlosung der Tatbeiträge und der Ideologie der Unterstützer und Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit staatlicher Stellen, geht viel weiter, als dies nach der bisherigen Beweisaufnahme zu befürchten war.“
Bitte weiterlesen: https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2018/07/11/11-07-2018/
 
 
 
 

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