Der Rubikon ist überschritten – in sieben Etappen
Ich habe von Anfang an das Projekt „Rubikon“ getragen und unterstützt. Ich bin in die Redaktion miteingestiegen. Ich bin im September 2017 ausgetreten, weil die politischen und persönlichen Differenzen mit Jens Wernicke zu groß wurden. Ich blieb Autor von zwei Kolumnen, in der Hoffnung, mit diesem Abstand der Idee treu zu bleiben und Zeit zu haben für einen besseren Umgang, für die Schaffung von Strukturen, die nicht immer in einen Konflikt Jens Wernicke versus X münden.
Im Januar 2018 gab ich auf und beendete meine Autorenschaft. Es hat mich viel Kraft gekostet, an „Rubikon“ mitzuarbeiten und viel Kraft, jetzt auszusteigen.
Rubikon ist eine Online-Portal, das Anfang 2017 ins Netz, also an die Öffentlichkeit ging. Die Idee war, nicht nur die privat-öffentliche Medienlandschaft zu kritisieren, deren Inhalte man müde war, sondern dem etwas Besseres entgegenzusetzen, ganz nach dem anpackenden Motto von Erich Kästner: „Es passiert nichts Gutes, außer man tut es“.
Ich war von der Idee angetan und habe die Plattform für die „kritische Masse“ von Anfang unterstützt.
Und da man nicht gerade neu auf der Welt ist, wusste ich, dass es auch bei diesem Projekt Anlaufschwierigkeiten, Holprigkeiten, Fehler und notwendige Streits und erkämpfte Klärungen geben wird:
„Ich hatte dir (Jens Wernicke, d.V.) in einem unserer letzten Telefonate zu dieser Problematik gesagt, dass das gute Projekt einen notwendigen „Geburtsfehler“ hat. Du hast das meiste in die Wege geleitet, die anderen haben nur „zugearbeitet“. Irgendeiner deiner Freunde hat in einer Mail geschrieben: ‚Du bist der Kapitän auf der Kommandobrücke und wir (deine Freunde) die Ruderer.‘
Es ist – wie Du mal geschrieben hast – „Dein Haus“, das du dir von niemand nehmen lassen willst.
Ich weiß, wie schwer es ist, aus der Ausgangsposition herauszukommen und nicht nur „Gäste“ zur Mitarbeit – bei Wohlgefallen – einzuladen. Ich habe Dir auch gesagt, dass die Angst, das Haus wird dir weggenommen, einer Gefahr um die Null gleicht. Du bist Gesellschafter und Geschäftsführer – von den Machtbefugnissen hast du alles in der Hand! Das solltest du wirklich mal begreifen. Ansonsten bekomme ich immer wieder das Gefühl, dass ich geschätzt und gebraucht werde, wenn es dir passt, ansonsten wird mein Engagement als „Spiegelfechterei“ disliked.
Genau das hast du (und ich) bei NDS erlebt. Das ändert man aber nicht, indem man diese Machtstrukturen reproduziert und potenziert: Geschäftsführer und Chefredaktion in einer Person und dann ein Team …. (wo gab und gibt es so etwas).“ (E-Mail vom 28.5.2017)
Die, die hierzu zusammenkamen, kannte sich fast gar nicht. Man hatte keine Übung, zusammenzuarbeiten. Man kannte die je eigenen Vorstellungen und Biografien nur ganz flüchtig.
Es verwunderte also nicht, dass die ersten Konflikte sehr schnell auftraten und gelöst werden mussten, denn wo der „Rubikon“ des je Einzelnen überschritten wird, konnte man erst in der Praxis herausfinden.
All das sollte kein Grund sein, gleich beim ersten Stolperstein die Sache hinzuwerfen.
Mein Gradmesser hatte eine einfache Eichung: Nähern sich Idee und Wirklichkeit an oder triften sie immer mehr auseinander?
Nach über einem Jahr kann ich sicher und mit großer Enttäuschung feststellen: Idee und Wirklichkeit nähern sich nicht, sondern liegen festgekettet weit auseinander. Das liegt weder an den Anlaufschwierigkeiten, sondern an einem einfach zu benennenden Umstand: Man kann nicht die Machtkonzentration und die oligarchen Entscheidungs“findungen“ der Medien und deren Auswirkungen auf das Produkt „Inhalt“ kritisieren und diese selbst bis ins Absurde anhäufen und verteidigen.
NachDenkSeiten
Vom Ende her betrachtet, hat der Anfang alles, was ein guter Comic braucht. Zum Beispiel einen guten, knackigen Titel: „NachDenkSeiten“ (NDS). Eine Internet-Plattform, die Albrecht Müller ins Leben gerufen hat. Er war u.a. Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der SPD und verantwortlich für den Bundestagswahlkampf 1972 und ab 1973 Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Dort sind gute Beiträge zu finden, aber auch sich im Kreis drehenden Bemühungen, die gute alte SPD zurückhaben zu wollen.
Albrecht Müller hat die Plattform aus Enttäuschung über die Neoliberalisierung der SPD gegründet, die mit der „Agenda 2010“ und dem „Boss der Bosse“ (Gerhard Schröder) eng verknüpft ist.
Die NDS werden über Spenden finanziert. Die Autoren erhalten 150.- Euro pro Beitrag. Und es gibt einen Verein, der auch etwas zu sagen hat.
Aber der einzig Entscheidende ist Albrecht Müller. Dort hat Jens Wernicke gearbeitet und so etwas wie einen Vertrag bekommen. Aber dort hat er nicht nur journalistisch gearbeitet, sondern auch gelitten: Unter dem Patriarchen Müller, der, so Wernicke, diktatorisch und launisch sein konnte und durfte – also schwer erträglich. Was passieren durfte, musste dem Herausgeber Müller gefallen. Wenn ihm etwas nicht passte, dann war es von einer Minute zur nächsten Luft.
Eine „freie“, also sehr prekäre und unberechenbare Autorenschaft.
So reifte der Gedanke in Jens Wernicke, etwas Ähnliches und ganz Anderes auf die Beine zu stellen: Eine Internetplattform für die „kritische Masse“, auf der auch Beiträge erscheinen, die bei NDS nie eine Chance gehabt hätten und ein …. anderer Umgang. Manchmal fiel in diesem Zusammenhang auch das Wort Kollektiv.
Die Idee für eine andere Plattform
Für mich war eine der wichtigsten Prämissen: Unterschiede nicht zuschütten, sondern sichtbar machen. Das heißt zum Beispiel, lieber einen schlechten Beitrag zu veröffentlichen, um in der Widerrede zu überzeugen.
Und da die Plattform an keine Partei und auch keine herbeigesehnte angekettet ist, versprach das Vorhaben ein breiteres Flussbett, also das Zusammenkommen verschiedener Überlegungen, Überzeugungen und Perspektiven. Auch das war für mich ein Gewinn, damit die für gewöhnlich separierten und gegeneinander abgeschotteten Positionen miteinander streiten lernen, also sich aufeinander beziehen, anstatt sich gegenseitig zu ignorieren oder gar zu mobben.
Dazu hatte ich folgende Vorstellung: Wir möchten die Pferde aus den verschiedenen Ställen herausholen, sie uns anschauen und reiten. Unser eigenes Pferd ist insofern nicht das schönste und einzige, sondern eines unter vielen. Das Anliegen ist es also, Streitfähigkeit wieder attraktiv und als belebend erfahrbar zu machen. Auch geht es darum, Kritik an der eigenen Position nicht als Zumutung, sondern Herausforderung zu begreifen, sich den Argumenten anderer zu stellen und zu öffnen, die eigene Schlüssigkeit zu überprüfen und die eigenen Prämissen zu hinterfragen.
So erklärte ich mich bereit, zwei Kolumnen einzuspeisen: Die „Arena“ und die „Werkzeug- und Prämissenkunde“.
Eine andere Plattform als Festung
Sehr früh bereits ging es um die Firmenkonstruktion: Verein oder eine gGmbH.
Die Vereinskonstruktion bietet satzungsgemäß die Möglichkeit, von unten, also über die Mitgliederversammlung Einfluss zu nehmen und ggf. auch den Chefredakteur zu bestimmen/wählen. Jens Wernicke entschied sich jedoch gegen eine Vereinskonstruktion. Er hatte dafür ein „fortschrittliches“ Argument parat: Wenn uns unsere Gegner von innen angreifen wollen, dann müssen sie nur in den Verein eintreten und dort die Mehrheit erringen. Dann wäre „Rubikon“ gekapert und das Projekt verloren. Also kam es zu einer gGmbH-Konstruktion:
„Die gemeinnützige GmbH (gGmbH) ist im deutschen Steuerrecht eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Erträge für gemeinnützige Zwecke verwendet werden. Als Kapitalgesellschaft ist die gemeinnützige GmbH dadurch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO (Abgabenordnung) von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer befreit. Die Wahl der Rechtsform GmbH erfolgt häufig bei gemeinnützigen Unternehmen, die sich wirtschaftlich betätigen möchten (zum Beispiel Kindergärten oder Sozialstationen), was manchmal in der Rechtsform des eingetragenen Vereins schwierig werden kann. [1][2] Darüber hinaus ermöglicht die GmbH als Kapitalgesellschaft höhere Flexibilität als der mitgliederbasierte Verein.“ (Wikipedia)
Was bedeutet das für „Rubikon“?
Sie ist von einer klaren Hierarchie gestimmt: Gesellschafter, Herausgeber, Geschäftsführer, Chefredakteur. Von „unten“ gibt es kein Durchkommen, kein Gegengewicht, keine Form der „Gewaltenteilung“, keine Möglichkeit, den Kurs zu beeinflussen. Das Ganze hängt folglich ganz vom Goodwill des Herausgebers und Geschäftsführers ab, der sich gleichzeitig den Posten des Chefredakteurs zugedacht hat.
Das hörte sich fürs Erste präventiv klug an. Sehr bald jedoch wandte sich diese Geschäftsordnung gegen jeden Dissens innerhalb von „Rubikon“. In der Aufbauphase tröstete ich mich damit, dass man erst einmal mit etwas anfängt und wenn genug Zeit und guter Wille da sind, man ganz vieles (ver-)ändern kann, so die stete Zusage vonseiten Jens Wernicke.
Also machte ich mich an ein Redaktionsstatut, der zumindest ein kleines Gegenwicht darstellen sollte:
Redaktionsmitglieder sollten nur mit Zustimmung aller hinzukommen oder entlassen werden.
Umstrittene Beiträge werden nicht per Zensur, sondern per Widerrede zur Diskussion gestellt. Wenn das nicht ausreicht, hat ein Redakteur das Recht, ein Veto einzulegen.
Da die finanzielle Basis von „Rubikon“ Spenden sind, die vor allem den Autoren zu verdanken sind, hat die Redaktion das Recht, die Summe der Spendeneinnahmen zu erfahren und im Groben die getätigten Ausgaben – mit dem Ziel, die Redaktionsmöglichkeiten an die Einnahmensituation anzupassen, also auch Projekte zu planen/finanzieren, die einer langfristigen Perspektive dienen sollen.
Zudem ist das Ziel, nur am Anfang auf kostenlose Autorenbeiträge zu bestehen. Sobald sich die finanzielle Lage stabilisiert hat, sollen Honorare bezahlt werden.
Bei unserer ersten Redaktionssitzung im Mai 2017 kam es fast notwendig zu einer heftigen Auseinandersetzung, denn jetzt wäre es darum gegangen, Ideen, Zusagen und bessere Absichten festzuschreiben, sie in einem Redaktionsstatut abzusichern.
Der größte Streitpunkt war … wie überall … die Haushaltshoheit. Das wäre doch nirgendwo so, dass die Reaktion von Jens Wernicke, Einblick in die Kassenlage zu gewähren. „Aber genau das würde unterstreichen, dass wir es anders machen wollen.“
Für Jens Wernicke blieb es eine redaktionelle Anmaßung, zu erfahren, was es an Einnahmen gibt, und für was Geld ausgegeben wird bzw. werden soll: „Die Redaktion braucht ein Statut. Und die grundlegende Diskussion darüber, die Unternehmung handlungsunfähig zu machen, indem man Dinge festschreibt, die aktuell schlicht unmöglich sind, ist hiermit beendet.“ (E-Mail vom 2.8.2017)
Dass man das viel bemühte Wort von der Transparenz nicht nur an seine Gegner richtet, sondern zuerst selbst herstellen muss, schien nicht für die eigene Praxis zu gelten.
Aber es ging auch um die Redaktion selbst, also um eine arbeitsfähige Redaktion, die aus mehr als E-Mail-Adressen besteht. Wir waren neben Jens Wernicke drei Redakteure. Einer sprang ab und der andere hatte viel zu wenig Zeit, um diesen Posten auszufüllen. De facto gab es keine handlungsrelevante Redaktion, woran sich bis zu meinem Ausstieg im September 2017 nichts änderte.
Es geht nicht nur darum, eine schöne Blume ins Fenster zu stellen, sondern auch das Gitter davor herauszubrechen
Rubikon sollte Texte und Beiträge Platz geben, die der Mainstream erst gar nicht zu Wort kommen lässt. Aber auch andere Strukturen, andere Publikationsbedingungen aufbauen.
Also etwas Anderes, als die oligarchen Strukturen (wie bei KenFM oder NDS) zu reproduzieren. Eine Redaktion, die mehr ist, als der verlängerte Arm des Herausgebers.
Was mich in der Summe zur Beendung geführt hat, ist ja nicht einzigartig mir widerfahren. Zuvor gab es einige Streitereien, die allesamt „disziplinarisch“, also machtbesessen gelöst wurden – selbst dann, wenn der Fehler beim Machtinhaber Jens Wernicke lag.
Gleich zu Beginn entwickelte sich ein Streit um die von Jens Wernicke eingebrachte Redakteurin Gaby Weber. Sie fand den Beitrag „Hurra, hurra, die Schulpflicht brennt!“ von Sven Böttcher (zu) neoliberal und wollte so etwas nicht publiziert sehen. Wir andere waren für eine Debatte, also den Widerspruch austragen. Auch dieser Konflikt wurde wesentlich nur zwischen Gabi Weber und Jens Wernicke geführt. Am Ende „feuerte“ Jens Wernicke Gabi Weber und entzog ihr den zugesagten Reaktionsstatus.
An einem anderen Beispiel zeigen sich dieselben (Macht-)Mechanismen. Es ging um den Beitrag von Paul Craig Roberts: „Die Herrschaft der Propaganda. Wenn die Wahrheit überhaupt noch eine Chance hat, dann sicher nicht in den USA.“
Dieser beginnt wie folgt:
„Die Meister der Propaganda, von ihrem Erfinder, dem jüdischen PR-Experten Edward Louis James Bernays bis zum NS-Propagandaminister Paul Joseph Goebbels, stimmen darin überein, dass eine Lüge durch ständige Wiederholung zur Wahrheit werden kann.“
Irgendetwas schwante Jens Wernicke und strich – redaktionell kenntlich gemacht – das Wort „jüdisch“ beim PR-Experten Edward Louis: https://www.rubikon.news/artikel/die-herrschaft-der-propaganda
Das löste Debatten aus und handelte „Rubikon“ den Vorwurf der Zensur ein.
Ich bekam diese Kontroverse erst später mit, da Jens Wernicke wieder einmal entschied, wen er einbindet und wen nicht. Offensichtlich kam man zu dem Entschluss, das Wort „jüdisch“ herauszunehmen und dies in einer redaktionellen Vorbemerkung sichtbar zu machen. Ich las mir den Beitrag durch und fand ganz andere Feststellungen und Aussagen des Autors „problematisch“, die mit dem Streit um das (de-platzierte) Wort „jüdisch“ nur angekratzt wurden. Die Frage, ob das Attribut „jüdisch“ (un-)wichtig ist oder eine antisemitische Konnotation transportiert, beantwortete der Text selbst.
Also eine gute Gelegenheit, das „Rubikon-Prinzip“ zur Anwendung zu bringen: Widerrede, statt Nicht-Abdruck.
Ich schrieb eine Widerrede … und Jens Wernicke befand, dass man jetzt kein Öl ins Feuer gießen solle und sperrte, also verhinderte meinen Beitrag – obwohl genau dies zu den wenig fixierten Freiheiten der Redaktion gehörte.
Ähnliches widerfuhr Winfried Wolf, der Beiratsmitglied ist und sich ebenfalls in diese Debatte einmischte. Sein Fazit:
„Jetzt stelle ich fest, dass Du (Jens Wernicke, d.V.) auf eine inhaltliche Debatte formalistisch und undemokratisch antwortest. Dann, wenn Vergleichbares, wie ich es auch vertrete, Beirats-öffentlich geäußert wird, gehst Du disziplinierend vor.
Eine Beirätin wurde zwei Mal von Dir aus dem Beirat geworfen, eine zweite aus diesem heraus gedrängt. Womit sich der Geschlechterproporz im Beirat von ehemals 19:5 auf 20:3 verschlechtert.
Ich bin erschüttert ob diesem selbstzerstörerischen und selbstherrlichen Vorgehen.“ (E-Mail vom 29. Juli 2017)
Jenseits von Gut und Böse
Der Streit rund um die Preisverleihung der Plattform Neue Rheinische Zeitung (NRhZ) für Ken Jebsen, für seine Plattform „KenFM“ im Dezember 2017 war ein nächster Höhepunkt, der den Graben zwischen Idee und Wirklichkeit noch tiefer werden ließ.
Hauptdarsteller sind die Lederer-Fraktion der Partei DIE LINKE und eine (Minderheits-)Fraktion innerhalb der LINKEN, die gegen seine Aufforderung Widerspruch angemeldet hatten, den Veranstaltungsort der Preisverleihung, das Kino Babylon, zu kündigen. Dann gibt es die Preisverleiher, die „NRhZ“, die für das Rahmenprogramm verantwortlich zeichneten. Und dann ist da noch Ken Jebsen selbst, der im letzten Moment sein Erscheinen abgesagt hatte. In zweiter bzw. dritter Linie ist die Plattform „Rubikon“ zu nennen, auf der viele Beiträge zum Fall „Lederer-Jebsen“ publiziert wurden. Und zuletzt wäre noch die Tageszeitung „Junge Welt“ anzuführen, die Ken Jebsen mehr oder weniger direkt dafür verantwortlich machte, dass er bzw. seine Familie bedroht werden.
Über die Wenigen als Eigentümer und die ganz vielen (der Idee verpflichteten) Schlittenhunde
Ich weiß, dass man sich bis aufs letzte Hemd, bis zum letzten Knopf darüber streitet, ob etwas antisemitisch, strukturell antisemitisch oder „anschlussfähig“ ist, ob es „rechts“ und „links“ überhaupt noch gibt.
Auch die Macht- und Eigentumsverhältnissen werden genauesten durchleuchtet, um die materiellen Bedingungen für die garantierte „Pressefreiheit“ und „Meinungsfreiheit“ zu untersuchen. Das macht man (viel zu wenig), wenn es um die Macht- und Monopolstrukturen in der Bewusstseinsindustrie geht. Ob und wie man gehört und gesehen wird, hängt nämlich äußerst selten davon ab, wie sie/er brilliert, sondern wer die Macht hat, die Stimme hörbar zu machen.
Aber wenn man auch über die Macht- und Eigentumsverhältnisse in den „eigenen“ Reihen spricht, dann nehmen die bösen Blicke und das Stillschweigen schlagartig zu. Als könnte man damit das Offensichtliche ins Off schicken. Als würde Machtkonzentration nur im Mainstream das anrichten, was man ihm zurecht vorwirft.
Damit will ich also etwas ganz Unpopuläres ansprechen und zugleich einen wesentlichen Grund für diese Art der Auseinandersetzung.
Natürlich sagen „wir“, die gegen den Mainstream schreiben und kämpfen, dass „wir“ für Transparenz, für Gleichberechtigung, für egalitäre (Entscheidungs-)Strukturen, gegen Machtmissbrauch und „einsame“ Entscheidung usw. (ein-)stehen. Doch die meisten wissen, dass das so nicht stimmt. Und noch dünner wird das Eis, wenn z.B. Ken Jebsen bei jeder Gelegenheit betont, dass es nicht um ihn geht, dass er den Personenkult ablehnt. Im wirklichen Leben steht aber fast auf jedem Produkt, das KenFM verlässt, auch Ken Jebsen drauf und drin ist Ken Jebsen meist auch – wie in den zahlreichen Interviews, die er seit Bestehen von KenFM geführt hat. Denn er ist de facto Eigentümer von KenFM, auch wenn man gerne vom „Team“ spricht, auf das man stolz ist, ohne dass das hier alles nicht möglich wäre. Das stimmt, wenn alles passt, also gut läuft. Und stimmt mitnichten, wenn es darauf ankommt, im Streit, in einer kniffligen Auseinandersetzung ein Machtwort zu sprechen, bei der Entscheidung, wofür man (Spenden-) Gelder einsetzt bzw. ausgibt. Dann entscheidet Ken Jebsen, wie jeder Eigentümer. Er hat die Leine in der Hand, und wenn es hart auf hart kommt, sind alle anderen Schlittenhunde. Und wenn es auch noch knallt, dann fliegt einer auch raus, also ein Schlittenhund.
„Schluss mit lustig“
Am 19. Dezember 2017 veröffentlichte „Rubikon“ ein Interview mit Ken Jebsen „über Gewaltdrohungen gegen ihn und seine Familie“: https://www.rubikon.news/artikel/schluss-mit-lustig
Es ist ein Tag nach der „geplatzten“ Preisverleihung entstanden. Es ist von der Wut getragen, die er zurecht verspüren musste, als er davon erfuhr, dass es ein Video im Netz gibt, das Ken Jebsen und seine Familie bedroht.
Das ca. 45-minütige Interview ist bedrückend, in jeder Hinsicht. Es macht spürbar, wie diese „Menschenjagd“ erlebt wird, wie sie einen Menschen „antriggert“. All das kann man gut verstehen und es ist notwendig, dies öffentlich zu machen. Dieses Interview (in seiner Originalfassung) zeigt aber auch, wie sehr die Mechanismen, die man angreift, selbst reproduziert werden.
Am Anfang erklärt Ken Jebsen, dass er und seine Familie bedroht werden und wer dafür verantwortlich ist. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Tageszeitung „Junge Welt“ habe die private Handynummer an die „Antifa“ weitergeben. Diese habe ein Video produziert und ins Netz gestellt, der ihn und seine Familie bedrohe. Ken Jebsen geht aber weiter: Er bezichtigt die „Junge Welt“ als Ganzes, und macht ausdrücklich den Chefredakteur persönlich dafür verantwortlich, dies gebilligt oder gar ermöglicht zu haben.
Dann folgt die politische Einordnung dieses Ereignisses: Das Fass, das er nun aufmacht, ist sehr groß und ohne Boden: Fast durchgängig spricht er von der „Junge Welt“ und dem „Neuen Deutschland“, denen er ab und an auch die „taz“ beimischt, die sich zusammen an der Denunziation bis hin zur „Menschjagd“ beteiligen.
Am Ende folgt eine historische Einordnung. Summa summarum gehe es in Richtung „Stürmer“, wobei „federführend linke Blätter“ daran beteiligt sind. Zur Anwendung kämen „faschistoide Methoden“. Das Ganze endet im Vorwurf, diese Journalisten seien „Schreibtischtäter“: „Das sind die Eichmanns an den Schreibtischen“.
Kann man so diesen Konflikt, diese Drohung einordnen? Dass dabei ganz viel Wut und Enttäuschung mitschwingt, mitspricht, ist nachvollziehbar. Aber, und das ärgert mich genauso: Warum wird Ken Jebsen in einer solchen Situation nicht gut beraten? Wo bleibt das „Team“, das einen einfängt, das nachfragt, das Zweifel äußert? Warum wird im Interview nicht nachfragt, ob die Kausalkette, die die Junge Welt zum „Schreibtischtäter“ macht, wenigsten bürgerlichen Standards genügt? Warum wird nicht nachgefragt, ob man diese Gewaltdrohung wirklich als „faschistoide Methode“ qualifizieren kann, um dann noch die Assoziationsketten zum Dritten Reich, zum Faschismus dranzuhängen?
Worin unterscheidet sich der Antisemitismusvorwurf als Streubombe vom Faschismusvorwurf selber Qualität und Bauart?
Und ist der Versuch, „federführend linke Blätter“ in die Nähe des faschistischen Propagandablattes des Julius Streichers „Der Stürmer“ zu bringen, nicht genau das, was wir dem Mainstream ständig vorhalten: Das unerträgliche Gleichnis vom „Links- und Rechtsfaschismus“? Warum schweigt er sich dazu aus?
Ganz offensichtlich haben hier genau jene Strukturen durchgeschlagen, die es erlauben, dass das Zugpferd einfach wild austretend durch die Manege rennen darf und alle anderen „Zirkusmitarbeiter“ Monate damit beschäftigt sind, das Pferd wieder einzufangen.
Ein mehr als halbherziger Rückzieher
Nachdem die Junge Welt von diesen Vorwürfen erfahren hatte, drohte sie mit juristischen Schritten. Diesen ist es wohl zu verdanken, dass „Rubikon“ die Sequenzen, die die Beweiskette für diesen Vorwurf ausbreitet, herausgeschnitten hat und den Rest mit folgender redaktioneller Vorbemerkung einleitet:
„Unser Interview entstand am Morgen nach der Verleihung des Kölner Karlspreises an Ken Jebsen. Zu einem Zeitpunkt, an dem er gerade von Drohungen gegen seine Familie erfahren hatte. In der Hitze des Gefechts hat Jebsen zwei Dinge gesagt, die sich später als nicht haltbar erwiesen: Ad 1: Das Video, das zu Gewalt aufrief, war bereits länger im Netz, ihm wurde es nur erst zu diesem Zeitpunkt zugespielt und bekannt. Inzwischen ermittelt die Kriminalpolizei. Ad 2: Es ist aktuell nicht belegbar, dass ein ehemaliger Mitarbeiter der Tageszeitung junge Welt mit diesem Video in Zusammenhang steht; anderes hingegen sehr wohl. Um unserer Sorgfaltspflicht nachzukommen, haben wir die zwei entsprechenden Passagen mit Jebsens Zustimmung aus dem Video entfernt. Nicht nur, aber auch: Weil „die Sache“ so wichtig ist, dass Klarheit und Redlichkeit unbedingt notwendig sind.“
Auch Ken Jebsen hat in einer Nachbemerkung die Beweisführung, die die Junge Welt für den „Mordaufruf“ mitverantwortlich machen soll, als Fehler qualifiziert.
Mit diesen Rücknahmen mag man juristischen Konsequenzen aus dem Weg gegangen sein. „Der Sache“ dienen sie jedoch nicht. Denn wenn man nur die „Beweise“ zurücknimmt, aber die darauf gründenden politischen Schlussfolgerungen zur eigenen „Sache“ macht, dann drückt man sich um das Eigentliche. Und ziemlich dünn wird dieser Rückzieher, wenn man zwar die konkreten „Beweise“ für die „Schreibtischtäterschaft“ der Jungen Welt zurückzieht, sofort danach aber raunt: … „anderes hingegen sehr wohl.“ (Rubikon)
Was soll das? Was hat das mit der so arg ins Feld geführten „Klarheit und Redlichkeit“ zu tun? Das um besagte Sequenzen zusammengeschnittene Interview ist so noch unhaltbarer.
Ich kenne die Junge Welt weder im Inneren, noch kenne alle Mitarbeiter. Ich kann jedoch sicher sagen, dass die „Beweise“ die dieser Zeitung eine Bereitschaft zum Mordaufruf unterstellt, vor allem eines sind: haarsträubend. Und ganz ohne Risiko kann ich sagen, dass sich der Vorwurf, die „Junge Welt“ bediene sich „faschistoider Methoden“ auf alles berufen kann, nur nicht auf einen Antifaschismus.
Die Spendenverwendung – eine Oase der Patronage
Da auch „Rubikon“ im Kapitalismus lebt, hängt das (Über-)Leben von Rubikon von Einnahmen ab, die hier in Form von Spenden eingehen. Die machten so Mitte 2017 ungefähr 3.000 Euro im Monat aus. Und wie überall ist Geld eine zentrale Machtquelle, egal wie nett und symphytisch auch der „Kassenwart“ ist.
In der Tat lebt „Rubikon“ vom Ehrenamt, also von ganz vielen, die Beiträge und Engagement kostenlos zur Verfügung stellen. Aber dennoch wird viel Geld ausgegeben und wer das Geld in der Tasche hat, der schafft sich seinen Hof nach Gutdünken. Das Geld wird ausgeben, für den Aufbau der Plattform, für einzelne AutorInnen. Bis heute besteht Jens Wernicke darauf, dass er „keine Leistung“ bezahle, sondern nach „Bedürftigkeit“. Man müsse nur sagen, in welcher (finanziellen) Lage man sich befände und was man bräuchte. Mehrmals bot mir Jens Wernicke diese „Bedürftigkeitsprüfung“ an: „Sag, was Du brauchst und ich schaue, was geht …“
Bis heute weiß niemand außer Jens Wernicke, wer Geld (in Form von „Aufwandsentschädigungen“) bekommt und wieviel. Es liegt schlicht im Gutdünken seiner Herrschaft, wann eine Bedürftigkeit vorliegt und was dies nach Prüfung bedeutet. Auch die Form der „Aufwandsentschädigung“ hat eine große Schattenseite. Es gibt keine Rechte, die sich daraus ergeben: „Dieser Vertrag begründet kein arbeitsrechtliches Rechtsverhältnis. Es ergeben sich keine Ansprüche auf Übernahme in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis.“ (Ehrenamtsvertrag, § 1, Absatz 2)
Genau das, was Jens Wernicke bei den NDS so heftig kritisiert hatte, etabliert er nun auch bei „Rubikon“. Der übliche prekäre Status vieler „freier“ AutorInnen wurde dabei noch unterschritten.
Es ist nichts anderes als ein vorbürgerliches Patronagesystem, das eben nicht über die kapitalistischen Spielregeln hinausweist, sondern weit dahinter zurückfällt – und damit Jens Wernicke zusätzliche Macht gibt, die sich eh schon in seiner Person konzentriert.
Letzter Akt
Ich weiß, dass dieser Beitrag lauten Beifall von der falschen Seite bekommt. Das liegt vor allem daran, dass die, an die diese Kritik gerichtet ist, die damit angesprochen werden sollen, so leise bleiben. Das kann man ändern.
Ich vermute, dass einige die Kritik verstehen können, aber sich sagen werden, dass das doch so oder ähnlich überall ist. Dieses Arrangement dient nicht einer guten Idee, sondern zerstört sie.
Zukunftsmusik
Am 10. Februar 2018 ist auf „Rubikon“ ein lesenswerter Text von Chris Hedges erschienen: „Der Bankrott der Linken“
Der Beitrag endet mit einer Frage: „Wie viele von der Linken reproduzieren genau das, was wir in der Gesellschaft bekämpfen?“
Es werden sehr viele diesem Schlusswort zustimmen, wenn damit die „anderen“ gemeint sind. Wenn man dieser Frage jedoch ernsthaft nachgeht, also auch auf sich, auf uns bezieht, dann hat das Wohlwollen ganz schnell ein Ende. Dann liegt das Wort vom Nestbeschmutzer auf der Zunge, ohne dass es so fallen muss.
Wenn wir uns aber nicht selbst fragen, wie unser „Nest“ aussieht, wie es beschaffen ist, wie wir es organisieren, dann ist die Kritik an den großen Nestern zwar immer noch richtig, aber eben auch scheinheilig.
Wolf Wetzel | 11.2.2018
Der Bankrott der Linken: https://www.rubikon.news/artikel/der-bankrott-der-linken
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Heute durften 3 Personen geschlossen “gehen”. Das erst kürzlich einegführte Rubikon Videoteam wurde wegen einer kleinen Unstimmigkeit aufgelöst. Zu recht hat sich einer der 3 Redakteure des Videoteams über Veränderungen der Wortwahl einer seiner Texte geärgert und wollte nicht mit solch einer Wortwahl wie “Faschismus” in Verbindung gebracht werden.
Eine Diskussion und sachliche Auseinandersetzung mit der Kritik war nicht möglich. Man beschloss auf Seiten Jens Wernickes kurzerhand keine weitere Zusammenarbeit zu betreiben, denn es ginge einfach nicht…
Und alle die hier vorgebrachten Punkte, sofern man mit den gleichen Inhalten der Sache konfrontiert wurde, kann ich nur bestätigen. Insbesondere genau das wird praktiziert, was man nach Aussen als “neu” und “anders” propagiert bekämpfen wollte. Machtkonzentration, keine Diskussionskultur, keine Kritikfähigkeit, Meinungsmache, Feindbildschaffung, reine Ideologisierung wo keine nötig wäre und natürlich simpleste Ausbeutung von ehrenamtlicher Arbeit. Eine gesunde Zusammenarbeit wäre nur möglich, wenn man mindestens menschlich auf Augenhöhe ist, dies scheint kein Interesse von der Chefetage zu sein. Was ich zu tiefst bedauere und meine Hoffnung zerstörte Teil von etwas Besserem zu werden.