No nos representan! (Sie repräsentieren uns nicht!)

Veröffentlicht von

No nos representan! (Sie repräsentieren uns nicht!)

Ein mehrspuriger Streifzug durch die verschiedenen Bewegungen in Spanien von 2006 bis 2012.

Von Anja Steidinger
Auszug aus dem Buch: Aufstand in den Städten – Krise, Proteste, Strategien, Hg. Wolf Wetzel, Unrast Verlag, 2012
 Alles, was ich mir wünsche, ist wieder als Taxifahrer arbeiten zu können, um meine Familie zu ernähren, meinem Sohn ein Eis kaufen zu können – ich bin kein politischer Handelnder, ich bin auch kein Hausbesetzer – ich möchte meine Familie, meine Arbeit, meine Wohnung.
So beschreibt José R., 52 Jahre, arbeitsloser Taxifahrer, seine soziale Lage. Er beginnt, nachts Taxis zu stehlen, um auf diese Art und Weise seinen Beruf als Taxifahrer nachzugehen: Kunden in der katalanischen Hauptstadt Barcelona von A nach B zu fahren. Die entwendeten Taxis parkt er nach erledigter Arbeit am Straßenrand und hinterlässt im Handschuhfach einen Umschlag mit Geld für den Benzinverbrauch.
Als ihm die Polizei nach mehreren Verhaftungen mit Gefängnis droht, wendet er sich an das Kollektiv Dinero Gratis (“Wir wollen keine Arbeit, wir wollen Geld. Geld umsonst!”)[1], das ihn davon überzeugen will, dass das Taxistehlen keine kriminelle Handlung, sondern eine politische Geste gegen das kriminelle System des Kapitalismus ist, in dem sich jede/r Einzelne selbst überlassen bleibe. Der anarchosyndikalistische Rechtsanwalt Francesc Arnau bietet José an, ihn zu verteidigen und begründet das Taxistehlen mit Josés Recht, gegen die ihm widerfahrende soziale Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit anzugehen. Für José aber ist klar, er möchte weder ein politischer Held sein, weder Geld geschenkt bekommen, noch Häuser oder Plätze besetzen. Er fordert lediglich eine würdige Arbeit, einen würdigen Wohnraum –und er möchte auf keinen Fall ins Gefängnis.

Spanien-19N - 2011/12
Nehmt euch die Strasse


Als der Theoretiker Santiago López Petit von Dinero Gratis auf der Bildfläche erscheint und meint, dass erst wenn man akzeptiert, dass nichts mehr zu machen sei, sich ein Weg öffnet, ein möglich-unmöglicher Weg, versteht José erst recht kein Wort mehr. Er will weder die Welt noch das System verändern, noch an besonderen kollektiven Experimenten teilnehmen, sondern fordert für sich “nur ein ganz normales Leben“.
Die zuvor beschriebenen Szenen stammen aus dem 2006 gedrehten Film El Taxista ful[2] (Der falsche Taxifahrer), eine Gemeinschaftsproduktion der Gruppe Dinero Gratis mit verschiedenen politischen Aktivist_innen und dem katalanischen Filmemacher Jo Sol. Anhand des problematischen Wunsches seines Protagonisten nach einem ganz normalen Leben, welches durch und durch von kapitalistischen, neoliberalen und heteronormativen Vorstellungen geprägt ist, führt der Film den Zuschauer_innen eindrucksvoll das Begehren von vielen Spaniern und Spanierinnen vor Augen, das bezeichnenderweise im Gegensatz zu den theoretischen Überlegungen und Aktionen der antikapitalistischen Gruppe Dinero Gratis steht.
Anhand der Beziehung von José zum Kollektiv wird wiederum selbstkritisch der Ort des Politischen hinterfragt, und wir können diese Frage auch auf die Platzbesetzungen vom Frühjahr/Sommer 2011 in Spanien übertragen und deren politische Einbettung genauer betrachten: Wer war auf dem Platz? Wer sind die sogenannten Indignados? Finden wir unter ihnen José? Was genau verbirgt sich hinter den oftmals auf Karton gemalten Sätzen wie Democracia real YA! (Echte Demokratie! Jetzt) und No nos representan (Sie repräsentieren bzw. vertreten uns nicht)?
Bevor wir uns jedoch den Platzbesetzungen des Frühlings und Sommers 2011 nähern, möchte ich zum Entstehungsjahr des zuvor genannten Filmes zurückkehren.
Mitte März 2006 kursierten unter der Aufforderung Pasaló![3] E-Mails und SMS mit der Nachricht, sich zu Sentadas (Sitzungen,Versammlungen) an verschiedenen Orten und Plätzen in spanischen Großstädten einzufinden. Es sollte konkret um die nicht mehr hinnehmbare Miet- und Wohnraumpolitik der Regierung und das in der Verfassung garantierte Recht auf würdigen Wohnraum[4] gehen. Diese Nachricht bildete den Anfang der Bewegung V de Vivienda.

11-M

Einen vergleichbaren Multiplikations- und Mobilisierungseffekt durch Nachrichten über Pasaló! (Gib die Nachricht weiter!) hatte es bereits 2004 nach dem Bombenanschlag auf die Madrider Hauptbahnhofstation Atocha gegeben. Der Bombenanschlag, bei dem 195 Menschen zu Tode kamen, wurde von der damaligen rechtskonservativen Regierungspartei Partido Popular (PP) und dem Regierungschef José María Aznar für die anstehenden Präsidentschaftswahlen instrumentalisiert, indem sie in den öffentlichen Medien darauf insistierten, dass es sich bei den Anschlägen um einen Terroranschlag der baskischen ETA handelte. Relativ schnell hatten jedoch inländische und internationale Untersuchungen belegt, dass der Anschlag am 11. März (deswegen auch die Bezeichnung 11-M) von Al-Qaida verübt worden war, die mit dem Anschlag auf den spanischen Militäreinsatz in Afghanistan reagiert hatte. Durch die Verbreitung dieser von den öffentlichen Medien unterschlagenen Information durch pasalo!-E-Mails und SMS wurde die politische Manipulation der Medien seitens der Partido Popular offengelegt und zu Massendemonstrationen in vielen spanischen Großstädten aufgerufen. Die Mobilisierung für diese Demonstrationen mündete Ende März 2004 im Wahlsieg der sozialistischen PSOE (Partido Socialista Obrero Español) unter Vorsitz von José Luis Rodríguez Zapatero.

V wie Vivienda (W wie Wohnraum)

Für viele Spanier_innen ist die sozialistische PSOE, die der deutschen SPD inhaltlich nahesteht, jedoch nur das kleinere Übel zur rechtskonservativen PP (Partido Popular), deren Mitglieder immer wieder Sympathien gegenüber Franco bekunden und sich damit direkt auf den spanischen Faschismus bezieht.
Grundlegende Gesetzesänderungen, die unzweifelhaft Jahre später mit zur spanischen Wirtschaftskrise beitrugen, wurden innerhalb der Legislaturperiode der sozialistischen PSOE realisiert. Sie sollten Mitte der achtziger Jahre den Weg Spaniens zur Aufnahme in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft[5] ebnen.
Es handelte sich zum einen um ein Gesetz, das dem Hypothekenmarkt Handlungsfreiheit zugesteht, das sogenannte Ley del Mercado Hipotecario (das Hypothekenmarktgesetz), welches die Basis für Hypothekenabwicklungen und Darlehensvergaben bildet. Zum anderen handelte es sich um das Real Decreto-Ley 2/1985 (auch Decreto Boyer genannt), ein Gesetz, das die Merkantilisierung von Wohnraum in Spanien gesetzlich verankert: Es schaffte den 1964, also noch in der Franco-Diktatur erlassenen Artikel 56 LAU ab, in dem die automatische Verlängerung von Mietverträgen zum Schutze der Mieter festgeschrieben war. Die Mieten konnten von nun an auf Grundlage eines Mietspiegels erhöht werden. Auf diese Weise wurde zum ersten Mal in Spanien ein Mietmarkt geschaffen. Wie bereits zuvor erwähnt, sollten beide Gesetze Spanien den Eintritt in die EU und NATO erleichtern und langfristig internationales Kapital sichern. Die beiden PSOE-Minister Miguel Boyer (Ökonomie- und Steuerminister, nach dem der Boyer-Erlass benannt wurde) und Carlos Solchaga (1982-1985 Industrie- und Energieminister) realisierten ein weitgreifendes wirtschaftliches Modernisierungs-programm des postdiktatorischen Spaniens und initiierten die Neoliberalisierung der Politik des Landes.
Das ging mit einer Umstrukturierung der städtischen Bebauung einher: aus Industriestädten wurden Freizeit-, Konsum- und Servicestädte. Mit der unter José María Aznar regierenden PP wurde 1998 das Bodengesetz geändert, das für einen Boom in der Bauindustrie sorgte. Immobilienspekulanten erwarben große ländliche Flächen und holten für die Fläche eine Baugenehmigung ein. Danach wurde das Bauland für ein Vielfaches seines ursprünglichen Preises weiterveräußert. Grundlegend für den spanischen Bauboom und die Erfolge des Immobilienmarktes waren die Angebote der Geldinstitute, die ihre Kunden mit niedrigen Zinsen und minimalen Sicherheiten lockten. Viele Spanier_innen, die aufgrund der rasant gestiegenen Mieten ihre Stadtwohnungen kaum noch bezahlen konnten, entschieden sich, mit Hilfe von Hypotheken Grundbesitz beziehungsweise Eigentumswohnungen zu erwerben. Allerdings prekarisierten sich parallel durch politische Reformen in der Arbeitsmarktpolitik ihre Arbeitsverhältnisse, so dass viele Haushalte den Hypothekenzahlungen nicht mehr nachkommen konnten. Als es im Sommer 2007 zum Platzen der Immobilienblase kam, brach zugleich die Bauindustrie ein. Seitdem stehen über 700.000 Neubauwohnungen in Spanien leer.
Die Nachricht, die am 14. Mai 2006 zu der Sentada (Sitzung, Versammlung) aufrief, sich über E-Mails und Internetforen verbreitete, hatte keinen Absender, keine soziale oder politische Organisation (weder Autonome, Anarchos, Hausbesetzer_innen, Gewerkschaften, Anarchosyndikat oder ähnliche hinterließen ihre Handschrift). Sie kam aus der Anonymität und sollte genau diejenigen erreichen, die weder politisch noch sozial engagiert waren. Es war eine Nachricht aus dem Nichts an Irgendeinen, Irgendeine.
Verschiedene Autoren, unter ihnen Santiago López Petit und Amador Fernández-Savater haben das Konzept des Anonimatos (des Anonymen) unter die Lupe genommen und stellen die Politik des Irgendeinen, Irgendeiner in Gegensatz zur herkömmlichen Identitätspolitik, die sich aus dem alten Paradigma des Klassenkampfes oder des Geschlechterkampfes ableitet und sich von einem ganz konkreten Ort aus (zum Beispiel der Arbeiterklasse oder der Frauenbewegung) gegen einen ganz bestimmten Feind richtet (Kapitalismus, Patriarchat).
Den Agitationsrahmen der sogenannten Cualquieras bildet eine allgemeine Stimmung des Postpolitischen in einer Postdemokratischen Epoche.
»Es geht darum, dass die politische Intervention, die eine soziale Veränderung vorschlägt, annulliert wurde. In anderen Worten: Postpolitik bedeutet, im Konzept der politischen Aktion gedacht, dass es keine Alternative zur kapitalistischen Modernisierung beziehungsweise Globalisierung gibt. Die globale Epoche ist postpolitisch, in ihr bleibt die politische Aktion neutralisiert.«[6]
Die bereits erwähnte Mail, die aus dem Nichts kam, hatte mit den im März 2006 kursierenden Aufrufen der unpolitischen Botellóns des Frühjahres gemein, dass ihr Aufruf spontan, illegal und anonym war, allerdings mit dem Unterschied, dass sie sich für ein Recht stark machte, das kaum noch als solches wahrgenommen wird.
»Für würdigen Wohnraum
Hallo an Alle. Ich weiß, dass diese E-Mail vielen anderen E-Mails, die im Netz zirkulieren, ähnlich sieht, aber das trifft nicht zu. Dieses E-Mail wird in ganz Spanien verschickt, um unsere Rechte einzufordern. Wir haben den gesamten März hindurch den Aufruf zu Macrobotellones miterlebt. Dieser Aufruf ist anders. In Frankreich protestieren die Jugendlichen für eine Änderung der ausbeuterischen Arbeitsverträge. Viele Stimmen in diesem Land haben sich darüber aufgeregt, dass die Jugendlichen hier nichts machen würden. Nun gut. Werden wir es ihnen zeigen? Diese Nachricht weiterleiten! Sonntag, 14. Mai um 17h Versammlung.«[7]
Das Anliegen, die sich verschlechternde Wohnungsmarktsituation ins Bewusstsein zu bringen, führte 2006 zu der Bewegung V de Vivienda und der Plattform Para una vivienda digna. Anfangs trafen sich kleine Gruppen auf öffentlichen Plätzen und auf der Straße, also an den Orten, die die Cualquieras durchqueren (müssen), Orte, die weder identitätspolitisch noch ideologisch ›verbrannt‹ sind. Später traf man sich in besetzten Ladenlokalen oder Wohnräumen. Es bildeten sich Asambleas (Versammlungen) und Comisiones (Kommissionen), die über Wikis, Foren und soziale Netzwerke miteinander koordiniert wurden.
»Die Richtung, die die Asamblea von V de Vivienda in Barcelona einschlug, beeindruckte uns sehr, nicht nur wegen des offensiven Umgangs mit dem eigenen Nichtwissens (Was sollen wir fordern? Wie sollen wir uns organisieren? Und wohin soll es gehen?). Auch ein weiteres Merkmal dieser neuen Strömung beeindruckte uns: das war ihr Talent, die Kapazitäten aus allen, die bei der Asamblea vorbeischauten, optimal herauszukitzeln.«[8]
Aus dem Titel des Comic- und Spielfilmes V wie Vendetta wurde V de Vivienda (W wie Wohnraum). Fortan hatte die Bewegung einen populären und zugleich revolutionären Namen … und einprägsames Logo (Vendetta kämpft gegen ein böses Imperium …). Die Asambleas hatten verschiedene Funktionen. Es gab die Generalasamblea und verschiedene Kommissionen, die sich bestimmten Themen und Aufgaben widmeten So entstand in der Gruppe, die für Design und Graphik zuständig war, der Vorschlag für eine Mobilisierungskampagne unter dem Motto: No vas a tener casa en la puta vida (umgangssprachlich ins deutsche uebersetzt: Du wirst in Deinem verfickten Leben kein Haus haben!). Zwar gab es einige Bedenken wegen des Wortes puta (Umgangsprache, deutsch: Nutte), dennoch stimmte am Ende die Generalversammlung zu. In einem ideologischen, politisch korrekt argumentierenden und militanten Kontext wäre dieser Slogan nie als Leitmotiv für eine Demonstration gewählt worden. Viel zu grundlegend wären die Argumente gegen die Verwendung des Begriffes puta gewesen, der unmittelbar mit Sexismus und Prostitution verbunden wird.
Das Motto No vas a tener casa en la puta vida, das durch Aufkleber und Plakate in ganz Spanien die nächste Demonstration ankündigte, wurde begeistert angenommen und spiegelte das wider, was viele empfanden. Statt der üblichen falschen Versprechungen zeigte das Motto die soziale Realität von ihrer schonungslosesten Seite: So sieht deine Zukunft aus: Du wirst nichts haben.
Interessanterweise versuchte V de Vivienda das zu vermeiden, was der französische Philosoph Jacques Rancière als den sogenannten notwendigen Dissens beschreibt, der eine Linie zwischen einem “Wir” und “den Anderen” zieht. Nach Rancière ist eine Dissenslinie Vorraussetzung dafür, dass die Ungezählten, die Ausgeschlossenen, eine Stimme bekommen, um auf diese Weise Räume der politischen Subjektivierung zu bilden. V de Vivienda stellte anstatt Dissens Zusammenschlüsse her:
»Vermeide die Konfrontation mit der Polizei (…) auch nach den brutalen Angriffen der Polizei auf die zweite Sentada (Sitzblockade) in Madrid …. Die Leute der Sentadas versuchen die Auseinandersetzung mit der Polizei zu vermeiden, indem sie sich durch den Slogan: “Deine Kinder sind auch mit einer Hypothek belastet” mit ihnen zuverbünden.«[9]
Auf dem Höhepunkt der Bewegung Ende 2006 gingen in Barcelona 25.000 Menschen auf die Straße. Nicht oft genug zu erwähnen ist die Medialisierung der Aktionen und die Produktion von eigenen Informationsnetzen. Selbstrepräsentation in Form von persönlichen Blogs, eigene Videoproduktionen, die auf YouTube hochgeladen wurden, sowie die Website von V de Vivienda bildeten neben der Zusammenarbeit mit den großen Tageszeitungen ein in dieser Form noch nicht dagewesenes Informationsangebot. Viele Beteiligte wurden zum ersten Mal in ihrem Leben Produzentinnen von Informationen, die der ganzen Bewegung dienten und die darüber hinaus Meinungsbilder prägten. Die Bewegung mündete in einer Initiative, die auch gegenwärtig in vielen Stadtteilen und Asambleas aktiv ist: die Plattform de los afectados por la hipoteca (Plattform der Geschädigten von Hypotheken).[10]
Die Bewegung von V de Vivienda können wir als eine Vorläuferin, zumindest was den Einsatz der unterschiedlichen Kommunikations-, Mobilisations- und Ausdrucksmittel (Anomymität, Foren, Internet, Blogs, Emails, SMS) angeht, ansehen. Auch können wir annehmen, dass wir José dort wiedergefunden hätten, der, sensibilisiert durch seine eigene prekäre Situation, die Gemeinschaft und den Austausch mit den Cualquieras gesucht hätte. Im Vergleich zu Spanien erfuhr die Bewegung Recht auf Stadt in Hamburg und in verschiedenen anderen deutschen Großstädten durch die Mobilisierung gegen Gentrifizierung ab 2009 ihre Höhepunkte, während die Beteiligung an den Aktionen von V de Vivienda im selben Jahr in Spanien tendenziell abnahm.

Die Krise regeln wir unter uns

Die Krise regeln wir unter uns. Unter diesem Motto, das nach einer Rezeptur zum politischen Self-Empowerment riecht, tauchte Anfang des Jahres 2010[11] in verschiedenen spanischen Kommunikationsmedien, unter anderem in der renommierten Tageszeitung El Pais, eine breitgestreute Kampagne auf, die es ebenfalls auf die Kollektivierung und auf die politische Selbstdarstellung von prekären Lebensverhältnissen anlegte: die Werbekampagne Esto solo arreglamos entre todos.[12] Auf den ersten Blick lassen sich viele Praktiken der Selbstrepräsentation wiederfinden, die bereits bei V de Vivienda zum Einsatz kamen: Blogs, selbstproduzierte Videos, Aufkleber und Interventionen. Grundlage bildete der Wunsch der Initiatoren, dass die Menschen im krisengeschüttelten Spanien zu sich und zu anderen finden, das Zutrauen entwickeln, die Sache (die Krise) selbst in die Hand zu nehmen, um gemeinsam die schwierige Zeit zu überwinden.
Die Webseite www.estosoloarreglamosentretodos.org, die die vier Landessprachen (galizisch, spanisch, baskisch und katalanisch) berücksichtigte und auf diese Weise an eine nationale Einheit appellierte, wurde zur Plattform dieser Kampagne. Als Basis diente der Aufruf an alle, persönliche Beiträge in Form von Videos oder Texten zu erstellen, die von den kleinen alltäglichen, gemeinsamen Taten zeugen, alleine oder in Gemeinschaft die Krise zu meistern.
»Die Krise ist nicht nur da draußen, sie ist auch in unseren Köpfen. Sie hat es geschafft, dass wir das Vertrauen in uns verloren haben, dass wir im Pessimismus und der Mutlosigkeit gefangen sind. Das ist das Allererste, was wir angehen müssen: wir müssen das Vertrauen wiedergewinnen. … Hier auf der Webseite findet Ihr einige Gründe. Geschichten von Menschen, die so sind wie du und ich, die mit schwierigen Momenten konfrontiert waren, die uns zeigen, was man durch Begeisterung, Hingabe und Engagement alles erreichen kann. Wir müssen dieses Vertrauen genauso verbreiten, wie der Pessimismus verbreitet wurde. Denn wenn du und du und du und ich, wenn wir zu einem gemeinsamen WIR werden, dann gibt es nichts was wir nicht meistern können.«[13]
Allerdings handelte es sich bei den Urhebern dieser Partizipationskampagne um einen sehr mächtigen Zusammenschluss mit Namen Fundacion Confianza (Stiftung Vertrauen) –lanciert von multinationalen Konzernen wie Telefónica, Iberia, El Corte Inglés, BBVA, Santander, La Caixa, Caja Madrid, Repsol, Cepsa, Endesa, Iberdrola, Mapfre, Abertis, Mercadona, Indra, Renfe und Red Eléctrica.
Den Auftrag, diese positive Einstellung der Selbstinitiative ins Land zu bringen, wurde an die finanziell erfolgreiche spanische Werbeagentur SCPF[14] vergeben. Die Kampagne erhielt von der spanischen Handelskammer Rückendeckung, und die vier Millionen Kosten der Kampagne wurden von dem Zusammenschluss der Bauwirtschaftgesellschaft Seopan getragen. Auf der Website befanden sich viele kleine Geschichten der Cualquieras und auch bekannter spanischer Persönlichkeiten aus den Medien. Ein Kollege von José, der Taxifahrer Mariano Gutiérrez erzählt, wie er seinen krisengeschüttelten, deprimierten Kunden die Taxifahrt verschönert oder wie er zusammen mit anderen Taxifahrern Decken an Obdachlose verteilt.
Am Beispiel von estossoloarreglamosentretodos.org zeigt sich, wie vonseiten der spanischen Wirtschaft mit Praktiken der Kommunikationsguerilla (Aufkleber, Blogs, soziale Netzwerke, Fakegeschichten, virale Mails) ein Versuch unternommen wurde, die Teilnahme der Cualquieras zu erwirken, um schlussendlich das Vertrauen in das System und in die kapitalistische Wirtschaftspolitik des Neoliberalismus zu festigen. Im Gegensatz dazu steht die pessimistische Botschaft von V de Vivienda, no tendras casa en la puta, von der sich viele repräsentiert fühlten und die deshalb auch bereit waren, sich zu versammeln, zu besetzen, die Tilgung ihrer Hypotheken zu verweigern.
Nachdem deutlich wurde, wer hinter der Kampagne steckte, gab es relativ viele Proteste, die allerdings überwiegend im Internet stattfanden –auf Webseiten, die der Originalseite zum Verwechseln ähnlich sahen, sich aber Estos solo arreglamos SIN ellos (Das regeln wir alleine, aber ohne DIE) nannten.

Movimiento 25-S und der Generalstreik

Für den 29. September 2010 riefen die großen spanischen Gewerkschaften CC.OO. (Confederación Sindical de Comisiones Obreras) und UGT (Union General de Trabajadores de España), die Izquierda Unida und die kommunistischen Parteien zum ersten Mal nach 8 Jahren und sehr zögerlich zu einem landesweiten, eintägigen Generalstreik auf, um gegen den Sparkurs der Regierung zu protestieren. Vorausgegangen war „das Scheitern des sozialen Dialogs“ mit der Regierung des Ministerpräsidenten José Luis Rodriguez Zapatero. Neben Kürzungen im Sozialhaushalt, dem Einfrieren von Gehältern im öffentlichen Dienst, Aussetzungen von Rentenerhöhungen wurde Anfang September eine neue Arbeitsmarktreform vom Parlament verabschiedet, die unter anderem vorsieht, das Procedere von Kündigungen seitens der Arbeitgeber einfacher und kostengünstiger zu gestalten.
Die Gruppe Movimiento 25-S, die sich im Juni 2010 aufgrund der fehlenden Initiative der großen Gewerkschaften zusammengefunden hatte, kündigte für den 25. September, vier Tage vor dem Generalstreik, eine Demonstration an, um den großen Generalstreik zu bewerben.[15]
Am frühen Abend wurde als eine der Aktionen vom Movimiento 25-S das ehemalige Banesto-Bankgebäude[16] am Plaza Catalunya mit ca. 300 Personen besetzt, um auf diese Weise ein alternatives Informations- und Tagungszentrum zur Vorbereitung des Generalstreikes im Zentrum von Barcelona zu schaffen: »Uns erscheint der Generalstreik als eine sehr notwendige Möglichkeit, die soziale Misere auszudrücken[17]
Jedoch, und das ist wichtig, um die Aktionen des Movimiento 25-S und auch insgesamt die Bewegungen in Spanien zu verstehen, repräsentiert ein Generalstreik, ausgerufen von den zwei großen Gewerkschaften nicht die vielen Jugendlichen, die in Zeitarbeitsverträgen arbeiten und die 20 Prozent arbeitslosen Spanier_innen.
An dem besetzten Bankgebäude, vor dem die Demonstration des Generalstreikes enden sollte, wurde ein 150 qm2 großes Transparent befestigt, das die kritische und provokante Haltung gegenüber den Gewerkschaften CC.OO. und UGT (die in den letzten Jahren immer wieder selbst in korrupte Finanzskandale verwickelt waren und mit der Regierung paktierten) bekundete: »Die Banken ersticken uns, die Arbeitgeber beuten uns aus, die Politiker lügen uns an, und die CC.OO. und UGT verkaufen uns«.

Das Essen der Angst und die Goya Operation

Während die öffentlichen Sendeanstalten und großen Medienkonzerne sehr daran interessiert waren, über die fantasievollen Mobilisierungsaktionen 2006 von V de Vivienda zu berichten, zu denen sich die Cualquieras gesellten, die sich nicht als linksradikale Autonome, als Okupas (Besetzer_innen) oder Antisistemas (Systemgegner_innen) stigmatisieren ließen, wurde relativ wenig über die Proteste gegen das absolut unbeliebte “Sinde“-Gesetz zur Wahrung geistigen Eigentums berichtet. In der Chronologie, die zum Sommer 2011 und den Platzbesetzungen führt, nimmt der Artikel von Amador Fernández Savater “Das Essen der Angst“ eine wichtige Stellung ein, da es von der direkten Begegnung zwischen der Ministerin Angeles González-Sinde und einem Gegner ebenjenes Gesetzes handelt. Das Sinde-Gesetz, das nach der Ministerin Angeles González-Sinde benannt wurde und Teil des Gesetzespakets Ley de Economía Sostenible (Gesetz für eine nachhaltige Wirtschaft) ist, soll “die Schaffung von strukturellen Reformen zur Ermöglichung einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Wirtschaft in Spanien” bewirken. Hintergrund dieses Gesetzesentwurfs ist das Bemühen der spanischen Regierung, die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA zu verbessern, da sich Spanien seit Jahren auf einer Art “schwarzen Liste”, des sogenannten “Special 301 Report” befindet. Dieser US-Bericht benennt die Länder, in denen Urheberrechte nach Ansicht der USA nicht hinreichend geschützt sind. Der Entwurf des Ley de Economía Sostenible sieht die “Kommission für geistiges Eigentum” vor, die unter Umgehung der Justiz auf behördliche Anordnung Webseiten sperren lassen kann.
Mitte Januar 2011 berichtet Amador Fernández Savater, Herausgeber von Acuarela Libros, Aktivist und öffentlich bekennender Copyleft-Verfechter in der spanischen Tageszeitung El Pais und in diversen Blogs unter dem Titel La cena del miedo (mi reunión con la ministra Sinde [18] (Das Abendessen der Angst, von meinem Treffen mit der Ministerin Sinde) von einem Abendessen mit der spanischen Kulturministerin. Aus nicht ersichtlichen Gründen war er eingeladen worden. Von den Namen der Miteingeladenen und ihren Funktionen im spanischen Kulturbetrieb ließ sich schon im Vorfeld ablesen, dass Savater die einzige Person in der Tischrunde war, die dem Gesetz nicht zustimmen würde.
Savater schreibt in dem Artikel:
»Ich möchte meine Sorge, die ich seit dem Abendessen habe mit Euch teilen. Ich bin darüber besorgt, dass diejenigen, die das Internet so schlecht kennen, legitimiert sind, Gesetze zu erlassen.«[19]
Savater beschreibt die Gespräche und die Stimmung jenen Abends. Als Hauptmenü habe es Angst gegeben. Angst vor der Krise, Angst vor den Unweiten des scheinbar unregierbaren Raumes des Internets, Angst vor einer undankbaren, unverantwortlichen Jugend[20], die egoistisch und parasitär kostenlos Filme und Daten aus dem Internet downloaded.
»Sie haben Angst vorm Internet. Das ist sehr einfach zu verstehen: denn die Mehrheit an meinem Tisch glaubte, dass ›kopieren‹ gleichbedeutend ist mit ›rauben‹.«[21]
Savaters Artikel, der kurz vor der Gesetzesverabschiedung publiziert wurde, fand in der Öffentlichkeit breite Zustimmung. Wir können annehmen, dass der Sohn unseres eingangs erwähnten Taxifahrers José zu eben jener Generation Jugend zählt, von der an jenem Abend mit den Kulturvertreter_innen die Rede war.
Am 13. Februar, also fast einen Monat nach dem Abendessen der Angst, rief die Hackergruppe Anonymous die Operación Goya aus: ein friedlicher Protest gegen das Sinde-Gesetz vor dem Teatro Real in Madrid, in dem alljährlich die spanischen Filmpreise Goya verliehen werden Zusätzlich wurde zur Teilnahme an DDoS Attacken gegen alle großen Parteien aufgerufen, die das Sinde-Gesetz unterstützten.
Und wieder kam die Maske des Guy-Fawkes aus dem Film „V wie Vendetta“ zum Einsatz: Von den über 300 Protestierenden mit Guy-Fawkes-Masken und Protestschildern mit Aufschriften wie Sag nein zum Sinde-Gesetz oder Kultur darf nicht zensiert werden wurde in den Medien nicht berichtet, lediglich die Protestrufe, als die Filmstars über den roten Teppich spazierten, waren im Hintergrund zu vernehmen. Am 15. Februar 2011 wurde das Sinde-Gesetz vom spanischen Kongress verabschiedet.[22]
Zum gleichen Zeitpunkt entstand die Online-Initiative #Nolesvotes[23] (#wählt sie nicht), die die Verabschiedung des Sinde-Gesetzes, die Korruption der Parteien und das Zweiparteiensystem als gute Gründe aufzählte, um bei den nächsten Wahlen keine Stimme abzugeben.

Gib der Bewegung keinen Namen

Wir sind im Sommer 2011, dem Sommer der Platzbesetzungen angekommen. Am 15. Mai folgen geschätzte 130.000 Personen in 58 spanischen Städten dem Aufruf der Initiative Democracia Real Ya! Eine Plattform, die sich Wochen zuvor aus vielen kleinen Gruppen zusammengeschlossen hatte, um auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass die beiden großen Parteien nicht fähig sind, die Mehrheit der Spanier_innen politisch zu vertreten, dass man mit leeren Versprechen an der Nase herumgeführt wird. In dem Manifest von Democracia Real Ya! steht:
»Wir sind ganz normale Menschen.
Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denen, die uns umgeben, eine bessere Zukunft zu bieten.
[…] wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive…: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos. (…)
Über diese Plattform (Democracia Real Ya!,) wollen wir die Koordination von globalen und gemeinsamen Aktionen von verschiedenen Organisationen, Gruppen, Bürger_innen und sozialen Bewegungen unterstützen, die auf ihre jeweilige Art versuchen, einen Beitrag zur aktuellen Veränderung zu leisten.«[24]
Der erste Satz des Manifestes führt uns zu José, dem Taxifahrer zurück, mit dem wir die Einleitung begonnen haben, denn auch er sprach von einem nur ganz normalen Leben.
Linke, Militante, Gewerkschaftler_innen, Feministinnen und Aktivist_innen spielen keine tragende Rolle bei der Mobilisierung unter dem Motto Toma la Calle! (Die Straße einnehmen!) am 15. Mai. Im Gegenteil: der Aufruf mobilisiert all diejenigen, die aus persönlicher Betroffenheit, aus eigenen Erfahrungen und ohne ideologische Positionierungen dazustoßen, was Santiago López Petit interioridad común (gemeinsame Innerlichkeit) nennt: Es sind nicht die Konzepte oder Ideen, die mobilisieren, sondern Affekte.
In Madrid erstreckt sich die Demonstration vom Plaza Cibeles bis zum Platz Puerta de Sol, man blockiert den Straßenverkehr auf der Hauptstraße Gran Via, und es gibt Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach 19 Verhaftungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei beschließen ein paar Hundert Leute, auf der Puerta de Sol zu übernachten, um dort ein Lager aufzuschlagen (yes we camp!). Es wird die Nachricht verbreitet, dass man bis zum 22. Mai dort bleiben will, bis zu den Kommunal- und Länderwahlen.
In der zweitgrößten Stadt Spaniens, in Barcelona, entscheidet man sich einen Tag später, am 16. Mai, auf dem zentralliegenden Katalonien-Platz ein vorerst unbefristetes Zeltlager zu errichten. Via Twitter, Facebook, SMS und Mails verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer, und es werden Zelte, Versorgungspakete, Kommunikationstechnologien zum Platz geschafft. Mittels einer kleinen Performance, in der die erste Begehung des Mondes nachgeahmt wird, inklusive dem Hissen einer Fahne im Zentrum des Platzes, wird die Platzbesetzung eingeweiht. Die schwarze Fahne, mit einem weißen Kreis und einem durchkreuzenden gezackten Pfeil gibt sofort Anlass zu Diskussionen, da es das Symbol der Hausbesetzer_innenszene ist. Die Fahne wird entfernt. Viele andere Regionen und Provinzen folgen in den nächsten Wochen dem Beispiel, sich die repräsentativen Hauptplätze der Städte anzueignen. [25]
Von den Platzbesetzer_innen als die Indignados (die Empörten) zu sprechen bedeutet hervorzuheben, dass es sie nicht gibt, dass die Bezeichnung eine Erfindung ist, um den Personen, die sich auf den Plätzen versammeln, einen Namen zu geben, sie als Indignados zu identifizieren und sie in gewissem Sinne definierbar und kontrollierbar zu machen.
»›Es sind die.‹ ›Sie wollen das.‹ Die Politiker und die Medien drängen darauf, dass die Bewegung 15-M ein ›vollwertiger Gesprächspartner‹ wird –mit entsprechenden Vorschlägen, Programmen und Alternativen. Sie wissen, dass eine Identität keine Fragen mehr stellt, sondern ein Feld auf dem Schachbrett besetzt –oder zumindest danach strebt. […] Sie wird regierbar«.[26]
Die Bezeichnung die Empörten stammt ursprünglich aus der Buchpublikation von Stéphane Hessel Empört Euch!, die im Oktober 2010 in Frankreich und im Frühjahr 2011 in Spanien veröffentlicht wurde. Hessel, französischer Resistancekämpfer, Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald und Mitentwickler der Charta der internationalen Menschenrechte, versammelt in seinem Buch Argumente, um sich zu empören, sich gegen die Politik der Regierenden aufzulehnen und Widerstand gegen den Finanzkapitalismus zu leisten.
“Wir sind hier als Einzelpersonen ohne Vertretungen”, sagt ein junger Mann in einer Asamblea, “es ist schwierig, uns vielen eine gemeinsame Stimme oder einen Namen zu geben, wir sind alle sehr unterschiedlich.”
Der Spruch, der am Plaza Catalunya auf einer Plastikplane gesprüht steht: Gib ihr (mit ihr ist die Bewegung gemeint) keinen Namen, verweist, so gesehen, auf den Wunsch nach Offenheit –denn ohne Namen bekommen alle möglichen und unmöglichen Fragen, Fluchtlinien und Anordnungen einen Ort, der sie nicht an ein scharf umrissenes politisches Spektrum bindet. Somit unterscheidet sich die Bewegung 15-M auch von anderen globalen Bewegungen, denn jeder/jede Einzelne stößt aus eigenen und sehr unterschiedlichen Motiven dazu, ohne sichtbare Zugehörigkeit zu Gruppen, Initiativen oder Kollektiven.
»Fast könnte man von unidentifizierbaren fliegenden Objekten sprechen, die auf den Radaren des traditionellen kritischen Denkens nur schwer auszumachen sind, weil ihnen die Einheit im Sprechen und Handeln fehlt und weil man sie kaum den alternativen und systemkritischen sozialen Bewegungen zuordnen kann.
Sie identifizieren sich weder mit der Linken noch mit der Rechten auf dem politischen Schachbrett, sondern entziehen sich diesem Muster, indem sie ein nicht-identitäres, offenes und einschließendes Wir vorschlagen, in dem alle einen Platz haben.
Der Anspruch auf Schlüssigkeit und klare Linien, der die Visionen der Politiker beherrscht, wird von der Bewegung 15-M ad absurdum geführt. Es gibt keine Antwort auf die (polizeiliche) Frage nach der Identität. Wer sind sie? Was wollen sie? Wir sind in einem Streik der Identität: Wir sind, was wir tun. Wir wollen, was wir sind.«[27]
Wir nehmen Savaters Zitat an dieser Stelle zum Anlass, die von uns eingangs gestellte Frage nach der Identität Wer war auf den Plätzen? umzuformulieren in: Was ermöglichen solche Orte des Anonymen?
Was ist die Stärke von dem Konzept des Anonymen, der Namenlosen?

»Der namenlose Mensch ist jede/r von uns, und doch keine/r von uns. Der namenlose Mensch ist derjenige, der ins Zentrum seines/ihres Lebens ›Ich lebe‹ stellt und sagt ›vergesst mich, lasst mich in Ruhe …‹. Die traditionellen Kategorien der Entfremdung, Verdinglichung usw. taugen nicht mehr, um ihn oder sie zu beschreiben.«[28]

Wenn Petit sich hier auf die traditionellen Kategorien bezieht, meint er damit, dass die klassischen Formen der kollektiven Repräsentation, die Arbeiterklasse, die Gewerkschaften o.ä. aus heutiger Sicht nicht mehr effektiv sind, da sie in Marken und Labels, also in identifizierbare kapitalistische Entitäten eingeteilt werden, ähnlich wie jeder Einzelne von uns in eine Ich-Marke oder eine Ich-Unternehmerin konvertiert. Auch muss der Begriff der Cualquieras zusammen mit dem Anonymen an dieser Stelle überdacht werden.
»Man sollte ihn/sie (den/die Anonyme/n) nicht mit dem Massenmenschen oder auch nicht mit den Cualquieras verwechseln. Die Cualquieras sind austauschbar, der anonyme Mensch ist es nicht, er hütet ein Geheimnis. Dieses ist nicht sichtbar für die Augen der Macht. Deswegen ist es nicht darstellbar. Er, der Anonyme, kennt kein Wir, da er sich selbst nicht als ein konstituiertes Wir erkennt. Und doch erscheint in der Weise, wie er “Ich lebe” sagt, in der vorerst nur eine singuläre Lust nach Leben anklingt, an dieser Stelle eine radikale Ambivalenz: denn es entsteht der Wunsch Leben zu wollen. Hinter meinem Wunsch ich will leben wird ein allgemeiner Wunsch leben zu wollen sichtbar. Und in diesem allgemeinen Wunsch Leben zu wollen steckt die Kraft des Anonymen, die in irgendeiner Form von einem Wir zeugt.«[29]
So unterschiedlich die Personen auf den Plätzen also auch gewesen sind, sie teilen die Kritik an der herrschenden politischen Klasse und dem Zweiparteien-System von Partido Popular (PP) und Partido Socialista Obrero Español (PSOE). Sie fordern ein Ende der Korruption und die Achtung der Grundrechte auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit, Bildung und politische Beteiligung.
In den Asambleas werden Fragen zu Organisationsformen des Gemeinwesens gestellt, die in der politischen Arena des Parlamentes oder in der Presse keinen Platz finden. Beispielsweise wurden zwischen Januar und März 2011 fünfzehntausend spanische Wohnungen zwangsgeräumt, da ihre Bewohner_innen die Hypotheken nicht mehr zahlen konnten. Durch verschiedene Aktionen, die jeweils von den unterschiedlichen Asambleas und der Plattform Afectados por la hipoteca[30] (Opfer der Hypotheken) koordiniert wurden, konnten allein in der Zeit vom 26.5 -16.6 sechs Zwangsräumungen von Familien, die zahlungsunfähig waren, mit Unterstützung von den Gruppen des 15-M verhindert werden. Die Aktionen laufen weiter.
Spanien hat in der Übergangszeit von der Diktatur hin zur sogenannten Demokratie, in der der König Juan Carlos nach wie vor eine repräsentative Rolle spielt, viele grundlegende Kompromisse und Schweigepakte geschlossen, um die jeweils linken und rechten Lager nicht gegeneinander aufzubringen und die Unabhängigkeitsbestrebungen verschiedener spanischer Regionen durch eine versöhnliche Politik zu besänftigen.
Der Autor Guillem Martínez bezeichnet jene Zeit als die Kultur des Übergangs (Cultura de la transición oder in Kürzeln CT genannt), in der sich darauf geeinigt wurde, dass der neoliberale Kapitalismus und die Aufnahme Spaniens in die EU unter dem Diktat der mächtigsten Mitgliedsstaaten als positive und zu befürwortende Rahmenbedingungen für die spanische Kulturproduktion gelten sollen.
»Die CT beruht im Wesentlichen auf einer Art Konsens, aber nicht in dem Sinne, das Uneinige durch einen Dialog zu Übereinkünften kommen, sondern indem schon von Beginn an die Grenzen des Möglichen festgelegt sind.«[31]
Zur CT gehört auch das Gesetz der Memoria Historica (Gesetz des historischen Andenkens), das im Oktober 2007 im spanischen Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Das Gesetz scheint zwar nach über dreißig Jahren Transición einige Vorstöße in Sachen Geschichtsaufarbeitung zum spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur zu unternehmen, stellt aber insgesamt innerhalb der CT einen eher regulativen diplomatischen Akt dar, der die falangenahen Kreise nicht ernsthaft stören will.
Mit der Übereinkunft zur CT wurde jede widerständige und systemkritische Kultur erstickt. Die CT ist in keinem Gesetz verankert, sondern wird vielmehr durch einen breitgestreuten generationsabhängigen Konsens gebildet, der sich durch Institutionen, Galerien, Universitäten und dem allgemeinen Kunstbetriebssystem reproduziert und auf diese Weise den offiziellen Kulturkanon bestimmt.
Martínez beschreibt den 11-M, die widerständige Masse, die sich gegen die offizielle Version der Regierung zu den Terroranschlägen in Madrid 2003 richtet, als Wende in der Kultur des Übergangs. Auch in den Platzbesetzungen des 15-M 2011, deren Impuls oftmals von jüngeren Generationen ausging, sieht Martínez Veränderungen markiert, die sich gegen den CT-Konsens richten und möglicherweise ein Ende der CT einläuten.

»durch die Aufmerksamkeit gegenüber dem, was zwischen allen entsteht, durch das äußerst großzügige Vertrauen in die Intelligenz des anderen, Unbekannten, durch das Zurückweisen von Mehrheits- und Minderheitsfraktionen und die geduldige Suche nach der einschließenden Wahrheit, durch das dauernde Infragestellen und immer wieder von neuem Infragestellen der einmal gefassten Beschlüsse, durch das Vorrecht der Debatte und des Prozesses gegenüber der Effizienz der Ergebnisse. […] Und es herrscht eine entpolitisierte und menschliche Sprache, die Bereitschaft zu einer grenzenlosen Öffnung und ein Streben nach Konsens, koste es, was es wolle, auch ein positives Verhalten gegenüber der Polizei.«

So beschreibt Amador Fernández-Savater die Stimmung auf den Plätzen in seinem Blog Fuera de Lugar (Fehl am Platz).
Wer in die 15-M-Bewegung eine kapitalismuskritische linke Bewegung hineinträumt, muss spätestens jetzt aufgewacht sein und feststellen, dass José, der Taxifahrer und viele andere, die sich auf den Plätzen eingefunden haben, mit Ideologiekritik bislang wenig zu tun hatten.
Santiago López Petit beschreibt die Situation folgendermaßen:

»Das Problem ist nicht, ob wir die Plätze verlassen, sondern wie, ob wir es schaffen nicht als Empörte, sondern als Revolutionäre die Plätze zum Überlaufen  bringen […] oder ob man in einer selbstgefälligen Blase von Befindlichkeiten verharrt.«

Die gesamte kapitalistische entpolitisierte Wirklichkeit müsse attackiert werden: “cuando nada es político, todo es politizable” (”wenn nichts mehr politisch ist, ist alles politisierbar”). Die Plätze zum Überlaufen zu bringen, so Petit, ist keine Metapher, sondern die Forderung, sich wie ein Virus in die Gesellschaft einzubringen, um die Wirklichkeit zu sabotieren.[32]
Am Morgen des 27. Mai 2011 wurde mit polizeilicher Gewalt die Räumung des Plaza Catalunyas durchgesetzt. Begründet wurde die Räumung mit dem anstehenden Champions-League-Spiel des FC Barcelona gegen Manchester United und möglichen Konflikten zwischen feiernden Fußballfans und den Indignados. Die Räumung war brutal, unter Einsatz von Schlagstöcken und Gummigeschossen. Es gab ca. 121 Verletzte. Am Nachmittag konnte der Platz mit Hilfe vieler Indignados erneut besetzt werden.
Am 5. Juni beschloss die Hauptasamblea der 15-M Bewegung vom Plaza Catalunya, die Zelte abzubrechen, aber den Platz grundsätzlich als Agora, als Ort für Veranstaltungen und Asambleas weiterhin zu nutzen. Sieben Tage danach, beschlossen auch die Besetzer vom Platz Puerta del Sol in Madrid, die Zelte abzubrechen und wie in vielen anderen Städten die Asambleas in die Stadtteile zu verlegen.
Am 15. Juni versammelten sich in den frühen Morgenstunden an die 2.000 Indignados vor dem katalanischen Regierungsparlament, um die Verabschiedung des sogenannten Kürzungsbeschlusses des “Ley Ómnibus” zu blockieren. Die Parlamentarier_innen sollten an dem Tag zusammentreffen, um die Regierung der rechtsnationalen Konvergenz und Union (CIU) vollständig zu ermächtigen, den Sparkurs mit massiven Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich durchzusetzen. Im Laufe der Blockade kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant_innen und Parlamentarier_innen, die das Gebäude betreten wollten.
Anstatt von der friedlichen Sitzblockade zu berichten, verglich die spanische Presse die Aktionen vor dem Parlamentsgebäude mit terroristischen Aktionen und sogar mit dem spanischen Staatsstreich von 1981.
Nach der Sommerpause fanden am 15. Oktober in vielen europäischen Ländern Demonstrationen gegen die Finanzkrise und die Europapolitik statt. In Spanien wurde unter dem Motto De la indignación a la acción! (Von der Empörung zur Aktion!) für die Demonstration geworben. Insgesamt wurde an diesem Tag in 90 Ländern und 1040 Städten demonstriert. In Barcelona gingen ca. 250.000 und in Madrid 500.000 Menschen auf die Straße. Der 15. Oktober war die letzte große Mobilisierung in Spanien vor den Präsidentschaftswahlen am 20. November[33]
Der katalanische Soziologe Manuel Delgado spricht in seinem Artikel mit dem Titel 15M: die Gefahr einer Bürgerinnenbewegung[34] über seine Bedenken hinsichtlich der Durchschlagskraft und Motivation der 15-M Bewegung. Es könne sich bei dem 15-M um eine Bürger_innenbewegung handeln, die versucht, die letzten Überreste der linken Mittelschicht zu verwalten. Diese Bewegung strebe eher eine ethische Reform des Kapitalismus an, dessen Grundprinzipien aber anerkannt würden. Ausbeutung, Ausgrenzung und Ausnutzung würden nicht als strukturelle Faktoren des Kapitalismus angesehen, sondern als Unfälle, die man verhindern müsse.


»Die Bürgerinnenbewegung stellt den Kapitalismus nicht infrage, sondern verurteilt nur seine Exzesse und seine Skrupellosigkeit. Die Bürgerinnenbewegung tendiert im Allgemeinen dazu, sich in Massendemonstrationen zu konkretisieren, die sich als Ziel setzen, bestimmte, ungerechte Situationen anzuklagen. Realisiert werden sie durch labile Aktions- und Organisationsstrukturen, die sich grundsätzlich eher auf kollektive Gefühle berufen als auf Ideen. Die Betonung liegt auf einem tendenziell performativen, oftmals künstlerischen und feierlichen Ausdruck«.[35]
Delgado beschreibt diese Formen der Mobilisierung als spontanen und unkonventionellen Aktivismus von motivierten und bewusst lebenden Personen, die in der Illusion leben, sie könnten für ein paar Wochen den strukturellen Wurzeln des Kapitalismus entfliehen, sich den Institutionen entziehen und später mit neuen Erlebnissen zu ihnen erfüllt zurückkehren, ohne jedoch gravierend etwas zu verändern. So stellt Delgado die eindringliche Frage, was man mit dieser ephimeren kollektiven emotionellen Kraft in Bezug auf ihre Intensität machen kann, bevor sie verpufft.
Die mögliche Antwort hatte uns Petit bereits mit auf den Weg gegeben: sich wie ein Virus in die Gesellschaft zurückzubegeben, die Ideen, die Erlebnisse zu multiplizieren. So jedenfalls können wir die wöchentlich stattfindenden Asambleas in allen Stadtteilen verstehen, die sich als Ableger des 15-M sehen und in den einzelnen Stadtteilen operieren.
Konkrete und immer wieder auftauchende Forderungen der 15-M Bewegung[36]
Allgemein wird von der 15-M Protestbewegung eine Verbesserung der sozialen Lage gefordert, die die Grundrechte auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit und Bildung zusichert.

  • Forderung nach einer Reform des Wahlgesetzes. Kein Zweiparteiensystem, sondern eine vielfältige Wahllandschaft, die Koalitionen zulässt. – Forderung nach einer partizipatorischen Demokratie, in der die Bürger_innen bei wichtigen Entscheidungen eine Stimme erhalten und keine politische Autorität entscheidet. – Forderung nach Intoleranz in Bezug auf Korruption und die Forderung nach politischer und ökonomischer Transparenz.[37]

Eine der wenigen Gruppen, die weiterhin auf die Praxis der Identitätspolitik beharrten, die Femistas Indignadas, haben sich trotzdem ihren Ort auf den 15-M-Plätzen erkämpft. Mit dem Transparent: La revolución será feminista o no será (Die Revolution ist feministisch oder sie findet nicht statt) wurde eine Ecke an der Plaza Catalunya mit den feministischen Asambleas ›bespielt‹.  20Auch sie haben eine Agenda erarbeitet. Hier eine kleine Auswahl ihrer Forderungen.:.[38]
Wir wollen eine Gesellschaft, in deren Zentrum Personen stehen und nicht Märkte. Deswegen sagen wir: Öffentliche vitale Dienstleistungen wie Erziehung, Gesundheit, Pflege von Jungen, Alten und Hilfsbedürftigen müssen eine besondere Stellung behalten, auch ich Hinblick auf Sozialkürzungen und Arbeits- und Rentenreformen. –Wir fordern freien und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch und Sexualaufklärung. –Wir wollen eine vielfältige Gesellschaft, in der vielfältige Formen des Geschlechts und der Sexualität (lesbisch, homosexuell, intersexuell, bisexuell, transgender …) geachtet und gelebt werden können. Das Recht auf Sexualität in allen Phasen des Lebens. Wir fordern die Entpathologisierung von Transidentitäten.

Nachspiel

Am 20. November 2011, entschieden sich die spanischen Wähler_innen mit 44,63 Prozent für die rechtskonservative Partido Popular PP unter dem Vorsitz von Mariano Rajoy, Partido Popular (PP), das beste Wahlergebnis der PP bisher. Die bis dato regierende sozialistische PSOE (Partido Socialista Obrero Español) verlor ein Drittel ihrer Mandate und erzielte mit 28,76 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1975.
Schon bei den Regional- und Kommunalwahlen vom 22. Mai 2011 hatte die PSOE starke Verluste erlitten. Auf kommunaler Ebene verlor sie bereits die Bürgermeisterposten in bedeutenden Städten wie Barcelona und Sevilla.
Die PP hatte in ihren Wahlversprechen immer wieder bestätigt, keine weiteren Sozialkürzungen vorzunehmen, während sich die PSOE wiederum in der letzten Regierungsperiode gezwungen sah, unpopuläre Maßnahmen wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters durchzusetzen, um die Eindämmung des Staatsdefizits zu sichern. Innerhalb der Amtszeit der PSOE stieg die Arbeitslosigkeit von 8% im Jahre 2007 auf 11% (2008), 18% (2009) und über 20% (2010); die Jugendarbeitslosigkeit (gut qualifizierte Jugendliche unter 25 Jahren (die sogenannte Generación ni-ni)) stieg 2010 sogar auf 42%.

Wo ist der 15-M heute?

Die Leute, die auf den Plätzen waren, sind in ihr Alltagsleben zurückgekehrt. Die Besetzung und Organisierung der Plätze stellte für viele einen Ausnahmezustand dar, den die wenigsten auf Dauer leben können. Wen treffen wir nun in den Stadtteilasambleas, die wöchentlich stattfinden? Junge und alte, neue und schon immer engagierte Aktivist_innen, Nachbar_innen, Rentner_innen, Studierende etc. Sie sind alle ein kleiner Teil des 15-M, sie halten Verbindung über E-Mail-Listen, Newsletter und soziale Kommunikationsmedien. Was können wir von den Erfahrungen, Erlebnissen auf den Plätzen in unser Alltagsleben mitnehmen? Wo finden diese ganz unterschiedlichen Erfahrungen möglicherweise einen Raum, der Reflektion oder eine Fortführung in unserem Alltagsleben erlaubt?
Es gibt verschiedene Projekte von Leute, die im Bereich Musik, Film und Publikationen arbeiten. Dort wurden gemeinsame Erlebnisse in kollektiven Produktionen verarbeitet (zum Beispiel http://esunrobo.bandcamp.com/, http://www.15m.cc/, http://bookcamping.cc/), um die Resultate dann wieder gemeinschaftlich zur Disposition zu stellen, oder auch schon die naechste gemeinsame Intervention vorzubereiten (http://comoacabarconelmal.net/).Wo aber bleiben die Erfahrungen der Lehrer_innen, Krankenschwestern, Sozial-arbeiter_innen, Kassierer_innen, Marktfrauen und die unseres Taxifahrers?
Pepe Rovira, politischer Aktivist, Ende fünfzig, spielte die Rolle von José, dem klauenden Taxifahrer aus dem Film Der falsche Taxifahrer und schildert den Bezug der Film-Geschichte zu seiner heutigen Realität.
»Ich kann mich mit José, dem Taxifahrer identifizieren, er ist wie ich, als ich ungefähr 18 Jahre alt war. Später, Anfang 30 hatte ich bereits politische Ideen, aber, obwohl ich diese Ideen hatte, gab es dann diesen Moment, wo ich mit allem brechen wollte, das war, als man mich 1982 entlassen hatte.
1982 war ein sehr gutes Jahr für Entlassungen: Denn als die erste, damals sozialistische Regierung nach der Francodiktatur gewählt wurde, versprach man uns, dass alles besser werde und dass wir keine Arbeiter_innenbewegungen mehr bräuchten: die Arbeiter_innen würden jetzt nur noch arbeiten müssen, um alles andere kümmere sich die Regierung …
Wir Arbeiter und Arbeiterinnen, die zu den Asambleas gingen, die nicht an die Reformen des demokratischen Übergangs glaubten und Antikapitalisten waren, blieben frustriert zurück … Jetzt gab keine Asambleas, keine Demonstrationen, keinen Streik, keine Forderungen mehr – es gab nichts mehr zu tun in der Arbeitswelt. Du bliebst acht Stunden allein, Du mit der Maschine. Die wahre Prekarität, die absolute Prekarität ist die der Einsamkeit. Die Vorstellung unserer Zeit, dass Du das alles alleine schaffst, ist die größte Lüge überhaupt. Eine/r allein ist gar nichts, absolut nichts.
Die Hauptidee des Films ist die der Gemeinschaft, die des Kollektivs, des Imperativs: Sei mit anderen, sei nicht allein![39]
Von Anja Steidinger
Auszug aus dem Buch: Aufstand in den Städten – Krise, Proteste, Strategien, Hg. Wolf Wetzel, Unrast Verlag, 2012
 
[1] Originalmotto von Dinero Gratis: No queremos trabajo queremos dinero! Dinero Gratis, http://dinero-gratis.blogspot.com Die Gruppe Dinero Gratis beschäftigt sich theoretisch und praktisch seit Jahren mit Prekarität und der Frage, wie Arbeit abgelehnt werden kann, wenn weder die Fabrik noch feste Beschäftigungsverhältnisse existieren.
[2] Mehr Informationen zu dem Film unter http://www.zip-films.com/taxistaful/
[3] Deutsch: Gib sie (die Nachricht) weiter! oder Weitersagen!
[4] Spanische Verfassung Art. 47: Todos los españoles tienen derecho a disfrutar de una vivienda digna y adecuada. Los poderes públicos promoverán las condiciones necesarias y establecerán las normas pertinentes para hacer efectivo este derecho, regulando la utilización del suelo de acuerdo con el interés general para impedir la especulación […].
[5] Am 1.1.1986 wurde Spanien in die EU aufgenommen.
[6] Originaltext: Se trata de que la intervención política que propone una transformación social ha sido anulada. Dicho en otras palabras: postpolítica significa que en el plano de la acción política no hay alternativa a la modernización capitalista, es decir, a la globalización. (…) La época global es postpolítica porque en ella la acción política transformadora queda  neutralizada. entnommen aus dem Text “El retorno de la política”, Santiago Lopez Petit 2006,
http://www.espaienblanc.net/Politizaciones-apoliticas.html
[7] Originaltext der Email, die im Maerz 2006 verschickt wurde: Hola a todos. Sé que este correo-e se puede parecer a muchos de los que circulan por la red pero no es cierto. Este correo-e está siendo enviado por toda España para reivindicar nuestros derechos. Hemos asistido durante el mes de marzo a la convocatoria de multitudinarios macrobotellones, esta convocatoria es diferente.  En Francia, los jóvenes protestan por la “modificación” de los contratos basura. Muchas voces han sido las que se han quejado en este país porque los jóvenes no hacían nada. Pues bien, ¿se lo vamos a demostrar? ¡¡PASALO!!
[8] Leonidas Martin Saura, http://blog.sindominio.net/blog/leodecerca
[9] Originaltext: Evita el enfrentamiento con la policía […] , incluso después de las brutales cargas policiales producidas durante la segunda sentada madrileña y de las arbitrarias detenciones posteriores. La sentada intenta evitar las cargas dirigiéndose a la policía con la consigna “Tus hijos también están hipotecados”. http://agitpub.wordpress.com/2007/06/06/persiguiendo-a-la-%E2%80%9Cv%E2%80%9D-de-vivienda/
[10] http://afectadosporlahipoteca.wordpress.com/
[11] Die Kampagne wurde am 25. Februar 2010 begonnen. Inzwischen ist die Webseite aus dem Netz genommen.
[12]  Deutsch: Das regeln wir allein unter uns. Wobei DAS sich auf die Krise bezieht, Die Krise regeln wir allein unter uns!
[13] http://es.wikipedia.org/wiki/Estosololoarreglamosentretodos.org
[14] http://www.scpf.com/
[15] http://www.catalunyapress.cat/es/viewer.php?IDN=34761
[16] Das besetze Gebäude Plaza Catalunya 10 ist seit 2007 leerstehend, es wurde von der Immobiliengruppe Monteverde für 110 Millionen gekauft. Dort sollen Luxuswohnungen und Ladenpassagen entstehen. Vorbesitzer war die Banesto Bank und Caja Madrid. Das neoklassizistische Gebäude war 1902 als das Luxushotel Colón gebaut worden und diente in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs als Unterkunft für Mitglieder der PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya).
[17] Originaltext: El grupo reivindica el edificio como “un espacio bancario al servicio de la huelga” y llama a hacer un seguimiento masivo de la huelga general. “Nos encanta la idea de la huelga general. Nos parece una oportunidad, muy necesaria, para exteriorizar el malestar”, afirman, aunque no la ven suficiente. http://www.crisiseconomica2010.com/DesktopModules/DnnForge%20-%20NewsArticles/Print.aspx?tabid=58&tabmoduleid=62&articleId=514&moduleId=373&PortalID=0
[18]http://www.elpais.com/articulo/cultura/cena/miedo/reunion/ministra/Sinde/elpepucul/20110112elpepucul_8/Tes
[19] Originaltext: Me gustaría compartir la preocupación que me generó lo que escuché aquella noche. Me preocupa que quien tiene que legislar sobre la Red la conozca tan mal. Me preocupa que sea el miedo quien está tratando de organizar nuestra percepción de la realidad y quien está tomando las decisiones gubernamentales.
[20] Savater schreibt: “Als ich beschlossen hatte, mich abzulenken und mich dem roten Thunfisch zuzuwenden, begann man über die Internetbenutzerinnen zu lästern: ›Diese unverantwortlichen Konsumenten, die immer alles gratis haben wollen.‹ (…) ›Diese kapriziösen Egoisten, die die Arbeit und die Energie von anderen in einem Werk nicht zu schätzen wissen.‹”
[21] http://www.elpais.com/articulo/cultura/cena/miedo/reunion/ministra/Sinde/elpepucul/20110112elpepucul_8/Tes
[22] http://es.wikipedia.org/wiki/Ley_de_Econom%C3%ADa_Sostenible#cite_note-7
[23] http://www.nolesvotes.com/
[24] Originaltext von Democracia Real Ya!: Nosotros los desempleados, los mal remunerados, los  subcontratados, los precarios, los jóvenes… queremos un cambio y un  futuro digno. Estamos hartos de reformas antisociales, de que nos dejen en el paro, de que los bancos que han provocado la crisis nos suban las  hipotecas o se queden con nuestras viviendas, de que nos impongan leyes  que limitan nuestra libertad en beneficio de los poderosos. Acusamos a  los poderes políticos y económicos de nuestra precaria situación y  exigimos un cambio de rumbo.
Mediante esta plataforma, queremos ayudar a coordinar acciones globales y comunes entre todas aquellas asociaciones, grupos y movimientos ciudadanos que, a través de distintas vías, están intentando contribuir a que la actual situación cambie.
[25] Auf der Wikidot-Webseite der kollektiven Buchproduktion #RT15M (der Titel ist die bei Twitter verwendete Kurzform für ReTweet 15. Mai) befindet sich eine genaue Chronologie (auch auf englisch) der Ereignisse und eine detaillierte Auflistung der spanischen Regionen. http://rt15m.wikidot.com/chronology
[26] Deutsche Übersetzung von Walter Beutler. http://walbei.wordpress.com/2011/09/09/die-spanische-protestbewegung-%E2%80%93-eine-neuartige-soziale-kraft/ Originaltext: Interview der argentinischen Zeitung Página 12 mit Amador Fernandéz Savater: http://www.pagina12.com.ar/diario/dialogos/21-175561-2011-08-29.html
[27] Deutsche Übersetzung von Walter Beutler. http://walbei.wordpress.com/2011/09/09/die-spanische-protestbewegung-%E2%80%93-eine-neuartige-soziale-kraft/ Originaltext: Interview der argentinischen Zeitung Página 12 mit Amador Fernandéz Savater: http://www.pagina12.com.ar/diario/dialogos/21-175561-2011-08-29.html
[28] Santiago López Petit, Los espacios del anonimato: una apuesta por el querer vivir. Unsere Übersetzung des Zitats aus http://www.espaienblanc.net/Los-espacios-del-anonimato-una.html
[29]Ebd.
[30] http://afectadosporlahipoteca.wordpress.com/
[31] Deutsche Übersetzung von Walter Beutler, http://walbei.wordpress.com/2011/09/09/die-spanische-protestbewegung-%E2%80%93-eine-neuartige-soziale-kraft/ Originaltext: Interview der argentinischen Zeitung Página 12 mit Amador Fernandéz Savater: http://www.pagina12.com.ar/diario/dialogos/21-175561-2011-08-29.html
[32] Santiago López Petit, Desbordar las plazas. Una estrategia de objetivos
http://espai-en-blanc.blogspot.com/2011/06/desbordar-las-plazas-una-estrategia-de.html
[33] Der 20. November ist ein historisches Datum für die Spanier_innen: er ist der Todestag des Diktators Franco als auch der Todestag des spanischen Anarchisten, Syndikalisten und Revolutionärs José Buenaventura Durruti Dumange.
[34] 15M: El peligo ciudadanista, Manuel Delgado http://sodepaz.org/sodepaz/77-colaboraciones/1630
[35] Originaltext: El ciudadanismo no impugna el capitalismo, sino sus “excesos” y su carencia de escrúpulosEl ciudadanismo suele concretarse en movilizaciones masivas destinadas a denunciar determinadas situaciones consideradas injustas, pero sobre todo inmorales, y lo hace proponiendo estructuras de acción y organización lábiles, basadas en sentimientos colectivos mucho más que en ideas, con un énfasis especial en la dimensión performativa y con frecuencia “artística” o festiva, aus 15M: El peligo ciudadanista, Manuel Delgado http://sodepaz.org/sodepaz/77-colaboraciones/1630
[36] komplette Liste der Forderungen auf Spanisch unter http://lialdia.com/2011/06/las-reivindicaciones-de-los-indignados-en-espana-un-ejemplo-para-el-mundo/
[37] Korruptionsliste: http://wiki.nolesvotes.org/wiki/Corrupt%C3%B3dromo
[38] http://cooperantes.net/1315/manifiesto-de-feministas-indignadas-plaza-cataluna/
[39] Das Interview mit Pepe Rovira führte die Gruppe Enmedio http://www.enmedio.info/

Visits: 331

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert