50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Was ist daran Kritik und was Antisemitismus?
Für den 9. und 10. Juni 2017 haben die ärztliche Friedensorganisation IPPNW und der „Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel“ zu einer Jahrestagung des Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) in Frankfurt eingeladen. Thema ist: „50 Jahre israelische Besatzung in Palästina“.
Im Rahmen dieser Tagung werden u.a. Prof. Moshe Zuckermann (Historiker Uni Tel Aviv/Israel), Prof. Illan Pappe (Historiker Universität Exeter/GB), Jamal Juma´a (Soziologe), Prof. Norman Paech (Völkerrechtler Uni Hamburg) und Iris Hefets (Psychoanalytikerin, Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden) sprechen. Intension dieses Kongresses ist es, über die aktuelle Situation in den besetzten Gebieten und in Israel selbst zu berichten und über mögliche Perspektiven, die Besatzung und den Kriegszustand zu beenden.
Dagegen haben sich einige Gruppen und Einzelpersonen gewandt. Über 200 Mails und Drohungen gingen ein. Das Tagungshaus „Ka Eins“ wurde aufgefordert, die Vermietung der Räume zurückzunehmen. Dem schloss sich der ChristminusDemokrat Becker in Funktion als Bürgermeister an, bezeichnete die Tagung und ihr Ziel „antisemitische Stimmungsmache“ und gab dann den „Rat“, die Vermietung der Räume zu „überdenken“. Die Geschäftsführung des Tagungshauses gab auf bzw. nach, und kündigte den Veranstaltern die Räume. Diese klagten gegen diese Kündigung und bekamen vor dem Amtsgericht Recht. Die Konferenz wird stattfinden.
Nun fragt man sich oder reibt sich nur noch die Augen, was an dieser Veranstaltung „verbotswürdig“ ist?
Dazu muss man das Drehbuch kennen, das schon an sehr vielen Orten in der BRD benutzt wurde, um ähnlich ausgerichtete Veranstaltungen zu verhindern bzw. zu verbieten.
Akt I:
Klar, das wissen die Verbotsbefürworter immerhin: Die Besatzung von Ost-Jerusalem, der Westbank (Jordanien) und der Golanhöhen (Syrien) gibt es und diese zu kritisieren, sie sogar zu bekämpfen, ist keine wahnsinnige Selbstanmaßung – sondern Grundlage des UN-Völkerrechts.
Zahlreiche Resolutionen haben die illegalen und völkerrechtswidrigen Besetzungen zum Gegenstand. Das könne man thematisieren, räumen die Verbotsbefürworter den Veranstaltern rechtskundig ein, um im nächsten Atemzug hinzufügen, dass es sich hier um etwas ganz Anderes handele.
Akt II:
Wenn das eigentliche Anliegen nicht zu diskreditieren ist, dann muss man das Anliegen indirekt, über Bande sozusagen, ins Aus befördern, ihnen das Schutzschild legitimer Kritik aus der Hand schlagen. Dazu nehmen die Verbotsbefürworter die Beteiligung eines Zusammenschlusses zum Anlaß, der zum Boykott von Waren und Dienstleistungen aus den besetzten Gebieten aufruft:
„BDS heißt Boykott, Deinvestition und Sanktionen. Das ist eine Kampagne, die 2005 nach der Zweiten Intifada ins Leben gerufen wurde, als eine Form des gewaltlosen Widerstands nach dem Modell von Südafrika. Wir in Deutschland tun uns damit besonders schwer. In den USA haben etliche Kirchen ihre milliardenschweren Pensionsfonds von Aktienpaketen von Caterpillar oder Hewlett Packard wegen deren Engagements in Israel abgezogen. Diese Deinvestitionspolitik gilt gerade bei Kirchen als probates Mittel, um die PalästinenserInnen zu unterstützen und auf Apartheid und gravierende Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.“ (Annette Groth, Bundestagsabgeordnete der Linken, Kontext-Interview vom 31.5.2017)
Auch das ist eigentlich etwas ganz Banales und Rechtschaffendes: „Wirtschaftssanktionen“ werden von Regierungen seit Jahrzehnten verhängt und praktiziert, wenn diese zu der Überzeugung gekommen sind, dass das Völkerrecht gebrochen wurde und diplomatische bzw. politische Mittel erfolglos blieben, den völkerrechtswidrigen Zustand rückgängig zu machen.
Akt III:
Selbstverständlich hat das Wort „Boykott“ nicht überall denselben Klang, ruft je nach politischem und gesellschaftlichem Kontext recht unterschiedliche Erinnerung auf. Wenn man gerade in Deutschland also den „Boykott“ nahe an das Wort „Jude“ heranrückt, dann landet man schnell bei dem Boykottaufruf der Nazis in den 30er Jahren:
„Die Aktivisten der BDS-Bewegung fordern beispielsweise den Boykott von Waren, die in israelischen Siedlungen im Westjordanland produziert worden sind, oder zumindest deren Kennzeichnung. Damit legen sie die alte Nazi-Parole ‚Kauft nicht beim Juden!’ neu auf.“ (Benjamin Weinthal, Korrespondent der Jerusalem Post in Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Foundation for Defense of Democracies in Washington vom 1.3.2016)
Akt IV
Da der Boykott „Juden“ treffen soll, steht er in der Tradition des deutschen Faschismus, ergo ist dieser Boykottaufruf antisemitisch. Am Ende dieser Argumentationskette steht dann, dass man natürlich Kritik – auch am Staat Israel – üben dürfe: Aber es handele sich ja gar nicht um Kritik, sondern um „sekundären“ bis „strukturellen“ Antisemitismus. Schlußendlich gilt es nicht die Meinungsfreiheit zu verteidigen, sondern den Antisemitismus zu bekämpfen.
Schlachtgut Antisemitismus
In Deutschland (im Gegensatz zum Nahen Osten) hat der Antisemitismus eine lange Tradition und gehörte bereits vor der „Machtergreifung“ der Nazis zur Selbstfindung des „deutschen Wesens“.
Die Nazis nutzten diesen latenten bis offenen Antisemitismus, um ihn zur Staatsraison zu erheben. Auf dem Weg dorthin gab man die Parole „Kauft nicht bei Juden“ aus. Dieser folgten Pogrome, später die Entfernung aller Juden aus dem Staatsdienst bis hin zur industriellen Vernichtung, wofür die Chiffre „Auschwitz“ sinnbildlich steht. Um für dieses Menschheitsverbrechen zu werben, behauptete man, dass die Juden die eigentliche Macht inne hätten, dass sie sich heimlich gegen die „Deutschen“ verschworen hätten, dass sie an allem schuld sind. Zum Grundgerüst des Antisemitismus gehört also eine Umkehrung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse und das Konstrukt vom „ewigen Juden“, also die konstitutive Lüge, dass Juden alle gleich seien und zusammen ein ganz heimtückisches Ziel verfolgen. Ein Ziel, das man in sie hineinprojiziert, um es selbst in die Tat umzusetzen.
Was hat das mit dem Aufruf zu tun, israelische Waren und Dienstleistungen aus den besetzten Gebieten zu boykottieren?
Dass es Assoziationen gibt, die diesen Aufruf mit dem Aufruf der Nazis gleichsetzen, ist verständlich und ernst zu nehmen. Assoziationen haben aber per se nicht recht, schon gar nicht, wenn man sie nicht überprüft. Assoziationen sind nicht das letztes Wort, sondern eine Aufforderung, ihrer Berechtigung nachzugehen. Und Assoziationen können politische Zusammenhänge und historische Kontexte zuschütten, eine (signifikant andere) Gegenwart in eine immer währende bzw. drohende Vergangenheit verwandeln.
Und genau dies passiert, wenn man den heutigen Boykottaufruf israelischer und palästinensischer Gruppen für Antisemitismus hält.
Der Boykottaufruf richtet sich nicht gegen „die Juden“, sondern gegen die Nutznießer, gegen die Profiteure der Besatzung. Weder im Vordergrund, noch im Zentrum steht das Jüdisch-Sein, sondern der Besatzungsstatus. Der Aufruf zielt nicht auf ein ethnisches Sein, sondern auf ein bestimmtes, also veränderbares Tun, also ausschließlich und explizit gegen jene, die von dem Besatzungsstatus leben bzw. profitieren.
Der Boykottaufruf der Nazis „Kauft nicht bei Juden“ hat auf eine Bevölkerungsgruppe gezielt, die bereits diskriminiert, markiert und …. schutzlos war. Im Gegensatz zum antisemitischen Theorem vom allmächtigen Juden waren Juden in Deutschland macht- und einflußlos. Und die wenigen Juden, die es zu Macht und Anerkennung geschafft hatten, hatten diese nicht wegen ihres Jüdisch-Seins, sondern – wie alle anderen auch – wegen ihres materiellen Vermögens.
Es gehört schon viel Dreistigkeit dazu, dieses Ausgeliefertsein als Jude im Deutschland der 30er Jahre mit der Situation von israelischen Besatzern zu vergleichen. Sie diktieren das Leben der unter Besatzung Lebenden. Sie sind die Herren, sie sind bewaffnet, sie sind in der Lage, den Besatzungsstatus aufrechtzuerhalten – gegen das UN-Recht, gegen alle UN-Resolutionen, gegen internationale Proteste, gegen alle Aufstände in den besetzten Gebieten selbst.
Dieser Boykottaufruf trifft also auf Mächtige, zielt auf eine israelische Besatzungsmacht, die die unter ihr Lebende zu Geißeln ihres Wohlwollens macht.
Genau aus diesem Grund täuscht der Vergleich zum Nazi-Boykottaufruf der 30er Jahre ein Geschichtsbewußtsein vor, das es vielmehr trivialisiert. Man befruchtet Assoziationen, die einen wesentlichen Unterschied außer Acht lassen, um die nicht nur die Besatzer wissen.
Der heutige Boykottaufruf trifft nicht auf Wehrlose und in ihrem Leben Diskriminierte, sondern auf Israelis, die in aller Regel über das Leben der anderen bestimmen, mit all den Privilegien, die eine Besatzung mit sich bringt.
Wenn man also wirklich gegen Antisemitismus kämpfen will und das ist mehr als notwendig, dann gehört ganz wesentlich dazu, Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht zu verschleiern, umzukehren, sondern offen zu legen.
Wolf Wetzel
Wer die wechselhafte Geschichte der Linken zu Israel verfolgen will, dem sei folgender Text ans Herz gelegt:
Die verlorene Unschuld – zum Teufel mit den Opfern. Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel
Auszug aus dem Buch: Die Hunde bellen …Von A bis…(R)Z. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Unrast-Verlag, 2001
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Dass sich die Partei Die Linke als ausgewiesene Israelfeinde ganz offen zeigen, entspricht genau ihrer Gesinnung nach dem linksfaschistischen Modell. Danke! Solch eine Partei in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, in dem jüdische Bürger wieder um Leib und Leben fürchten müssen. Die Zuwanderung aus Ländern des politischen Islams sind die immerwährende Gefahr; nicht nur für die Juden, sondern auch zukünftig für Christen und Andersgläubige. Aber auch Parteien wie SPD tarnen sich als “Good Friends”, während ihre politische Haltung etwas ganz anderes zeigt. Henryk M. Broder kann vom klandestinen Abtisemitismus der etablierten Parteien ein Lied singen.
Und wenn man die deutsche Bundesregierung kritisiert, ist man “Deutschlandfeind”. Geht es noch viel dümmer und völkischer?