Den Rubikon überschreiten – Projektvorstellung im Nachrichtenmagazin „Hintergrund“

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Den Rubikon überschreiten

Als Gaius Julius Caesar mit seinen Truppen 49 v. Chr. den Rubikon – ein kleiner Fluss, der in die Adria mündet – überschritt, war das gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an den Römischen Senat. Caesar war sich bewusst, dass es ab diesem Punkt kein Zurück mehr gab, was er in dem berühmten Zitat „Der Würfel ist geworfen worden“ zum Ausdruck brachte. Noch heute steht der Ausdruck „den Rubikon überschreiten“ dafür, sich unwiderruflich auf eine riskante Handlung einzulassen.
Rubikon-Schrift
Seit April bereichert ein neues Projekt die Medienlandschaft, das den herrschenden Verhältnissen den Kampf ansagt: der Rubikon (www.rubikon.news). Wir möchten an dieser Stelle unseren Lesern und Leserinnen das neue Online-Portal vorstellen.

Schon deshalb, weil es einen ähnlichen Selbstanspruch wie Hintergrund hat: „Rubikon ist das Magazin für die kritische Masse. Wir berichten über das, was in den Massenmedien nicht zu finden ist.“
Die ersten auf Rubikon veröffentlichten Artikel zeugen davon. So widmet sich Karin Leukefeld in ihrem Artikel Israel jenseits des Völkerrechts? der Frage, ob der Siedlerstaat ein Apartheid-System errichtet hat. In seinem Beitrag Die deutsche Musterschülerin erkennt Werner Rügemer in Bundeskanzlerin Merkel, der „wichtigsten Duckmäuserin im NATO-Kapitalismus“, ein „populistisches Kunstprodukt“.
Während Joachim Kaiser die Frage in den Raum wirft: Brauchen wir einen linken Populismus?, geht Florian Ernst Kirner alias Prinz Chaos II. in seinem Beitrag Karl Marx als Verschwörungstheoretiker der Frage auf den Grund, warum heutzutage „auch manche Linke sehr schnell mit dem Vorwurf der ‚Verschwörungstheorie‘ bei der Hand“ sind. Ergänzend spricht der Schweizer Friedensforscher und Buchautor Daniele Ganser in Vorsicht, Verschwörungstheorie! über „den Informationskrieg in den Massenmedien“ und darüber, wie „Kriegspropaganda funktioniert“.
Und natürlich: An allem ist der Russe schuld! In ihrem gemeinsamen Beitrag kritisieren Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer die „Propaganda des Staatsfernsehens“ und konstatieren: „Der Rundfunk ist Teil des Herrschaftsapparats!“ Und was die sozialen Verhältnisse in unserem Land betrifft, kommt Klaus-Jürgen Bruder zu der Feststellung: Das Elend ist beabsichtigt.
Die inhaltliche Nähe zu Hintergrund ist nicht ganz zufällig, schließlich haben viele der Rubikon-Autoren und Autorinnen in den vergangenen Jahren auch für unser Magazin Beiträge geleistet. Auch im Beirat der neuen Medienplattform finden sich Gesichter wieder, die unserer Leserschaft vertraut vorkommen dürften.
Neben den bereits genannten Werner Rügemer und Karin Leukefeld sind dort beispielsweise Hannes Hofbauer, Werner Ruf, Walter von Rossum und Mathias Bröckers vertreten.
Die Artikel auf Rubikon erscheinen unter einer Creative Commons-Lizenz, dürfen also für nicht-kommerzielle Zwecke von anderen Medien unter Kennzeichnung der Urheberschaft übernommen werden. Das Angebot ist für die Leserschaft kostenfrei und finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Eine weitere Gemeinsamkeit zum Hintergrund: Keine Werbung verunstaltet die Webseite.
Presserechtlich verantwortlich ist Jens Wernicke, vielen sicherlich durch seine Beiträge für die NachDenkSeiten in guter Erinnerung. Zur Redaktion gehört auch Wolf Wetzel, der in den vergangenen Jahren immer wieder den NSU-Komplex in Hintergrund kritisch durchleuchtet hat. Er stellt im Folgenden das Rubikon-Projekt mit eigenen Worten vor:
Ein erst einmal irritierender Grund, dieses Magazin zu machen, war die Bereitschaft der verschiedenen Leute, sich zu beteiligen. Man war sich nicht gänzlich unbekannt, aber die unterschiedlichen Biographien, Themenschwerpunkte und politischen Standorte, aber auch die verschiedenen Publikationsorte bestimmten die Flüchtigkeit der Bekanntschaft. All diese geschätzten und streitbaren Unterschiedlichkeiten zusammen zu bringen, macht(e) den Reiz dieses Unternehmens aus.
Der zweite wichtige Grund betrifft wahrscheinlich viele, die diese Idee gut fanden und ins Leben stemmten: Wer heute politische Texte und Beiträge verfasst, die die herrschende „Ordnung“ weder für alternativlos noch für unveränderlich halten, vielmehr für notwendig überwindbar, der findet immer weniger publizistische Orte. Doch nicht nur dieser Schrumpfungsprozess ist ein Problem, sondern auch die scheinbare Antwort darauf, das Zaumzeug noch mehr anzuziehen, also eine meist imaginäre „Linie“ zu ziehen, an die man sich zu halten hat, wenn man dort publizieren möchte. Das machte das Flussbett der Meinungen und Positionen immer enger und jeden wertvollen Streit über verschiedene Positionen und Einschätzungen immer unwahrscheinlicher.
Das – nicht uferlose – Gegenteil machte offensichtlich viel Hoffnung: Die meist engen Ställe, in den sich gute Pferde befinden, aufzumachen, die Pferde zu reiten, sie zusammen laufen zu lassen, also über die Zäune zu springen, anstatt die Wachen an den Zäunen (des Erlaubten) zu verstärken. Anders gesagt: Einige von uns wollten nicht mehr so viele Linienrichter beachten, sondern erst einmal auf den Platz kommen, anstatt immer zu hören, was gar nicht geht. Also an- und zuhören, um eine Diskussion zu ermöglichen, anstatt Meinungen zu „dissen“.
Das meint keine Beliebigkeit, sondern die Lust und Notwendigkeit, wieder Debatten anzuzetteln und zu führen, die bereichernd sind, die mehr sind als schnelle Etikettierungen und Zuschreibungen. Unser Anliegen ist es, Streitfähigkeit wieder attraktiv und als belebend erfahrbar zu machen. Auch geht es darum, Kritik an der eigenen Position nicht als Zumutung, sondern Herausforderung zu begreifen, sich den Argumenten anderer zu stellen und zu öffnen, die eigene Schlüssigkeit zu überprüfen und die eigenen Prämissen zu hinterfragen.
Das wollten und wollen wir auch mit dem Beirat ausdrücken, der mit den Verschiedenheiten arbeitet und Ausgangspunkt sein soll, auch die eigenen Positionen zur Diskussion zu stellen. Es wird nicht verwundern, wenn die einen diesen oder jenen Beirat nicht „mögen“ und sich fragen, wie das zusammengeht. Da ist ein Liedermacher Konstantin Wecker und ein Geschichts- und Friedensforscher Dr. Ganser, die Schriftstellerin Daniela Dahn und der Psychologe und Psychoanalytiker Klaus-Jürger Bruder, die Auslandskorrespondentin und Publizistin Karin Leukefeld und die Industriesoziologin und Publizistin Mag Wompel, um nur einige zu nennen.
All diese Personen haben weder dasselbe erlebt, noch ziehen sie aus ähnlichen Erlebnissen dieselben Schlussfolgerungen. Weder werden sie von allen geschätzt, noch haben sie alle Recht. Sie stehen beispielgebend für das, was wir als Bereicherung begreifen: Unterschiedliche Zugänge, verschiedene Perspektiven und Antworten.
Wenn es uns also gelingt, in Kenntlichmachung und Anerkennung dieser Unterschiedlichkeiten die Konvergenzen zum Schwingen zu bringen, dann überschreiten wir auch hier einen Rubikon – das Schweigen in der Differenz.
Ich möchte noch einen Ball ins Spielfeld von Rubikon werfen, der mir sehr am Herzen liegt. Ganz sicher ist es etwas Neues und überschreitet die normale Komposition von Magazinen.
Als das Internet noch nicht so verbreitet war, war es schwierig, zu brisanten politischen Themen radikale, dissidente Positionen zu veröffentlichen. Das ist heute dank der zahllosen Blogs nicht mehr das Problem. Stattdessen sind wir mit einer Vielheit und Verschiedenheit konfrontiert, die oft mehr erschlagend als erhellend ist. Meist liegt es daran, dass die Prämissen dieser Positionen und Weltsichten unausgesprochen bleiben. Die Selbst-Einsichten verharren zu oft im fußnahen Horizont des Anliegens. Das eigene Verständnis, die eigenen Annahmen „aufzubohren“, das Fundament sichtbar zu machen, auf dem man steht, und die Werkzeuge, derer man sich bedient, sollte wieder „Schule“ machen.
In unserer Rubrik Werkzeug- und Prämissenkunde geht es deshalb darum, anhand von Texten die verschiedenen „Werkzeuge“ wie Ideologiekritik, Staatskritik, politische Ökonomie, Systemanalysen, Diskurstheorien, Rassismus- und Gendertheorien ausfindig zu machen. Ziel ist es, sowohl Auslassungen besser einzuordnen, als auch ihre Anwendung und ihren Nutzen zu analysieren.
Die Kritik an den herrschenden Medien ist laut und ganz sicher auch in vielen Blogs zu finden. Das Magazin in dieser Form soll also ein Versammlungsort sein (und werden) und kein Vereinshaus. Dass diese Unabhängigkeit nicht nur Widerspruch zum Bestehenden ist, sondern auch uns selbst verändern soll, wäre ein lohnenswertes Ziel.
Dazu brauchen wir Geduld und die Lust der Leserinnen und Leser, mitzumachen – indem sie Beiträge schreiben und neue Bälle aufs Spielfeld werfen – und Geld in die Rubikon-Spendendose. Neben der Ausdauer und Neugierde sind wir also auch auf Einzel- und Dauerspenden angewiesen, mit der Gewissheit, dass man damit keine Meinung gekauft hat, aber das Spielfeld ermöglicht, auf dem wir zusammenkommen können.
Wolf Wetzel | Redakteur von Rubikon
https://www.rubikon.news/
publiziert in der Nachrichtenmagazin „Hintergrund“ 2/2017: https://www.hintergrund.de
 

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4 Kommentare

  1. lieber wolf wetzel,
    “das spielfeld, auf dem wir zusammen kommen können” >>> ohne fouls und als ausweitung der lebensfreude … erfordert viele neue gedanken von teilhabe-strukturen, die wohl in vielen köpfen rumgeistern. doch schon goethe hat davor im “zauberlehrling” gewarnt, in dem er vorführte was passiert, wenn die “zauberformel” gar nicht bekannt ist …
    auch meine würfel fliegen durch die luft – wohl so lange, bis diese zauberformel gefunden ist:-)))
    ich lese schon ewig alle ihre beiträge … überhaupt lese ich viel … doch wenn alle NUR lesen (oder schreiben) ist es mit “zusammenkommen” nicht ganz einfach
    hier ein beitrag dazu von mir:
    https://neue-debatte.com/2017/05/01/ueber-psychologie-interpretation-und-die-macht-der-whistleblower/
    grüße marie

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