Regime change in Griechenland – mit Selbstbeteiligung

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Regime change in Griechenland – mit Selbstbeteiligung

Es gibt zwei Möglichkeiten, eine verhasste Regierung zu stürzen. Die erste ist blutig und der Aggressor zeigt sich dabei, indem er militärisch in das Land einmarschiert.
Die zweite Möglichkeit, eine verhasste Regierung zu stützen besteht darin, sie dazu zu zwingen, Entscheidungen zu treffen, die sie politisch nicht überleben wird. Der Aggressor bleibt bei dieser Variante im Hintergrund. Er schafft nur die Bedingungen dafür, dass genau das eintritt, was auch mit einer militärischen Lösung beabsichtigt ist: Ein Regime change. Letzteres ist in Griechenland eingetreten bzw. steht in Raten bevor.

Insel-kaufen-2010

Das Parteienbündnis Syriza, das die Wahlen Anfang 2015 gewonnen hatte, wird das Gegenteil von dem umsetzen, wofür es gewählt wurde.
Syriza wird auseinanderfallen. Sie wird keine Regierungsmehrheit mehr haben. Das heißt, sie wird ein ›Abkommen‹ umsetzen, mit den Stimmen derer (NC und PASOK) , die sie noch vor den Wahlen Anfang 2015 als Mitverursacher des Schuldenregimes verurteilt hatte.
Und Syriza wird den Ausgang des Referendums eigenhändig ins Gegenteil verwandeln und etwas umsetzen, was noch schlimmer ist als das, was mit dem Referendum mit großer Mehrheit zurückgewiesen wurde.
Natürlich fragt man sich: Warum hat Syriza das Referendum überhaupt abgehalten, warum hat sie das hervorragende Ergebnis nicht genutzt? Was ist in der Zeit vor und nach dem Referendum passiert? Was passierte in den Verhandlungen?
Der zurückgetretene Finanzminister Varoufakis gab in einem Interview, das kurz vor der ›Einigung‹ geführt wurde, einige sehr wichtige Einblicke – in die Verhandlungsfarce, in die Überlegungen, die innerhalb Syriza angestellt wurden und an einigen Stellen des Interviews nähert er sich auch der Frage: Warum eine Unterwerfung fast zwangsläufig ist, wenn eine machbare Alternative (sowohl in finanztechnischer, als auch in macht-politischer Hinsicht) fehlt.
Die Zeitung »New Statesman« interviewte Yanis Varoufakis, der über fünf Monate Finanzminister in Griechenland war. Nach dem erfolgreichen Referendum am 5.7.2015 signalisierte die Troika, dass man den Finanzminister Yanis Varoufakis nicht mehr am Verhandlungstisch sehen möchte. Syriza folgte diesem Diktat. Yanis Varoufakis trat zurück.

»Sie haben uns in die Falle gelockt«

Harry Lamberts: Und, wie fühlen Sie sich?
Yanis Varoufakis: Ich fühle mich überragend – Ich muss nicht länger nach diesem hektischen Terminplan leben, der war absolut unmenschlich, einfach unglaublich. Ich hatte fünf Monate lang zwei Stunden Schlaf pro Nacht. Ich bin außerdem erleichtert, dass ich nicht mehr diesen unfassbaren Druck aushalten muss, von einer Position aus zu verhandeln, die ich schwierig zu verteidigen finde, selbst wenn es mir gelänge, die andere Seite zum Nachgeben zu bringen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.
Wie war es denn? Hat Ihnen irgendetwas daran gefallen?
Na klar, eine Menge. Aber die Informationen, die man aus dem inneren Kreis erhält… deine schlimmsten Befürchtungen werden bestätigt… Die Mächtigen sprechen direkt mit dir, und dann ist es so wie man befürchtet – sogar schlimmer als man es sich vorgestellt hat! Also, es hat Spaß gemacht, einen Sitz in der ersten Reihe zu haben.
Worauf spielen Sie an?
Das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel unter den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie. Das ziemlich deutliche Verständnis auf der anderen Seite, dass wir analytisch übereinstimmen – aber das selbstverständlich niemals etwas herauskommen wird. [Und dann] schauen dir sehr mächtige Personen in die Augen und sagen: »Sie haben recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Sie trotzdem zerquetschen.«
Sie haben gesagt, Gläubiger waren gegen Sie »weil ich in der Eurogruppe versuche, ökonomisch zu argumentieren, was dort niemand sonst tut.« Was ist passiert als sie das taten?
Es ist nicht so, dass es nicht gut aufgenommen worden wäre – es ist eher so, dass es eine vollständige Verweigerung gab, sich auf ökonomische Argumentationen einzulassen. Unverblümt. Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist – und dann schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genau so gut die schwedische Nationalhymne singen können – Sie hätten dieselbe Antwort bekommen. Und für jemanden, der akademische Debatten gewöhnt ist, ist das ist erschreckend. (…)
Als Sie zum ersten Mal in der Eurogruppe dabei waren, Anfang Februar, da kann das doch keine einheitliche Position gewesen sein?
Naja, da gab es Leute, die auf einer persönlichen Ebene aufgeschlossen waren – also hinter verschlossen Türen, auf einer informellen Basis, insbesondere vom Internationalen Währungsfonds IWF.
Auf höchster Ebene?
Auf höchster Ebene, auf höchster Ebene. Aber dann, in der Eurogruppe, ein paar nette Worte und das war’s, zurück hinter die Barrikaden der offiziellen Version. Aber Wolfgang Schäuble war die ganze Zeit konsistent. Seine Sicht lautete: »Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der Vorgängerregierung akzeptiert und wir können unmöglich erlauben, dass eine Wahl etwas verändert. Schließlich haben wir andauernd Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn sich jedes Mal nach einer Wahl etwas verändern würde, würden die Verträge zwischen uns bedeutungslos werden.« An diesem Punkt musste ich dazwischengehen und sagen: »Okay, dann sollten wir vielleicht einfach keine Wahlen in verschuldeten Ländern mehr abhalten.« Und es gab keine Antwort. Die einzige Interpretation, die ich dafür liefern kann, ist: »Ja, das wäre eine gute Idee, aber es wäre schwierig sie umzusetzen. Unterschreiben Sie also entweder auf der gepunkteten Linie oder Sie sind raus.« (…)
Also: Warum sind Sie bis zum Sommer da geblieben?
Naja, es gab keine Alternative dazu. Unsere Regierung wurde mit einem Mandat gewählt, Verhandlungen zu führen. Unser wichtigstes Mandat war, Zeit und Raum für Verhandlungen zu schaffen und zu einer anderen Übereinkunft zu kommen. Das war unser Mandat – unsere Aufgabe war es zu verhandeln, es ging nicht darum, sich mit den Gläubigern zu überwerfen. (…)
Wir fühlten, die Regierung fühlte, dass wir diesen Prozess nicht abbrechen dürfen. Sehen Sie, mein Vorschlag zu Beginn war dieser: Das ist ein Land, das vor einer langen Zeit auf Grund gelaufen ist. …Natürlich müssen wir dieses Land reformieren – wir stimmen hier überein. Weil Zeit so wichtig ist und die Zentralbank uns [die griechischen Banken] während der Verhandlungen das Geld abdrehte, um uns unter einen Druck zu setzen, dem wir nicht standhalten, war mein Vorschlag die ganze Zeit über ein sehr einfacher: Lasst uns Einigkeit über drei oder vier wichtige Reformen erzielen, etwa das Steuersystem, die Mehrwertsteuer, und sie umgehend umsetzen. Und schon hätte man die Liquiditäts-Restriktionen der EZB abschwächen können. Ihr wollt eine umfassende Lösung – lasst uns weiter verhandeln – und in der Zwischenzeit lasst uns diese Reformen im Parlament als Übereinkunft zwischen uns und euch vorstellen.
Aber sie sagten: »Nein, nein, nein, das muss eine vollständige Überprüfung (der Maßnahmen) geben. Nichts wird umgesetzt, sollten sie es wagen, irgendwelche Gesetze einzubringen. Dies wird als einseitiges Handeln verstanden, das den Einigungsprozess behindert.« Und dann, ein paar Monate später, steckten sie natürlich zu den Medien durch, dass wir das Land nicht reformiert hätten und Zeit vergeudeten! Und so… [kichert] wurden wir auf eine gewisse, wichtige Weise, in die Falle gelockt. (…)
Haben Sie versucht, mit Regierungen anderer verschuldeter Staaten zusammenzuarbeiten?
Die Antwort ist nein. Und der Grund dafür ist sehr einfach: Von Anfang an haben die betreffenden Länder überdeutlich klargestellt, dass sie die energischsten Feinde unserer Regierung sind, von Anfang an. Der Grund hierfür ist, dass ihr größter Albtraum unser Erfolg ist: Hätten wir es geschafft, einen besseren Deal für Griechenland auszuhandeln, würde sie das politisch natürlich vernichten, sie müssten ihrer eigenen Bevölkerung erklären, warum sie nicht so verhandelt haben, wie wir es taten. (…)
Was ist generell das größte Problem in der Funktionsweise der Eurogruppe?
Es gab einen Moment, an dem der Präsident der Eurogruppe sich dazu entschied, sich gegen uns zu positionieren, uns effektiv ausschloss und in der Öffentlichkeit erklärte, dass Griechenland sich im Grunde auf dem Weg raus aus der Eurozone befindet. Es gibt die Tradition, dass die Erklärungen der Eurogruppe einstimmig sein müssen und ihr Präsident kann nicht einfach ein Treffen einberufen und einen Mitgliedsstaat rausschmeißen. Und er sagte: »Oh, ich bin mir sicher, dass ich das tun kann.« Also fragte ich nach einer juristischen Einschätzung. Das hat ein bisschen für Durcheinander gesorgt. Für fünf oder zehn Minuten wurde das Treffen unterbrochen, Mitarbeiter, Offizielle redeten miteinander, telefonierten. Schließlich richtete ein Offizieller, ein juristischer Experte das Wort an mich und sagte die folgenden Worte: »Nun, die Eurogruppe gibt es juristisch gesehen gar nicht, es gibt keinen Vertrag, der die Einberufung dieser Gruppe regelt
Was wir also haben, ist eine nicht-existente Gruppe, die die größte Macht besitzt, die Leben der Europäer vorzubestimmen. Sie ist niemandem verpflichtet, da sie juristisch nicht existiert; keine Protokolle aufbewahrt und vertraulich agiert. Also wird kein Bürger jemals erfahren, was darin diskutiert wurde. … Das sind fast Entscheidungen über Leben und Tod und kein Mitglied muss sich vor irgendjemand rechtfertigen. (…)
Würde ein Grexit der Goldenen Morgenröte (…) helfen, denken Sie das noch immer?
Nun ja, sehen Sie, ich glaube nicht an die deterministischen Versionen von Geschichte. SYRIZA ist jetzt eine sehr dominante Kraft. Falls wir es hinbekommen sollten, gemeinsam aus diesem Schlamassel herauszukommen und einen Grexit ordentlich handhaben … wäre eine Alternative möglich. Aber ich bin mir nicht sicher, dass wir das hinbekommen, weil es erhebliche Expertise voraussetzt, den Zusammenbruch einer Währungsunion zu steuern. Und ich bin mir nicht sicher, dass wir die hier in Griechenland ohne Hilfe von außen besitzen.
Sie müssen seit dem ersten Tag über einen Grexit nachgedacht haben…
Ja, absolut.
… sind Vorbereitungen getroffen worden?
Die Antwort lautet Ja und Nein. Es gab eine kleine Gruppe, ein »Kriegskabinett« innerhalb des Ministeriums, ungefähr fünf Leute die folgendes gemacht haben: Wir haben das theoretisch, auf dem Papier ausgearbeitet, alles, das im Falle dessen gemacht werden müsste [um sich auf den Fall des Grexit vorzubereiten]. Aber es ist die eine Sache, das mit vier oder fünf Leuten zu machen, es ist etwas ganz anderes, ein Land darauf vorzubereiten. Um das Land darauf vorzubereiten, müsste eine Entscheidung der Regierungsspitze getroffen werden – und diese wurden nie getroffen. (…)
Okay. So weit ich es erkennen kann, gab es zwei Optionen – einen unmittelbaren Grexit oder die Ausgabe von Schuldscheinen (IOUs) und die Übernahme der Kontrolle über die griechische Zentralbank [möglicherweise aber nicht zwingend einen Grexit vorwegnehmend]?
Sicher, sicher. Ich habe nie geglaubt, dass wir sofort zu einer eigenen Währung übergehen sollten. Mein Standpunkt, den ich gegenüber der Regierung vertreten habe, war, dass, falls sie versuchen sollten, unsere Banken zu schließen, was ich als ein aggressives Manöver von unglaublicher Wucht einschätzte, wir auch aggressiv antworten sollten, allerdings ohne den Point of no Return zu überschreiten.
Wir sollten unsere eigenen Schuldscheine ausgeben oder wenigstens verkünden, dass wir unsere eigene, an den Euro gebundene Währung einführen; wir sollten einen Schuldenschnitt an den griechischen Anleihen vornehmen, die seit 2012 von der EZB gehalten werden oder ankündigen, dies zu tun; und wir sollten die Kontrolle der Griechischen Zentralbank übernehmen. Das war das Tryptichon, das waren die drei Dinge, mit denen ich glaubte, auf eine Bankenschließung in Griechenland durch die EZB reagieren zu können.
Ich habe das Kabinett davor gewarnt, dass dies passieren würde, einen Monat lang, dass sie die Bankenschließung erzwingen, um uns eine demütigende Vereinbarung aufzudrängen. Als es passierte – und viele meiner Kollegen konnten nicht glauben, dass es passierte – war mein Vorschlag , »energisch« zu reagieren. Sagen wir mal, ich wurde überstimmt.
Und wie kurz davor war es, dass es doch passiert?
Lassen Sie es mich so sagen: Von sechs Leuten waren wir eine Minderheit von zwei. … Dann erhielt ich die Anweisungen, die Banken in Übereinstimmung mit der EZB und der griechischen Nationalbank zu schließen. Ich war dagegen, aber ich tat es, weil ich ein Teamplayer bin, ich glaube an kollektive Verantwortung.
Und dann kam das Referendum und es gab uns einen unglaublichen Aufwind, einen der diese Art energischer Antwort auf die EZB gerechtfertigt hätte. Aber noch in der Nacht hat die Regierung beschlossen, dass der Wille des Volkes, das schallende »Nein«, den energischen Plan nicht »energetisieren« sollte.
(…)
Sie können nicht mehr viel Hoffnung haben, dass der Deal besser wird als der in der letzten Woche – falls es nicht sogar schlimmer wird?
Wenn überhaupt wird es schlimmer werden. Ich hoffe und vertraue darauf, dass unsere Regierung auf einer Umschuldung beharrt, aber ich kann nicht erkennen, dass der deutsche Finanzminister jemals so etwas auf einem der nächsten Treffen der Eurogruppe unterschreibt. Falls doch, wäre das ein Wunder. (…)
Wären Sie schockiert, wenn Tsipras zurückträte?
Mich schockiert in diesen Tagen nichts. Unsere Eurozone ist ein sehr unwirtlicher Ort für anständige Leute. Es würde mich auch nicht schockieren, wenn er bleibt und ein sehr schlechtes Abkommen akzeptiert. Denn ich kann verstehen, dass er eine Verpflichtung gegenüber den Menschen fühlt, die ihn dabei unterstützen, uns unterstützen, dieses Land nicht zu einem gescheiterten Staat werden zu lassen.
Aber ich werde nicht meine eigene Sicht verraten, die ich damals, 2010, entwickelte, nämlich dass dieses Land aufhören muss, neue Kredite aufzunehmen und so zu tun, als ob wir das Problem gelöst hätten, wenn es nicht stimmt. Wenn wir unsere Schulden noch weniger nachhaltig gestalten, sogar unter Konditionen von noch mehr Austerität, wird das unsere Wirtschaft noch weiter schrumpfen lassen und die Last denen aufbürden, die nichts besitzen und dadurch eine humanitäre Krise verursachen. Das ist etwas, das ich nicht akzeptieren werde. Ich werde da nicht mitmachen.«

Wolf Wetzel | 15.7.2015

Das Interview in voller Länge findet sich dort:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/977827.sie-haben-uns-in-die-falle-gelockt.html

Ein Beitrag, der die die Situation vor dem Referendum beschreibt, findet sich hier:
Griechenland – Quo Vadis – the last und the next exit
»Was sie mit Griechenland machen, hat einen Namen – Terrorismus.« (griechischer Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis am 4.7.2015)

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