Zehn NSU-Morde und drei tote Zeugen
(aktualisiert am 1.4.2015)
Am 28. März 2015 wurde »eine 20-jährige Zeugin im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) tot in ihrer Wohnung aufgefunden.« Laut Polizeiangaben wurde sie von ihrem Lebensgefährten mit Krampfanfällen in der Wohnung gefunden. Die herbeigerufenen Ärzte konnten ihr Leben nicht retten. Einem vorläufigen Obduktionsbericht zufolge sei sie an einer Lungenembolie gestorben.
Wie eine 20-Jährige an einer Lungenembolie sterben kann, erklärten die Ermittler auch. Sie habe sich vier Tage zuvor eine Prellung im Knie zugezogen, die auch ärztlich behandelt wurde, wozu auch eine Thrombosevorsorge zählte. Diese sollte jedoch nicht verhindern, dass sich ein Thrombus gelöst habe, der letztendlich die Lungenembolie verursacht habe.
Genau so sehen das Dr. Tobias Wagner/Staatsanwalt und Fritz Bachholz/Erster Polizeihauptkommissar in einer gemeinsamen Pressekonferenz vom 30.3.2015.
Es ist die dritte Zeugin, die aufgrund von gemachten Aussagen zum NSU-VS-Komplex, stirbt. Sie heißt Melisa Marijanovic.
Sie wurde als Freundin von Florian Heilig im parlamentarischen Untersuchungsausschuss/PUA in Baden-Württemberg am 13. März gehört. Dass sie sich bedroht fühlte, war sowohl dem LKA Stuttgart als auch dem PUA bekannt. Aus diesem Grunde schilderte sie ihre Erinnerungen in einer nicht-öffentlichen Sitzung.
Tatsache ist, dass Melisa Marijanovic im Todesermittlungsverfahren von Florian Heilig eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Ihretwegen soll sich Florian Heilig selbst getötet haben. Laut Ermittlungsakten suchten Ermittler Melissa Marianovic auf, trafen sie jedoch nicht an. Ohne sie jemals befragt zu haben, blieb man bei dem Motiv ›Liebeskummer‹. Man wollte sie nicht hören, man wollte ihre Aussagen nicht zur Kenntnis nehmen.
Es war und ist nicht den polizeilichen Ermittlern zu verdanken, dass Melissa Marijanovic als Zeugin benannt und schließlich im NSU-Ausschuss auch gehört wurde. Dass weder die kurze Beziehung, noch die Trennung Liebeskummer bei Florian Heilig ausgelöst hatten, ist nun aktenkundig. Dass das von der Polizei erfundene Selbstmordmotiv einem Strohhalm gleicht, mußte wenig später auch die Staatsanwaltschaft zur Kennntis nehmen: Das Todesermittlungsverfahren wurde wieder aufgenommen.
Zu viele seltene Todesursachen zur passenden Zeit
Wenn Florian Heilig nicht aus Liebeskummer gestorben ist, dann muss man auch die Lungenembolie bei Melisa Marijanovic als Todesursache anzweifeln. Zuviele Zeugen sterben in Baden-Würtemberg an seltenen Krankkeiten, unter außergewöhnlichen Umständen – immer dann, wenn wichtige Aussagen bevorstehen, wenn sie Aussagen gemacht haben. Aus diesem Grunde ist es mehr als notwendig, an das Wahrscheinliche zu erinnern.
Der ehemalige Neonazi und Zeuge Florian Heilig starb am 16. September 2013 – auf dem Weg, seine im Jahr 2011 gemachten Aussagen zum NSU, zur NSS und zum Mordanschlag in Heilbronn 2007 zu wiederholen bzw. präzisieren. Zwischen der Bereitschaft, diese Aussagen zu machen und dem Liebeskummer, der seinen Selbstmord erklären soll, lagen genau acht Stunden. Exakt acht Stunden brauchte auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Stuttgart, um sich auf die Todesursache festzulegen: Suizid. Noch während der Obduktion, ohne die Ermittlungen abzuwarten.
Thomas Richter, besser bekannt unter seinem Decknamen ›Corelli‹ sollte im April 2014 als Zeuge im NSU-Prozess in München gehört werden. Dazu kam es nicht. Laut Polizeiangaben wurde er Ende März tot in seiner Wohnung nahe Bielefeld gefunden. Auch ›Corelli‹ starb an einer äußerst seltenen Krankheit – wenn man dem Obduktionsbericht noch Glauben schenken will: »an einer nicht erkannten Zuckererkrankung«.
Auf jeden Fall starb er rechtzeitig, denn er hätte mit seinem Wissen die komplette Anklageschrift für den Prozess in München zerlegen können:
Thomas Richter war einflussreicher Neonaziaktivist aus Sachsen-Anhalt. Unter dem Decknamen ›Corelli‹ lieferte er –nach offizielen Angaben – von 1997 bis 2007 dem Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen, unter anderem aus einem deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klans. »Thomas R. engagierte sich (…) bei dem rechten Fanzine ›Der Weiße Wolf‹ in dessen Ausgabe Nummer 18 im Jahr 2002 ein interessantes Vorwort erschienen ist. Fettgedruckt, ohne nähere Erläuterung, heißt es da: ›Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter …‹. (Spiegel-online vom 18.9.2012)
Dass ein V-Mann als Verbindungsglied zwischen der neonazistischen Kameradschaft THS, dem KKK-Ableger in Baden-Württemberg und dem NSU im Untergrund agierte, hätte die bis heute aufrechterhalte Legende zerstören können, staatliche Behörden hätten dreizehn Jahre nichts gewußt.
Und nun der Tod von Melisa Marijanovic. Mit 20 Jahren an einer Verletzung zu sterben, die FussballspielerInnen jede Woche haben, ist einfach schwer verdaulich.
Prof. Hajo Funke formulierte es gegenüber der Berliner Zeitung so :
»Es sterben zu viele, die Zeugen sind, Zeugen waren oder Zeugen sein könnten. Und es gibt zu viele Zufälle.« (BZ vom 30.3.2015)
Jenseits der Frage, was man am Ende als Todesursache ausgibt, bleibt das Wissen, das sie hat, lebendig.
Es sind Fragen, um die die Ermittlungsbehörden seit Monaten wissen und deren Beantwortung auch die Gründe konkretisieren helfen, warum es genug Personen gibt, für die sie eine Gefahr darstellte.
Hatte Melisa Marijanovic am Tag zuvor bzw.in der Todesnacht Kontakt zu Florian Heilig?
Hatte Melisa Marijanovic Kontakt zu neofaschistischen Gruppierungen?
Sind sie identisch mit denen, die Florian Heilig im Kontext der zweiten neonazistischen Organisation ›NSS‹ genannt hatte?
Die Antwort der Ermittlungsbehörden dazu steht noch aus.
Und wenn die Staatsanwaltschaft nach dem ebenso schnellen Obduktionsergebnis wie bei Florian Heilig einräumt, dass man »weitere Analysen« angeordnet habe, um zu untersuchen, »ob die Frau womöglich vergiftet wurde«, sollte man ergänzend hinzufügen: Sowohl eine Lungenembolie wie ein »unerkannte Diabetis« können auch ein Ergebnis von ›Fremdeinwirkung‹ sein. Auch das wissen erfahrene Ermittler.
Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag, 2013, 2. Auflage
Dritte NSU-Zeugin tot | Tageszeitung Junge Welt vom 31.3.2015
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Mir ist mittlerweile unklar, wie viele Tote es insgesamt wirklich sind. Manche sagen 3, andere sagen 7. Das hängt teilweise sicherlich von der Zählweise ab (ob man Mundlos und Böhnhardt jetzt dazu zählt oder nicht), aber beim Migazin gab es mal folgenden interessanten Satz zu toten Zeugen im Umfeld des NSU:
“Die drei anderen Toten waren hochrangige Beamte des LKA Thüringen, die mit der NSU-Fahndung befasst waren. Sie starben 2001/2002 ebenfalls unter mysteriösen Umständen.”
http://www.migazin.de/2014/04/17/nsu-das-zeugensterben-geht-weiter/
Leider sind zu diesen drei LKA-Beamten keine weiteren Informationen im Netz auffindbar.
Denn nach der Zählweise des Migazin wären es heute 9 tote Zeugen.
HJ-Thommy alias Corelli alias Thomas Richter, Demofotograf, Mitbegründer von KKK, B&H, SSSA, THS. V-Mann mit Verbindung zum NSU, ansässig im Braunen Haus Halle Saale in der Freiimfelder Str., wo auch Beate öfters zu Gast war, da sie in Halle Neustadt ihren Zahnartzt hatte und was eine Station vor ihrer Festnahme war (sie wäre fast vor eine Strassenbahn gelaufen).
Auf fefe gibt’s noch einen interessanten Link: http://blog.fefe.de/?ts=abe4174f , der hierhin http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.clan-im-suedwesten-bis-zu-20-polizisten-wollten-in-ku-klux-klan.cd752ed4-a911-4aa9-bfdd-219ecdbd8058.html führt.
Zitat “Die meisten Treffen zwischen Schmid und am KKK interessierten Polizisten fädelte Steffen B. ein. Dessen Bruder, ein heutiger Kriminalbeamter, untersuchte das ausgebrannte Wrack des Autos, in dem sich der Neonazi-Aussteiger Florian H. im Herbst 2013 das Leben genommen haben soll.”
Lungenembolie lässt sich meines Wissens durch Injektion von Luft in die entsprechende Blutbahn herbeiführen und “unerkannte Diabetes” dürfte die selben Symptome wie eine Überdosis Insulin hervorrufen (schneller Tod durch Unterzuckerung).
Danke für den Hinweis. Ja, diese Verbindung exisiert und noch weitere zwischen Neonazis, KKK und Polizei.
Und wie man eine seltene und tödliche Erkrankung injektieren kann, beschreibt exakt meine Anmerkungen.