Der Fall Edathy | Ein Gastbeitrag von Thomas Moser

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Edathys Fall – Ein Untersuchungsausschuß soll aufklären …
und sorgt eher für eine Vorverurteilung

Am 18. Dezember stellt sich Sebastian Edathy der Öffentlichkeit
Ein Verdacht hält sich hartnäckig: Soll der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy kriminalisiert werden? Abgestraft für seine kritische Rolle als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses?

Seit Anfang des Jahres ist Edathy damit konfrontiert, Nacktbilder von Jungen bestellt zu haben. Das hat der eingeräumt. Seit Mai wird ihm zusätzlich vorgeworfen, Kinderpornobilder aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Das wiederum bestreitet er. Seit Juli 2014 gibt es einen eigenen Edathy-Untersuchungsausschuß im Bundestag, der zwar nur „2. UA“ heißt, der aber klären soll, ob Edathy vor Ermittlungen gegen ihn gewarnt wurde. Gleichzeitig leistet dieser Ausschuß aber eine Art Vorverurteilung des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten. Am 18. Dezember 2014 soll der nun selber vor dem Gremium auftreten.
Sebastian Edathy: Zuletzt bekannt und berüchtigt als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im deutschen Bundestag. Er war derjenige, der am frechsten fragte und am weitesten ging. Ein Beispiel: Den früheren BND-Präsidenten und BMI-Staatssekretär August Hanning konfrontierte er so:

Edathy: „Wie viele Fälle gab es in jenen Jahren, in denen so erfolglos ermittelt wurde, wie bei den Ceska-Morden?“
Hanning: „Es war der einzige.“
Edathy: „Hätte man einen anderen Ermittlungsweg beschritten, wenn nicht neun ausländische Kleinhändler ermordet worden wären, sondern neun Vorstände von großen Unternehmen oder Banken?“
Hanning: „Wenn wir neun ermordete Polizisten gehabt hätten, hätten wir dann einen Untersuchungsausschuß gehabt?“
Edathy: „Wie kommen Sie auf die Idee, wir hätten keinen Ausschuß, wenn neun Polizisten ermordet werden würden? Das ist unverschämt.“

Umso irritierender, daß Edathy dann im Frühsommer 2013, just als in München der NSU-Prozeß begann, die große Kehrtwende vollzog, indem er erklärte: Der Ausschuß habe keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß irgendeine Behörde an den Taten des NSU beteiligt gewesen sei oder sie auch nur billigte. Das stand im Widerspruch zur eigenen Aufklärungsarbeit des Ausschusses. Und steht in noch größerem Widerspruch zu dem, was ein Jahr später der NSU-Ausschuß in Thüringen konstatierte: LKA und LfV halfen beim Abtauchen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe mit und sabotierten die Fahndung nach ihnen.
Dann ist der Held gefallen. Und die Frage ist, ob das eine mit dem anderen zu tun hat: die Aufmüpfigkeit des Abgeordneten mit seiner Kaltstellung. Die Antwort hängt vor allem davon ab, ob sich der Mann strafbar gemacht hat, ob er tatsächlich Kinderpornos gekauft und besessen hat. Nicht ganz unwesentlich ist dabei die Frage nach den zeitlichen Abläufen: was, wann, wie und von wem?
Anfang Februar 2014 gab Edathy überraschend sein Bundestagsmandat zurück. Vier Tage darauf wurden seine Wohn- und Büroräume durchsucht und es wurde bekannt, daß er Jahre zuvor über das Internet aus Kanada Nacktfotos von Jugendlichen bestellt hatte – „zwischen 15 und 20 Jahre alt“, wie man im aktuellen Untersuchungsausschuß erfährt. Keine Kinderpornos, wohlgemerkt. Fotos, vielleicht moralisch verwerflich, aber nicht strafbar. Edathy hat die Bilder unter seinem richtigen Namen von zuhause aus bestellt und die Bestellung auch eingeräumt. Weil der kanadische Internet-Händler auch Kinderpornografien vertrieb, ermittelte die kanadische Polizei gegen ihn (Operation Spade). Dem BKA wurden die deutschen Kunden übermittelt, etwa 900 an der Zahl, unter ihnen Edathy. Das war im November 2011. Im Juli 2012 hatten die deutschen Ermittler die Kundenliste soweit abgeklärt (Operation Selm). Die Daten zu Sebastian Edathy galten als „nicht einschlägig“. Was soviel heißt wie: nicht strafbar. Kein Delikt, also auch keine Ermittlungen.
Das änderte sich ein Jahr später. Im Oktober 2013 soll ein BKA-Mann den Namen Edathy erneut auf jener Kundenliste entdeckt haben. Und im Gegensatz zu 2012 wurde nun ein Ermittlungsvorgang eröffnet. Der ging, wie man heute weiß, am 18. Oktober 2013 vom BKA an die Staatsanwaltschaft Hannover und an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle.
Wie kann es sein, daß das BKA zwei Jahre lang davon wußte, daß Edathy auf einer Nacktbilder-Kundenliste stand, ohne daß gegen ihn vorgegangen wurde? So wird die Frage heute gestellt. Man kann sie aber auch anders herum stellen: Warum wird heute verfolgt, was zwei Jahre zuvor nicht verfolgt wurde, weil es strafrechtlich nicht verfolgenswert war? Ob kriminell oder nicht – Edathy wurde durch die Affäre politisch erledigt.
Doch offensichtlich reichte der erste Vorwurf nicht aus. Denn inzwischen wird ein zweites, wirklich kriminelles Delikt behauptet: Edathy soll auch Kinderporno-Fotos bestellt haben. Und zwar im November 2013, und zwar von seinem Bundestagsrechner aus über den Bundestagsserver. Eine solche Tat bestreitet Edathy. Seinen Bundestags-Laptop hat er im Februar 2014 als vermißt gemeldet. Von den Ermittlungen, die im Oktober 2013 begannen, muß Edathy spätestens im November 2013 erfahren haben. Sein Anwalt erkundigte sich Ende November bei der Staatsanwaltschaft, ob gegen seinen Mandanten ermittelt werde. Im selben Monat soll der Mann nun und gleich an sechs Tagen Kinderpornos aus dem Internet gezogen haben, obendrein über den Bundestagsserver? Zweifel sind erlaubt.
Wurde Edathy gewarnt? Hat das BKA Informationen weitergegeben, die dann auch den SPD-Politiker erreichten? Wer wußte alles von den Ermittlungen? Diese Fragen, die zum Rücktritt des Agrar- und früheren Innenministers Hans-Peter Friedrichs (CSU) führten, soll der 2. Untersuchungsausschuss ebenfalls klären. Dazu hört er jede Menge BKA-Beamte an. Unter anderem Kriminaldirektor Christian Hoppe. Er war in den fraglichen Jahren 2011 bis Januar 2014 Leiter des für Sexualdelikte zuständigen Referates beim BKA. Er hat die skizzierten Abläufe zu verantworten und so im Ausschuß vorgetragen.
Doch in der Person von Hoppe liegt gleichzeitig eine unmittelbare Verbindung zum NSU-Komplex wie zum früheren NSU-Untersuchungsausschuß vor, den der Abgeordnete Edathy von Januar 2012 an so ohne falsche Rücksichtsnahmen leitete. BKA-Mann Hoppe war nämlich von Januar 2006 bis Ende 2009 Chef der Ermittlungsgruppe (EG) „Ceska“, die, neben mehreren Landeskriminalämtern, die Mordserie an den neun türkischen und griechischen Männern untersuchte. Die BKA-Ermittler blieben dabei bis zuletzt auf „Organisierte Kriminalität“ (OK) fokussiert. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde nicht angenommen. Im Mai 2012 wurde Christian Hoppe deshalb vor den NSU-Ausschuß in Berlin geladen und kritisch nach den BKA-Ermittlungen befragt.
Daß dieser Mann nun für die Ermittlungen gegen Edathy verantwortlich zeichnet – wirklich nur ein zufälliger Zusammenhang? Wie wurde das im Amt aufgenommen, will Armin Schuster, der Obmann der CDU, wissen. „Mit Betroffenheit“, erklärt Hoppe, plötzlich sei allen der Zusammenhang mit dem NSU in den Köpfen gewesen. Dennoch ist es für ihn nur ein „Zufall“, den man aber „wahrscheinlich schwer erklären kann.“
Auch Staatsschützer und Personenschützer des BKA sind als Zeugen im Untersuchungsausschuß geladen. Sie hatten mit Ermittlungen zu tun, die sich im Dezember 2012 ergaben. In der Nacht auf den 6. Dezember 2012 zersprengte ein Knallkörper den Briefkasten Edathys an seinem Wahlkreisbüro. Als Bundestagsabgeordneter und mehr noch als Vorsitzender des brisanten NSU-Ausschusses war Edathy eine Schutzperson. Die Ermittler fragten auch das interne Infosystem des BKA ab, das sog. Vorgangsbearbeitungssystem, kurz VBS. Jedoch: Es habe eben keinen Sachverhalt gegeben, nachdem Edathy tatverdächtig gewesen wäre, erklärt ebenfalls einer dieser BKA-Leute.
Doch das Gegenteil wird in diesem Ausschuß immer wieder suggeriert. Ein Beispiel liefert die CDU-Abgeordnete Barbara Woltmann. Als der Staatsschutz wegen der Briefkasten-Detonation ermittelte, habe man doch den Namen Edathy ins Infosystem des BKA eingegeben, formuliert sie. Danach habe sich doch alles zu diesem Namen geöffnet. Also auch „Kinderpornografie“, sagt sie wörtlich und insistiert: Warum geschah dann nichts? In Frageform stellt die Abgeordnete eine Behauptung auf, die so nicht stimmt und die einer Vorverurteilung gleichkommt. Noch einmal: „Kinderpornografie“, dieser Vorwurf wird erst seit 2014 erhoben und muß noch bewiesen werden. Die Ermittlungen dazu will sich der Ausschuß Anfang nächsten Jahres von Vertretern der Staatsanwaltschaft Hannover erklären lassen. Am 18. Dezember soll aber zunächst der Beschuldigte selber gehört werden können. Am Nachmittag im Ausschuß und am Vormittag in der Bundespressekonferenz.
Thomas Moser

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4 Kommentare

  1. Lieber Wolf,
    ich schätze dich und deine Arbeit sehr und in diesem Beitrag zeigst du auf, wie das Wissen um Edathy und den Erwerb der Fotos augenscheinlich gezielt genutzt wurde, um ihn mundtot zu machen.
    Ich möchte dich aber darauf hinweisen, dass der Umstand, dass die Nacktbilder, die er kaufte, in Deutschland legal sind, aus der Opferperspektiver irrelevant ist. Es sind Produkte einer gewerbsmäßigen Ausbeutung von Kindern. Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 ebenfalls “legal”, weil kein Straftatbestand. Diese Legalität hat das Verbrechen jedoch nicht besser oder weniger scheußlich gemacht. Diese Nacktfotos sind nicht in gegenseitigem Einverständnis auf Augenhöhe entstanden und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren diese Kinder Opfer noch weiter gehender sexualisierter Gewalt. Es werden ein legaler und ein illegaler Markt bedient.

    1. Hallo Strörenfrida,
      ich bin mit deiner politischen Einschätzung, was Nutzen,Gebrauch und die Herstellung von Nacktfotos von Kindern angeht, vollkommen einverstanden. In dem Beitrag von Thomas Moser ging es vor allem darum, wann und wie man dieses Wissen optional einsetzt. Ich glaube nicht, dass es dabei um den Schutz von Kindern geht, um die Bekämpfung von jeder Form sexuellen Mißbrauchs, sondern um “second use”. Die, die jetzt Edathy angreifen, haben doch gar kein Problem mit jeder Form von Ausbeutung, sie garantieren sie und sie nutzen diese Möglichkeiten zweifellos auch privat. Ich denke, dass Thmoas Moser diesen Aspekt in den Mittelpunkt stellen wollte.
      liebe Grüße
      Wolf

  2. nebenbei: Katharina König war im Thüringer U-Ausschuss ziemlich aktiv. Ob das (absurde) Verfahren gegen ihren Vater auch so zu sehen ist? Fragen sind erlaubt. Wieder und wieder sagt man sich, man wolle keiner Verschwörungsparanoia erliegen und wird dann durch die fakten gleichsam zur schlimmstmöglichen Annahme gezwungen. Ich notierte es mal so: faustregel: Was würde ich jetzt sagen, wenn ich ein Verschwörungsirrer wäre? Und das stimmt dann meist.

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