Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – durch den Verfassungsschutz. Am Beispiel des Neonazi und V-Mann Tino Brandt
aktualisiert am 13.11.2014
Tino Brandt, Neonazi und über Jahre zugleich V-Mann des Verfassungsschutzes in Thüringen wird seit dem 15.7.2014 im NSU-Prozess in München als Zeuge vernommen.
Wesentliche Details sind bereits seit längerem bekannt, auch wenn deren Bedeutung und Tragweite kaum wahrgenommen werden will. Was hier noch einmal zur Sprache kommt, ist die Tatsache, dass es ohne die aktive Unterstützung des Verfassungsschutzes keinen Nationalsozialistischen Untergrund/NSU gegeben hätte.
Sollten das Strafgesetzbuch noch Gültigkeit haben, erfüllen bereits die bislang bekannt gewordenen Fakten und Einlassungen den Tatbestand der
Unterstützung, wenn nicht gar der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach 129 § des StGB.
Die scheinbare Empörung über die ›brisanten Details‹ steht in keinem Verhältnis zur Konsequenzenlosigkeit, die über allem thront und von fast allen geteilt wird, die ansonsten nicht müde werden, politische und strafrechtlichen Konsequenzen zu fordern.
Tino Brandt, Quellennummer 2045, Deckname ›Otto‹, V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes
Tino Brandt war »organisatorischer Kopf« der neonazistischen Kameradschaft ›Thüringer Heimatschutz‹. Für seine Verfassungsschutztätigkeit zwischen 1994 und 2000 soll er ca. 200.000 D-Mark bekommen haben – das entspricht einem Monatsgehalt in Höhe von mehr als 2.500 D-Mark.
»35 Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann listet das thüringische Innenministerium aus dieser Zeit auf: Volksverhetzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Betrug und Bildung krimineller Vereinigungen. Er soll Ausschreitungen angezettelt haben. Die meisten Verfahren wurden auf wundersame eingestellt. Achtmal wurde Brandt angeklagt. Achtmal wurde Brandt freigesprochen.« (stuttgarter-nachrichten.de vom 17.7.2014)
»Thüringer Heimatschützer erzählen (gegenüber der Zeitung, d.V.), wie Brandt sie ermuntert habe, ›im Untergrund kleine Zellen zu bilden‹. Er habe das Motto ›eine Idee sucht Handelnde‹ ausgegeben. ›Taten statt Worte‹ habe er gefordert.« (s.o)
Tino Brandt hielt Kontakt zu den untergetauchten THS-Mitgliedern und bot ihnen seine Hilfe an (Beschaffung von Pässen, Weiterleitung von Geld usw.). (Codewort ›19 Uhr‹, spiegel.de vom 23.12.2011)
1998 besorgte er drei Blanko-Reisepässe, die André Kapke an die abgetauchten THS-Mitglieder weiterleiten sollte.
»Der Thüringer Verfassungsschutz bestätigt, im Jahr 2000 Brandt 2.000 Mark ausgehändigt zu haben, die dieser an das Trio weiterreichen sollte.« (spiegel.de von 22.3.2012)
Vor dem OLG in München bestätigte Tino Brandt am 15.7.2014, dass er mehrmals Geld, das er vom Thüringer Verfassungsschutz erhalten hatte, an die abgetauchten THS-Mitglieder weitergereicht habe: »Geld vom Verfassungsschutz. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, ob das Geld tatsächlich ausdrücklich für die Weitergabe an das Trio bestimmt war, antwortete Brandt: ›Soweit ich mich erinnere, war das direkt für die Weitergabe‹.« (n-tv vom 15.7.2014)
»Nach Informationen von MDR THÜRINGEN hat ein Zeuge beim Bundeskriminalamt ausgesagt, Brandt habe ihm erzählt, dem Trio ein Wohnmobil besorgt zu haben. Außerdem sollen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mindestens ein weiteres Wohnmobil irgendwo in Deutschland als alternatives Fluchtfahrzeug abgestellt haben. An welchen Orten, konnte er allerdings nicht sagen. Der Zeuge gab außerdem zu Protokoll, Brandt habe gesagt, dass er bis zum Schluss Kontakte zum Trio gehabt habe.« (mdr.de vom 10.7.2014)
Am 8. März 1999 wurde zwischen Tino Brandt und dem abgetauchten Uwe Böhnhard ein Telefonkontakt (in einer Telefonzelle) vereinbart. »Das wußte der V-Mann Führer. Doch es geschah nichts.« (Das taube Ohr des Staates, SZ vom 12.1.2014). Keine Fangschaltung, kein Versuch, diesen Kontakt für eine Festnahme zu nutzen.
Tino Brandt berichtete gleichfalls seinem V-Mann-Führer, »dass nun (…) Carsten S. der Kontaktmann zu dem Trio sein. Und Carsten S. überreichte den Dreien kurz darauf die Tatwaffe für neun Morde. Man hätte nur Carsten S. observieren müssen, er hätte die Ermittler direkt zum NSU geführt.« (Das taube Ohr des Staates, SZ vom 12.1.2014)
Tino Brandt ist der zweite V-Mann, der sich auf der Adress- und Telefonliste der späteren NSU-Mitglieder befindet, die in der Garage in Jena 1998 gefunden wurde.
Vor dem Hintergrund, dass gegen den Neonazi Tino Brandt insgesamt 35 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, acht zur Anklage kamen, in denen er acht Mal freigesprochen wurde, bekommt die im Jahr 2014 erhobene Anklage einen sehr bitteren Beigeschmack: »Die Staatsanwaltschaft Gera hat den Neonazi und früheren V-Mann Tino Brandt angeklagt. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Jens Wörmann, sagte dem MDR, dass Brandt schwerer sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Förderung der Prostitution und Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen vorgeworfen werden. Insgesamt gehe es um 157 Fälle. In 45 Fällen solle Brandt minderjährige Jungen gegen Geld zum Sex an Erwachsene vermittelt haben. Brandt habe in den Vernehmungen einen Teil der Vorwürfe eingeräumt.« (mdr.de vom 13.11.2014)
Schließlich dienen eingeleitete Ermittlungsverfahren und Anklagen nicht nur der Strafverfolgung. Sie sind ein erprobtes und bewährtes Mittel, die Betroffenen zur Mitarbeit zu ›bewegen‹ (was im Fall Tino Brandt sicherlich eine Rolle gespielt hat), aber auch mit dem Ziel, sie als Zeugen zu kooperativem Aussageverhalten zu ›ermutigen‹. Der Deal ist ein einfacher: Tino Brandt zeigt sich als Zeuge vor dem Gericht in München vergeßlich und die Strafverfolgungsbehörden belohnen dies – ebenfalls mit Vergeßlichkeiten.
14.11.2014
Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2013, 2. Auflage
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Hi, Sie haben in Sachen NSU wichtige Aufklärung(sarbeit) geleistet, lieber WW, und das ist nur gut so und da lassen Sie sich bitte von niemandem dafür anpinkeln, Gruß, B.J.
Herzlichen Dank für die Ermutigung. Ehrlich gesagt, ich habe am Anfang nicht geglaubt, dass das ein so langer Weg ist.
Sehr richtig, nur wenn die Linke weiter aus ideologischen Gründen weite Teile der Aufklärung blockiert, sind diese Klagen in den Wind gesprochen!