›Euro-Maidan‹ – das laute Schweigen des Antifaschismus

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Euro-Maidan‹ – das laute Schweigen des

Antifaschismus

Ein Beitrag von Hans Christoph Stoodt und Wolf Wetzel  | 2014

Die Besetzung des Maidan Platzes in Kiew, Hautstadt der Ukraine, fand in den staatsnahen Medien in Deutschland großen Zuspruch. Was in diesem Land, in Deutschland  zu einem Staatsnotstand geführt hätte, wurde dort mit jeder nur denkbaren Sympathie bedacht: Besetzung öffentlicher Plätze und Gebäude, Barrikaden, Molotow-Cocktails. Bewaffnete Verteidigung, Angriffe auf die ›Staatsmacht‹ bis hin zum Aufruf, die gewählte Regierung zu stürzen. Alles war gut und legitim …

Auch die (außer-)parlamentarische Linke in Deutschland fand freundliche Worte für den ›Aufstand‹. Schließlich ging es um den Kampf gegen eine korrupte Regierung, die den Reichtum ganz Weniger gegen die Armut ganz Vieler zementierte und forcierte.
Warum wurde aus der anfänglichen Sympathie für einen ›Aufstand‹ verlegenes Schweigen, als sich herausstellte, daß sich Erwartungen und Projektionen nicht einlösten, sondern das genaue Gegenteil eintrat? Warum schweigt die antifaschistische Bewegung heute und hier zu der inzwischen allgemein bekannten Tatsache, daß der Erfolg des ›Aufstands‹ ganz wesentlich durch faschistische Kräfte getragen und von der deutschen Regierung offensiv unterstützt wurde? Wiederholt sich hier ein Muster, das sich auf ähnliche Weise bei der Betrachtung der Unruhen in den Banlieues (Frankreich) oder England (Aufstand in Tottemham 2011) und an vielen Orten des ›arabischen Frühlings‹ gezeigt hat?

1. Vorbemerkung: Warum dieser Text?

Vom späten Herbst 2013 bis heute war unseres Erachtens in der Ukraine eine Auseinandersetzung von beispielhafter Bedeutung zu erleben. Abgesehen von den dramatischen Folgen, die die Ereignisse dort für die Bewohnerinnen und Bewohner der Ukraine hatten und haben, sehen wir in der Art und Weise, wie die Linke hierzulande darauf reagiert oder eher: überwiegend nicht reagiert hat, einen Anlaß, um grundsätzlich über diese Form der Reaktion nachzudenken.
Die folgenden Zeilen sollen also nicht eine bei uns beiden etwa vorhandene Expertise zu Fragen der Ukraine suggerieren. Wir informieren uns aus allgemein zugänglichen Quellen. Unsere Blickrichtung geht nicht nach außen, sondern nach innen. Sie fragt: wieso ist die deutsche Linke – und damit meinen wir vor allem die außerparlamentarische Linke – erneut nicht in der Lage, vielleicht strittig aber dann doch mehr oder weniger gemeinsam auf ein Ereignis einzugehen, das wir aus den unten zu benennenden Gründen für mehr halten, als nur einen weiteren Putsch irgendwo, eine weitere farbige oder blumige „Revolution“, wie es deren in den vergangenen Jahren ja viele gab.
Erneut stellen wir hauptsächlich Schweigen fest, in dieser Hinsicht ähnlich, wie das auch schon im Zusammenhang mit dem NSU und der Überwachung durch die NSA galt. Nicht, daß es nicht viele Verlautbarungen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen gegeben hätte. Aber wir vertreten die These, daß in allen drei Fällen überwiegend keine der Heftigkeit des Anlasses angemessene grundsätzliche Diskussion in der Linken stattgefunden, letztlich keine adäquate inhaltliche Positionierung gefunden werden konnte und darum den Herrschenden auch keine glaubwürdige praktische Antwort erteilt wurde.
Zur Frage des NSU hat Wolf Wetzel minutiöse Arbeit geleistet, publiziert sowie seine Thesen dazu in einer Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen vertreten.[1]
Zur Frage der globalen Überwachung ganzer Staaten durch NSA und GCHQ (in Zuammenarbeit mit dem BND) gab es keine Versuche, diesen Vorgang aus außerparlamentarischer, linker, autonomer oder antifaschistischer Perspektive zu analysieren, um dann eine gemeinsame Praxis zu entwickeln.
Noch schlechter sah das in den Wochen von Mitte Februar bis Mitte März in der Ukraine-Frage aus. Hierzu gab es zB. in der Region Frankfurt lediglich eine Reihe von Blogtexten, die, beginnend mit dem 23. Februar, zunächst in der Form von Mails in antifaschistischen und linken Mailverteilern weitgehend erfolglos eine Diskussion, irgendeine Form von Selbstverständigungsprozess in der Linken der Rhein-Main-Region in Gang bringen wollten,[2]ferner zwei immerhin recht gut besuchte Diskussionsveranstaltungen, die aber über eine eher deskriptive Beleuchtung der aktuellen Sachverhalte in der Ukraine kaum hinauskamen und zur Frage des genannten Schweigens dazu hier kaum kamen.
Das in allen drei genannten Themenfeldern zu registrierende, sicher von Fall zu Fall unterschiedliche Schweigen verstehen zu wollen ist unsere Perspektive auf die Ereignisse in der Ukraine. Wir sehen dabei an dieser Stelle von einem vermutlich uferlose Vorarbeiten erfordernden strukturellen Vergleich zwischen Reaktionen der Linken auf die drei genannten Komplexe ab, verweisen allenfalls von Punkt zu Punkt darauf und äußern Vermutungen zu den Gründen dafür.
Diese Sicht der Dinge aus unserer Perspektive zur Diskussion stellen zu wollen ist der Grund für den folgenden Text. Kritik, Zustimmung oder beides wäre uns sehr willkommen.

2. Öffentlich-rechtliche Sympathie für einen ›Aufstand‹

Selten hat man in Deutschland die Gelegenheit, mit dem Staatsfernsehen und den private-state-Medien zusammen so nah, so sympathisierend an einer Revolte teilzunehmen. Zur Primetime senden sie wochenlang live vom Maidanplatz in Kiew, wo Tausende den Platz besetzt halten, mit dem erklärten Ziel, die gewählte Regierung zu stürzen.
Bis zum Sturz der Regierung und der Ernennung einer Übergangsregierung, die kurz darauf vom herbeigeeilten französischen, polnischen und deutschen Außenminister de facto anerkannt wurde, wiederholte sich ein eingeübtes Spiel: nachdem man kurz auf das Laufende gebracht wurde, was bisher passiert ist, wird live nach Kiew geschaltet. Die Reporterin berichtet vom friedlichen Protest der Menschen auf dem Maidan-Platz, hier schon gerne ›Euromaidan‹ genannt, berichtet von ihrem unerschütterlichen Willen, die gewählte Regierung zu stürzen, vom Mut der Menschen, sich keiner Repression zu beugen. Man sieht Junge, man sieht Alte, man sieht traurige, man sieht entschlossene Menschen.
Während die Reporterin das Bild vom friedlichen Protest und dem brutalen Regime ausmalt, laufen hinter ihr Männer mit (Gas-)Masken, mit Helmen, mit Schutzschilden und Molotowcocktails vorbei.

An anti-government protester prepares to throw a petrol bomb during clashes with riot police at the Independence Square in Kiev
Dann schwenkt die Kamera Richtung Barrikaden. Sie sind meterhoch aufgetürmt. Rauschwaden von brennenden Autoreifen steigen auf. Weit davon entfernt sieht man Polizeiketten, die sich hinter ihren Schildern verschanzen. Immer wieder werden von den Barrikaden aus Molotow-Cocktails Richtung Polizeikette geworfen.

Ukraine Protest
All das, was wir als Zuschauer sehen, sieht die Reporterin auch und hält sie nicht davon ab, vom friedlichen Protest zu reden, der von einem brutalen Regime verfolgt wird.

 

Eigentlich müßte alleine das mißtrauisch machen: ein militanter Protest, der über Wochen ein Regierungsviertel lahmlegt, öffentliche Gebäude besetzt, Polizeieinheiten zurückschlägt/angreift und zum Sturz einer gewählten Regierung aufruft, genießt das Vertrauen und die Sympathie aller staatsnahen Medien in Deutschland.
Haben jetzt endlich staatliche Medien und die politische Klasse in Deutschland das Recht der Unterdrückten entdeckt, sich auch gewaltsam gegen ihre Unterdrücker zu wehren – selbst dann, wenn diese ›demokratisch gewählt‹ sind? Werden jetzt endlich Armut, Unterdrückung und Ausbeutung als legitime Gründe anerkannt, sich gewaltsam zu wehren, eine Regierung zum Teufel zu jagen, die dies ermöglicht bzw. aufrechterhält?
Ganz sicher nicht. Man möge sich vorstellen, was in Frankfurt, in Paris oder Madrid passieren würde, wenn sich dort Ähnliches ereignen würde.[3]
Ganz sicher haben die hiesigen Medien nicht die geringste Sympathie für Unruhen. Aber sie helfen, eine Regierung aus dem Amt zu jagen, die den europäischen und westlichen Interessen nicht dient, die das Angebot, sich in die EU-Fight-Zone einzureihen, zurückgestellt hatte und dabei war, sich dem Konkurrenten der EU, der Russischen Föderation, anzudienen. Das ist keine leichtfertige Behauptung.
Beispiel: das ZDF hat jüngst zugegeben, mit der Übernahme zahlreicher ›Fakten‹ in die eigene Berichterstattung gute Erfahrungen gemacht zu haben, die direkt vom »Ukrainian Crisis Media Center« übernommen wurden. Das hat es sich zum Ziel gesetzt hatte, nur ganz bestimmte politische Positionen zur Lage in der Ukraine weiterzugeben und alle anderlautenden Nachrichten als »russische Propaganda« zu verunglimpfen.

»Finanziert wird die PR-Kampagne u.a. von George Soros, der ukrainischen Übergangsregierung und einer ukrainischen Tochtergesellschaft von Weber Shandwick, dem weltweit führenden PR-Unternehmen“.[4]

Eine seiner führenden Mitarbeiterinnen erklärt, sie sei stolz, eine Verehrerin des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera zu sein.
So wenig es den EU-Ländern um die Beseitigung von Hunger, Ausbeutung und Korruption geht, weder im eigenen Land noch woanders, so sehr geht es darum, die Ukraine, (also deren Ressourcen, deren Wirtschaftsraum und geostrategische Lage) unter das EU-Diktat zu bekommen.
Daß die Unterstützer dieser Proteste aus den Reihen der EU und der US-Regierung dabei die Proteste auf dem Maidan-Platz vereinnahmten oder instrumentalisierten, kann inzwischen als belegt gelten (s.u.). Ob sie die Wünsche der Rebellierenden erfüllen werden oder ob ihnen diese so etwas von am Arsch vorbeigehen, soll hier erst einmal zurückgestellt werden. Die Antwort liegt auf der Hand.
Die geradezu mitreißende Sympathie derer, die in ihren eigenen Ländern selbst eine Sitzblockade mit allen Mitteln zu verhindern suchen, die Sonnenbrillen und aufgespannte Regenschirme für ›passive Bewaffnung‹ halten und deshalb einen ganzen Demonstrationsblock einkesseln und festnehmen (wie anlässlich von Blockupy 2013), sollte also mißtrauisch machen.

3. Linke Reaktionen in Deutschland

Umso mehr verwundern die anfangs doch durchaus vorhandenen vorsichtigen Sympathiebekundungen aus dem linken, außerparlamentarischen Spektrum. Das ging so weit, daß im Koordinationskreis für Blockupy, dem Anti-Troika-Bündnis mit deutlich antikapitalistischer Perspektive, Mitte Februar 2013 zur Diskussion gestellt worden sein soll[5], ob man sich den »Euro-Maidan-Protesten« gegenüber nicht solidarisch verhalten müsse. Es schien also für einen Moment antikapitalistischen No-Troika-AktivistInnen denkbar, die freiwillige, ja militant erkämpfte Unterordnung von Millionen UkrainerInnen unter das Diktat der Troika solidarisch (mit wem?) zu befördern. Liegt das an persönlichen Erfahrungen oder Berichten von für glaubwürdig gehaltenen Personen und Gruppen vor Ort, die, so hieß es zum Beispiel damals, Mitte Februar, »mit dem Aufstand fiebern«?
Liegt es an den Bildern von den vielen Mollies, die auf Polizeiketten geworfen wurden[6]? Liegt es an den militanten Kämpfen, die dort tatsächlich ausgetragen wurden? Liegt es an der Entschlossenheit, dafür zu sorgen, dass das, was man nicht will, auch nicht länger geschieht? Sieht man dort alles, was hier so bitter fehlt?
Wussten wir, die verschiedenen Spektren der Linken, wofür die Leute auf dem Maidan-Platz kämpfen, wofür sie ihr Leben riskieren? Wussten wir mehr als das, was die Medien jeden Tag und jede Nacht als Motiv verkündeten: Die Menschen wollen einen Beitritt zur EU, wollen eine Regierung, die das EU-Assoziierungsabkommen unterschreibt?
Es gab vereinzelte Kontakte zu Menschen und Gruppierungen auf dem Maidan Platz. Was wollten sie tatsächlich, was wollen sie heute? Wollten sie mehr als eine neue, nun eine EU-konforme Gefängnisführung? Oder wollen sie weder eine russische, noch eine EU-Gefängnisleitung? Aber was dann? Nationale Unabhängigkeit? Einen ukrainischen Kapitalismus?
Erstaunlich in der Debatte, ob man sich mit den Protesten auf dem Maidan Platz solidarisieren müsse, war und ist unsere überwiegende Unkenntnis der realen Vorgänge vor Ort. Es geht nicht darum, ob ich zwei oder drei kennen, die auch auf dem Maidan-Platz gekämpft haben. Es geht darum, ob es nachvollziehbare Analysen und Einschätzungen gibt, was auf dem Maidan-Platz, mit den Kämpfen zum Sturz der Regierung mehrheitlich gewollt wurde und wird. Und natürlich vor allem darum, was dann für uns daraus praktisch folgt.

4. Ziele der Maidan-Bewegung

Wenn also das Wissen darüber, was die Mehrheit der Menschen mit dem Sturz der Regierung erreichen wollen, sehr marginal ist, hilft eine zweite Annäherung. Welche ›Führer‹ hatte und hat die Bewegung? Was ist das Programm der ›drei‹ auf dem Maidan besonders in den Vordergrund rückenden Führer Jazeniuk, Klitschko, Tjagnibok? Und aus der Perspektive von heute, zum Zeitpunkt, da wir diesen Text schreiben: was ist tatsächlich daraus geworden?
Sicherlich werden viele darin übereinstimmen, dass man eine Bewegung, eine emanzipatorische Revolte nicht an ihren Mitteln erkennt, sondern an ihren inneren Strukturen, an der Weise, wie Entscheidungen zustande kommen, an den Zielen, die sie sich setzt.
Wenn sie mehr als eine andere Regierung, also eine andere Form der Unterdrückung will, dann muß sich die Bewegung andere Formen der Repräsentation, andere Formen der Willensbildung, andere Mechanismen, Macht zu kontrollieren, zulegen.
Bisher ist eine solche ›neue‹ demokratische Struktur weder öffentlich vorgestellt noch als gemeinsame Agenda formuliert worden.
Das Gegenteil scheint doch offensichtlich der Fall zu sein. Zehntausende kämpften ›unten‹ auf der Straße und oben auf der Bühne (der Macht) gerierten sich drei Führer, die die Kämpfe auf der Straße als Kulisse für machtpolitische Entscheidungen nutzten, die mit den Wünschen der Kämpfenden (am Ende) sehr wenig zu tun haben werden. Zudem wird im Prozeß der Proteste überdeutlich, daß auch diese drei nicht uneingeschränkt selbst die Handelnden sind. Spätestens durch das geleakte Telefonat des US-Botschafters in Kiew mit der US-Außenpolitikerin Victoria (»Fuck the EU«) Nuland wurde ja Allgemeinwissen: die USA und die EU, genauer gesagt, deren deutsche Dominanzmacht BRD, präferieren auf dem Maidan unterschiedliche Protagonisten. Um es in der Sprache des Telefonats zu sagen: »Klitsh« ist der Mann der Deutschen (und der EU), »Yatz« ist der guy der USA.[7] »I don’t think, Klitsh should go into the government«, legte die US-Vertreterin am 6.2. 2014 fest, also zwei Wochen vor der Machtübernahme der ›Übergangsregierung‹ – und setzte sich durch. »Yatz« wurde der neue Chef.
Auch wenn diese ›Führer‹ zum Zeitpunkt des Telefonats (und danach) nicht gewählt sind, so genießen sie in unterschiedlicher Gewichtung die Sympathie derer, die auf der Straße kämpfen. Diese ›Führer‹ leben nicht alleine von der voluntativen Sympathie der Straße, sie werfen auch unterschiedliches Kapital ins Rennen. Auch das dürften jene ›unten‹ wissen, die die ›Führer‹ machen lassen, die diese Strukturen, diese Repräsentanz mehrheitlich anerkennen.

5. Wer mit wem gegen wen – zur Funktion des speziellen ukrainischen Nationalismus und zur Herausbildung der faschistischen Aktionsdominanz auf dem Maidan

Kennzeichnend für die innere Situation der postsowjetischen Ukraine ist der außerordentlich hohe Konzentrationsgrad von Vermögen und Macht in der Hand einiger weniger strikt kapitalistisch agierender Oligarchen (womit wir nicht behaupten, daß dies hierzulande grundsätzlich anders wäre, siehe unten). Wie Jörg Kronauer (german-foreign-policy.com) Anfang März in einer Frankfurter Veranstaltung darlegte, befindet sich etwa 40% des ukrainischen Vermögens direkt in der Hand von etwa einhundert Oligarchenfamilien. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt offiziell bei 180 Euro pro Monat – die Oligarchen und ihren Reichtum mit eingerechnet. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist bekanntlich extrem ungleichmäßig: im Westen eher Landwirtschaft, im Osten der Kohle-Stahl-Komplex des Donbass, dessen ökonomische Verflechtung mit der russischen Industrie dominiert. In dieser Situation agieren die Oligarchen der Ukraine in all ihren widersprüchlichen Interessen tedenziell am erfolgreichsten, wenn sie sich weder auf eine allzugroße Abhängigkeit von der Russischen Föderation, noch auf eine Vereinnahmung durch die EU einlassen. Sie leben von den Geschäften mit und zwischen beiden. Eine zu enge Anbindung an Russland scheint vielen von ihnen ebenso gefährlich wie eine zu starke Anlehnung an die EU. Die Gefahr bei letzterer wird ihnen in Südeuropa gerade an vergleichsweise erheblich stärkeren Volkswirtschaften vorgeführt: Troika-oktroyierte Austeritätspolitik mit dem Ziel der Schaffung einer weiteren Billiglohnzone in der EU, Abwicklung der vorhandenen Industrie, weitere Verarmung der Bevölkerung.
Als es im Herbst 2013 zu antioligarchischen Protesten gegen die Regierung Janukowitsch kam, an denen anfänglich auch linke Gruppen teilnahmen, kam es aufgrund der Tatsache, daß zeitgleich das EU-Assoziierungsabkommen verhandelt werden sollte, zu einer sofortigen geopolitischen Überlagerung des innerukrainischen Protests gegen die ›antieuropäische‹, die Fraktion des Russland-orientierten Donbass-Kapitals und Janukowitsch.
Wir gehen davon aus, daß diese Proteste im Verlauf der Zeit Dezember 2013/Januar 2014 einen anderen Charakter annahmen, als immer mehr Aktivisten offenbar vorwiegend aus den westukrainischen Städten[8] in die Auseinandersetzung eingriffen: ›pro-europäisch‹ einerseits, extrem nationalistisch und in Teilen explizit faschistisch andererseits. Das geschah nicht nur spontan, sondern wurde aus dem Kreis der drei zu ›Oppositionsführern‹ sich herauskristallisierenden Personen Klitschko, Jazeniuk und Tjagnibok explizit mit dem Ziel der Eskalation orchestriert und belegbar alle paar Tage mit mindestens der Spitze eines EU-Staats, Litauen, minutiös abgesprochen, wie der geleakte Mailwechsel Klitschkos mit einem Mitarbeiter der litauischen Ministerpräsidentin zeigt[9].Das ebenfalls geleakte telefonische Eingeständnis Victoria Nulands (s.u. Anm. 19), die US-Regierung habe in den Umsturz in der Ukraine fünf Milliarden Dollar investiert, wird sich sicherlich auch nicht nur auf die Brötchen beziehen, die jene Politikerin medienträchtig auf dem Maidanplatz verteilte (man stelle sich die gleiche Situation einmal mit einem hochrangigen russischen Aussenpolitiker während militanter und bewaffneter Proteste in einer US-Großstadt vor…).
Ob es eine irgendwie besondere Funktion des ukrainischen Nationalismus gab oder gibt, können wir an dieser Stelle nicht beurteilen. Klar ist aber: in der oben geschilderten Interessenlage der ukrainischen Oligarchie, die sicher in sich auch noch einmal widersprüchlich ist, wirkt eine Ideologie, die Staat und Gesellschaft weder an Russland noch an die EU angliedern möchte, im Interesse der Herrschenden. Hier bietet sich der ukrainische Nationalismus als gesellschaftlicher Kitt und als wirksame, weil populäre Ausdrucksform oligarchischer Interessen mit historischer Kontinuität an. Er allein vermag es in dieser Situation, Massen gegen deren eigene objektive Ziele auf die Straße und in den Kampf für den Sieg einer oligarchischen Elite-Fraktion zu führen, ohne daß sie etwa auf die Idee kämen, grundsätzliche Fragen ganz anderer Art, etwa die nach dem Sinn oligarchischen Eigentums überhaupt, zu stellen. Er hat, insbesondere in der Westukraine, also im jahrzehntelang durch immer wiederkehrende Grenzverschiebungen charakterisierten Gebiet, einen besonders militanten und reaktionären Charakter angenommen. Das hat eine lange, mindestens bis in die Zeit des 1. Weltkriegs zurückreichende Vorgeschichte. Diese Form des Nationalismus, organisatorisch mit den verschiedenen Fraktionen der ›Organisation Ukrainischer Nationalisten‹ (OUN) verbunden, war/ist in seiner Grundhaltung antisowjetisch/antirussisch, zugleich in besonderer Weise von der Überzeugung durchdrungen, daß eine unabhängige ukrainische Nation nur ›von oben‹ gegründet werden könne[10]. Dieser autoritär und tief katholisch geprägte, bis zur Kollaboration mit dem Nazifaschismus bereite ukrainische Nationalismus dient als ideologischer Kitt im Interesse der wirtschaftlich am besten zwischen den imperialistischen Machtblöcken EU und Russland operierenden Oligarchie. Die zusehends von ihm mindestens aktionspraktisch dominierte Bewegung des Euro-Maidan wurde so zu einer chauvinistischen, antirussisch dominierten Militanz, deren weithin akzeptierte Vorbilder Stepan Bandera, OUN, die ›Geheime Aufstandsarmee der Ukraine‹ (UPA) und sogar die in der Zeit der Nazi-Okkupation aktive ›SS-Freiwilligen-Division Galizien‹ umfasste.
Kerstin S. Jobst weist zudem darauf hin, daß bis heute in der Ukraine weitere, bequem antisowjetisch bzw. antirussisch zu interpretierende nationale ›Mythen‹ tief verwurzelt sind: die Katastrophen des als ›Holdomor‹ bezeichneten Hungers in der Sowjetukraine von 1932/33 und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986.[11] Nationalismus geht in dieser Konstellation wie von selbst einher mit heftigen Haßausbrüchen gegen den russischen Außenfeind, innerer Zusammenhalt soll durch Abgrenzung gegen ihn konstituiert werden. Stepan Bandera und sein Bild, Standbilder für den Mitbegründer und Führer des militanten Flügels der OUN, sind in der Westukraine von Stadtplätzen bis zu Fußballstadien allgegenwärtig. Sie waren es zunehmend auch auf dem Maidan, ebenso wie die schwarzroten Fahnen der UPA, die noch nach 1945 bis Mitte der 1950er Jahre vor allem im Westen des Landes die Sowjetmacht bewaffnet bekämpfte, militärisch verdeckt unterstützt von der CIA. Bandera und die OUN kämpften nach dem ›Fall Barabarossa‹ an der Seite der Naziwehrmacht, von ihr finanziert, bewaffnet und geführt gegen die Sowjetunion, vulgo ›Russland‹, sie waren an antikommunistischen und antisemitischen Massakern wie dem von Lemberg im Juni 1941 nicht nur beteiligt, sondern führten sie durch: 7.000 Tote. Das ist allgemein bekannt, niemand bestreitet das ernsthaft.[12]Ebenso sind es Fakten, daß die aktuelle Mit-Regierungspartei Swoboda[13] sich ausdrücklich positiv auf Bandera und die OUN bezieht[14], wie auch auf die ukrainischen Freiwilligen in der faschistischen Waffen-SS, die sie zu ehren pflegt.[15] Folgerichtig ist sie Partnerpartei der deutschen NPD[16]. Ihr zentraler Think-Tank trägt, wie im Bundestag aktenkundig gemacht wurde, den Namen des ehemaligen Reichspropagandaministers Josef Goebbels.[17] Man tritt dieser Partei mithin nicht zu nah, wenn man sie als faschistische Organisation bezeichnet, auch wenn die deutsche Regierung das in voller Kenntnis der genannten Fakten bezeichnenderweise ausdrücklich anders sieht. Swoboda blieb nicht allein: mit und neben ihr agierte auf dem Maidan der bewaffnete ›Rechte Sektor‹[18] mit seinen der UPA-Tradition entstammenden Fahnen, in seinen Reihen viele militärisch gut ausgebildete Männer aus den Zeiten der Sowjet-Armee oder anderer bewaffneten Gruppen. Sie waren keineswegs marginal, wie auf von westlichen JournalistInnen auf in Artikeln, Sendungen und über Twitter, den öffentlichen Medien, der Politik bis Ende Februar immer wieder behauptet wurde[19]. Über die Rolle des rechten Sektors äußerte vielmehr Alexander Rahr, Leiter des ›Berthold Beitz-Zentrums – Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien‹ bei der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: »Der rechte Sektor war aus meiner Sicht entscheidend für den Umsturz, weil er eine Organisation ist, die auch bereit war, in Kampfhandlungen mit den Polizisten, mit den Sicherheitskräften einzutreten. Sie waren gut organisiert, sie hatten auch immer wieder einen Plan, wie sie angriffen, wie sie sich verteidigten, so dass sie einen großen Anteil am Erfolg des Maidans gehabt haben.«[20] Daß für Aktivisten aus diesem politischen Bereich regelrecht Sold gezahlt wurde, ist seit Victoria Nulands Telefongeplauder bekannt: Fünf Millarden Dollar waren den USA ›Freiheit‹, ›Demokratie‹, ›Menschenrechte‹ sowie deren Durchsetzung mithilfe offener Faschisten wert; die EU wird sich zB. in Gestalt der Konrad-Adenauer-Stiftung und ähnlichen Einrichtungen nicht haben lumpen lassen[21]. Behauptet wird auch, daß nicht zuletzt der heute als nächster Präsident des Landes in Aussicht genommene milliardenschwere Oligarch und Ex-Aussenminister der Ukraine, Petro A. Poroschenko[22], für die von allen westlichen Medien erstaunt vorgefundene perfekte Infrastruktur der Massenproteste auf dem ›Euro-Maidan‹ gezahlt haben soll.
Die Selbststilisierung von Sprechern des Rechten Sektors, sie seien »die Selbstverteidigungkräfte des Maidan«, lange Zeit von deutschen Medien und ›Ukraine-ExpertInnen‹ wie etwa Marina Weisband (Piraten) mitverbreitet, waren spätestens widerlegt, als von genau diesen Gruppen noch am Abend seiner Unterzeichnung am 20.2.2014 das von Klitschko (Konrad-Adenauer-Stiftung, UDAR), Jazeniuk (Vaterlandspartei) und dem Faschisten Tjagnibok (Swoboda) mit Steinmeier und seinen beiden französischen bzw. polnischen Amtskollegen plus Vertretern der Regierung Janukowitsch ausgehandelte Abkommen auf dem Maidan für nicht bindend erklärt wurde. Zugleich wurde für den kommenden 21.2.2014 vormittags der bewaffnete Sturm auf alle Regierungsgebäude angekündigt. Welche Rolle dabei die am Vortag erfolgten Angriffe von auf den Dächern postierten Scharfschützen, die offenbar auf beide Seiten, Berkut-Einheiten und Demonstranten, geschossen hatten, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Daß es nicht zu einer von der ›Übergangsregierung‹ angeordneten Untersuchung der Verantwortlichkeit für bei dieser Gelegenheit etwa 80 getötete Menschen kam, veranlaßte den linker Sympathien sicher unverdächtigen estnischen Außenminister Paet in einem später wiederum geleakten Telefongespräch mit der EU-Außenkommissarin Ashton davon zu spekulieren, dies sei äußerst verdächtig und ein mögliches Indiz auf eine Verwicklung der hinter der ›Übergangsregierung‹ stehenden Kräfte selbst (»snipergate« – ein nicht unbekanntes Szenario[23])[24]. Da es eher im Interesse der heutigen Machthaber der Ukraine läge, diese Frage in ihrem Sinn zu klären, hat die Vermutung des estnischen Außenminisers eine hohe Plausibilität.
Wie aber kamen die rechten Kräfte, die ganz offen mit Wolfsangeln, Keltenkreuzen, Thor-Steinar-Jacken, SS-Runen, 14/18/88 – Codes usw. auftraten, in die Rolle, den Umsturz als seine aktivste militante Kraft prägen zu können?
Wir gehen davon aus, daß es nicht im Interesse der gesamten ukrainischen Oligarchie liegt, sich entweder Russland oder der EU zu unterwerfen, durchaus aber einzelne ihrer Protagonisten eine Ablösung der Regierung Janukowitsch betrieben. Hier gab es nun von langer Hand vorbereitet eine eher EU-orientierte und eine eher US-orientierte Fraktion (Klitschko vs. Jazeniuk), die allerdings beide weder als einzelne noch im taktischen Bündnis miteinander über genügend zivilgesellschaftliche Durchsetzungskraft verfügten, den dafür erforderlichen Sturz des Russland-orientierten Janukowitsch zu bewerkstelligen. Das ging nur im Dreierbündnis mit Swoboda, in dessen Gefolge dann auch der ›Rechte Sektor‹ agierte, offenbar aber relativ autonom – so sehr, daß nach einer vorläufigen Konsolidierung der Macht der Übergangsregierung einer ihrer populärsten Söldner, Oleksander Muzychko, durch ukrainische Polizisten regelrecht hingerichtet werden ›musste‹ – ob als ausser Kontrolle geratener Söldner oder unbequemer Zeuge, ist bislang unbekannt. [25] Jazeniuk und Klitschko, dieses Bündnis der unterschiedlichen Fraktionen einer ›westlichen Wertegemeinschaft‹, genauer: der beiden imperialistischen Mächte USA und EU, bedienten sich also nicht nur bedenkenlos der Swoboda-Faschisten und seines ›Josef-Goebbels-Zentrums‹, sondern sie hätten, wie Osteuropa-Experte Rahr ausdrücklich bestätigte, selbst dann keine Chance ohne die militante Kompetenz des Rechten Sektors dazu gehabt.»Steinmeier demonstrierte mit seinem Kotau vor den Oligarchen und den Faschistenführern die Interessenidentität zwischen westlichen Kolonisatoren, ukrainischen Machthabern und deren nazistischen Fußtruppen«, faßt A. Schölzel das treffend zusammen, auch wenn sicher stimmt, daß es sich, wie er fortfährt, um ein Bündnis auf Zeit handelt.[26]

6. Vom Schweigen der Lämmer: es gibt keinen Antifaschismus ohne Antiimperialismus

Das Ergebnis dieses Vorgangs seitens der deutschen Regierung als dominierende Macht in der EU feierlich abzusegnen, ist ein Novum und bisher in dieser Form nicht dagewesener Tabubruch[27]. Trotz der reichlich erstatteten Hilfe aller bisherigen deutschen Regierungen seit 1949 für Militärdiktaturen und faschistoide Regime blieb es dem Außenminister der Zweiten Großen Koalition der Berliner Republik vorbehalten, das Ergebnis eines als Pro-EU-Parteinahme gemeinten neoliberalen Putsches unter entscheidender Beteiligung offen auf den Nazifaschismus Bezug nehmender Kräfte salonfähig zu machen und auf die europäische Bühne der hohen Politik zu hieven, sowie ohne jede demokratische Legitimation mit dieser Übergangsregierung völkerrechtlich verbindlich gemeinte Verträge mit ihr abzuschließen. Völlig zu Recht spricht eine der wenigen sprachfähig gebliebenen antifaschistischen Organisationen der Ukraine, die Gruppe Borotba, von der aktuellen Regierung als der eines »neoliberal-faschistischen Blocks«[28]. Diesen Block mit an die Macht gebracht zu haben und ihn mit dem Mittel der internationalen Politik den Rücken ›gegen Russland‹ zu stärken, ist nicht zuletzt das Verdienst des deutschen Imperialismus und seiner jahrzehntealten Tradition, die Ukraine seiner Machtsphäre einordnen zu wollen[29]. Daß dies nach den beiden Fehlschlägen 1914-1918 und 1939-1945 nun als dominierende Kraft des Friedensnobelpreisträgers Europäische Union gelang, ist ein historischer Erfolg einer Politik, die man zu Recht als »neuen Wilhelminismus« bezeichnen kann – exakt 100 Jahre nach 1914[30]. In diesem Sinne hatte bereits 2007 der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günther Gloser (SPD), die entsprechenden Versuche des deutschen Imperialismus während des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie mit dem Mittel der Europäischen Integration ›kritisch‹ verglichen und war zu dem Schluß gelangt: »Wir haben in der jüngeren Geschichte dreimal sehr viel Geld investiert, und nur einmal ist eine positive Dividende dabei herausgekommen.«[31]
Feind war damals wie heute immer wieder Russland, sei es als Zarenreich, als sowjetischer Systemgegner, oder, heute, als imperialistischer Konkurrent und Geschäftspartner zugleich. Läßt man die schäumende antirussische Propaganda nicht nur Julia Timoschenkos auf sich wirken, die aus der Berliner Charité heraus vom Atomkrieg bis zur persönlichen Exekution Putins ihren Vernichtungsphantasien folgenlos freien Lauf lassen durfte, sondern auch die fast täglichen Verachtungs- und Haßgesänge gegen den russischen Präidenten als personifiziertes Böses und (nach Milosevic, Saddam Hussein, Ahmadinedschad, Ghaddafi und Assad) Widergänger Hitlers, oder Rußland als »gas station masquerading as a country« (US-Senator McCain[32]), der ahnt, aus welchen Tiefen der antibolschewistischen Feindschaftspflege die Propagandamaschine hier schöpfen kann.
Es ist eine alte Wahrheit der radikalen Linken, daß ihr Platz in inter-imperialistischen Auseinandersetzungen nicht auf einer der beiden Seiten zu finden ist. Gerade die Geschichte des Ersten Weltkriegs zeigt das deutlich. Er wurde nur möglich dank der historischen Fehlentscheidung des gesellschaftlich dominierenden Teils der Sozialdemokratie Europas, für die jeweils eigene Bourgeoisie in den Krieg zu ziehen. In Deutschland wurde das bereits 1914 ausdrücklich mit dem Verweis auf den barbarischen, rückständigen, unzivilisierten und autokratisch regierten russischen Feind begründet.
Wir wollen anmerken: es gab damals auch ein keineswegs erfolgloses Gegenmodell. Von seinen Chancen sind wir heute Lichtjahre entfernt, wie der historische Vergleich besonders schmerzhaft deutlich macht: die Zimmerwalder Linke, Keimzelle der späteren Kommunistischen Internationale, griff 1915 eine Forderung der russischen SDAPR(B) vom Herbst 1914 auf und rief dazu auf, in jedem Land Europas den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zum Sturz der je ›eigenen‹ Bourgeoisie umzuwandeln. Damit setzte sie, partiell und später zeitweilig erfolgreich, der nationalistischen Haltung der Parteien der II. Internationale eine internationalistische und klassenbezogene Position entgegen. In Rußland wurde diese Forderung 1917 erfolgreich einem Praxistest unterzogen.
Kräfte, die in der gegenwärtigen Situation Europas und der EU analoge revolutionäre Positionen vertreten, sind derzeit auf die EU als ganzes bezogen marginalisiert, wenn auch vorhanden[33]. In der deutschen Linken aber, von der LINKEN über Blockupy bis zur Antifa in ihrer aktuellen Schwundstufe als Antifa 2.0 , herrschen heute objektiv eher EU-“patriotische“ Illusionen und Stimmungen vor, nicht selten „antinational“ oder „antinationalstaatlich“ begründet[34], meist mit dem Ziel, die EU als irgendwie doch zivilisatorisches „Friedensbündnis“ nicht grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern auf reformistischem Weg zu „transformieren“, zu zähmen oder „neu gründen“ zu wollen[35], was, ohne die Existenz der EU als imperialistisches Staatenbündnis auf der Ebene seiner kapitalistischen Eigentumsverhältnisse aufzuheben, mit Sicherheit ein hoffnungsloses Unternehmen ist.
Das sind zwar scheinbar sehr viel weiterführende Fragen, doch gehen wir davon aus, daß hier einer der Gründe für das weitgehende Schweigen der deutschen Linken zu den Vorgängen in der Ukraine zu finden ist. Wir wollen angesichts der Ukraine-Krise festhalten und betonen: es war diese nicht zuletzt von Deutschland dominierte EU, ohne die es eine Regierung des ›neoliberal-faschistischen Blocks‹ in der Ukraine niemals hätte geben können. Als Linke haben wir hierzu keine gemeinsame Sprache, schon gar nicht irgendwelche Formen adäquater Reaktionen den Herrschenden unseres Landes und ihrer nazitoleranten Ukrainepolitik gegenüber gefunden – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß zum imperialistischen Staatenbündnis EU eine klar ablehnende Haltung derzeit nicht konsensfähig ist. Das lähmt uns empfindlich.

7. Wieviel Faschismus ist zum Sturz einer Regierung akzeptabel?

In den deutschen Medien hat es sehr lange gedauert, bis diese auf dem Maidan-Platz nicht nur freiheitsliebende und nach Europa drängende Menschen gesehen haben, sondern auch organisierte Faschisten. Irgendwann ließ sich diese Tatsache nicht mehr leugnen. In der zweiten Märzwoche brachte das TV-Magazin Kulturzeit von 3 SAT dieses wissentliche Unterschlagen zur Sprache. Die Moderatorin erwähnte die ›sozialen Medien‹, in denen immer öfters und hinreichend belegt der Einfluß und die Bedeutung nationalistischer und faschistischer Kräfte auf dem Maidan-Platz benannt und kritisiert wird. Sie fügte hinzu, dass man den (Staats-)Medien, also auch ihrer Sendung, bewußte Einseitigkeit und einen manipulativen Umgang mit den Fakten vorgeworfen hat.
Der anschließende Versuch, diese Vorwürfe zu entkräften, ist selbst wieder ein gutes Beispiel für fortgesetzte Desinformation. Natürlich habe man von ›rechtsnationalistischen‹ und faschistischen Kräften gewußt (ohne zu sagen, dass sie in keinem Bericht vorkamen), deren Einfluß und deren Bedeutung werde aber bei Weitem übertrieben.
Einen knappen Monat später bekam man dann aber auch in offiziellen deutschen Medien Bilder und Szenen rund um den Maidan Platz zu sehen, die wochenlang aus den Filmberichten herausgeschnitten worden waren.

Maidan-Kämpfer

Nachdem man also ausdrücklich wochenlang sehr wohl um den wachsenden Einfluss paramilitärischer faschistischer Kräfte wußte und dies genau so lange unterschlug, versuchte man nun, deren Bedeutung auf die Größe eines Zwerges herunter zu reden.

 

Dass der Umgang von EU-Staaten mit faschistischen Organisationen und Parteien zwischen Sympathie, Nützlichkeit und Opportunität hin und her changiert, ist nicht besonders neu, wird aber selbst in antifaschistischen Kreisen nicht gern diskutiert, sondern selbst dort nicht selten als verschwörungstheoretischer Unsinn abgetan (Gladio, Oktoberfestanschlag, NSU). Dass genau dieser Umgang auch mit Blick auf die Rolle faschistischer Kräfte beim Sturz der Regierung gepflegt wird, ist also nur konsequent.
Nicht besonders erstaunlich ist darum ein ähnlicher Umgang der außerparlamentarischen Linken (Globalisierungsgegner, Blockupy-AktivistInnen usw.) mit der veröffentlichten Meinung zu den Vorgängen in Kiew. Dass sich Linke zu Beginn der Proteste gegen das autoritäre Regime in der Ukraine auf die Seite der Protestierende gestellt hatte, ist verständlich. Schließlich wusste man zu Beginn noch sehr wenig, was mit diesem Protest gemeint ist, wohin der Protest führen sollte. Und sicherlich waren zu Beginn auch antifaschistische, linke AktivistInnen beteiligt. Doch das Blatt wendete sich sehr schnell, lange bevor es in den Staats(nahen)medien aufgeschlagen wurde. Am weitesten trieb dies das in der Partei DIE LINKE agierende Netzwerk ›marx21‹, ehemals ›linksruck‹. Dort hatte man zunächst einen ukrainischen »revolutionär-sozialistischen« Gewährsmann der eigenen Weltsicht zu Wort kommen lassen, der Mitte Januar 2014 die Vorgänge als Ergebnis der Aktivität demokratischer Massenbewegung deutete und davor warnte, von Faschisten zu sprechen. Diese gebe es zwar, aber sie seien nun mal „»objektiv die mutigsten und buchstäblich kämpferischsten Teile der Bewegung …. Keiner geht so offensiv gegen die Polizei vor, wie die Ultra-Rechten«, was tatsächlich positiv gemeint war. Von Faschisten zu sprechen, verbiete sich. Klar seien da Rechte auf dem Platz, aber für die gebe es noch keinen passenden Begriff.[36] Man dürfe die bejubelte Maidan-Bewegung »nicht den Rechten überlassen«. Faktisch lief das auf eine ideologische Stärkung der Positionen des deutschen Imperialismus hinaus. Vor Ort bedeutete es die friedliche Koexistenz mit Faschisten. Ähnliche Reaktionen gab es an an die Adresse der Verfasser dieses Textes, zB. auf die per Rundmail über das in der Region vielgelesene Netzwerk Rhein-Main-Plenum weitergegebene Information der israelischen Tageszeitung Ha’aretz zu Warnungen von Sprechern der jüdischen Gemeinde Kiews vor aktuell aufsteigendem Antisemitismus im Land. An dessen Existenz sowie an der antisemitischen Grundhaltung von OUN, UPA, Swoboda, kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum listet den Führer von Swoboda, Oleg Tjagnibok[37], Verhandlungspartner Steinmeiers, als den fünftgefährlichsten Antisemiten weltweit[38]. Dennoch erfolgte auf die Bekanntgabe der Warnung vor deren Antisemitismus per Mail-Antwort von linker Seite auf diesen und ähnliche Texte[39] die Mahnung, keine falschen Gerüchte zu verbreiten. Es habe schließlich nicht der Rabbi von Kiew, sondern nur dessen Stellvertreter entsprechendes geäußert. Und der sei als Verbreiter russischer Propaganda berühmt, fügte in gleichem Tonfall per Twitter die Journalistin und NATO-Korrespondentin Birgit Schmeitzner aus der Ukraine hinzu. Bezeichnende Übereinstimmung. Die gesamte sogenannte ›antideutsche‹ und ›antinationale‹ Linke bis hin zum ›Kommunistischen Bündnis‹ ›… ums Ganze‹ schwieg und schweigt[40] zur Installation eines neoliberal-faschistischen Blocks in einem europäischen Land mit maßgeblicher Hilfe aus Deutschland.
Von Seiten eines als antifaschistischen Aktivisten geschätzten Stadtverordneten der Frankfurter Piraten kam, als hätte es noch nie so etwas wie internationale Solidarität gegeben, als Reaktion: was können wir von Frankfurt aus denn in Kiew ausrichten? Wenn schon eine klar ablehnende Haltung der Piraten zum faschistischen Putsch in Kiew parteiintern offenbar nicht Konsens ist: wenigstens eine Distanzierung seiner Partei von zahlreichen öffentlichen Auftritten ihrer Protagonistin Weisband, in denen sie unter Verweis auf ihre ukrainische Herkunft ausgiebig um Verständnis für ›den Maidan‹ warb, ist unseres Wissens bis heute nie erfolgt, selbst jetzt, wo jeder sehen kann, was aus diesem sogenannten Aufstand[41] geworden ist.
Was tat die Linke in der Ukraine selbst? Wo blieb der kritische Blick der dort Beteiligten? Haben sie nicht gesehen, wie sich die Mitglieder des rechten Sektors zu ›Helden‹ des Kampfes mauserten? Haben sie nicht gesehen, wer sich an die Spitze des Protestes gesetzt hatte? Wo ist die Linke in der Ukraine, die darüber berichtet, mit der die Linke in Deutschland in enger Verbindung und Austausch steht?
Was man auf dem Maidan Platz schon sehr früh hätte sehen, fühlen, riechen können, wurde erst dann unübersehbar, als es sich namhaft und ministerabel in die Übergangsregierung eingeschrieben hatte: Die nationalistische und faschistische Partei ›Swoboda‹ stellt zwei Minister und den obersten Ankläger, den Generalstaatsanwalt Oleg Machnitzkij. Außerdem wurde noch ein weiterer Kamerad in Geist und Tat in ein wichtiges Regierungsamt gehievt: Andrij Parubij wurde Sekretär des nationalen Sicherheits – und Verteidigungsrates[42]. Davor war er alles, was rechts und nationalistisch ist: Mitbegründer der neofaschistischen Sozial-Nationalen Partei der Ukraine, Vorläufer der heutigen Swoboda-Partei, Kandidat auf der Liste von Julija Timoschenkos Vaterlandspartei (2012).

»Während der Euromaidan-Proteste galt Parubij als ›Kommandeur des Maidan‹, wobei er eng mit dem Führer des Prawyj Sektor, Dmytro Jarosch kooperierte«[43].

Während also die nicht minder schwache Linke der Ukraine über zunehmende Übergriffe, Angriffe auf alles, was nicht national und vaterlandslieb genug ist, berichtete, begaben sich Teile der Linke in Deutschland auf eine geradezu beschämende Verharmlosungstour. Zeitgleich zum nachrückenden Mainstream erwähnte auch sie die Anwesenheit von Faschisten und Nationalisten in den Kämpfen gegen die Regierung, um sie dann im selben Atemzug zu marginalisieren – in ihrem Kopf, in ihrem Bewusstsein.
Ähnlich wie die Haltung der GROKO wurde die Bedeutung der Faschisten als unschönes Beiwerk abgehandelt, das den guten Absichten der revoltierenden Mehrheit (auf dem Maidan Platz, in der Ukraine?) nichts anhaben könne. Es war von Übertreibung (es fehlt nicht viel und das Wort Extremismus fällt) die Rede, wenn die Beteiligung von Faschisten am gewaltsamen Sturz einer Regierung, an einer Übergangsregierung als inakzeptable Zusammenarbeit kritisiert wurde.
Die ehemalige Geschäftsführerin der Piraten Marina Weisband, die in Kiew geboren ist und nun oft als Talkgast gefragt war, hatte für dieses faschistische ›Randphänomen‹ griffige, sehr waghalsige Zahlen: Sie rechnete den Einfluss der reaktionären und faschistischen Kräfte auf dem Maidan Platz hoch und sagte folgenden Stimmenanteil bei den bevorstehenden Parlamentswahlen voraus: die reaktionäre Swoboda (Freiheits-)Partei käme auf zehn Prozent und der ›Rechte Sektor‹ auf zwei Prozent der Stimmen. Während sie so vor einer Übertreibung des faschistischen Einflusses warnen wollte, merkte sie gar nicht, wie unerträglich selbst ihre vorsichtigen Schätzungen sind.
Man stelle sich vor, unter den 20.000 Menschen, die im Rahmen von Blockupy 2014 in Frankfurt demonstrieren könnten, würden sich 2.000 Nationalisten befinden, die nicht die geringsten Berührungsängste mit Faschisten haben und 400 paramilitärisch organisierte Faschisten, die die Demonstration anführen und mit der Aufgabe betraut werden, jeden Versuch, die Demonstration aufzuhalten, zurückzuschlagen und die No-Troika-DemonstrantInnen einschließlich der Demonstationsleitung würde das dankbar akzeptieren!
Wer ist schuld an der wachsenden Bedeutung faschistischer, nationalistischer Positionen innerhalb der Protestbewegung? Auch darauf gibt die Piratin Marina Weisband eine halsbrecherische Antwort. Bis zu gewalttätigen Zusammenstößen am 20. Februar 2014, bei denen sowohl DemonstrantInnen, als auch Polizisten gezielt ermordet wurden, sei der Protest friedlich und ganz ohne faschistische Einfärbungen gewesen. Erst die brutalen Angriffe der Polizei, die Eskalation, habe dazu geführt, dass die Faschisten, vor allem der ›Rechte Sektor‹ Zulauf bekommen haben. Anders gesagt: Die mittlerweile gestürzte Regierung sei an der Zusammensetzung ihrer Regierungsgegner schuld. Willenloser kann man einen Protest nicht machen!
Ein Protest, eine Bewegung, die mehr sein will, als Wegbereiter für eine EU-ergebene Regierung, die mehr sein will, als einer anderen Fraktion der ukrainischen Oligarchie an die Macht zu verhelfen, ist alleine dafür verantwortlich, mit wem sie sich verbündet, mit wem sie gemeinsam kämpft. Die Annahme, dass man sich der Faschisten bedienen kann, um sie dann wieder nachhause zu schicken, hat sich historisch und aktuell mehr als dumm erwiesen. Sie ist tödlich.

8. Das Ergebnis: Regierungen kommen und gehen – die Oligarchie, die Business-Class bleibt. Die Hundertschaft der Oligarchen

Wie wenig jene etwas zu sagen haben, die den Umsturz vollbracht haben, wie bedeutungslos die Wünsche und Hoffnungen jener sind, die auf dem Maidan-Platz gekämpft haben, zeigt sich nicht nur in der Ukraine – das kann man auch in vielen europäischen Ländern feststellen. Wie sagte es der CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer einmal in einem lichten Moment: »Diejenigen, die gewählt werden, haben nicht die Macht, und jene, die die Macht haben, werden nicht gewählt.«[44]
Das wußte auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, als er im März 2014 in die Ukraine flog, um die neue Mannschaft der politischen und ökonomischen Player zu begutachten. Dass es dabei nicht so sehr auf das politische Personal, sondern zuvorderst auf die ökonomische Klasse ankommt, weiß neben Steinmeier auch die FR (wenn sie auf die wahren Machtverhältnisse in der Ukraine schaut):

»Er will die politischen und wirtschaftlichen Akteure hier kennenlernen. Allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Vor dem politischen Akteur, dem neu eingesetzten Gouverneur Serhij Taruta, hat Steinmeier den wichtigsten wirtschaftlichen Akteur getroffen, den ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow. Achmetow ist der reichste Mann der Ukraine und der größte Stahlproduzent der GUS. Ihm gehören hier ein Handelszentrum, das Hotel Donbas Palace und der Fußballclub Schachtjor Donezk samt Fünf-Sterne-Stadion, der Donbas-Arena. Als der ukrainische Übergangspräsident Olexander Turtschynow acht Tage nach dem Sturz Janukowitschs die Einsetzung des Multimillionärs Serhij Taruta als Gouverneur von Donezk bekannt gab, erklärte er zeitgleich, dies sei mit dem Stahl- und Kohlebaron Achmetow abgesprochen. Kurz, Achmetow gehört auch die staatliche Gebietsverwaltung von Donezk, nebst Personal und Inventar.«[45]

Erinnert sich heute noch jemand daran, dass die Besetzung des Maidan-Platzes, die wochenlangen Kämpfe dort, ganz wesentlich von dem Willen und Wunsch getragen waren, die Macht der Oligarchie zu brechen, die damit einhergehende Korruption zu beenden, kurzum eine Regierung zu stürzen, die (wie die Regierung unter Timoschenko zuvor auch) vor allem einem gedient haben: der Oligarchie im eigenen Land und den Geschäftspartnern im Ausland, mit denen man paktierte?
Und wer ist der von der Übergangsregierung ernannte Gouverneur von Donezk, Serhij Taruta, dem Steinmeier danach einen Besuch abstattete? Serhij Taruta stammt wie Achmetow aus der Region Donezk. Er konzentriert seine unternehmerischen Aktivitäten im Konzern Industrialnyj Sojus Donbassa. Dazu gehört die Stahlproduktion. Im Jahr 2007 kaufte Taruta zudem die Danziger Werft. Forbes schätzte sein Vermögen auf zwei Milliarden Dollar. Taruta hält sich wie sein Oligarchen-Kollege Achmetow zum Spaß auch einen Fußballverein: Metalurh Donezk, dessen Präsident er ist.
Wie skrupellos die neue Übergangsregierung das Land, also den gesellschaftlichen Reichtum, unter den Oligarchen aufteilt, beweist eine weitere Ernennung: Der Banker Igor Kolomojskij, der drittreichste Ukrainer wurde in Dnepropetrovsk zum Gouverneur ernannt.
Wie beschreibt die kapital-freundliche Tageszeitung ›Die Welt‹ das Stühlerücken innerhalb der ukrainischen Oligarchie:

»Eine Handvoll ukrainischer Wirtschaftsbosse hat die Macht im Land. Einige mussten jetzt das Weite suchen. Aber deren Plätze haben längst andere eingenommen. Ändern wird sich nichts.«[46]

Was sagen die Tausende, die wochenlang für den Sturz einer Oligarchen-Regierung gekämpft haben? Was sagen die Tausende zu dem (vorläufigen) Ergebnis, dass sie nur das Ranking innerhalb der Business Class beeinflusst haben, nichts an ihrer eigenen, beschissenen Lebenssituation?
Selbst wenn es Stimmen dazu gibt, darf man sicher sein, dass diese – heute – sowohl in der Ukraine, als auch in Europa als störend empfunden und stumm gestellt werden.
Zumindest eine sehr treffende Aussage eines Aktivisten ist überliefert, der für dieses Schmierentheater nur noch Spott übrig hatte: »Es sieht so aus, als ob wir jetzt noch eine Hundertschaft der Oligarchen dazubekämen.« (Einige, viele der AktivistInnen auf dem Maidan Platz waren in Hundertschaften eingeteilt.)
Fakt ist eines: In der Ukraine hat vieles stattgefunden, nur keine Revolution. Die Macht- und Besitzverhältnisse wurden nicht angetastet. Im besten Fall wurde das Ranking innerhalb der ukrainischen Business-Class verschoben. Dafür ein ›Aufstand‹?
Geht man davon aus, dass die Anhänger der Swoboda-Partei und des ›Rechten Sektors‹ mit dieser Entwicklung kein Problem haben, wenn es bei einem national-parfümierten Kapitalismus bleibt, dann stellt sich die Frage, wie die vielen anderen Tausende diese Entwicklung betrachten, die wochenlang für den Sturz der Oligarchen-Regierung unter Janukowitsch gekämpft haben, um erst ohne, dann mit Wahlen eine Oligarchenregierung unter XY an die Macht zu bringen?
Haben all die Tausende nicht gewusst, wofür die drei Führer, die auf unterschiedliche Weise die Unterstützung der Maidan-BesetzerInnen hatten, wirtschaftspolitisch stehen?
Haben die zahlenmäßig kleinen linken Gruppen und Organisationen mehr gewusst? Und wenn ja, was haben sie mit diesem Wissen gemacht?

9. Rückwirkungen: Unser Schweigen hat Konsequenzen – vor allem für uns selbst

Und wir? Wussten wir Bescheid? Ab wann? Was haben wir selber getan? Die Linke, die Blockupy-Bewegung, die Antifa, die KapitalismuskritikerInnen? Wir haben geschwiegen. Und damit haben wir wider Willen zugestimmt, weil wir nicht in der Lage waren und sind, uns zu einem so fundamentalen Vorgang eine gemeinsame Position zu erarbeiten und gesellschaftlich sichtbar zu machen, so deutlich, daß auch unsere GenossInnen in der Ukraine, so schwach sie sein mögen, Solidarität erfahren, hören, wie wir die Dinge an diesem Ende der Welt sehen. Schon gar nicht konnten wir auch nur den leisesten Versuch unternehmen, Steinmeier und Co. in den Arm zu fallen, und sei es auch nur symbolisch. Nichts dergleichen geschah. Es gab bis heute, keine einzige Demonstration, und von wenig bekannten, aber wichtigen Ausnahmen abgesehen (s.u.) keine einzige öffentliche Erklärung der außerparlamentarischen Linken zum faschistischen Putsch in der Ukraine.
Dass der Verlauf von Revolten nicht alleine vom Willen der Beteiligten bestimmt wird, dass Revolten sehr oft und meist viel besser organisiert als die Revolte selbst von politischen Kräften genutzt werden, die mit den Wünschen und Hoffnungen der Kämpfenden wenig bis gar nichts zu tun haben, ist keine brandaktuelle Neuigkeit.
Die schreckliche Tatsache, dass der ›arabische Frühling‹ in Ägypten in ein Regime mündete, das man durchaus mit dem Regime unter Mubarak vergleichen kann, in eine abermalige Militärdiktatur, die man demnächst in Wahlen bestätigen wird, liegt gerade ein paar Monate zurück.
Wenn man – hier, aber auch dort, in der Ukraine, in Ägypten, in Tunesien – nach einer Phase der Begeisterung und Sympathie nicht in Sprachlosigkeit und Gleichgültigkeit verfallen will, dann muß man die Frage stellen: Was muß ein Protest, eine Revolte tun, damit sie nicht wieder und wieder um ihre Wünsche und Hoffnungen gebracht wird?
Wenn von Oligarchen in der Ukraine die Rede ist, dann schwingt gerne und absichtsvoll etwas Rückständiges mit. Was unterscheidet die kapital-gedeckte Klasse der hundert Reichsten in der Ukraine von denen, die sich als extreme Minderheit in Deutschland zu den Wirtschafsbossen zählen dürfen?
Vielleicht meint man ja mit Oligarchie eine rückständige Form der Herrschaftsrepräsentation. In den alten kapitalistischen Staaten pflegt man es, dass die politischen Repräsentanten des Systems nicht identisch sind mit denen, die die wirtschaftlich Macht in den Händen halten. Man leistet sich doppeltes Personal. In der Ukraine scheint es derzeit augenscheinlich so zu sein, dass Konzernchefs, Wirtschaftsmagnaten identisch mit jenen sind, die politische Ämter innehaben. Vielleicht ist dieses ›rückständische‹ Modell auf eine gewisse Weise auch ein Fortschritt: Erstens spart man sich doppelte Kosten und Reibungsverluste. Zweitens verzichtet man damit auch auf die aufwendige Verkleidung derer, die Regierungen wie Hausangestellte halten.
Der Blick hinter die Barrikaden, der Blick auf die realen Machtverhältnisse ist um einiges schwieriger als die schnelle und folgenlose Solidarisierung mit den Revoltierenden. Die Sympathie ist in aller Regel eine ideelle, die in hohem Maße von der medialen Aufmerksamkeit gesteuert wird, auch wenn man sich selbst nicht zum Mainstream zählt. Tatsächlich schaltet die Linke oft schneller ab, wendet sich viel schneller vom Schauplatz der Revolte ab, als die meisten bürgerlichen Medien – die mit dem Ausgang der Revolte oft recht zufrieden sein können. Wo ist die Begeisterung für die Revoltierenden in Griechenland geblieben? Wer setzt sich mit den schweren Bedingungen der Kämpfe dort auseinander? Wer bleibt heute noch mit seinen Gedanken bei denen, die den ›arabischen Frühling‹ mitgetragen haben?
Anstatt die Schauplätze der Sympathie ständig zu wechseln, anstatt die Fehler ständig zu wiederholen, würde sich die Frage lohnen: Warum sind die Revolten so schnell niedergeschlagen? Warum schlagen Revolten so oft in Resignation und Ohnmacht um? Warum gehen Revolten so oft mit reaktionären, nationalistischen Hoffnungen einher? Warum ist die (parlamentarische und außerparlamentarische) Linke so marginal in den Revolten vertreten?
Zweifellos ist die Revolte gegen das Militärregime unter Mubarak genau so legitim, wie die militanten Kämpfe gegen die Troika-Politik in Griechenland oder das autoritäre Regime in der Ukraine.
Die entscheidende Frage ist also nicht, wogegen wir kämpfen – die entscheidende Frage ist, wofür wir kämpfen! Im Kampf gegen eine autoritäre, korrupte Regierung vereint sich recht Unvereinbares: nationalistische, rassistische Ideologien genauso wie religiöse, ökonomische und geostrategische Interessen, linke Ideen wie revolutionäre Vorstellungen.
Erst wenn kenntlich gemacht werden muss, wofür man kämpft, werden diese eklatanten Unterschiede sichtbar. Erst dann wird sichtbar, was in eine konformistische Revolte mündet und was diese von einer antizipatorischen Revolte oder gar dem Beginn eines revolutionären Prozesses unterscheidet.
In der Ukraine lässt sich das sehr anschaulich beschreiben. Zu Beginn der Revolte gegen das autoritäre Regime Janukowitschs waren sicherlich die verschiedensten Motive und Vorstellungen auf dem Maidan Platz vertreten. Doch sehr schnell kristallisierte sich auf der Bühne des Protestes eine politische Richtung heraus, die deutlich und unübersehbar eine konformistische Revolte zum Ziel hatte: zwei von drei der sogenannten Führer des Maidan- Platzes vertreten im besten Fall unterschiedliche Flügel der ukrainischen Wirtschaftselite, der dritte ist ein Faschist. Alle drei Führer und ihr Gegner Janukowitsch gemeinsam hatten im besten Fall zwei verschiedene Gefängnismodelle im Visier: Anbindung an den EU-Fight-Club oder an die Russische Konföderation. In allen Fällen ging es um die Alternative, entweder zum einen oder zum konkurrierenden imperialistischen Lager zu gehören. Dass sich in beiden Varianten die elende Not, die katastrophalen sozialen Verhältnisse nicht wesentlich unterscheiden, darf angenommen werden. Die kommenden Monate werden zudem schnell zeigen: Wenn die vom Troika-Partner IWF geforderten »strukturellen Reformen« erst einmal richtig greifen, werden es nach Lage der Dinge eher die noch weiter rechts stehenden Kräfte der ›nationalen Opposition‹ sein, die dem wahrscheinlichen Sieger der Wahlen vom kommenden Mai, Schokoladenmilliardär Petro Poroschenko, die Oppositionsrolle liefern. Eine scheinbare Alternative zu diesen beiden Modellen, in denen immer die ukrainische Business-Class gewinnt und menschenwürdige Lebensumstände für alle nicht vorkommen, bieten also in dem Konflikt nur die Faschisten. Sie fordern einen ukrainischen, ethnifizierte Kapitalismus, keine ›Fremdherrschaft‹ – womit sie nur meinen, dass man die Bevölkerung auch ohne fremde Hilfe ausbeuten und unterdrücken kann.
Wo bleibt die Alternative der Linken zu den Führern auf der Bühne des Protestes und zur faschistischen Lösung des ›Rechten Sektors‹? Wie muss eine Alternative aussehen, die sich sowohl dem Kapitalismus russischer, europäischer Prägung verweigert, aber auch einer ›nationalen Lösung‹?

10. Konsequenzen: Klarheiten schaffen, Antifaschismus neu definieren

Wenn man diese Frage stellt, spürt man die Ohnmacht, spürt man die politische und strategische Leere der Linken – nicht nur in der Ukraine, nicht minder in den meisten europäischen Staaten. Wir sind als gesellschaftliche Kraft derzeit praktisch handlungsunfähig, weil wir weder unsere Gemeinsamkeiten genau genug kennen, noch unsere Unterschiede aushalten oder diskutieren können. In grundlegenden Fragen der Analyse unserer eigenen Gesellschaft sowie der noch viel wichtigeren Frage, in welcher Richtung wir dieses System verlassen wollen, sind wir uns in keiner Weise einig und haben es uns in den letzten Jahren fatalerweise angewöhnt, zugunsten des gemeinsamen Handelns alle strittigen Fragen auszuklammern. Auf diesem Weg sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir einen von Deutschland maßgeblich mit angezettelten faschistischen Putsch überwiegend mit Schweigen übergehen. Damit überlassen wir nicht nur unsere ukrainischen GenosssInnen ihrem ungewissen Schicksal. Wir haben auch unsere Straßen und Plätze hier, die Medien, mit wenigen Ausnahmen die öffentliche Meinung weithin den Herrschenden unseres Landes und ihrer, wenn es sein muß ohne Zögern auch der von ukrainischen Nazis gewaltsam durchzusetzenden imperialistischen Zielperspektiven überlassen[47]. Daran werden wir erst etwas ändern können, wenn wir uns streitig und solidarisch über die Gesellschaft, in der wir leben, über ihren Staat und dessen Ziele, über das jeder emanzipatorischen Gesellschaftsperspektive feindlich gegenüberstehende Staatenbündnis EU/NATO und gegen alle Illusionen ihnen gegenüber so auseinandergesetzt haben, daß wir im Rahmen einer dem entsprechenden Analyse gemeinsam handlungsfähig werden. Die über Jahre gepflegten Unklarheiten in diesen Fragen scheinen uns nicht zufälliger Art zu sein. Sie sind es auch, die antifaschistische und radikale Aktivität jeder Art in der Frage des NSU und der NSA mit blockiert zu haben scheinen. Nie wurde wirklich offen, ausführlich und laut über so naheliegende und einfache Fragen diskutiert:

  • wenn es wirklich stimmen sollte, daß der deutsche Staat eine faschistische Terrorzelle finanziert, mit aufgebaut, bewaffnet und gedeckt hat und bis heute deckt;
  • buchstäblich milliardenfachen Grundrechtsbruch durch NSA und andere Geheimdienste, darunter auch den BND, aktiv vertuschen hilft;
  • in der Ukraine im Frühjahr 2014 ohne mit der Wimper zu zucken einen neoliberal-faschistischen Block mit deutlichem positiven Bezug auf den Nazifaschismus mit an die Macht gebracht hat, um die EU im Machtkampf mit den imperialistischen Konkurrenten USA und Russland in einer guten Position zu halten –

was für ein Staat ist das dann, wie definieren wir ihn in der Theorie und welche Praxis für Antifaschistinnen folgt daraus?

Zur leider auch antifaschistischen ›Stille im Land‹ rund um den NSU-VS-Komplex wie auch zur Ukraine-Krise ist festzustellen:

»Interessanterweise wird weder nach einer eigenen, wenn möglich aktuellen Faschismustheorie, noch nach der Notwendigkeit einer Staatsanalyse gefragt. Ist das Zufall oder Teil der Antifa-Krise?“[48]

Europa steht seit einiger Zeit im Zeichen eines zunehmenden Rechtsrucks.[49] Das weist möglicherweise auf einen tiefgreifenden Wandel des imperialistischen Herrschaftsmodells hin. Repression nach innen – Aggression nach außen. Das kann sehr unterschiedlich gehandhabt werden, von relativ konsensorientierten und individuelle Teilhabe sowie private Aufstiege in der Konkurrenz aller gegen alle garantierenden Modellen in den Metropolen und nacktem Elend und brutaler Dikatur an der Peripherie.
Das muß aber nicht immer so bleiben. Wenn an der Peripherie alles abgegrast sein sollte, bleiben nur zwei Auswege für die Herrschenden in den Metropolen: neue Bereiche erobern oder im Inneren die Schraube weiter anziehen. Der Ukraine-Konflikt könnte ein Testlauf gewesen sein – mit Russland[50] als dem nächsten, ganz großen Ziel[51], entsprechend der uralten ›Orangen-Theorie‹ des deutschen Imperialismus, zweimal schon versucht[52].
Dieser Testlauf dient als medienwirksame Illustration des Rufs nach deutscher »Weltpolitik« (Steinmeier) und mehr »Verantwortungsbereitschaft« (Gauck). Er findet in einer Zeit statt, in dem, wie die Teilnehmer des ›Bergedorfer Gesprächkreises‹ mit dem Schwerpunkt »Neuer Osten – Neue Mächte« der maschinenindustriellen ›Körber-Stiftung‹ schwärmen, »Deutschland« von allen anderen europäischen Mächten nachgerade »in den Fahrersitz gedrängt« werde .[53]
Der Testlauf Ukraine könnte aber gleichzeitig durchaus auch dafür gedacht gewesen sein, zu sondieren, was wir uns alles stumm gefallen lassen. Unter diesen Bedingungen müssen wir auch über die Frage nachdenken, was wir, die bisherigen Erfahrungen nicht vergessend, sondern aufhebend, heute unter Faschismus verstehen wollen und wie antifaschistische Arbeit neu diskutiert werden muß. Heute, das heißt: in einer Situation, wo selbst in den Metropolen Teile des Sicherheitsapparats der Herrschenden zu immer weiter gehenden Formen des Unterschreitens bürgerlich-demokratischer Standards bereit sind. Und wir leben unter den Bedingungen des immer wieder spontanen Entstehens faschistischer Massenstimmungen ›von unten‹.
Der Rechtsruck in Europa hat seine Wurzel darin, daß sich massenhafte Kritik an den Folgen kapitalistischer Verhältnisse aufgrund der Schwäche der Linken überall auf nationalistische oder gar faschistische Weise äußert, wie zuletzt in der Ukraine, aber auch in Frankreich, Griechenland, Ungarn. Denn was dort abgelaufen ist, ist, bei aller Besonderheit doch auch ein Phänomen, das wir europaweit beobachten können: Nationalisten und Faschisten übernehmen, formulieren die ›Kritik‹ an den Auswirkungen des Kapitalismus von rechts. Die Linke ist weder inhaltlich und analytisch noch strategisch oder praktisch in der Lage, eine Alternative zur imperialistischen, höchsten Stufe des Kapitalismus zu formulieren, die auf einer glaubwürdigen Kritik der Fehler der bisherigen real-sozialistischen Versuche basiert, eine solche Alternative praktisch aufzubauen und zugleich die Fehler anderer radikaler Bewegungen nicht verschweigt – mit dem Ziel, dem vorgetäuschten Antikapitalismus der Faschisten und Nationalisten eine gesellschaftliche Alternative entgegenzusetzen.
Faschistische und rassistische Stimmungen von unten entspringen also aus der Mitte der Gesellschaft und ihren kapitalistischen Grundlagen. Sie erscheinen und wirken im alles durchdringende Kult der konkurrenten, auf Ungleichwertigkeitsbeziehungen bestehenden Formen menschenfeindlicher Bereitschaft, in der Fähigkeit, ja dem Wunsch zum Vergessen der eigenen Interessen zugunsten fantasierter und irrationaler Ziele (ethnische oder kulturelle Überlegenheit, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, patriarchaler Sexismus, Homophobie, Obdachlosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und andere)[54] .
Da, wo beide ineinandergreifen können, die Politik einer quasi chirurgisch exakten kalten Strategie der aller konstitutionellen checks and balances entzogenen Herrschaft und faschistische, rassistische und nationalistische  Stimmungen ›von unten‹, droht eine neue Qualität der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung.
Sie droht nicht nur: wo beides heute schon zusammenkommt und sich, natürlich in letzter Instanz immer im Interesse der Herrschenden von EU und NATO, verbindet, wie in einigen baltischen Staaten, in Ungarn und nun auch in der Ukraine, sind neue Varianten reaktionärer bürgerlicher Herrschaft bis hin zu Formen eines modernisierten europäischen Faschismus auf dem Vormarsch.
Aber nicht nur dort. Die einzelnen Elemente einer solchen Entwicklung, kulminierend in einem seit anderthalb Jahrzehnten vorangetriebenen und dennoch gerade von antifaschistsicher Seite wenig thematisiserten, repressiven Staatsumbau[55], liegen auch in Deutschland zündfertig bereit, auch wenn sie derzeit noch nicht offen und flächendeckend benötigt werden, sondern eher verdeckt wie im Fall der staatlich geduldeten und gedeckten NSU-Morde angewandt werden.
AntifaschistInnen in der EU und besonders in Deutschland haben gerade in der gegenwärtigen Situation deshalb unseres Erachtens eine besondere Aufgabe. Bundespräsident Gauck hat, im Rahmen eine gut orchestrierten PR-Kampagne der Großen Koalition, in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 auf das wachsende Bedürfnis ›Deutschlands‹ hingewiesen, »Verantwortung« zur Weltgestaltung, eines neuen Willens zu »Weltpolitik«[56], künftig auch in bewaffneter Form unter der eigenen Bevölkerung populär zu machen, assistiert von Verteidigungministerin von der Leyen. Steinmeier hat fast zeitgleich in Kiew demonstriert, wie er sich das praktisch vorstellt.[57]
Dem assisitierte auch Rebecca Harms, führende EU-Parlamentarierin der auch diesmal wieder besonders frenetisch bellizistischen GRÜNEN, deren Auslassungen zum Thema des neoliberal-faschistischen Putschs auf dem Maidan unter der kriegstrommelnden Überschrift »Diesmal muß die EU mehr Mut haben« in folgendem Bekenntnis gipfeln:

»Ich, die ich sehr zurückhaltend bin, was Flaggen und Hymnen angeht, habe ‚Ruhm der Ukraine‘ gerufen und geweint, wenn immer zur vollen Stunde die Hymne angestimmt wurde.«[58]

In dieser Situation eines aufsteigenden ›Neowilhelminismus‹ sind Antimilitarismus, Antiimperialismus und Antifaschismus aus Gründen ihres wachsenden inneren Zusammenhangs zwar sicher noch immer begrifflich und politisch zu unterscheiden, aber in der Praxis nicht mehr sinnvoll voneinander zu trennen (wenn sie das denn je waren). Es spricht alles dafür, daß die Verhältnisse, aus denen Militarismus, Imperialismus und Faschismus entspringen, endgültig nur zu besiegen sein werden, wenn dem kapitalistischen Grundverhältnis der Herrschaft, das ohne die Vorstellung der Ungleichwertigkeit gesellschaftlicher Beziehungen aus seinen innersten Gründen nicht auskommen kann, endlich der Garaus gemacht wird.
Die Vorgänge um NSU, NSA und Ukraine lehren auf je ihre Weise: Antifaschismus wird künftig auf neue Weise explizit antikapitalistisch[59], antiimperialistisch und antimilitaristisch[60] sein müssen[61]. Gelingt das nicht, droht der antifaschistischen Linken in Deutschland in absehbarer Zeit trotz eventuell weiterer und durchaus verdienstvoller, halbwegs erfolgreicher ›Nazis-Verhindern‹ – Auftritte Verständnis-, Sprach- und Tatenlosigkeit bis zum klinischen Tod.[62]
Was das für Theorie und Praxis antifaschistischer Arbeit in diesem Land heißt, muß gemeinsam formuliert und praktisch erprobt werden. Wir plädieren dafür: bevor die weiter notwendige Arbeit des Aufbaus breiter Bündnisse dafür immer wieder in Angriff genommen wird, sollten wir inhaltlich klären, worin heute und morgen inhaltlicher Kern und strategisches Ziel des Antifaschismus besteht.

© Hans Christoph Stoodt / Wolf Wetzel
April 2014

Ukraine-Friedliche-Faschisten

Eine sehr erfreuliche Stellungnahme der Gruppe ›Siempre Antifa Frankfurt‹ soll hier ausdrücklich erwähnt werden:
»Spätestens nach der Flucht des Ex-Premiers Janukowytsch und des Übertritts von Teilen des Polizeiapparats zur Euromaidan-Bewegung wird klar, dass sowohl die faschistische Partei ›Swoboda‹, als auch das paramilitärische neo-nazistische Sammelbecken ›Rechter Sektor‹ eine zentrale Rolle in den Protesten gegen die Regierung gespielt haben. (…)
Bereits jetzt ist klar, dass es sich bei der Euromaidan-Bewegung nicht um einen Aufstand handelt, der die Interessen der Mehrheit der unter elenden Verhältnissen lebenden Bevölkerung in der Ukraine zum Ausdruck bringt, sondern um den Kampf zwischen den Machtinteressen zweier korruper Eliten, die sich wiederum an den Interessen externer Machtblöcke (EU/Russland) orientieren.«
Der ganze Text findet sich hier: http://siempreffm.blogsport.de/2014/03/01/faschisten-auf-dem-vormarsch/
[1]                Der NSU-VS-Komplex: Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?, Freiburg, 2. Aufl., 2013; außerdem zahlreiche Texte auf dem Blog wolfwetzel.wordpress.com. Die im vorliegenden Beitrag gestellte Frage nach den Gründen für das Schweigen der antifaschistischen Bewegung im Fall der Ukraine-Krise stellt und beantwortet Wetzel in Bezug auf den NSU-VS-Komplex zuletzt in: http://wolfwetzel.wordpress.com/2014/04/08/die-angst-des-antifaschismus-vor-seinen-eigenen-unbestimmten-annahmen/#more-4803
[2]             “Ukrainische Lektionen” (http://wurfbude.wordpress.com/2014/02/23/ukrainische-lektionen/), “Ukraine, EU, Antifaschismus. Offener Brief an Freundinnen und Freunde” (http://wurfbude.wordpress.com/2014/02/25/ukraine-eu-antifaschismus-offener-brief-an-freundinnen-und-freunde/); “Positionen zu NSU, NSA und Ukraine: Indizien für das Versagen der antifaschistischen Linken
(http://wurfbude.wordpress.com/2014/03/02/positionen-zu-nsu-nsa-und-ukraine-indizien-fur-das-versagen-der-antifaschistischen-linken/).
[3]             Wolf Wetzel, Transnationale Anleitung zum Aufstand (http://wolfwetzel.wordpress.com/2013/12/12/4550/)
[4]             L. Applebaum, ZDF-Skandal – Berichte im Auftrag Kiews?, Freitag, 7.4.2018 (https://www.freitag.de/autoren/lapple08m214/zdf-skandal-berichte-im-auftrag-kiews) , weitere Quellen und Belege dort.
[5]             Hierüber gibt es keinen öffentlichen schriftlichen Beleg, wohl aber Hinweise in über Mail und Telefon geführten schriftlichen und mündlichen Diskussionen. Wir haben keinen Anlaß, ihre Authentizität zu bezweifeln.
[6]             Eine geradezu hymnische Verherrlichung militanter Aktionen auf dem Maidan und der Verkleinerung ihres faschistischen Anteils daran stammt von der Vorsitzenden der GRÜNEN Fraktion des EU-Parlaments, Rebecca Harms: “Die Bewegung ist gegen die Gewalt gewachsen. Der Platz und die Menschen haben sich verändert. Es gibt den rechten Sektor. Es gibt die Veteranen. Es gibt junge Leute, die mich an den schwarzen Block erinnern. Es gibt die Babuschkas, die Molotowcocktails füllen und ihre Enkel ermutigen, sie auch zu werfen.”, schreibt die Autorin, bestimmt völlig zu Recht sicher, daß das niemand als Billigung von aufständischer Gewalt woanders als weit weg von Deutschland mißverstehen könne. (Rebecca Harms, Diesmal muß die EU mehr Mut haben, in: Majadan! Ukraine, Europa, hg. Claudia Dathe und Andreas Rostek, Berlin 2014, S. 65.
[7]Text und Ton: https://www.youtube.com/watch?v=-Vo47o4XvaM
[8]             Vgl. zuletzt die Darstellung des ansonsten absolut putsch-kritischen Vizepräsidenten des ukrainischen Bauernverbandes: Für die Arbeiterklasse war die Sowjetunion besser. Die Oligarchen haben die Ukraine ausgeplündert. Für den Westen ist das Land in doppelter Hinsicht wichtig: als Markt und Aufmarschgebiet. Ein Gespräch mit Mykola Panasiuk. Interview: Peter Wolter / Wilfried Handwerk, in: junge Welt, 9.4.2014 (http://www.jungewelt.de/2014/04-09/054.php).
[9]dokumentiert und kommentiert zB. hier: http://hinter-der-fichte.blogspot.de/2014/02/die-klitschko-e-mails.html
[10] Kerstin S. Jobst, Geschichte der Ukraine, Stutgart 2010, S. 198 – 202
[11] Kerstin S. Jobst, a.a.O., S. 219 – 237. Vgl. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Quellen, Entstehung und Weiterentwicklug der bereits in Hitlers “Mein Kampf” und späteren jahrzehntelangen antikommunistischen Verwendung als “ukrainischer Holocaust” propagandistisch aufgeblähten Hungersnot, die heute gern als “stalinistischer Völkermord” bezeichnet wird Ludo Martens, Stalin anders betrachtet, Berchem 1998, S. 115 – 134. Jobst stellt zur Funktion der nationalen Mythen Holdomor und Tschernobyl abschließend fest: “... wie in so vielen anderen europäischen Gedächtniskulturen auch ist eine starke Tendenz zur Viktimisierung des ukrainischen Volkes zu beobachten.” (a.a.O., S. 237)
[12]Vorgeschichte seit dem Ende des 1. Weltkriegs: http://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainische_Legion;
zur Rolle Stepan Banderas: http://de.wikipedia.org/wiki/Stepan_Bandera
Überblick zur OUN: http://de.wikipedia.org/wiki/Organisation_Ukrainischer_Nationalisten
[13]http://de.wikipedia.org/wiki/Swoboda.
[14] Frank Brendle, Faschisten zum Vorbild. Viele Oppositionelle auf dem Kiewer Maidan berufen sich auf die »Organisation Ukrainischer Nationalisten«. Deren Milizen ermordeten während des Zweiten Weltkriegs Zehntausende Polen und Juden (http://www.jungewelt.de/2014/02-20/024.php)
[15]http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2014/ukraine365.html
[16]http://www.npd-fraktion-sachsen.de/parlamentarische-delegation-der-ukrainischen-rechtspartei-swoboda-zu-gast-bei-der-npd-fraktion/ (Link der NPD!);
Jörg Kronauer, Braune Eurovisionen. Die rechten Putschparteien in der Ukraine sind die neuen Bündnispartner der Bundesregierung. Nach Deutschland haben sie allerdings schon länger gute Kontakte – zur NPD. http://www.agfriedensforschung.de/regionen/Ukraine1/faschisten4.html
[17] Frank Brendle, „Nicht faschistisch“. Wenn aus Neonazis »Rechtspopulisten« werden: Bundesregierung verteidigt Zusammenarbeit mit ukrainischer Partei Swoboda gegen Kritik aus der Linkspartei, junge Welt, 25.3.2014, http://www.jungewelt.de/2014/03-25/019.php; http://wurfbude.wordpress.com/2014/03/25/die-bundesregierung-das-josef-goebbels-zentrum-der-swoboda-und-julia-timoschenkos-atom-ambitionen/
[18]            http://de.wikipedia.org/wiki/Prawyj_Sektor
[19]            Thomas Eipeldauer, Faschistische Hegemonie, junge Welt, 8. März 2014, (http://www.jungewelt.de/2014/03-08/021.php)
[20]            „Panorama“, 6. März 2014
[21]            Peter Wolter, “Es ist doch verlockend, dort mitzumachen”. 50 bis 100 Euro pro Tag: Rechte Aktivisten auf dem Kiewer Maidan werden aus dem Ausland bezahlt. Gespräch mit Alexej Smorgunow, in: junge Welt, 1.4.2014 (www.jungewelt.de/2014/04-01/005.php). Bezeichnend, daß selbst die ZDF-Kabarett-Sendung “Neues in der Anstalt” vom 15.3. auf den eigentlichen Hintergrund der “demokratischen Proteste” auf dem Maidan hinweisen konnte – mit dem Wortlaut des geleakten Nuland-Telefonats als Beleg, aus dem hervorgeht, daß die USA 5 Milliarden US-Dollar in den Aufstand investiert hatten: http://www.youtube.com/watch?v=T9CXm598q4k.
[22]            de.wikipedia.org/wiki/Petro_Poroschenko; Reinhard Lauterbach, Comeback der Bonzen, junge Welt, 190. März 2014 (www.jungewelt.de/2014/03-10/015.php).
[23]            Jugoslawien 1996: „Snipergate still weighs on Clinton“, Chicago-Times, 7. Aril 2008 (http://articles.chicagotribune.com/2008-04-07/news/0804060174_1_hillary-clinton-landing-under-sniper-fire-tony-rezko);
Kairo (Tahrir-Platz), 3. Februar 2011: http://de.wikipedia.org/wiki/Revolution_in_%C3%84gypten_2011 ; Simferopol (Krim), März 2014: Florian Rötzer, Scharfschützen auf der Krim – Wiederholung der Maidan-Strategie? (http://www.heise.de/tp/artikel/41/41281/1.html)
[24]            „Abgehörtes Telefonat nährt Zweifel über Maidan-Scharfschützen“, Zeit-online, 5. März 2014 (http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-03/kiew-ukraine-telefonat-ashton-paet);
„Wer waren die Scharfschützen auf dem Maidan? Ashton-Telefonat abgehört“, FAZ, 5.3.2014 (http://www.faz.net/aktuell/politik/ashton-telefonat-abgehoert-wer-waren-die-scharfschuetzen-auf-dem-majdan-12833560.html.)
[25]            Reinhard Lauterbach, “Dem Bastard in die Stirn schießen” (http://www.jungewelt.de/2014/03-26/058.php)
[26]            Arnold Schölzel, Einmarsch der Henker. Ukraine unter dem Diktat von EU und IWF (http://www.jungewelt.de/2014/03-28/026.php)
[27]            Teilen der Akteure war das vermutlich auch völlig bewußt. Nur so lässt sich die geradezu hysterische Reaktion von Teilen der GRÜNEN Bundestagsfraktion auf einen aktuellen Tweet der LINKEN Abegordneten Sevim Dagdelen verstehen, die zu einer erregten Zwischenfrage während der Rede des Abgeordneten Andrej Hunko führte. Als Hunko sich in aller Vorsicht einer Distanzierung von seiner Fraktionskollegin verweigerte, brandete ihm ein im Plenum ein Sturm der Entrüstung entgegen. Man wußte gerade in den Reihen der GRÜNEN, die einstmals oft selber links waren, durchaus darüber Bescheid, was man hier gerade tat: http://www.youtube.com/watch?v=HbUUl3RHDq8.
[28]            http://www.borotba.org/the_new_neoliberal_fascist_government_in_ukraine.html.
Programmatische Selbstdarstellung: http://borotba.org/activities.html
Ausführliches Interview mit einem Sprecher der Gruppierung: http://www.borotba.org/interview_with_sergey_kirichuk_of_the_borotba_party_by_haneul_naavi_and_michael_bielawski.html
[29]            Es genügt, sich die auf die Ukraine bezogenen Quellen anzuschauen, die Reinhard Opitz in seinem Band „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“, Köln 1994, publiziert und kommentiert hat.
[30]            http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58826
[31]            Günther Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt, in einem Vortrag vor bayerischen Gymnasiasten zu dem Vorteil von Investitionen in die Entwicklung der EU gegenüber denen in den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, zitiert in: jW, 19. Februar 2007, S. 4
[32]            Dylan Stableford, McCain: ‚Russia is a gas station masquerading as a country‘ (http://news.yahoo.com/mccain-ukraine-crimea-160807712.html)
[33]            Vgl. die am 26.2.2014 veröffentlichte Gemeinsame Erklärung kommunistischer und Arbeiterparteien „Über die reaktionäre Entwicklung in der Ukraine“ (http://theoriepraxis.wordpress.com/2014/02/26/uber-die-reaktionare-entwicklung-in-der-ukraine/) und die Erklärung der SDAJ „Ukraine, Imperialismus live“ vom 25.2.2014 (http://theoriepraxis.wordpress.com/2014/02/25/sdaj-ukraine-imperialismus-live/); Wahlaufruf der DKP zu den kommenden EU-Wahlen: http://theoriepraxis.wordpress.com/2014/02/08/programm-der-dkp-fur-die-wahl-zum-europaparlament-2014/
[34]            Dabei haben verbalradikale Positionen bisweilen die Funktion, den eigenen herrschaftsangepaßten Kurs zu tarnen. So auch in der LINKEN. Gregor Gysi etwa hat ausdrücklich eingestanden, die Auflösung der gesamten NATO genau deshalb zu fordern, weil diese scheinbar weitergehende aber gottlob unerfüllbare Formulierung hilfreich zur Verhinderung der für die ersehnte mögliche Regierungsbeteiligung viel gefährlichere Forderung eines deutschen Austritts aus diesem Bündnis für imperialistische Interventionen sei (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/forderung-nach-nato-aufloesung-gysi-plauderte-ueber-linke-placebo-politik-a-735428.html).
[35]            Philipp Kissel, Ukraine: EL fordert EU zur Einmischung auf. Zur Erklärung der Europäischen Linken zur Krise in der Ukraine, in: Theorie & Praxis, 14.2.2014 (http://theoriepraxis.wordpress.com/2014/02/14/ukraine-el-fordert-eu-zur-einmischung-auf/)
[36]            „Die Ukrainer kämpfen für eine bessere Gesellschaft“. Interview mit Ilya Budraitsis, befragt von Anton Thun, marx21 (http://marx21.de/content/view/2067/32/). marx21 hat seine Positionen Wochen später revidiert, ohne öffentlich je zu begründen, wieso das Netzwerk Ilya Budraitsis publizistischen Raum gegeben hat, der in seinem oben zitierten Interview auch alle linke Parteien Europas zur Verweigerung der Solidarität mit der von Faschisten verfolgten KP der Ukraine aufrief.
[37]            http://de.wikipedia.org/wiki/Oleh_Tjahnybok (es werden öffentlich unterschiedliche Schreibweisen seines ukrainischen Namens verwendet).
[38]            http://www.wiesenthal.com/atf/cf/%7B54d385e6-f1b9-4e9f-8e94-890c3e6dd277%7D/TT_2012.PDF
[39]            http://wurfbude.wordpress.com/2014/02/25/ukraine-eu-antifaschismus-offener-brief-an-freundinnen-und-freunde/
[40]            Das stimmt nicht ganz. „…ums ganze“ hat immerhin einen etwa 20-zeiligen Facebookeintrag verfasst, der einen Blogeintrag „Aufbruch in den Abgrund“ (http://lowerclassmagazine.blogsport.de/2014/02/27/aufbruch-in-den-abgrund/) spiegelt.
[41]            Der Begriff des Aufstands spielt bekanntlich in der revolutionären Tradition eine zentrale Rolle. Seinen Zeitpunkt und seine Anlage richtig bestimmen, ihn so anlegen zu können, daß er Erfolg hat, wurde von Engels als „Kunst“ bezeichnet (Einleitung zu Karl Marx‘ „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“ (1895), MEW 22, S. S. 509-527), vgl. darauf Bezug nehmend Lenin 1917 in „Marxismus und Aufstand“ (LW 26, S. 4 – 10).
[42]            Politische Einordnung des gesamten ukrainischen Regierungspersonals durch die antifaschistische Gruppe „Borotba“: http://borotba.org/the_new_neoliberal_fascist_government_in_ukraine.html
[43]            http://de.wikipedia.org/wiki/Dmytro_Jarosch, http://de.wikipedia.org/wiki/Parubij
[44]            http://www.die-welt-ist-im-wandel.de/Videos/Horst_Seehofer_bei_Pelzig.htm
[45]            Steinmeier im Land des Oligarchen, FR , 24.3.2014
[46]            Böser Oligarch, guter Oligarch, Die Welt vom 9.3.2014
[47]            Die Jungen Nationaldemokraten luden zu ihrem EU-Kongress Ende März 2014 im Raum Leipzig neben Delegierten der Chrysi Avgi Griechenlands und anderen europäischen Faschisten auf den Rechten Sektor ein: http://wurfbude.wordpress.com/2014/03/03/europakongress-der-jungen-nationaldemokraten-mit-chrysi-avgi-rechter-sektor-und-identitare-bewegung/
[48]            http://wolfwetzel.wordpress.com/2014/04/08/die-angst-des-antifaschismus-vor-seinen-eigenen-unbestimmten-annahmen/ Daß der Sprechchor “Staat. Nation. Kapital. Scheiße” eine solche theoretische Anstrengung nicht ersetzt, ist klar.
[49]            vgl. zuletzt Gerd Wiegel, Die Rechte in Europa auf dem Vormarsch, Z – Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 97, März 2014, S. 138 – 147
[50]            Sergei Markov, Nach dem Staatsstreich in Kiew wird sich der Westen auf Moskau konzentrieren, The Moscow Times, 27.3.2014, dtsch: http://news.dkp.de/2014/04/nach-dem-staatsstreich-in-kiew-wird-sich-der-westen-auf-moskau-konzentrieren/ – ein lesenswerter Überblick über die Ereignisse in der Ukraine aus russischer Sicht.
[51]            German Foreign Policy, Testfeld Ukraine (http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58806)
[52]            Knut Mellenthin, Kampfauftrag aus München. (http://www.jungewelt.de/2014/02-20/040.php). Die von Paul Rohrbach (http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Rohrbach) vor dem 1. Weltkrieg formulierte “Orangen-Theorie“ formulierte die Idee eines eigens für die kriegsbereite Sozialdemokratie als antirussisch, dh. „emanzipatorisch“ schmackhaft gemachten scheibchenweisen Zerlegens des russischen Staatsgebiets entlang „ethnischer“ Grenzen, wobei die Annexion oder Eingliederung der Ukraine in ein deutsch dominiertes „Mitteleuropa“ einen zentralen Platz einnahm (Hannes Rader, Kampf um die Ukraine, http://www.kraz.ac/index.php/7-politik/216-ukraine). In der Tat marschierten 1918 bereits kaiserlich-deutsche Truppen in Kiew ein. Ihre Präsenz wurde erst durch die Novemberrevolution beendet. Der deutsche Imperialismus heute ist erfolgreicher als 1918 und 1940ff, zumal ihm zur Zeit keine Revolution ins Haus steht oder bewaffnet entgegentritt – man kann Staatsminister Günther Gloser a.D., siehe oben, aus seiner Perspektive durchaus verstehen.
[53]            “… dieser Konflikt, so sagen außen- und sicherheitspolitische Fachleute gerade aus Mittel- und Osteuropa, sei von einer Art, dass die Hauptrolle in Europa einfach Deutschland zufalle: Deutschland als Sachwalter Europas. Einen anderen Akteur von vergleichbarer Bedeutung in Europa gebe es nicht; die Regierungen von London bis Rom sind mit anderen Dingen beschäftigt; was Osteuropa anbelangt, spielen sie interessenpolitisch in der zweiten Liga, und das, obwohl etwa Großbritannien nach dem Budapester Abkommen Garantiemacht der Sicherheit der Ukraine ist. Und das Brüsseler Personal ist nicht von einem Kaliber, das auf Putin Eindruck machen könnte. Deutschland, also die Bundeskanzlerin, wird dagegen von den östlichen Nachbarn geradezu in den „Fahrersitz“ gedrängt. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Zeiten geändert haben.” (Der “neue deutsche Moment”, FAZ, 17.3.2014 (http://www.faz.net/aktuell/politik/krim-krise-der-deutsche-moment-12850447-p2.html). Vgl. zur im FAZ-Artikel erwähnten Tagung des “Bergedorfer Kreises”: Hans Georg, Ein neuer Wilhelminismus, in: NrhZ, 5. April 2014 (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20154). Zum “Bergedorfer Gesprächskreis” der Körber-Stiftung siehe http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6rber-Stiftung.
[54]            Die Theorie der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit als Modell der gegenseitigen Intersektionalität auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruhender Einstellungen in einer Gesellschaft ist ein hilfreiches empirisches Mittel zu Beschreibung genau des gesellschaftlichen Klimas, in dem wir gerade verstummen. Es ist hilfreich, auch wenn es darauf verzichtet, erklären zu wollen, welche gesellschaftliche Genese seine Existenz hat und was wir folglich brauchen, um es loszuwerden (http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit).
[55]            “Gemeint sind die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten, wie sie in den gemeinsamen Terrorismusabwehrzentren praktiziert wird; die Umwandlung des Bundesgrenzschutzes in eine Bundespolizei, wie sie von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst verboten wurde; die Ausweitung der Befugnisse des BKA hin zu einer verbotenen Geheimpolizei; ein Heimatschutz, der zivile Organisationen unter das Kommando der Bundeswehr stellt und Reservisten in einem Maße organisiert, wie sie nur gegen uns Arbeiter und Angestellte gerichtet sein kann; der Einsatz der Bundeswehr im Ausland sowie im Inland außerhalb des Grundgesetzes; die verstärkte Rekrutierung durch die Bundeswehr in den Arbeitsämtern und Schulen; ein THW im Einsatz als Streikbrecherorganisation und als Nachhut für die Bundeswehr.”, vgl. http://www.notstand-der-republik.de/
[56]            Steinmeier nahm auf der Münchner Sicherheitskonferenz dazu ungescheut den Begriff der “Weltpolitik” auf, der bekanntlich eine bis in die 1880er Jahre zurückreichende Vorgeschichte hat, was derzeit aber gern unter den Teppich gekehrt werden soll, wie Leo Schwarz, Irgendwo steinalt (siehe unten, Anm. 61) gezeigt hat (www.jungewelt.de/2014/04-03/025.php).
[57]            www.jungewelt.de/2014/02-03/051.php
[58]            Rebecca Harms, Diesmal muß die EU mehr Mut haben, in: Majdan! Ukraine, Europa, hg. Claudia Dathe und Andreas Rostek, Berlin 2014, S. 63f.
Der Ruf “Slava Ukraini, heroyam slava! – Ruhm der Ukraine, Ehre unseren Helden!” war und ist offizieller Schlachtruf und Gruß der faschistischen UPA und in der rechts-geprägten ukrainischen Pop- und Massenkultur bis heute unter offener Anknüpfung ans faschistische Erbe allgegenwärtig: “The Ukrainian black metal band Drudkh made a song entitled Ukrainian Insurgent Army [UPA] on its 2006 release, КровуНашихКриницях (Blood in our wells). Ukrainian black metal band Nokturnal Mortum have a song titled „Hailed Be the Heroes“ (Слава героям) on the Weltanschauung/Мировоззрение album which contains lyrics pertaining to World War II and Western Ukraine (Galicia), and its title, Slava Heroyam, is a traditional UPA salute.” (http://en.wikipedia.org/wiki/Ukrainian_Insurgent_Army). Ob Harms das weiß und dennoch tränenreich-begeistert in den ukainischen Heil-Ruf einstimmte und nun einfach hofft, niemand in Deutschland wisse, was er bedeutet, oder ob sie unwissentlich mit-heilte und jetzt eben einfach dabei bleibt – beides wäre bezeichnend. Wie auch immer, nach ihrem nationalistischen Mitsingen und Rufen bekennt Harms angesichts von Bandera-Porträts, Swoboda-Fahnen, bewaffneten Faschisten mit Wolfsangeln und der brennenden Gewerkschaftszentrale in Kiew allen Ernstes: “Die Bürgerrechtsbewegung auf dem Euromajdan ist die stärkste auf diesem Kontinent seit 1989. Die Freiheit, die Idee des Rechtsstaats und unsere Werte enden nicht an unseren Außengrenzen (sic!). Wir dürfen uns der Verantwortung für die Menschen in der Ukraine nicht wieder entziehen …” (ebenda, S. 65f). Das ist eine schöne Klarstellung, was “Bürgerrechtsbewegung” heißt und eine handfeste Drohung zugleich: wer unsere grenzüberscheitende “Freiheit” nicht mag, dem könnten wie “diesmal” auch anders kommen.
[59]            Wir erklären allerdings zugleich unsere Skepsis, was diesen unklaren Begriff angeht. “Antikapitalisten” zu sein erklären viele, einschließlich des Papstes und sogar historischer bis moderner Nazis. Solange ausgeklammert wird, in welche Richtung der Kapitalismus verlasssen werden soll, besagt es wenig, antikapitalistische Positionen zu beziehen. Dass trifft auch auf die antifaschistische Bewegung zu. Die schubweise Beerdigung revolutionärer Positionen des Antifaschismus der BRD in den beiden vergangenen Jahrhzehnten (vgl. dazu Susann Witt-Stahl im der unten, Anm. 62 verlinkten Artikel) wird heute, angesichts ihrer Lähmung in der Ukraine-Krise, deutlich sichtbar, trat aber auch schon in der Frage von NSU und NSA deutlich zutage. Erst recht trifft das zu, wo antikapitalistische und lediglich kapitalismuskritische Positionen in der Aktion zusammengeführt werden sollen, wie das im Blockupy-Bündnis der Fall ist. Nicht zufällig dominieren hier Haltungen zu Imperialismus und EU, die von weitreichenden Transformationsillusionen geprägt sind, wie sie im Parteienbündnis der “Europäischen Linken” dominieren.
[60]            In diesem Zusammenhang muß auf die den 1. Weltkrieg betreffende derzeitige geschichtsrevisionistische Debatte in Deutschland und darüber hinaus verwiesen werden, die als Indikator gelesen werden kann, wie weit vorbereitet positive Massenstimmungen für eine auch militärgestützte deutsche und EU-imperialistische Kriegsrechtfertigung bereits sind. Christopher Clarks Bestseller “Die Schlafwandler” spielt derzeit eine zentrale Rolle in der nun endlich erfolgenden “klaftertiefen Beerdigung” von Fritz Fischers These vom deutschen “Griff nach der Weltmacht” 1914 – 1918 , ideologische Mit-Voraussetzung für eine deutsche “Wiederkehr der Herrlichkeit” (http://www.jungewelt.de/2014/02-25/045.php). Das passt in die Landschaft. Vgl. Die Diskussion darüber zusammenfassend Leo Schwarz, Irgendwo steinalt. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der sogenannten Fischer-Kontroverse in der BRD nimmt die revisionistische Diskussion über den ersten Weltkrieg Fahrt auf. Versuch einer vorläufigen Bestandsaufnahme (http://www.jungewelt.de/2014/04-03/025.php). Passend dazu ruft Gregor Gysi als eine Art Ebert redivivus zum Ende eines LINKEN Vetos gegen jedweden ausländischen Militärseinsatz auf, natürlich mit humanitärer und “friedenspolitischer” Begründung: Rüdiger Göbel, Gysi: Nein zum Nein. Leinen los ins Mittelmeer. Linken-Fraktionschef drängt darauf, nicht gegen Auslandseinsatz der Bundeswehr zu stimmen (http://www.jungewelt.de/2014/04-05/011.php).
[61]            In dieser Richtung gingen auch die Beiträge der im vergangenen Herbst vorgetragenen Beiträge zur Veranstaltungsreihe “Bürgerliche Herrschaft in der Krise” (Hamburg, Oktober bis Dezember 2013, http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/), unter denen uns besonders die Beiträge von Susann Witt-Stahl weiterführend erscheinen: hier im Mitschnitt einer Podiumsdiskussion zum Abschluß der Veranstaltungsreihe (http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/media/audio/audio2013/Podiumsdiskussion.mp3) ; sowie mit Michael Sommer in “Hayek oder Holzhacken. Die Einsicht, daß Antifaschismus und Antikapitalismus zusammengehören, droht verlorenzugehen. Teil I: Die Umdeutung des Faschismus zur Massenbewegung der Subalternen (www.jungewelt.de/2012/10-23/018.php) / Teil II: Verschwinden in der Nebelregion (www.jungewelt.de/2012/10-24/024.php).
Wie recht Sommer und Witt-Stahl mit ihrer Prognose vor zwei Jahren hatten, kann man heute empirisch überprüfen.
[62]            Es ist bezeichnend, daß der für Mitte April stattfindende Kongreß “Antifa in der Krise?” (http://kriseundrassismus.noblogs.org/warum-dieser-kongress/) in seinem Aufruf zwar einiges zur “Umgruppierung der Rechten” in Europa und zum Rassismus, aber kein einziges klares Wort zu EU, Kapitalismus, Imperialismus und Krieg zu sagen weiß (der Ukraine-Konflikt ist ihm kein einziges Wort wert). Das kann nicht die Antwort der antifaschistischen Bwegung auf eine Situation des “neuen Wilhelminismus” sein. Sie bleibt mit diesem Ansatz Teil des Problems, nicht der Lösung, vgl. oben Wolf Wetzel, Anm. 49.

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6 Kommentare

  1. Wenn die Faschisten in der Ukraine mit den wie auch immer gearteten Linken kooperiert hätten um die NATO außen vor zu halten, hätten wir hier nicht das Recht, kluge Betrachtungen anzustellen. Dann wäre das hinzunehmen, wie sehr es einen auch immer grausen mag.
    Interessanter Weise war das aber nicht so; wieder einmal hat sich das militante rechte Milieu als von NATO-Agenten unterwandert erwiesen. Die marxistische Vorstellung, die ihr entwickelt, dass dieses staatsterroristische Milieu irgendwelche provinziellen Nebenwidersprüche verwirklicht, halte ich für naiv. Solche Eisenfresser bekommen doch nirgends Jobs; die sind gekauft wie die Berliner SA (…)
    Bemerkenswert finde ich auch euren Gedanken, dass der ukrainische Nationalismus vielleicht irgend eine geheimnisvolle Bedeutung haben könnte, die über den Kostümfaschismus hinausgeht. Diese Nationalisten waren immer schon gekauft, vor Stalin, bei Stalin, im Krieg von beiden Seiten, danach vom BND und der CIA. Denen ist der Verrat schon ein Unterbau geworden — drum haben sie auch keine ernsthafte Unterstützung bei den einfachen Leuten.

  2. Hallo Schnellinger,
    schau nochmal in den Text. In ihm sind allein vier Texte von Wolf und mir aus den letzten zwei Monaten zur Frage von Ukraine-Krise und derzeitiger Lage der Antifa verlinkt. Genau das, was Du gesucht hast 🙂
    Beste Grüsse,
    HCS

  3. Kurze erste Gedanken, obwohl ich noch nicht den ganzen Text gelesen habe:
    – der mit der Muttermilch aufgesogene, gegen die SU gerichtete Anti-Kommunismus von BRD-„Linken“ erfährt seine ungebremste logische Fortsetzung gegen Rußland und Putin. Tiefere Analysen von Zusammenhängen und Historie beteiligter Länder, speziell deutscher Geschichte bezüglich der Ukraine, beim Großteil wie immer Fehlanzeige
    – ich habe bis jetzt weder von Wolf noch von H.C. Stellungnahmen oder Gedanken zur Ukraine gefunden, deswegen befremdet mich nun die Anklage des „lauten Schweigen des Antifaschismus“ doch etwas.
    Anderswo im Netz habe ich im Gegensatz dazu schon manch andere linken Stimmen dazu gefunden.

  4. Vielen Dank für euren Artikel. Es ist ihm zu wünschen, dass sich genügend Leute den Text in Gänze geben.
    Derzeit sind zunehmende Querfront-Szenarien leider wahrscheinlicher als die von euch mit Recht eingeforderte Klärung eigener Positionen. Das beredte Schweigen zu den Vorgängen in der Ukraine ist beängstigend, noch beängstigender sind die noch immer zu oft zu hörenden Relativierungen. Dass die faschistische Dynamik sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat – weg vom Modell „Rechter Seltor“ hin zu Wilders oder Marine Le Pen (oder die für viele „alte Kameraden“ mittlerweile „zu weichgespülte“ Svoboda – macht die antifaschistische Konzentration auf die alten Feindbilder – bei denen die neuen schlicht nicht angemessen wahrgenommen werden – sehr gefährlich.
    Solidarische Grüße aus Wuppertal – so_ko_wpt

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