Der eigenen Farce beiwohnen

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Die staatlichen Ausstatter des Nationalsozialistischen Untergrundes/NSU

Am 21.11.2013 trat André Kapke, Neonazikader und Mitbegründer des Thüringer Heimatschutzes/THS, im Prozess in München als Zeuge auf. Der THS ist das Basislager des NSU.
Selbstverständlich war und ist wichtig, wie sich dieser Neonazi in seinen Aussagen zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt positioniert. Das wird für alles, was kommt, sehr wichtig sein, denn hinter diese selbst gezogene Linie kann er nicht mehr zurück.
André Kapke erzählte, dass er 1998 von seinem THS-Kameraden Tino Brandt beauftragt wurde, den untergetauchten Neonazis Pässe zukommen zu lassen. Zwei Wochen später wurden ihm über einen Mittelsmann drei Pässe zugespielt: Pässe, die ›leer‹ waren, also als Blanko-Version. Außerdem will ihn Tino Brandt zu einem NPD-Funktionär nach Berlin geschickt haben, da die Idee im Raum stand, die untergetauchten Neonazis fürs Erste ins Ausland zu bringen. Hier will seine ewige Treue zur Idee und Tat geendet haben – noch im selben Jahr 1998.
Ein Neonazi, der für grobschlächtiges in Wort und Tat bekannt war (und ist), will nach diesen kleinen Gefälligkeiten darum gebeten haben, dass man ihn in Zukunft aus der ›Sache heraushalten solle‹. »Er habe danach nichts mehr von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehört.« (der tagesspiegel.de vom 21.11.2013)
Halten wir fest: André Kapke, der für Uwe Mundlos eine Führerpersönlichkeit war, will mit den treuesten Kameraden im Thüringer Heimschutz kurz nach ihrem Abtauchen nichts mehr zu tun gehabt haben. Ein Mann, der immer genau das propagiert und unterstützt hat, was die abgetauchten THS-Mitglieder begannen, in die Tat umzusetzen, will genau dann diese arischen Männer und Frauen der Tat im Stich gelassen haben?
Dass das juristisch klug ist, kann man verstehen, ob dies für sein wirkliches Tun auch zutrifft, wird man sehen.
 
Die Rolle, die der Neonazi Tino Brandt beim Zustandekommen und bei der Ausstattung des Neonazistischen Untergrundes/NSU gespielt hat, ist von verschiedenen Seiten belegt. Er stand, wie André Kapke auf der 1998 gefundenen ›Garagenliste‹, die das gesamte Netzwerk der späteren NSU repräsentierte.
Unbestritten ist, dass Tino Brandt auch Geld für die untergetauchten Neonazis besorgt hatte: »Der Thüringer Verfassungsschutz bestätigt, im Jahr 2000 Brandt 2.000 Mark ausgehändigt zu haben, die dieser an das Trio weiterreichen sollte.« (spiegel.de von 22.3.2012)
Dass Pässe, Geld und Waffen besorgt werden sollten, dass Chemnitz der erste feste Wohnsitz im Untergrund wurde, dass Banküberfälle begangen wurden und Wohnmobile dabei eine Rolle spielen, dass V-Leute dabei assistierten (wie der gleich in Erscheinung tretende Thomas Starke) …. wussten deutsche Behörden seit 1998. Das geht in allen Details aus einem Erkenntnisstandbericht hervor, den der Thüringer Verfassungsschutz im November 2011 (Az. 293-S-400 062-000110/11 VS-NfD) verfasst hatte, um seine Aktivitäten zwischen 1998 und 2002 zu dokumentieren:
»Das LfV Brandenburg überstellte Erkenntnisse zu einem B&H-Konzert der Sektion Südbrandenburg am 05.09.1998 in Hirschfeld bei Lauchhammer. Daran nahmen u. a. Thomas STARKE und Jan WERNER teil. Zu den ›drei sächsischen Skinheads‹ habe Jan WERNER persönlichen Kontakt. WERNER soll damals den Auftrag gehabt haben, ›die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen‹. (…) Nach der Entgegennahme der Waffen (…) soll das Trio einen weiteren Überfall planen, um mit dem Geld sofort Deutschland verlassen zu können. Der weiblichen Person des Trios wolle Antje PROBST ihren Pass zur Verfügung stellen.« (Meldung an TLfV und LfV SN vom 11.09.1998)
»Die Gesuchten sollen sich in Sachsen in der Nähe von Chemnitz aufhalten. Es sei eine Ausreise nach Südafrika geplant. Der Unterkunftsgeber sei bekannt ...« (Erkenntnismitteilung vom 17.09.1998, Verfasser LfV Brandenburg)
In dem Begründungsvermerk für eine gegen Ralf WOHLLEBEN und Jürgen HELBIG gerichtete G10-Überwachungsmaßnahme wird u.a. festgehalten, ›dass ein bestimmter Personenkreis um den Neonazi André KAPKE aus Jena unmittelbare Verbindungen zu den drei Gesuchten hat.‹ (Vermerk zu G10 – Maßnahmen vom 11.08.1998, Verfasser: TLfV)
»Es sei bekannt gewesen, dass die BÖHNISCH in Berlin-Adlershof, Waldstraße 21, einen Wohnmobil-Verleih (ca. fünf Wohnmobile) betreibe. Da sich KAPKE zu dieser Zeit nicht mehr für Adressen im Ausland interessiert habe, sei davon auszugehen, dass den drei Flüchtigen möglicherweise ein Wohnmobil zur Verfügung gestellt werden sollte oder wurde.« (Hinweis vom 20.02.1998)
 Dass es zahlreiche Neonazis gab, die den abgetauchten THS-Mitgliedern beim Aufbau eines terroristischen Untergrundes halfen, ist nicht überraschend. Das Besondere an Tino Brandt ist jedoch, dass er nicht nur ein führender Neonazi war, sondern auch ein Top-V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Offiziellen Angaben zufolge bezog der Neonazi Tino Brandt von 1994 bis 2000 für seinen Beitrag im ›Kampf gegen den Rechtsextremismus‹ ein Monatsgehalt von ca. 2.500 D-Mark.
All dies wissen Ermittler, Verfassungsschutz, Generalbundesanwaltschaft und das in München tagende Oberlandesgericht seit Jahren. Als wolle man nochmals beweisen, dass die Erde eine Scheibe ist, wird bis heute an der Legende festgehalten, dass staatliche Behörden 13 Jahre lang keine heiße Spur zu den abgetauchten Neonazis gehabt haben, dass staatliche Stellen (ob in Gestalt von V-Leuten oder mithilfe stillgelegter Erkenntnisse) beim Aufbau des NSU nicht beteiligt gewesen sind.
Ganz diesem Irrsinn verpflichtet, hatte das OLG in München gleich zu Prozessbeginn festgelegt, dass die mögliche Beteiligung deutschen Behörden am Zustandekommen des NSU nicht Gegenstand dieses Prozesses sein wird.
Mundlos-Kapke-1996
Nun taucht ein Zeuge auf, der abermals belegt, dass staatliche Stellen für das nötige Equipment eines terroristischen Untergrundes gesorgt hatten, in diesem Fall mit Blanko-Papieren, deren Herkunft seriöser nicht sein kann: aus dem Bestand der Bundesdruckerei bzw. betreffender Dienste.
Ob man dem Zeugen Kapke glauben kann, ob er tatsächlich nur bis Ende 1998 mit den abtauchten Neonazis in Verbindung stand, ließe sich u.a. anhand der Ermittlungsakten zum Fall Kapke abklären. Das müsste im Interesse aller sein, vor allem wäre es die Aufgabe des Gerichts. Genau das Gegenteil ist der Fall: Der Antrag, die Ermittlungsakten hinzuzuziehen, wurde vom Gericht abgelehnt!
Dazu passt, dass die Staatsanwaltschaft wissen ließ, dass der Fall Kapke »einstellungsreif« wäre. Man könne – zusammenfassend – auch sagen: theaterreif.
Man weiß manchmal wirklich nicht, was schwerer zu ertragen ist: diejenigen, die mit Staatsauftrag am Küchentisch des NSU saßen oder jene, die dies bis heute leugnen.
24.11.2013

Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf, Unrast Verlag 2013, 2. Auflage
Wer dazu beitragen kann, dass dies keine Gerichtsposse bleibt, der möge sich mit belegbaren Informationen melden. Dazu brauche ich jedoch überprüfbare Quellen (Fotos, Aktenzeichen etc.) oder aber Möglichkeiten, die Informationen zu überprüfen, ohne eine Quelle zu gefährden.

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  1. Hallo Wolf Wetzel, es ist für mich mehr als lobenswert, wie Du die ganze sogenannte ‘Angelegenheit’ aufarbeitest. Dass dies alles keine Verschwörungstheorie ist, sondern schon vor Jahrzehnten vorbereitet wurde, ist mir seit langer Zeit klar. Dass niemand an die wahren Hintermänner und -Frauen rankommt, sollte nicht verwundern, denn die haben nun mal, auch finanziell, einen langen Atem.
    In den sogenannten Super-Eliten herrschte und herrscht schon immer ein ideologischer Ungeist, der schon fast ans Pathologische grenzt.
    Einfach weiter machen und D A N K E …

    1. Ich danke dir für die Ermutigung. Ich glaube es ist wie bei einem CT-Bild: Man kann und muss jetzt vieles besser verstehen und begreifen – unabhängig von der Zahl der “Begeisterteten”. Wolf

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