Wenn kritischer Journalismus die rote Linie überschreitet

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Wenn kritischer Journalismus die rote Linie überschreitet

Rasant in Richtung Wahrheit: So titelte das Magazin DER SPIEGEL vom 7.8.2013 seinen Zwischenbericht über den NSU-Prozess in München. Auch die meisten anderen Medien bescheinigten dem Gericht gute Arbeit. Das kann man für Irrsinn halten oder als Aufruf, es gut sein zu lassen.
Die Medien hatte ihr Skandale, das Gericht hat  seine Angeklagten und die Sicherheitsorgane das, was sie  sich schon seit Jahren wünschten.
Wer an diesen Schlusstrich nicht glaubt, der macht sich keine Freunde. Das hat u.a. der Journalist Thomas Moser erfahren.

Die politische Aufarbeitung der neonazistischen Terror- und Mordserie durch die verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse/PUA ist bereits Schnee von gestern: Man konstatierte unerklärliche Pannen und persönliches Versagen, man bedauerte die 1.000 Einzelfälle, man beklagte die Vernichtung von Beweismitteln, Falschaussagen im Amt, die massive Behinderung der Arbeit des PUA und kam dennoch zu dem logik-freien Schluss: Eine staatliche Beihilfe zu diesem neonazistischen Terror könne ausgeschlossen werden.
Die juristische Aufarbeitung ist bekanntlich voll im Gange und beim OLG in München in guten Händen. Niemand fürchtet sich mehr vor dem Ergebnis. Das schlimmste wird die notwendige und aufwendige Langeweile sein. Denn alles, was brisant ist, wurden von der Generalbundesanwaltschaft/GBA und dem OLG ausgeschlossen: Sowohl die Klärung, welche aktive Rolle Dutzende von V-Leute im Umfeld und Nahbereich des NSU einnahmen, sowohl die Frage, wie viele Mitglieder der NSU hatte/hat, als auch die Frage, wie ein Prozess schonungslose Aufklärung betreiben kann, wenn wichtige Akten, Beweise zu Hunderten (vor allem zu den V-Männern) vernichtet wurden.
Dieser Prozess imaginiert auf juristische Ebene noch einmal das, was wir seit zwei Jahren zu hören bekommen, nachdem alle Verantwortlichen 13 Jahre von nichts gewusst haben wollen: Der NSU besteht aus exakt drei Mitgliedern, zwei sind tot und das letzte steht vor Gericht. Die verschiedenen Terror- und Mordtaten haben sie alleine durchgeführt, ohne Hilfe Dritter, Vierter … und all die Neonazis, die zugleich im Dienst von Polizei bzw. Geheimdiensten standen/stehen, spielen in diesem Prozess keine Rolle.
Der Schlussstrich ist gezogen und fast alle Medien kolportieren dieses Ergebnis unabhängig und frei – im Wissen um die zahlreichen Fakten, die einen solchen Schluss weder zulassen noch nahelegen.
JournalistInnen, die in öffentlichen und privaten Medien arbeiten, wissen, wo sie Halt machen müssen. In aller Regel braucht es dafür keine Maßregelungen, keine Repressalien mehr. Und die allermeisten JournalistInnen wissen, was es bedeuten würde, wenn sie diese rote Linie übertreten würde. Wer heute noch die offizielle Version zum Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 bezweifelt, wer Fakten dafür der Öffentlichkeit präsentiert, wer Zweifel daran hat, dass ein Zeuge auf dem Weg, Aussagen zu machen, sich vor Liebeskummer umbringt, der betreibt keinen kritischen Journalismus mehr, sondern gefährdet das Staatswohl – und seinen Job.
So verwundert es nicht, dass kritische, investigative Berichterstattung in allen großen Medien zu einem Rinnsal versiegt ist.
Zu den wenigen JournalistInnen, die sich nicht an diese rote Linie halten, gehört neben Andreas Förster von der Berliner Zeitung der Journalist Thomas Moser, der regelmäßig in der Wochenzeitschrift ›Kontext‹ über den NSU-VS-Komplex schreibt. Dieses Zeitungsprojekt ist aus der Stuttgart-21-Bewegung entstanden, von der bitteren Erfahrung geprägt, die sie mit den gängigen Medien gemacht hatten, die in erster Linie ihren Kapitalgebern verpflichtet sind und dann der ›Wahrheit‹ – einer Wahrheit, die nicht den Fakten standhalten muss, sondern den politischen Interessen der Geldgeber.
Was dem Journalisten Thomas Moser am Anfang noch großes Lob eingebracht hatte: »… dafür hat er in Kontext den Platz, den er braucht …« (Kontext) ist nun sein Problem: Er gehört »zu den wenigen Journalisten, die darüber so regelmäßig wie akribisch berichten.« (Kontext).
Dass seine Beharrlichkeit schon seit einiger Zeit auf Obstruktionen stieß, machte Kontext auch öffentlich und warnte vor »einem Eingriff in die Pressefreiheit«.
Doch ganz offensichtlich hat diese stille, mächtige und anonyme Einflussnahme Erfolg. Thomas Moser beschreibt diesen Wandel so:
»Die Kontext-Wochenzeitung widmet sich intensiv dem auch nach zwei Jahren ungeklärten NSU-Komplex, beobachtete die Sitzungen des Untersuchungsausschusses in Berlin, besucht den Prozess in München und recherchiert die Hintergründe. Ein Medium, das sich nicht wie andere Medien einer Selbstzensur unterwirft, sondern konsequent berichtet.
Doch nun wurde zwei Mal hintereinander in Kontext ein NSU-Bericht nicht veröffentlicht. Zuletzt ein größerer Text zum Prozess in München und dem neunten Mord in Kassel, bei dem ein Verfassungsschützer am Tatort war. Der Beitrag wurde mit fadenscheinigen Begründungen, wie fehlendem Baden-Württemberg-Bezug (die Kontextredaktion sitzt in Stuttgart) nicht veröffentlicht. Vor allem der stellvertretende Redaktionsleiter Jürgen Bartle versucht seit Monaten, die NSU-Berichterstattung auszubremsen. Im Juni wollte er einen Beitrag über den Anschlag in der Keupstraße in Köln verhindern, was damals – noch – nicht gelang. In Kontext schwelt der Konflikt um die NSU-Berichterstattung seit Monaten. Dabei geht es auch um unterschiedliche Verständnisse von Journalismus. Kontext befindet sich mitten in einem Richtungskampf. Das Projekt Kontext entstand vor zweieinhalb Jahren im Umfeld der S21-Potestbewegung in Stuttgart und wird wesentlich von engagierten Bürgern, Spendern und Sponsoren getragen. In gewisser Weise geht es um die Zukunft dieses Projektes. Kontext gehört der Allgemeinheit, denen, die für das Projekt arbeiten, denen, die es nutzen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, über den Konflikt informiert zu werden.« (Thomas Moser)
 
Auf einige Kommentare in der Kontext-Zeitung, die sich für Thomas Moser aussprechen, antwortete Rainer Stieber, 2. Vorsitzender, am 19.10.2013 überraschend allgemein und kurz angebunden: »Weder in der Redaktion noch im Vorstand konnten wir den Versuch einer Einflussnahme aus Sicherheitskreisen oder aus anderen Richtungen feststellen. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir diesem Druck im Zweifelsfalle auch standhalten würden. Der Vorstand nimmt die von Herrn Moser erhobenen Vorwürfe sehr ernst, und hat Sie auch überprüft. Danach hat Herr Moser zwei Artikel zugesandt. Beide Artikel wurden nach Prüfung durch wenigstens zwei Redakteure nicht zur Veröffentlichung angenommen. Hierfür gab es mehrere Gründe, die mit Herrn Moser auch besprochen wurden. Diese Gründe hat Herr Moser nicht akzeptiert. Dies ist in der Redaktion ein normales Verfahren.
Wir sind der Meinung, dass die Entscheidung und deren Gründe mit Herrn Moser persönlich besprochen werden sollten. Wir sehen hierfür keine Plattform in der Öffentlichkeit.« (http://www.kontextwochenzeitung.de/133.html)
 
Was sich hier im Kontext anbahnt, hatte bereits einen Vorlauf. Thomas Moser hatte für den WDR einen Beitrag mit dem Titel ›Zehn Morde und ihr parlamentarisches Nachspiel‹ gemacht. Dieser Beitrag wurde vom Redaktionsleiter, gegen den ausdrücklichen Willen des verantwortlichen Redakteurs, aus dem Programm genommen. Hintergrund der Reportage waren u.a. die Aktenzurückhaltung durch den MAD und die Vernehmung des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme, der beim Mord in Kassel 2006 vor Ort war.
Auch in diesem Fall wurden fadenscheinige Gründe (fehlende Aktualität z.B.) vorgeschoben, um eine politische Zensur zu tarnen.
Wer die Texte von Thomas Moser in Kontext liest (und sie sind rundum zu empfehlen), weiß um das ›Gefährdungspotenzial‹, das in diesen Recherchen enthalten ist: Sie legen Indizien und noch nicht beseitigte Spuren präzise und überprüfbar für verschiedene Tatversionen aneinander, um zu belegen, dass jeder andere Ablauf der Ereignisse wahrscheinlicher ist, als die offizielle Version.

Solidarität

Ich hoffe und wünsche mir, dass viele Thomas Moser den Rücken stärken, in der Auseinandersetzung darum, ob Kontext eine Zeitung wird, die niemand mehr braucht oder ob Kontext das bleibt, wofür diese Zeitung ins Leben gerufen wurde: Ein Medium, das weder Geldgebern noch Staatsräson gehorcht, das sich der fortgesetzten Idiotisierung der Öffentlichkeit widersetzt, ein Medium, das viele aufrüttelt und irritiert und wenige um den Schlaf bringt. Das ist nicht viel verlangt.
Damit sich alle ein Bild vom dem machen können, worum es hier exemplarisch geht, möchte ich den Text von Thomas Moser öffentlich machen, der in Kontext nicht erscheinen soll:
›Münchner Prozess/NSU-Mord Nummer 9 in Kassel: Ein Verfassungsschützer am Tatort und eine Anklagebehörde, die Akten unterdrückt
 
Wolf Wetzel

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13 Kommentare

  1. @ Alexander Gronbach
    Ich habe kein Problem mit Aufmerksamkeitsdefiziten. Über meine politische Gesinnung müssen Sie sich keine Sorgen machen, ich habe da auch einige Zweifel an Ihrer Urteilskraft und kein Interesse an Rechtfertigungen. Sie dürfen mir aber zutrauen, daß ich bei Thomas Moser zwischen Faktenrecherche, Annahmen und politischen Einfärbungen unterscheiden kann – mit meinen bescheidenen Möglichkeiten. Und ja, warten wir mal ab, was mit Kapke passiert. Bisher ist von Ihren Ankündigungen jedenfalls nichts eingetreten.

  2. Ich schätze einmal, dass ein Herr Andre Kapke demnächst Besuch bekommt von den Jungs mit den Sturmhauben. Mit einem dicken roten Zettel und Nummer – Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. …………. 2013 (3 BGs …/..) oder so ähnlich……
    @ brain frezze
    dass Sie mit den fundierten Recherchen eines Thomas Moser nichts anfangen können, liegt doch nicht etwa an ihrer politischen Gesinnung?
    Das Positive an der momentanen Entwicklung ist, man interessiert sich ZERO für irgendwelche Spinner in den einschlägigen rechten Foren.
    Und eines ist mir noch aufgefallen beim “Brutusfanclub”, außer schwachsinnigen Vermutungen & dummdreisten Bemerkungen kommt keine Eigeninitiative….. es war halt immer die Weltverschwörung / Mossad / Gladio Stay Behind / und zur Not tu es auch dieser Spaßverein VS gelle!

  3. Oha – bei der BPOL GSG9 in St. Augustin herrscht hektische Betriebsamkeit. Es soll mit einer EZH von 32 Mann Richtung Thüringen gehen.
    Dann hoffen wir mal, dass es bei dieser Festnahme nicht zum “Finalen Rettungsschuss” kommt, sonst bleibt es beim Anklagekonstrukt des Trios mit drei Personen nach 129a StgB…….

  4. “Das hat u.a. der Journalist Thomas Moser erfahren, hervorging.”
    Macht so recht keinen Sinn. Irgend etwas fehlt im Satz….

  5. Obwohl ich Mosers Annahmen zum NSU-Komplex nicht in allen Punkten teile, sehe ich in den Zensurversuchen einen Angriff auf die notwendige kritische Gegenöffentlichtkeit in diesem Land, die ohnehin auf viel zu schwachen Füßen steht. Es ist traurig genug, daß so wenige Journalisten ihrem Berufsethos folgen und mediale Vorgaben staatlicher Informationspolitik kontinuierlich hinterfragen. Das betrifft aber nicht nur den NSU.

  6. (nur Korrekturhinweis: 3. Absatz; “… Thomas Moser erfahren, hervorging.” Punkt nach “erfahren”. “, hervorging.” gehört nicht zum Satz.)

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