Nunca mais (Nie wieder!), die WM in Brasilien und eine Konferenz

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WM 2014: Gekaufte Spiele – Gewinner und Verlierer stehen schon fest

Kriminelle und menschenrechtswidrige Ökonomie am Beispiel Brasilien

»Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum. Weder in Ketten gefesselt oder mit Büßerkappe am Kopf.« (Ex-Fußballspieler, ›Kaiser‹ Franz Beckenbauer – mit Blick auf die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Katar)

 

Eine BCC-Tagung am 17. Mai 2014  in Frankfurt | 10- 18 Uhr

 

Nunca mais (Nie wieder!)

 

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Bevor im Juni die WM beginnt, begeht Brasilien im März ein trauriges Jubiläum: Es jährt sich zum 50. Mal die Militärdiktatur, die am 31. März 1964 die Macht an sich riss und 21 lange bleierne Jahre andauerte. Es sind nicht alleine die Erinnerungen, die die Militärdiktatur präsent werden lassen, sondern auch die Spuren, die bis in die Gegenwart hineinreichen.

1964 stürzte das Militär die amtierende Regierung, löste das Parlament auf, erließ ein Parteien-Verbot, zerstörte die Gewerkschaften und etablierte die Diktatur durch systematische Folterungen, durch das Verschwindenlassen von missliebigen Personen, z.B. indem man zuvor gefolterte Personen ins offene Meer warf: »Aktuelle Untersuchungen konnten bislang 475 Ermordete und Verschwundene nachweisen; über 24.000 Personen wurden verfolgt und inhaftiert.« (Brasilicum, Nr. 232, S.3)

Für die allermeisten Menschen in Brasilien brach eine bleierne Zeit an, die nicht enden wollte. Für ausländische Investoren brach ein goldenes Zeitalter an: Der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen waren keine Grenzen gesetzt. In den meisten westlichen Staaten verstand man diese terroristischen Umständen als ›wirtschaftsfreundliches Investitionsklima‹ unter ›stabilen‹ politischen Rahmenbedingungen.

Der deutsche Bundespräsident Lübke (CDU) war der erste, der den Militärs gratulierte – fünf Wochen nach dem Putsch. In den folgenden Jahrzehnten schlossen sich alle im Bundestag vertretene Parteien diesem Votum an: 1975 preiste der FDP-Außenminister Genscher bei seinem Besuch die »Atmosphäre des Vertrauens, die für das deutsch-brasilianische Verhältnis charakteristisch ist«. Höhepunkt dieser blutigen Zusammenarbeit war der deutsch-brasilianische Atomvertrag, an dessen Zustandekommen parteiübergreifend gearbeitet wurde, über Franz-Josef Strauß (einst Atomminister), SPD-Bundeskanzler Willi Brandt bis hin zu Bundeskanzler Helmut Schmidt, der der Vertrag schließlich unterzeichnete.

 

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Die freundschaftliche Verbundenheit mit einer Diktatur spiegelte sich auch auf der ökonomischen, geschäftlichen Ebene wider. Große deutsche Unternehmen sahen die terroristischen Arbeitsverhältnisse nicht als ein Menschheitsverbrechen, sondern als optimale Investitionsbasis, die der damalige Vorstandsvorsitzende der Volkwagen AG, Rudolf Leidig im Jahr 1974 so umschrieb:

»Ich bin überzeugt, dass Brasilien vom politischen Gesichtspunkt aus sicherlich das stabilste Land in ganz Lateinamerika ist. Die Tatsache, dass hier in Europa gelegentlich Kritik gegenüber dem System laut wird, beruht sicherlich darauf, dass man hier nicht die nötige Einsicht und Kenntnis über das Land besitzt.« (Brasilicum, Nr. 232, S.4)

Nur ein Jahr später erteilte die Bundesregierung dem Waffenhersteller ›Heckler & Koch‹ die Genehmigung, eine Lizenz zur Produktion des G3-Gewehres an die Diktatur zu vergeben.

Diese Sympathie gegenüber diktatorischen Verhältnissen teilte sich der VW-Konzern mit vielen deutschen Unternehmen. Mehr noch: Sie arbeiteten der Militärdiktatur direkt in die Hände, wenn es darum ging, Arbeiter dem Geheimdienst auszuliefern oder durch Spitzel an Informationen zu gelangen, die direkt an die politische Polizei (DEOPS) weitergegeben wurden.

Die Diktatur endete 1985 – die Macht der Militärs, ihre Straffreiheit bis heute, das Schweigen derer, die diese ›demokratischen‹ Übergang einleiteten, der Preis, der gezahlt wurde, damit sich die Militärs zurückziehen, der Preis, den die Parteien bezahlen, damit sie an der Macht sein dürfen …. All das bezahlen die aller meisten Menschen in Brasilien noch heute.

»Die Initiative Nunca Mais – Nie Wieder organisiert in diesem Rahmen die Nunca Mais Brasilientage. Von März bis Juni 2014 wird es bundesweit Filmreihen, Workshops und Gesprächsrunden mit namhaften Experten und Zeitzeugen geben.… Als übergreifender Schwerpunkt werden insbesondere die engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien während der Diktatur beleuchtet. Wer waren die deutschen Freunde des Militärs? Wer unterstützte die politisch verfolgten Brasilianer in Deutschland? Aktuelle menschenrechtliche Probleme in Brasilien wie Polizeigewalt und die Gewalt und Diskriminierung gegenüber Indigenen sollen ebenfalls diskutiert werden.« (http://www.nuncamais.de)

›Wenn mein Kind krank ist, bringe ich es in ein Stadion‹ (Parole während der Proteste im Juni 2013)

Nichts gegen Fußball, aber darum geht es die wenigste Zeit, wenn man von der WM 2014 in Brasilien spricht. Denn gewonnen haben andere, lange bevor das erste Spiel angepfiffen wird: der Fifa-Konzern, der Blatterismus, die Firmen, die sich den Gewinn unter sich aufteilen und die gegenwärtige Regierung in Brasilien, die ein Land zwischen glitzernder Wonderworld und ständig tanzendem melting pot präsentieren möchte … in einer Zeit, wo Brasilien tatsächlich eher ein Schlachtfeld ist, auf dem verschiedene politische, geostrategische und soziale Konflikte ausgetragen werden: Brasilien auf dem Weg, in die Liga der Global Player aufzusteigen, Brasilien als die Nr. 1 der BRIC-Staaten, Brasilien als gigantischer Rohstofflieferant (Öl, Mais, Gold etc.), Brasilien als Agrar-Großmacht …

Wie überall auf der Welt, wo der WM-Zirkus Halt macht, setzt er auf den Fußball-Nationalismus. FasziNation Fußball soll alles, was es sonst noch gibt, in den Schatten stellen, so auch in Brasilien: Bevor der Ball rollt, hat das Geld längst das Spiel gemacht: Gigantische Infrastrukturmaßnahmen, die ganze Stadtteile dem Erdboden gleichmachen, an denen sich die Bauindustrie eine goldene Nase verdient.

Und natürlich ist jede WM (wie die Olympischen Spiele auch) viel mehr als der globale Wettbewerb von ›nationalen‹, allerdings längst multikulturellen Fußball-Mannschaften. Sie imaginiert eine Weltgemeinschaft, die alle vereint und alle Klassenunterschiede, Bürgerkriege und Kriege verschwinden bzw. vergessen lässt …

Diese wachsende Spaltung der Gesellschaft wird auch in den WM-Stadien geradezu beispielhaft nach- und abgebildet: Für die bevorstehende WM wurde das Stadion in Rio de Janeiro, das Maracanã, umgebaut. Dort finden jetzt 80.000 Menschen Platz: 40.000 Sitzplätze sind als VIP-Bereich ausgewiesen, also für ungefähr ein Prozent der Bevölkerung. Die andere Hälfte dürfen sich 99 Prozent der Bevölkerung teilen.

Proteste auf FIFA-Niveau

Im Juni letzten Jahres sind Hundertausende auf die Straße gegangen, um ihren Unmut gegenüber der Regierungspolitik zum Ausdruck zu bringen. Die Proteste wurden aber nicht nur durch die Wut über die korrupte Fußballmafia ausgelöst, sondern vor allem durch den Kampf gegen die Tariferhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, der in Brasilien von miserabler Qualität ist und vorwiegend durch die Interessen der großen Busunternehmen bestimmt wird. Auf den Demonstrationen machten unzählige, spontan entstandene Parolen und Slogans die Runde: ›Ich kann ohne WM auskommen: Ich will Gesundheit, Arbeit und Bildung‹, ›Politiker, ihr habt jetzt nichts mehr zu lachen‹, ›Pelé und Ronaldo: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‹. Als Antwort schickte man Polizeieinheiten, die den Protest im Keim ersticken sollten. Das Gegenteil war der Fall. Der Protest hat zwar ein Mega-Event zum Anlass genommen, aber er geht mittlerweile weit darüber hinaus.

Aller Voraussicht nach wird im Juni nicht nur Fußball gespielt. Zahlreiche Basiskommitees haben auch ›Demonstrationen auf FIFA-Niveau‹ angekündigt. Sie wollen die Proteste, die im letzten Jahr begonnen wurden, fortsetzen.

Nicht der Fußball, nicht die Freude am Spiel, die asoziale Dampfwalze des Weltkonzerns Fußballgeschäft steht in der Kritik der BCC-Fachtagung am 17. Mai 2014.

Wolf Wetzel

BCC-Vorstandsmitglied

Am 17. Mai 2014 wird die BCC-Tagung in Frankfurt unter dem Motto stehen:

Die WM in Brasilien 2014 – Gekaufte Spiele – Gewinner und Verlierer stehen schon fest.

 

Weitere Informationen, einschließlich die eingeladenen ReferentInnen, die Themenschwerpunkte und das Programm finden sich unter: www.businesscrime.de

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  1. Der hervorragende Henry Kissinger hat übrigens dazumal, im Zusammenhang mit den Putsch-Orgien in Lateinamerika, den Begriff der Alternativlosigkeit geprägt. Die Leute sind damals um die Chance einer autonomen Industrialisierung gebracht worden. Heute ist Brasilien voll mit verkommenen, verzweifelten Existenzen, die auch vom Sozialismus nichts mehr erwarten. Wenn der ganze BRICS-Aufschwung vorbei ist, kommt dort der Faschismus zurück. Und die Waffen haben die Kriminellen, nicht die Arbeiter. Ich werde mir die WM auch im Fernsehen sparen.

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