Pussy Riot – zwischen Rührung und Wunschproduktion

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Dank der vielen Bilder und Berichte über den Prozess gegen drei Mitglieder von Pussy  Riot, dank der Liveberichterstattung aus dem Verhandlungssaal russischer Gerichtsbarkeit, möchte man am liebsten sofort und bedingungslos solidarisch sein. Wer sehnt sich nicht nach Menschen, die staatlicher Repression trotzen, keine Reue zeigen?

Wer möchte nicht am liebsten alle Zweifel und Bedenken in den Wind schlagen?

Dieser Text versucht, beidem gerecht zu werden.

 

Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin!
Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen – Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung.
Das Gespenst der Freiheit im Himmel.
Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.
Der KGB-Chef ist Euer oberster Heiliger, er steckt die Demonstranten ins Gefängnis.
Um den Heiligsten nicht zu betrüben müssen Frauen gebären und lieben.
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck! Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!
Mutter Gottes, Du Jungfrau, werde Feministin, werde Feministin, werde Feministin!
Kirchlicher Lobgesang für die verfaulten Führer – Kreuzzug aus schwarzen Limousinen.
In die Schule kommt der Pfarrer, Geh’ zum Unterricht – bring ihm Geld.
Der Patriarch glaubt an Putin.
Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben.
Der Gürtel der Seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen – Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!
Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin!
(http://www.ceiberweiber.at)

Für dieses Punk-Gebet, das sie  im Februar 2012 – außerhalb der Gottesdienstes – in  der Christus-Erlöser Kirche in Moskau aufgeführt hatten, wurden drei Frauen von der Band Pussy Riot “wegen Rowdytums aus religiösem Hass” zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt. Ihr Protest richtete sich u.a. gegen den politischen Schulterschluss Putins mit dem orthodoxen Patriarchen Kirill während des Präsidentschaftswahlkampfes:  “Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Wahlfälschungen und die Wiederwahl Putins zum Präsidenten kam die direkte Aufforderung des Patriarchen hinzu, dass orthodoxe Christen lieber zu Hause bleiben und beten sollten, als zu Demonstrationen zu gehen.« (FAS vom 19.8.2012)

Solche Protestaktionen gibt es nicht nur in Russland, sondern auch in vielen Ländern Europas, die sich Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben.
In vielen europäischen Staaten verstehen sich die Amtskirchen – ähnlich dem Patriarchen in Moskau – als Garanten des politischen Systems.

Meist werden solche Aktionen wie in Moskau von den Medien erst gar nicht wahrgenommen, geschweige denn gegen staatliche Repressionen in Schutz genommen.
Wenn also westliche Medien die politische Aktionen der Pussy Riots aufmerksam verfolgen und mit viel Wohlwollen begleiten, wenn westliche Regierungen von überzogenen staatlichen Reaktionen in Russland sprechen, dann nicht, weil sie grundsätzlich gegen autoritäre, repressive Regime das Wort erheben. Weder die Leitmedien, noch die meisten westlichen Regierungen haben etwas gegen autoritäre und diktatorische Regime, wenn sie ihre Interessen bedienen. In aller Regel entdecken sie demokratische Grundrechte erst dann, wenn man sie als Waffe gegen Regime einsetzen kann, deren Kooperationsbereitschaft zu wünschen übrig läßt.
Erinnert sei nur all jene reaktionären, diktatorischen arabischen Regime, die jahrzehntelang als zuverlässige und treue Partner des Westens hofiert und bewaffnet wurden – bevor der “arabische Frühling” an ihren Grundfesten rüttelte.

Das Besondere an diesem Prozess ist also nicht, dass das Gericht eine zielgerichtete politische Aktion per Gesetz entpolitisierte. Das ist in vielen europäischen Demokratien Standard – auch wenn dafür modernere Paragrafen als der des ›Rowdytums‹ zur Anwendung kommen.

Das Besondere daran ist auch nicht, dass die drei Mitglieder der ›Pussy Riot‹ Punkband wie wilde Tiere vorgeführt werden: Die Angeklagten wurden in Handschellen in einen schusssicheren Käfer gesperrt, der wiederum von neun Schwerbewaffneten und zwei Polizeihunden bewacht wurde, als wolle man damit verhindern, dass ihr Geist entweicht.
In vielen europäischen Staaten sind diese ›Käfige‹ Standard, um politische GegnerInnen zu demütigen und vorzuführen.

Das Besondere an diesem Prozess ist ebenfalls nicht, dass sich um einen Schauprozess handelte, also um eine Inszenierung eines rechtstaatlichen Verfahrens, in dem das Urteil bereits feststeht, bevor die Verhandlung begonnen hat: »Im Grunde genommen wird in diesem Prozess nicht über die drei Sängerinnen der Gruppe Pussy Riot verhandelt. Wäre es so, dann hätten die Vorgänge hier absolut keine Bedeutung. Dies ist eine Verhandlung über das gesamte Staatssystem der Russischen Föderation, das zu seinem eigenen Unglück in seiner Grausamkeit gegen die Menschen, seiner Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Ehre und Würde, so gern das Schlimmste zitiert, was in der russischen Geschichte je geschehen ist. Diese Imitation eines Gerichtsverfahrens kommt dem Muster der ›Gerichtstroiken‹ der Stalinzeit nahe. Auch hier gibt es einen Ermittler, einen Richter und einen Ankläger. Und die politische bestellte Repression, die die Worte, Handlungen und Entscheidungen aller drei von vornherein bestimmt.« (Erklärung von Nadjeschda Tolokonnikowa vor Gericht, zitiert nach FAS vom 19.8.2012)

Dass politische Direktiven die ›Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit‹ ad absurdum führen, ist ebenfalls keine besondere russische Krankheit. In allen Prozessen, die der Staatssicherheit dienen, werden in Europa Gerichte wie abgerichtete Hunde eingesetzt.

Auch die Psychiatrisierung von Angeklagten ist längst nicht mehr eine Besonderheit russischer Gerichtsbarkeit. Ohne große Aufregung und vor allem ohne jegliche politische Konsequenzen wurden Steuerfahnder in Frankfurt, die ihre Aufgabe nur ernst nahmen, psychiatrisiert, für verrückt erklärt. Dafür muss man nicht nach Russland schauen.

Das wirklich Besondere an diesem Prozess ist einzig die Haltung der drei Mitglieder der Pussy Riot Gruppe.
Sie wussten, was sie sie mit ihrem Punkauftritt in der Hauptkirche der Orthodoxen in Russland auslösen werden. Sie nahmen ihre Verhaftung in Kauf. Sie konnten sich die Repression, das Strafmaß ausrechnen.
Sie hätten Reue zeigen können, sie hätten mit der Staatsanwaltschaft, mit dem Gericht kooperieren, sie hätten einen Deal machen können – was nicht nur in Russland honoriert wird.
Genau das taten sie nicht.
»Unmittelbar vor dem Urteil hatten die Angeklagten einem Gnadengesuch an Putin eine klare Absage erteilt. ›Machen Sie Witze? Natürlich nicht. Eher sollte er uns und Sie um Gnade bitten‹, schrieb die Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa (22) der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta. Sie glaube nicht an ein unabhängiges Urteil.« (Zeit-online vom 17.8.2012)

Kurz vor der Urteilsverkündung

Das ist das Besondere an diesem Prozess, an diesen Angeklagten – obwohl auch sie wissen, dass die Opposition gegen das Putin-Regime schwach ist.
Wer für ihre sofortige Freilassung eintritt, wird wissen müssen, dass man mit Petitionen diesem Urteil nicht gerecht wird – weder in Russland, noch sonst wo.
Erst wenn Tausende das Risiko in Kauf nehmen, das die verurteilten Pussy-Riot-Mitglieder in Kauf genommen haben, wird aus ihrem persönlichen Mut etwas Kollektives, wird sich ihre Verurteilung in eine Verurteilung dieses Regimes verwandeln.
Vor diesem Schritt steht nicht nur die Opposition in Russland, sondern in ganz Europa.
Zur Urteilsverkündung trug Nadeschda Tolokonnikowa  ein T-Shirt mit der Aufschrift ›No pasaran‹ – (Sie werden nicht durchkommen).
No pasarán! war eine zentrale Parole im spanischen Bürgerkrieg, als es darum ging, die Republik gegen den (spanischen und deutschen) Faschismus zu verteidigen.
Eine sympathische Geste, das System Putin für kein russisches, sondern für ein sehr aktuelles, internationales Phänomen zu halten.

Pussy Riot – eine gut inszenierte und mit viel Know-How ausgestattete Wunschproduktion?

CeiberWeiber, ein feministisches Onlinemagazin aus Österreich, formuliert in mehreren Texte gute Gründe, den Bildern nicht zu trauen, schon gar nicht dem Gefühl, den Pussy Riots in ihrem Kampf (gegen was eigentlich genau? und für was?) beiseite zu stehen.

Unter dem Titel: Pussy Riot – Feministinnen oder Schachfiguren?  gehen die Autorinnen all dem nach, was sich hinter dem Spektakel, hinter der weltweiten Inszenierung auch verbergen könnte…

Auf die Frage, was an Pussy Riot feministisch ist, sein soll, gehen die CeiberWeiber recht kurz ein:
“Mit Feminismus hat das ‘Punkgebet’ ebenso wenig zu tun wie die nackten Frauen von Femen, die man übrigens auch für Aktionen bestellen kann, via Manager. Es ist eher ein wirres Gestammel als ein Liedtext und wurde binnen einiger Sekunden gut dokumentiert als Provokation ‘gesungen’. In Russland wird dies als Bestandteil eines ‘Informationskrieges’ analysiert, da zentrale Werte das Ziel sind, die Menschen Sicherheit geben. Eine Verbindung zwischen weltlicher und kirchlicher Macht ist auch Bestandteil dieser Art Stabilität und wird ‘byzantinisch’ genannt, was auf eine lange Tradition verweist. Destabilisierung bedeutet immer, die Emotionen der Bevölkerung zu erreichen, sie zu verunsichern, lang Geltendes in Frage zu stellen…”

Sehr viel mehr Raum nimmt die Frage ein, wie eine recht unbekannte Punkband weltweit so viel Aufmerksamkeit genießen kann – glaubt man nicht dem Märchen, dass jede/r eine Chance bekommt, “berühmt” zu werden, wenn er/sie nur gut ist.

Ihr Hauptvorwurf gilt dem Unterstützerkreis der Pussy Riots, deren promintes Mitglied mit Befreiung, Abschaffung von Unterdrückung und Ausbeutung so gar nichts zu tun hat:
Oksana Chelysheva leitet, so CeiberWeiber, nicht nur die Unterstützungskampagne für Pussy Riot. Sie ist Mitglied des NED-Steering Commitees und in weiteren NED-finanzierten Organisationen aktiv.
Was verbrigt sich hinter dieser Abkürzung NED? Dazu CeiberWeiber :
“Das National Endowment for Democracy wurde in den 1980er Jahren gegründet, um CIA-Aktivitäten besser verschleiern zu können. Es übernimmt eine wichtige Rolle bei Umsturzbewegungen in Ländern, die sich dem Einfluss Washingtons entziehen … Das NED bezieht seine Mittel unter anderem via AFL-CIO, wobei die amerikanischen Gewerkschaften wegen ihrer Rolle auch zynisch AFL-CIA heissen. AFL-CIA mischt in Lateinamerika mit und war etwa an der Finanzierung der ‘Kronen Zeitung’ in Österreich über den ÖGB beteiligt…
Wenn das National Endowment for Democracy Pussy Riot unterstützt, jene ‘Privatisierung’ von CIA-Aktivitäten seit der Zeit von US-Präsident Ronald Reagan, sind viele Menschen bestürzt, die sich für eine gute Sache einsetzen wollten. Manche tun sich aber damit schwer, zwischen dem Schicksal von Jekaterina Samuzewitsch, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa und dem Background zu differenzieren …..
Das National Endowment for Democracy bezahlt viele NGOs in Russland, die sich fast immer ‘Menschenrechten’ widmen. Echter, von unten kommender, unabhängiger Wandel ist damit nie gemeint, sondern das Instrumentalisieren von berechtigter Kritik für eigene Zwecke… Die Außenministerin der Clinton-Zeit, Madeleine Albright, ist Chefin des NED, des NDI, einer mit dem NED verbundenen Gruppe und in einigen anderen Organisationen aktiv. Sie sprach Anfang letzten Jahres etwa davon, dass das NED in Ägypten bereits engagiert war, ehe Mubarak gestürzt wurde, um die Zeit danach vorzubereiten. Bekannt ist, dass der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer für sie arbeitet – jener ‘Grüne’, der den Kosovokrieg als ‘humanitäre Mission’ verkaufte.”

Diese Organisation findet man selbstverständlich auch im Internet mit einer eigenen Webseite und einem wirklich umwerfenden Slogan : “Supporting freedom around the world“: http://www.ned.org/

Keine Frage, was die CeiberWeiber zur Diskussion stellen, stört und passt so gar nicht in das Bild von drei mutigen Frauen, von denen es genauso wenig gibt, wie Männer. Diese Zweifel auszusprechen, sie in die Diskussion zu bringen, ist dennoch wichtig – gerade wenn der Hunger nach radikalen, reuelosen und militanten Aktionen und Haltungen groß ist.
Die Pussy Riots werden erklären müssen, ob sie diese Art der Unterstützung und Vermarktung wollten und wollen, ob sie damit gar keine Probleme haben oder darum nicht wußten.
Sich damit zu beschäftigen, “bestreitet in keiner Weise die Rechte der jungen Frauen – es hilft aber, die Causa einzuordnen“. (http://www.ceiberweiber.at)

Wolf Wetzel
Herausgeber und Autor des Buches: Aufstand in den Städten – Krise, Proteste, Strategien, Unrast Verlag, Münster 2012

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