Monopoly und/oder Barricada – Wem gehört die Stadt /Teil II

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Im ersten Teil sollten die Fragen beantwortet werden:

1. Hat sich etwas in den letzten 30 Jahren verändert und wenn ja, was genau … und: Warum muss man das wissen!

2. Gentrifidingsbums – ein Anliegen mit vielen Missverständnissen. Also von eingeworfenen Scheiben und aufgeworfenen Fragen

Der zweite Teil widmet sich den Fragen:

3. Der sinkende Regierungstanker: Primat der Politik versus Diktatur des Marktes

4. Kurswechsel: Es geht um die Lords dieser Stadt-Politik und erst dann um die Gentries.

5. Strategien: Gegen Aufwertungen hilft kein Klagen, sondern nur eines: Entwertung

3. Der sinkende Regierungstanker: Primat der Politik versus Diktatur des Marktes

Scheinbar hat man es beim ›Unternehmen Stadt‹ mit ganz vielen zu tun: mit der amtierenden Regierung, den Investoren, den Immobilienfonds, den Kredit gebenden Banken, den Baufirmen, Youpie-Läden, und mit dem kreativen Kapital …
Fangen wir ganz oben an. Wo ist ganz oben?
Nach wie vor richtet sich ein Großteil des Protestes an die Politik, an die verantwortlichen Regierungsparteien oder an die Opposition, die verspricht, es besser, also ein bisschen anders zu machen. Diese Adressierung geht von der Annahme aus, dass in diesem Land das Primat der Politik gälte, also die Politik die Rahmenbedingungen und Grenzen ökonomischen Handels setzt.

Demonstration gegen Mediaspree in Berlin

Zurecht werden viele einwenden, dass das doch blanke Ideologie sei. In Wirklichkeit werden Regierungen nicht gewählt, damit sie irgendeinen Wählerwillen durchsetzen, sondern um die Interessen der Businessclass für das Gemeinwohl auszugeben. Und in der Tat, der Spielraum jedweder Partei, die an die Macht kommt, war nie groß: Über 60 – 70 Prozent der öffentlichen Haushalte sind längst vergeben, bevor irgendein politischer Wille daran rührt. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich diese Tendenz in einem Maße verschoben, dass man in der Tat fragen kann, ob der Staat, die Kommunen nur noch Bad Banks, also schwarzen Kassen sind, die die Verluste der wirklich Regierenden sozialisieren.
Alle Parteien, bis hin zur Partei der Linken, hatten auf dem Höhepunkt der Finanzkrise erklärt, dass es zur Verstaatlichung der Milliardenverluste aus dem Finanzsektor keine Alternative gäbe. Man könnte auch von einem gemeinsamen Bekennerschreiben reden, in dem sie ihren Einfluss in allen Fragen, wo es drauf ankommt, auf Null setz(t)en.
Was wählen wir da alle vier Jahre? Was soll das ganze Gerede von der politischen Macht?

Für'n Arsch

 

Allein für Berlin bedeutet dies, dass jede Regierung, bevor sie gewählt ist, daran beteiligt ist, 1,7 Milliarden Euro aus dem Haushalt abzustellen, die Summe also, die zur Abwendung der Pleite der landeseigenen Landesbank bezahlt wurde. Dazu kommt noch die Übernahme von finanziellen Risiken in Höhe von 21,6 Milliarden Euro für faulende Einlagen.
Wie sich das auf die kommunalen Haushalte auswirkt, kann man ebenfalls am Beispiel Berlin eindrucksvoll darstellen:
Der Haushalt für das Jahr 2010/11 sieht jährliche Ausgaben von ca. 22 Milliarden Euro vor. Doch wie viel ist längst ausgegeben, bevor irgendein politischer Wille daran rührt? Über wie viel Geld verfügt eine Regierung, die nicht alles, aber vieles anders machen möchte? Die grüne Spitzen-Kandidatin Renate Künaz nennt in einem Interview Zahlen: »Ich komme am Ende auf 200 Millionen Euro Spielraum im Haushalt …« (Berliner Morgenpost vom 12.9.2011)
Oder anders gesagt: Über 90 Prozent des städtischen Haushalts sind nicht wählbar – frei von jedem politischen Einfluss! Braucht man für diese restlichen knapp 10 Prozent wirklich noch eine Regierung?

Aktionstag in Frankfurt 2011

Wer regiert also die Stadt wirklich? Wer entscheidet, dass Media Spree realisiert wird? Die Regierung oder die Investorengruppe? Wer bestimmt die Veränderungen im Bebauungsplan, die aus einem Wohngebiet ein Cityerweiterungsgebiet machen?
Wer entscheidet, dass Stuttgart-21 gebaut, alles andere auf der Strecke bleibt?
Auch dafür bietet die Hauptstadt gutes Beweismaterial. Was gerade vor Kurzem als Fall Landowsky juristisch begraben wurde, erlaubt einen fantastischen Blick hinter die Bühne, wo man das Parlament, die einzige legitimierte Instanz in einer Demokratie vermutet.
Klaus Rüdiger Landowsky war einst mächtiger Berliner CDU-Fraktionschef und Chef der Hypothekenbank Berlin Hyp, einer Tochter der landeseigenen Bankgesellschaft. Landowsky stellte mit einer Hand den Berliner Landeshaushalt auf und winkte mit der anderen Millionenkredite für Immobilienkäufe durch, wofür er bzw. seine Partei extra honoriert wurde.
Geht einmal der Vorhang für einige Momente auf, sieht man etwas, was die Süddeutsche Zeitung, die für Systemkritik nicht berühmt ist, so beschreibt: »Das ›System Landowsky‹ war ein gut funktionierendes Netz von politischen Funktionären, Baulöwen und Bankiers, die einander in die Hände wirtschafteten …«
In dieselbe Richtung weist Andrej Holm: »In der Folge dieser immobilienwirtschaftlichen Investitionen sind Gentrifizierungsprozesse von einem Sonder- zum Regelfall der Stadtentwicklung geworden. In der unternehmerischen Stadt von heute regieren überwiegend Immobilienverwertungskoalitionen, die weite Teile der Investoren, der Bauunternehmen, der finanzierenden Banken und der politischen Klasse umfassen.« (Das Recht auf die Stadt)

Kein Spiel

Die Stadtregierung – ein Immobilienverwertungskartell

Träfen diese Analysen zu, und nichts spricht dagegen, wäre ›ganz oben‹ eben nicht das, was man für die Regierung hält. Dann sollten wir keine Minute zu viel an Parteien verschwenden, sondern alle Kraft und Anstrengungen auf die Nichtwählbaren, das Schattenkabinett aus Baubehörden, Investoren, Immobilienfonds, Bauunternehmen und Banken konzentrieren.

Der Vorschlag, in Berlin, am Tag der Wahl 2011 mehr zu machen, als zuhause zu bleiben oder eins der geringeren Übel zu wählen, gefällt uns außerordentlich.
»Während die Schäfchen zur Urne gehen, nehmen wir uns die Stadt zurück« ist das Motto dieses Aktionstages.
Wenn wir uns einig werden, dass es nicht auf die 200 Millionen Euro ankommt, die jedwede Regierung zur freien Verfügung hat, sondern auf die Milliarden, die nicht zur Wahl stehen, dann sollten wir dorthin gehen, wo die Milliarden – unabhängig von jedem Wahlausgang – hinfließen.

4. Kurswechsel: Es geht um die Lords dieser Stadt-Politik und erst dann um die Gentries.

Zwischen den Gentries der B-Klasse und den Lords der A-Klasse

Die Ursprungsbedeutung von Gentry gibt Gelegenheit, der Frage nachzugehen, mit wem man es zu tun hat, gegen wen man vorzugehen hat.
Die Immobilienbranche hat keine Mühe, die Stadt in Klassen einzuteilen, ihr Jagdrevier zu klassifizieren. Für sie ist das keine ideologische Frage, sondern eine zwingende Voraussetzung. Die Zentren von Städten werden in der Immobilienbranche als A-Lagen bezeichnet, also sündhaft teuer. Die Wohnviertel, die sich geografisch anschließen, nennt man B-Lagen. Wer dort investiert, wer dort wohnen will, hat nicht nur kurze Wege zum Zentrum, sondern auch die Hoffnung, dass diese B-Lagen in nicht all zu ferner Zukunft zu A-Lagen werden, also reichlich Gewinn abwerfen.
Wer sind also jene, die in B-Lagen investieren? In vielen Diskussionen werden Eigentümer von kreativem Risiko-Kapital ausgemacht: Künstler, prekär Selbstständige, die sich mit viel Kredit und Eigeninitiative dort einkaufen.
Zweifellos sind teure Mode- und Schmuckläden, hippe, also teure Locationes das sichtbarste Zeichen dieser Entwicklung, die Nahtstelle zwischen der sozialen Mobilität im Kiez, im Stadtteil selbst und kapital-immanenter Entwicklungen.
Doch hinter all den trendigen Kleinunternehmen verbirgt sich etwas, was schnell aus dem Blick gerät: B-Lagen, also citynahe Stadteile bzw. Stadtteile mit einem bestimmten Flair werden längst von großen Investoren und Immobilienfonds geprägt und bestimmt.
Das hat nicht nur etwas mit den relativ großen Renditeerwartungen zu tun, sondern gleichermaßen mit dem Umstand, dass immer mehr Kapital nach sicheren Anlagemöglichkeiten Ausschau hält – um so mehr, je länger die kapitalistische Krise anhält.
Ein Lord der B-Lagen ist z.B. der »Milliardär, Kunstsammler, Regierungsberater, Karstadt-Sanierer und Immobilienmogul Nicolas Berggruen (…) der allein in den letzten Jahren in Berlin 225 Millionen Euro in Immobilien investierte«  und über sein Berlin-Engagement Folgendes verriet: »Ich interessiere mich vor allem für noch nicht ausgereifte Lagen wie Kreuzberg
Dass hohe Renditeerwartungen etwas mit Risiko-Kapital zu tun haben, weiß der Mogul am besten: »Natürlich wisse auch er nicht, ob Berlin sich wie New York entwickele, aber das sei doch immerhin eine ›schöne Vision‹.«
Schön ist etwas ganz anderes.
Von diesen Lords gibt es viele, in jeder größeren Stadt, so z.B. in Frankfurt, wo man den Investor Ardi Goldman »Meister der 1B-Lage« (FAZ vom 07. Juni 2010) nennt. »Auf Fragen nach der Anzahl seiner Immobilien antwortet er mit Achselzucken.«

Bevor man also einen Youpie-Läden ruiniert, vielleicht sogar von einem Besitzer, mit dem man früher einmal zusammen auf die Straße gegangen ist, gäbe es noch viel zu tun. Anstatt das Kellerduell fortzusetzen, sollten wir möglichst weit oben anfangen, anstatt am Ende der Wertschöpfungskette, wenn schon alles, fast alles zu spät ist.

5. Strategien: Gegen Aufwertungen hilft kein Klagen, sondern nur eines: Entwertung

Zweifellos sind die Methoden, einen Stadtteil umzustrukturieren, heute vielfältiger und vielgliedriger als vor 30 Jahren. Aber sind die Zeiten deshalb komplizierter geworden? Weiß man heute nicht, wogegen man zuerst anrennen, zuerst kämpfen sollte? Ist es heute so schwierig, die verschiedenen Strategien einzuordnen und zu gewichten, nur weil in diese Verwertungskette zwei, drei neue Glieder mit eingebaut wurden?

Auch in den 70er und 80er Jahren war Kahlschlag, also Flächensanierung nicht die einzige Option, um Stadteile für die Businessclass freizumachen, unerwünschte BewohnerInnenschaft an den Rand zu drängen (die Trabantenstädte entstanden schließlich in jener Zeit).

Es liegt nicht an den schwieriger gewordenen Verhältnissen, die heute das Entstehen neuer Bewegungen erschweren.
Bewegungen sind zu keiner Zeit entstanden, weil das Unrecht zu groß wurde, weil sie alle Ungerechtigkeiten auf die Tagesordnung setzten. Sie hatten auch keinen Erfolg, weil sie im Recht waren. Und Bewegungen entstehen nicht, weil sie gegen alles sind und nur gegen das Ganze kämpfen.
Bewegungen entstanden, wenn sie einen Riss in der ›Stadtmauer‹ ausmachten, einen Spalt im Machtgefüge ausfindig machten, durch den viele hindurchgehen konnten. Bewegungen entstehen durch die Kunst der Reduktion, durch eine Vereinfachung, die bei Vergrößerung nicht Dummheit, sondern Klugheit erkennen lässt.

Dieser Spalt, dieser Riss stellten in den 70er und 80er Jahren die leerstehenden Häuser dar. An ihnen konnte die herrschende Stadtpolitik aufgezeigt werden. Ihr Leerstand konnte mit der ganzen Unzufriedenheit über städtische Machtpolitik, aber auch mit neuen Ideen und Utopien von einem anderen Leben gefüllt werden.
Heute gibt es nur noch wenig (sichtbaren) Leerstand – im Verhältnis zu den 70er und 80er Jahren.

Wenn ein Konzern 100.000 Menschen schikanieren kann, dann müssten das 100.000 auch können.

Was könnte heute der Knotenpunkt sein? Wo ließe sich vieles auf den Punkt bringen, wo sich Strategien kreuzen und verdichten, die heute in der Summe Vertreibung zur Folge haben?

Für Berlin könnte das die ehemalige städtische/kommunale Wohnungsbaugesellschaft ›GSW‹ sein, die heute von privaten Investoren geführt wird. Die ›GSW‹ setzt das komplette Arsenal an Vertreibungsstrategien ein: Sie setzt die Mieten Zug um Zug hoch, sie lässt Häuser verrotten, die für einen Abriss vorgesehen sind, sie verkauft Teile des Wohnungsbestandes an andere Investoren, sie lässt unerwünschte Mieter in der Warteschleife verhungern, sie besitzt auch einige ehemalige besetzte Häuser …
Die Wut über diese Geschäftspraktiken ist groß, erste MieterInnenversammlungen fanden statt, erste Überlegungen eines Mietstreiks machen die Runde.
Wenn man also die ›GSW‹ als Paradebeispiel für diesen private state begreift, würden MieterInnen, ›Recht auf Stadt‹-Gruppen, Tag – und NachtaktivistInnen nicht nur ihr eigenes Ding verfolgen, sondern an einem gemeinsamen Projekt, mit viel Geduld und Ausdauer, mit unterschiedlichen Möglichkeiten und Risiken beweisen, dass sich Privatinitiativen nicht lohnen, dass das Geschäft mit dem Leben/Wohnen anderer kein (lukratives) Geschäft ist, sondern nur teuer zu stehen kommt.

 

 

Die Rekommunalisierung von Privatisierungen würde dann nicht am Anfang stehen, sondern das Ende dieser Entwertungsstrategien markieren – dann nämlich, wenn die GSW erkennen müsste, dass der Kauf von 65.000 Wohnungen kein Schnäppchen war, sondern ein Investitionsgrab.

Wolf Wetzel
Herausgeber und Mitautor der DVD-Bücher: ›Wir wollen alles‹ – Häuserkampf von 1970 – 1985 (Band 21) und ›Besetzen lohn sich – bleiben auch‹ – Häuser- und Stadtkämpfe von 1985 – morgen (Band 22), Laika Verlag, Hamburg 2011/12

Einen Livemitschnitt zu der Veranstaltung (mit Andrej Holm/Berlin und Wolf Wetzel/Frankfurt), die diesem Text zugrunde liegt, findet ihr bei : reboot.fm

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