1.6.2010 – Wahlen und Staatsterrorismus sind in Kolumbien kein Widerspruch

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Para-democracia in Kolumbien

Am 30.5.2010 waren Präsidentschaftswahlen in Kolumbien. Nach Auszählungen der meisten Stimmen kam – egal wie – der Verteidigungsminister Juan Manuel Santos auf 46,6 Prozent. Der ›grüne‹ Herausforderer Mockus kam auf 21,5 Prozent. Es wird also am 20. Juni zu einer Stichwahl kommen.

Erklärtermaßen wird sich am Regime der Angst, am System der ›Parapolíticas‹, ein blutiges Wortspiel aus Paramilitärs und Staatspolitik, nichts Gravierendes ändern.


Am 30.5.2010 waren Präsidentschaftswahlen in Kolumbien. Nachdem der amtierende Präsident Álvaro Uribe vergeblich versucht hatte, die Verfassung zu ändern, um eine dritte Amtszeit zu legalisieren, stehen neue Gesichter zur Wahl. Als Nachfolger hat Uribe den bisherigen Verteidigungsminister Juan Manuel Santos aufs Schild gehoben, der sogleich versprach, die para-democracia mit mörderischer Konsequenz fortzusetzen. Unter sein Kommando fallen u.a. die ›falsos positivos‹.

Der ›grüne‹ Herausforderer Antanas Mockus gilt als schrill und exzentrisch: »So erfand er den männerfreien Abend, an dem Bogota den Frauen gehört, und posierte mit einer schusssicheren Weste, die ein Loch hat – damit er sich auf das Herz greifen kann.«[1]

Absehen von diesen bunten Details ist Antanas Mockus im Kern erschreckend alternativlos: »Er hat in Wahlkampfveranstaltungen versprochen, nichts zu zerstören, was die Regierung Uribe aufgebaut hat.«[2]

Nach Auszählungen der meisten Stimmen bekam – egal wie – der Verteidigungsminister Juan Manuel Santos 46,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der ›grüne‹ Herausforderer Mockus kam auf 21,5 Prozent. Es wird also am 20. Juni zu einer Stichwahl kommen.

Erklärtermaßen wird sich am Regime der Angst, am System der ›Parapolíticas‹, ein blutiges Wortspiel aus Paramilitärs und Staatspolitik, nichts Gravierendes ändern.

Die Ära der Para-Politik

Als Álvaro Uribe 2002 mit 53 % der abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, kündigte er eine neue ›demokratische‹ Ära, eine ›Politik der demokratischen Sicherheit‹ an, was auch Putschgeneräle für sich in Anspruch nehmen (wie der an die Macht geputschte Millionär in Honduras).

Tatsächlich hat sich in den letzten acht Jahren in Kolumbien einiges verändert: Allein durch seine Person als ›Parteiloser‹ hat er bewiesen, dass das seit 60 Jahren herrschende Zwei-Parteiensystem aus Konservativen und Liberalen lediglich Wahloptionen suggerierte, die es nicht gab. So setzte auch die Regierung unter Álvaro Uribe genau das fort, was alle Vorgängerregierungen – wie in keinem anderen Land Lateinamerikas – vorangetrieben hatten: Bis auf die kolumbianische Armee ist alles in Privatbesitz nationaler und multinationaler Konzerne.

Dazu tragen neben verschiedenen Freihandelsabkommen vor allem ›investitions- und unternehmerfreundliche‹ Gesetze bei: »Kolumbianische Regierungen unterstützen traditionell Privatunternehmen und begrüßen Privatisierung sowie ausländische Investitionen im Land. Diese Haltung wurde verstärkt, als Mitte der 90er der kolumbianische Markt international geöffnet wurde. Diese Öffnung brachte wesentliche Änderungen in der Gesetzgebung für Auslandsanlagen und im Finanzsektor mit sich.«[3]

Was sich hinter diesem Understatement verbirgt, sind paradiesische Zustände (auch) für ausländisches Kapital: minimale Steuersätze, minimale Sozialstandards, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und lebensbedrohliche Umstände für Gewerkschaftsvertreter. Während die Profiteure dieses Regimes gar keine Steuern oder nur noch zum Spaß bezahlen, lebt über die Hälfte der kolumbianischen Gesellschaft in Armut.


Und damit sich diese Staatsgeschenke auch exorbitant lohnen, wird jede gewerkschaftliche Organisierung zur Lebensbedrohung: Über 800 GewerkschaftlerInnen wurden seit 2002 umgebracht[4] – in einigen Fällen durch die Polizei, in aller Regel durch Paramilitärs – privatisierter Terror, der so lange existiert, wie das formale Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Streiks durch straffreien Terror de facto außer Kraft gesetzt wird.


Der Krieg im Inneren hat auch ein offizielles Gesicht: In gerade einmal zwei Amtszeiten hat die Regierung Uribes die Armee um die Hälfte erhöht: von 190.000 auf 250.000 Soldaten. Dazu kommen über 150.000 Polizisten und mindestens eine genau so große Anzahl an Privaten Sicherheitsdiensten. Selbst die Regierung Uribe konnte diese gewaltige Militarisierung nicht ganz verbergen: Was sich hinter dem Gesicht der ›Politik der demokratischen Sicherheit‹ verbirgt, hat die Kolumbianischen Juristenkommission CCJ in beängstigenden Zahlen zusammengefasst: Seit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Álvaro Uribe im August 2002 verschwanden 14.000 Kolumbianer oder kamen gewaltsam ums Leben. In 75 Prozent aller Fälle waren staatlichen Institutionen (Armee/Geheimdienst) direkt oder indirekt involviert.[5]

Der ›Plan Colombia‹ – der ›Plan Colonia‹

Der im Jahr 2000 geschlossene Vertrag mit der US-Regierung sah als oberstes Ziel die Zerschlagung der Drogenkartelle, die Zerstörung der Anbauflächen (›narcotráfico‹), die Demobilisierung der Paramilitärs und die Vernichtung der Guerilla/FARC vor. Um die Militarisierung im Inneren zu kaschieren, war gerade auch im westlichen Ausland viel von Stärkung der Menschrechte, vom Aufbau einer unabhängigen Justiz und Ausgleich maßloser sozialer Ungerechtigkeiten die Rede.


Geht man davon aus, dass ein Kernpunkt des ›Plan Colombia‹ tatsächlich die Zerschlagung der Drogenkartelle zum Ziel hatte, so sieht die Bilanz verheerend aus:

Der Drogenanbau, die Gewinne aus dem Drogengeschäft sind seit 2000 konstant geblieben. Der größte Wirtschaftsfaktor ist ungebrochen der Kokainhandel. Kolumbien bleibt weiterhin Exportweltmeister in Sachen Kokainproduktion.

Ganz nüchtern stellt EBDD und Europol in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 29.4.2010 fest: »Der Großteil des derzeit weltweit verfügbaren Kokains stammt von Kokapflanzen, die in Kolumbien angebaut werden und die einen erheblichen Beitrag zur dortigen Wirtschaft leisten.«[6]

Was sich hinter dieser lapidaren Äußerung verbirgt, lässt sich sehr anschaulich darstellen: Weltweit wird die Kokain-Produktion auf ca. 800 Tonnen jährlich geschätzt. Geht man von einem kolumbianischen Marktanteil von ca. 70 Prozent und einem Marktpreis von 100 US-Dollar pro Gramm aus, kommt man auf die Summe von 56 Milliarden US-Dollar. Wenn man den (legalen) Außenhandel aus dem Jahre 2008 mit 37,62 Milliarden US-Dollar dagegenhält, bekommt man eine Vorstellung davon, welche ökonomische und politische Macht sich dahinter verbirgt.

Daran ändern spektakuläre Festnahmen von ›Drogenbaronen‹, die Beschlagnahmung ihrer Vermögen und gelegentliche Auslieferungen an die US-Justiz nichts. Im Gegenteil, man darf sie als integralen Bestandteils eines äußerst voluntativen Geschäftszweiges der kolumbianischen Wirtschaft begreifen: Zahlreiche CIA-Berichte, zahlreiche US-Untersuchungsausschüsse stimmen darin überein, dass sich weder am Drogengeschäft, noch an der Macht der Kartelle etwas geändert hat. Die Erfolge gegen die Drogenkartelle ähneln vielmehr denen der ›Abberufung‹ und Versetzung krimineller Wirtschaftsbosse in westlichen Ländern. Sie sind reine Kosmetik.

Aufgrund dieser katastrophalen Bilanz wurden vom US-Kongress Gelder für den ›Plan Colombia‹ eingefroren. Haben solche politische Divergenzen zwischen US-Regierung und US-Kongress ernsthafte Konsequenzen? Sind diese bilateralen Verstimmungen gar Teil eines gut inszenierten Theaters?

Man kann die (Drogen-)Kuh nicht schlachten und gleichzeitig melken

Die Gewinne aus Drogengeschäften übersteigen die legalen Exporterlöse der kolumbianischen Wirtschaft bei Weitem. Dass Geschäfte mit illegalen Drogen immer auch Quellen ›extralegaler Finanzierungen‹[7] verdeckter Kriegsführungen sind, beweisen US-Regierungen seit Jahrzehnten: In den 80er Jahren wurden durch Erlöse aus Drogengeschäften (›Irangate‹[8]) terroristische Kriegshandlungen durch ›Contras‹ und illegaler Tarn-Organisationen des CIA finanziert, um so die 1979 an die Macht gekommene sandinistische Regierung in Nicaragua zu stürzen. »Gerade am Beispiel der Contras läßt sich am schlüssigsten belegen, weshalb der von Präsident Reagan und seiner Ehefrau Nancy so vollmundig beschworene (›Just say no‹) und von seinem Vize Bush aufgenommene Krieg gegen das Rauschgift nichts als Wortgeklingel ist. Denn ausgerechnet in den acht Reagan -Jahren haben sich die Drogenmultis zum weltweiten Imperium entwickelt, und das mit tatkräftiger Unterstützung Washingtons (…) : Jene Flugzeuge, die Waffen für die Contra -Verbündeten in den mittelamerikanischen Busch brachten, flogen von dort randvoll mit Rauschgift in die USA zurück. Zum Dank für diese Amtshilfe beim Drogenschmuggel spendeten die Kokainbarone dann reichlich für die Sache der Contras – beispielsweise einmal zehn Millionen Dollar auf einmal. (…) Wo Rauschgift und Politik derart intim werden konnten, daß es zu einem staatlich sanktionierten ›guns-for-drugs program‹ (so die US-Journalistin Leslie Cockburn in ihrem Buch ›Out of Control‹) kommen konnte, verwischen sich naturgemäß auch die Grenzen zwischen legalen und illegalen Geschäften.«[9]

Wenn also die Regierung Uribes einen Krieg gegen die Drogen verkündet und gleichzeitig an diesen Geschäften partizipiert, dann betritt sie damit weder Neuland, noch leidet sie unter einer besonderen lateinamerikanischen Krankheit.

Mittlerweile haben namhafte Drogenbosse und Paramilitärs bestätigt, dass sie Uribes Wahlkampf mit Millionen-Beträge unterstützt haben: »Am 22. April (2008) ließ die Staatsanwaltschaft selbst Mario Uribe, den Vetter des Präsidenten, der mit ihm zusammen die Demokratische Partei gegründet hatte, festnehmen. Sie beschuldigt ihn, sich mehrmals mit dem vormaligen AUC-Chef und bekennenden Massenmörder Salvatore Mancuso getroffen und über eine Unterstützung bei den Wahlen 2002 verhandelt zu haben. Mancuso dazu: ›Wir haben ihm Stimmen beschafft!‹«[10] Und als wäre dies nicht Farce genug, belegen Dokumente, dass der bekannteste und sagenumwobenste unter ihnen, Pablo Escobar, Boss des Medellín-Drogenkartells beste Beziehungen zu Uribe unterhielt: »Ein Bericht des US-Geheimdienstes Defence Intelligence Agency von 1991 nennt Uribe einen ›engen persönlichen Freund‹ von Pablo Escobar.«[11]

Wenn also Drogenanbau und –handel seit 2002 konstant geblieben sind, die zerstörten Kokainfelder nur medial ins Gewicht fallen, dann liegt das nicht an fehlenden Mitteln, die für den Kampf gegen die Drogenkartelle bereitgestellt wurden: Das Uribe-Regime braucht die Bilder von zerstörten Kokainfeldern genau so wie die Gewinne aus dem Kokaingeschäft, um jenseits des offiziellen Haushaltes Milliarden an Pesos bereitzustellen, um entmachte Drogenbosse zu institutionalisieren, unzufriedenes Personal ›abzufinden‹, um terroristische Organisationen und Aktionen zu finanzieren – ganz abgesehen von der normalen Korruption und Bereicherung innerhalb des Uribe-Apparats selbst. Der fingierte Drogenkrieg lässt sich also am besten so einordnen: Während westliche Ökonomien Renditeerwartungen von 10 – 25 Prozent realisieren können (was mühelos ›schwarze Kassen‹ füllt und andere Formen der Bestechung erlaubt), greifen subalterne Ökonomien auf beschlagnahmte oder abgeschöpfte Drogengelder zurück, um besagte ›Kriegskassen‹ zu füllen, die auch in Deutschland einen guten Ruf genießen.

Die Paramilitärs – Die Eingliederung terroristischer Gewalt in den kolumbianischen Staatsapparat

Die Paramitärs, auch Todesschwadrone genannt, wurden in den 70er Jahren von Großgrundbesitzern und Firmen ins Leben gerufen. Sie agierten zunächst lokal, an ihren Auftragsgeber gebunden. In den 80er Jahren wuchsen diese paramilitärischen Gruppierungen derart an, dass sich ein Großteil landesweit koordinierte und sich den bizarren Namen gab: Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) – Vereinte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens.

Eine Wandparale in Bogota, die den Zusammenhang zwischen Paramilitärs und der Regierung beschreibt

Zum einen richteten sie sich gegen Landarbeiter, die sich gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen zur Wehr setzten und von der Regierung eine Agrarreform verlangten:

»Der weltgrößte Bananenproduzent Chiquita Brands International hat eingeräumt, die rechtsextremen Paramilitärs in Kolumbien jahrelang finanziert zu haben. Wegen der illegalen Schutzgeldzahlungen wurde er vom US-Justizministerium mit einer Strafe von 18,9 Millionen Euro belegt.« FR vom 17.3.2007

Plakat auf der 1.Mai-Demonstration in Bogota 2010

Zum anderen wurden sie von Firmen und ausländischen Konzernen finanziert und angeheuert, um Angriffen der Guerilla militärisch zu begegnen, Gewerkschaftler zu ermorden und ArbeiterInnen einzuschüchtern. Man schätzt ihre Zahl auf ca. 100.000, was der Stärke der kolumbianischen Armee entsprach.

Von Anfang an waren diesen Todesschwadronen die Unterstützung durch Militär, Polizei und den jeweiligen Regierungen sicher: Auch international genossen diese Mordkommandos große Unterstützung: »Die Anregung zu ihrer Gründung kam aus Washington, wie inzwischen freigegebene Dokumente von CIA und Pentagon belegen.«[12]

Mit der Zeit wurden die Paramilitärs zu einer politischen und militärischen Größe: Zum einen agierten sie zunehmend systematisch mit der kolumbianischen Armee zusammen, zum anderen entwickelten sie eigene ›Geschäftsfelder‹ wie Prostitution und Drogenhandel.

Mit dem ›Plan Colombia‹ aus dem Jahr 2000 war auch das Ziel verbunden, die paramilitärischen Verbände zu demobilisieren. Mit dem Versprechen auf fortgesetzte Straffreiheit und Integrationsangebote ins Zivilleben sollte der Privatisierung herrschender Gewalt Einhalt geboten werden.

Das hat(te) nicht nur eine propagandistische Seite, es hatte auch systemische Gründe. Wie immer, wenn sich die herrschende Klasse eigenmächtig der Gewalt bedient, paramilitärische Gruppen als Privatarmeen unterhält, sind damit systemische Risiken verbunden. Ab einer bestimmten Größe verselbstständigen sich diese paramilitärischen Strukturen. Anfangs agieren sie als Söldner und erfüllen lediglich Aufträge. Mit ihrer Größe und ihrem Einfluss steigt automatisch auch die Bereitschaft, selbst Politik zu machen. Aus Handlagern und willigen Vollstreckern werden selbst politische Akteure, was zweifellos in Kolumbien der Fall ist. Wenn also seit 2002 von ›Demobilisierung‹ die Rede ist, dann ist damit nicht das Ende von Terror gemeint, vielmehr seine Integration und Eingliederung in den staatlichen Machtapparat. Wie erfolgreich und mörderisch diese Verzahnung von Paramilitärs, Militärs und Regierungspolitik funktioniert, zeigt kaum eindrucksvoller das System der ›falsos positivos‹.

›Los falsos positivos‹ – gefälschte Erfolgsmeldungen

Im September 2008 gelangte das System der gefälschten Erfolgsmeldungen an die Öffentlichkeit. Der Begriff ›falsos positivos‹ geht auf den Jargon der Militärs zurück, die tote Guerilleros als ›positivos‹ verbuchen. Wie dieses System funktioniert beschreibt der UNO-Sonderberichterstatter Professor Philip Alston so: »Ein ›Rekrutierender‹ täuscht das Opfer mit falschen Versprechen und bringt es an einen entfernten Ort. Dort wird es kurz nach seiner Ankunft von Mitgliedern der Armee getötet. Danach wird der Tatort verändert, so dass die Person als legitim bei einem Gefecht getötet erscheint. Oft werden Fotos gemacht, auf der das Opfer in der Uniform eines Guerillero erscheint und mit einer Waffe oder Granate in der Hand. Die Opfer werden anonym in Massengräbern bestattet und die Mörder aufgrund ihrer Erfolge im Kampf gegen die Guerilla belohnt.«[13] So erging es mindestens 13 Jugendlichen aus dem Stadtviertel Soacha in Bogotá, die Anfang 2008 ›spurlos‹ verschwanden und vermisst gemeldet wurden. Die kolumbianische Juristenkommission CCJ und die anderen Anwälte der Organisation hat »insgesamt 1205 Fälle aus der Zeit zwischen Juli 2002 und Juni 2008 dokumentiert. Gewerkschafter, Menschenrechtsaktivisten, Gemeindeführer – alle tot.«[14]

Die Opfer der ›falsos positivos‹ sind nicht nur Opfer sozialer Säuberungen. Diese Politik des falschen Totenscheines trifft genauso Menschen, die sich den Paramilitärs in den Weg stellen und so straffrei und lukrativ zugleich aus dem Weg geräumt werden können. Zu den Opfern zählen auch politisch Aktive, denen keine strafbare Handlung nachgewiesen werden können bzw. deren Verurteilung unnötige Publizität verursachen würde und die man auf diese perfide Art zum Schweigen bringt. »Die Anzahl der Fälle, ihre geografische Verteilung und die Verschiedenheit der in die Fälle verwickelten Militäreinheiten weisen darauf hin, dass diese auf eine mehr oder weniger systematische Weise von einer bedeutenden Anzahl von Elementen innerhalb der Armee verübt wurden.«[15]

Parapolíticas  des Uribe-Regimes

Nicht nur die systematischen Verbindungen zwischen Militärs und terroristischen Paramilitärs sind damit belegt und dokumentiert worden. Mit dem im selben Jahr öffentlich gewordenen ›Parapolítica-Skandal‹ – in Anspielung auf ›Irangate‹ auch als ›Paragate‹ Skandal bezeichnet – wurden zugleich die engen Verbindungen zwischen Paramilitärs und der Regierung Uribe offen gelegt: Nach vorsichtigen Schätzungen sind bis zu einem Viertel der Mitglieder des Regierungslagers in Praktiken der Paramilitärs verwickelt: »33 Kongressmitglieder sind inzwischen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den rechtsradikalen Milizen inhaftiert, gegen weitere 31 wird ermittelt.«[16]

›Yes we can‹ – der privat-staatliche Terrorismus als eine der letzten Bastionen des Westens in Lateinamerika

Warum unterstützen gerade westliche Länder dieses staatsterroristische Regime? Warum setzten sie ihren ›Kampf gegen Terrorismus‹ mit einem derartigen Komplizenstatus der Lächerlichkeit aus?

Nachdem in den letzten Jahren in Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Ecuador und zuletzt in Honduras linke Regierungen an die Macht gekommen waren, antikapitalistische Ideen nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch machtpolitische Basis in Lateinamerika bekamen, zählt Kolumbien mittlerweile zu den wenigen Regimen auf diesem Kontinent, die mit mörderischer Konsequenz am sub-imperialen Konzept festhalten: Die fast vollständige Privatisierung des öffentlichen, staatlichen Sektors ist nach der ›Öffnung‹[17] Anfang der 90er Jahre so gut wie abgeschlossen. Der Terror gegen jede Form gewerkschaftlicher Organisierung verspricht traumhafte Profite. Was für die Mehrheit in Kolumbien barbarische Arbeitsverhältnisse sind, verspricht im Wirtschaftsdeutsch ein ›sicheres Investitionsklima‹ – was die rot-grüne Regierung, später die schwarz-gelbe Regierung in Deutschland zufrieden zur Kenntnis nehmen. Während diese ›Große Koalition‹ in Afghanistan mit militärischem Einsatz für das kämpft, was in Kolumbien längst Realität ist, zeigt man sich gegenüber dem Staatsterrorismus der Uribe-Regierung aufgeschlossen und verständnisvoll. Natürlich gäbe es Defizite, aber die Bemühungen seien spürbar und vor überzogenen Erwartungen warne man bekanntlich überall auf der Welt. Man ist realistisch, man weiß, dass man Armut als Existenzgrundlage, Terror als alltägliche Drohung nicht nur mit Wahlen sichern kann. Was im zivil-gesellschaftlichen Diskurs gerne zusammengedacht wird: Sicheres Investitionsklima in rohstoffreichen ›Zukunftsmärkten‹ und Menschen- und Grundrechte ist eine Schimäre. Mit Menschenrechten kann man Kriege begründen, aber keine glänzenden Gewinne machen – so einfach ist das, auch wenn die Welt immer komplizierter geworden sein soll.

Kolumbien- eine schwimmende US-Militärbastion

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum der Uribismus (auch ohne Uribe) in Kolumbien weder in der US-Regierung, noch bei europäischen Regierungen zur Disposition steht. Der blutige Kampf um die verbliebenen Ressourcen auf dieser Welt macht – nach der weitgehenden Aufteilung osteuropäischer Staaten und erschöpfter Rohstoffquellen – wieder Appetit auf Kolumbien.

Man vermutet dort viel, Erz, Uran, unerschlossene Ölfelder … und ist sich dabei eines sicher: Solange der Uribismus an der Macht bleibt, liegen diese Schätze auf dem Silbertablett multinationaler Konzerne: »Uribes Kolumbien ist für Washington in Südamerika von entscheidender strategischer Bedeutung. Eingeklemmt zwischen linksnationalistischen und USA-feindlichen Regierungen in Venezuela und Ecuador und einem linksliberalen großen Nachbarn wie Brasilien, bleibt Kolumbien der einzige Staat in der Region, der den USA auf Schritt und Tritt folgt und über den die US-Regierung ihre Politik in der Region zu Gehör bringen kann.«[18]

Wolf Wetzel                           31.5.2010

Wer diesen Beitrag gut findet und dazu noch mutter/vatersprachlich spanisch kann, Zeit und Lust hat, diesen Text ins spanische zu übersetzen, würde mir eine große Freude machen. Bitte kontaktiere mich in diesem Fall über den “Kontakt“.

Eine kürzere Fassung findet ihr bei Telepolis: Para-democracia vom 29.5.2010

Eine sehr gute Video- Dokumentation über die Situation in Kolumbien findet sich hier:

Entre el 29 de enero y el 12 de febrero de 2010 una delegacion asturiana visitó diferentes departamentos del país con el objeto de verificar, por sexto año, la situación de los derechos humanos en Colombia.
En este documental quedan recogidas gran parte de sus conclusiones… (Ángela López): http://vimeo.com/11259656


[1] derStandard.at vom 20.4.2010

[2] derStandard.at vom 20.4.2010

[3] Deutsch-kolumbianische Industrie- und Handelskammer, http://www.ahk-colombia.com/de/menu/kolumbien/

[4] Seit 1986 wurden in Kolumbien 2674 Gewerkschaftler ermordet. Allein im Jahr 2008 starben 40 Gewerkschafter.(Quelle: Bericht der Kolumbianischen Juristenkommission (CCJ), zitiert nach Junge Welt vom 16.12.2008)

[5] Bericht der Kolumbianischen Juristenkommission (CCJ), zitiert nach Junge Welt vom 16.12.2008

[6] http://www.emcdda.europa.eu/…/att_101619_DE_CocaineEMCDDA_Europol_DE_Final_29April.pdf

[7] Ex-Präsident César Gaviria Kolumbiens gab zu, dass die ›außergerichtlichen Hinrichtungen‹ aus Sonderkassen bezahlt wurden. (Kolumbien-aktuell No. 487, 8. Mai 2009)

[8] »In den Anhörungen zu der Affäre im US-Kongress kam auch ans Licht, dass die Contras über Jahre mehrere Tonnen Kokain in die USA geschmuggelt hatten und dass die CIA diese Aktivitäten kannte und duldete.« http://de.wikipedia.org/wiki/Iran-Contra-Aff%C3%A4re

[9] SPIEGEL SPECIAL 1/1989

[10] DIE ZEIT vom 10.07.2008, Nr. 29

[11] DIE ZEIT vom 10.07.2008, Nr. 29

[12] DIE ZEIT vom 10.07.2008, Nr. 29

[13] Kolumbien-aktuell, Nr. 489 vom 8.8.2009

[14] Handelsblatt vom 12.08.2009

[15] UNO-Sonderberichterstatter für aussergerichtliche Hinrichtungen, Professor Philip Alston, Declaración del Profesor Philip Alston, Relator Especial de las Naciones Unidas para las ejecuciones arbitrarias. Misión a Colombia del 8 al 18 de junio de 2009. Boletín de Prensa.

[16] Harald Neuber, Telepolis vom 04.05.2008

[17] Das Programm der ›Apertura‹ zielte neben der Privatisierung öffentlicher Güter auf die grenzenlose Öffnung des kolumbianischen Marktes für ausländische Investoren.

[18] Handelsblatt vom 3.7.2008

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  1. Esto es una realidad que se vive en latinoamerica, Colombia. Además, la mayoría de Colombianos buscan irse a Venezuela, huyendo de la muerte… por ello aumentan la cadena de desempleo y violencia en nuestro pais.

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