Eine Reise durchs Organisierte Verbrechen mit staatstragendem Charakter/Hessenkrimi III

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Warum bezahlt der Staat 2,5 Millionen Euro für eine CD, die 200 bis 400 Millionen Steuernachzahlungen einbringt und lässt jährlich 30 bis 40 Milliarden Euro auf der Straße liegen?

Wenn Politiker schlagartig den Rechtsstaat entdecken

Seitdem ein neue Daten-CD mit Kontodaten und -bewegungen der Schweizer Bank ›Credit Swiss‹ aufgetaucht sind, wird in Deutschland heftig und leidenschaftlich darüber gestritten, ob man illegal beschaffene Daten durch den Staat ankaufen könne, um Steuerhinterziehung zu verfolgen. Man diskutiert marktwirtschaftlich das Preis-Leistungsverhältnis: 2,5 Millionen Euro Lösegeld für 200- 400 Millionen Steuer-Mehreinnahmen. Drunter und rüber geht in punkto Legalitätsprinzip: Darf sich der Staat krimineller Handlungen und Methoden bedienen, um so in den Besitz von ›Beweismittel‹ zu gelangen, die schwerwiegende kriminelle Handlung aufklären helfen? Wie illegal, wie rechtwidrig darf der Staat sein, um das Legalitäts- und Rechtsstaatsprinzip durchzusetzen?

Wenn Datenschützer und Bürgerrechtsgruppen diese rechtswidrigen Praktiken des Staates anprangern, dann ist das nachvollziehbar und ehrenwert. Sie lehnen rechtswidrige Praktiken des Staates ab, die im Namen der Staatsraison elementare Schutzrechte der BürgerInnen aufgeben und außer Kraft setzen.

Doch in vorderster Reihe der Mahner sind vor allem jene Politiker und Staatsvertreter, die keine Skrupel haben, V-Männer einzusetzen, die zu Straftaten anstiften und selbst Straftaten begehen, um an ›Beweismittel‹ heranzukommen. Politiker, die jeden Tag mit neuen ›Terrorszenarien‹ weitere Schutzrechte der BürgerInnen außer Kraft setzen und setzen wollen. Politiker, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel so weit ›dehnen‹, bis die Freiheit, die der Staat vorgeblich schützen will, nur noch ein (Verfassungs-)Schatten seiner selbst ist. Politiker, die den generalisierten Zugriff auf die Privatsphäre (durch die verdachtlose ›Vorrats‹-Speicherung von Kommunikationsdaten) befürworten und verteidigen. Rechtspolitiker, die die Forderung eines substanziellen Schutzes der Privatsphäre als ›Täterschutz‹ geißeln.

Sich »mit Dieben gemein machen«, den Rechtsstaat mit rechtswidrigen Mitteln ›verteidigen‹ zu wollen, ist CSU/CDU- und FDP-Politiker nur ausnahmsweise ein Gräuel. So rechts- und verfassungstreu sich diese Politiker in diesem Sonderfall geben, so diametral entgegengesetzt verhalten sie sich in allen anderen Fällen: Es ist tagtägliche Praxis von Verfolgungsbehörden, dass auch mit rechtswidrigen Methoden ermittelt wird! Hier wird also nicht laut die Aufgabe des Rechtsstaates beklagt. Hier steht einzig und allein das Verlangen im Vordergrund, die Sonderschutzzone für Spitzenverdiener nicht anzutasten bzw. außerhalb der Strafverfolgung zu halten.

 

Der Weg in die ›Steueroase‹ Schweiz führt über die Steueroase Deutschland

Die zweite falsche Fährte führt in die Schweiz, in eins der vielen so genannten Steuerparadiese. Mit welcher Vehemenz und Täuschungsbereitschaft im Zusammenhang mit ›Steuerflucht‹ auf die Schweiz gezeigt wird, hat hohen Desinformationswert. Keine Frage: Das Schweizer Steuerrecht ist anders und doch nur die konsequente Fortsetzung dessen, was im vereinten Europa gefeiert wird: Die Privatisierung gesellschaftlicher Bereiche und die Prekarisierung der Daseinsvorsorge. Das Spezielle in der Schweiz ist: Die Mantras von der Eigenverantwortung und Selbstoptimierung machen auch vor dem Steuerrecht nicht Halt: Wer sich dort ansässig macht und viel Geld hat, der vereinbart einfach mit den zuständigen Behörden seinen individuellen Steuersatz. Das ist neben der asozialen Logik des Marktprinzips zugleich ein attraktives Angebot im Rahmen der allseits entfesselten Standortpolitik, die einem einzigen Gesetz folgt: Das Geld, das Kapital fließt dorthin, wo Menschen ganz ›Humankapital‹, also geringst möglichster ›Kostenfaktor‹ sind, ergo höchste Renditen garantieren. Die Schweiz ist darin weder eine Oase, noch eine Insel, sie ist in manchen Bereichen (wie in punkto Steuerrecht z.B.) nur ein leuchtendes Beispiel dafür, was im Namen der Flexibilisierung (noch) alles möglich ist.

Man schätzt, dass über 150 Milliarden Euro von deutschen Staatsbürgern in die Schweiz geschafft worden sind. Allein der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff Steuer›flüchtlinge‹ ist eine Verhöhnung all jener, die tatsächlich aus (wirtschaftlicher und politischer) Not flüchten müssen. Diese gigantischen Summen wurden weder zu Fuß, noch mit dem Auto, weder schweißtreibend noch gefahrenvoll über die deutsch-schweizerische Grenze geworfen. 99 Prozent wähl(t)en den völlig normalen und komfortablen Weg zu ihrer Hausbank. Dort beauftragen sie diese damit, ihr Geld spurlos in die Schweiz zu transferieren. Auf die Betreuung solcher Groß- und Privatkunden haben sich auch deutsche Banken (wie die Commerzbank und die Deutsche Bank) spezialisiert. Gefahrlos offen werben sie mit ihren ›family-office‹1Angeboten für ›steuerschonende‹ Anlagestrategien, zu denen Stiftungen in Liechtenstein genauso zählen wie anonymisierte Konten in der Schweiz. Seit Jahr und Tag ist diese Praxis Gang und Gebe. Anstatt mit Straf- und Gesetzesverschärfungen diese Formen der Beihilfe zu erschweren, mit mehr Steuerfahndern und Befugnissen diese Kriminalität zu bekämpfen, passiert genau das Gegenteil: Ein Amnestiegesetz jagt das andere. Mit ministeriellen Amtsverfügungen werden ›verfolgungsfreie‹ Zonen geschaffen. Hartnäckige Steuerfahnder werden versetzt und psychiatrisiert und spektakuläre Strafverfahren gegen lächerliche Bußgelder eingestellt. Der Tatort liegt also in Deutschland und nicht in der Schweiz oder auf den Seychelleninseln. Beihilfe leisten dazu nicht nur Banken in Deutschland, sondern vor allem Finanzministerien, die selbst die bescheidenen Maßnahmen zur Strafverfolgung behindern bzw. unterbinden.

All das decken sowohl die zuständigen Landesregierungen als auch die jeweiligen Bundesregierungen, indem sie effektive Steuergesetze unterlassen, während sie auf jedem anderen Gebiet der Strafverfolgung nicht müde werden, Gesetzeslücken zu entdecken und zu schließen. Während man überall den Gedanken der Strafverschärfung und der damit verbundenen Abschreckung huldigt, erlässt man Amnestiegesetze für Steuerhinterziehungsdelikte, wie bei einer Rabattschlacht beim Sommerschlussverkauf.

Wer so fortgesetzt Strafvereitelung und Beihilfe im Amt betreibt, der braucht für die paar Skandale einen Anstifter, der weit genug von der Regierungshauptstadt Berlin entfernt ist.

Bereits 2008 beherrschte der damalige SPD-Finanzminister Steinbrück diese Desinformationspflicht ausgezeichnet. Um von der eigenen Beteiligung abzulenken, versetzte sich Peer Steinbrück ins Kindesalter und ließ als Bleichgesicht noch einmal den Wilden Westen aufleben: »Beim Treffen der G20-Finanzminister sagte er dem Vernehmen nach, die Schwarze Liste2 sei ›die siebte Kavallerie in Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann‹. Sie müsse aber nicht unbedingt ausrücken: ›Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.‹«3

Das Kavalleriegetöse samt Legen falscher Fährten ist ein gigantisches Ablenkungsmanöver: Es dient dem Schutz der Steueroase Deutschland – für potente Privat- und Geschäftskunden, die ihren ›individuellen Steuersatz‹ offen (Schweiz) oder verdeckt (Deutschland) aushandeln können. Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung dieses Kriegsspiel wiederholt, belegt recht eindrucksvoll, dass es in Kernfragen ›extralegalem Verhaltens‹ keine Parteiunterschiede zwischen CSU-CDU-FDP-SPD-Grüne gibt. Es ist die Fortsetzung der ›Großen Koalition‹ mit anderen Mitteln.

30 – 30 Milliarden Euro jährlich, ganz legal, statt 200- 400 Millionen Euro auf illegalem Weg …

Während man gut desinformiert darüber streitet, ob man sich für geschätzte 200 bis 400 Millionen Euro auch mal krimineller Methoden bedienen kann, geht die schlichte Frage völlig im Getöse unter: Warum greift der Staat nicht nach dem Geld, dass nach bestehendem Steuerrecht in Milliarden-Höhe auf der Straße liegt?

Ganz vorsichtigen Schätzungen zufolge werden in Deutschland jährlich 30 bis 40 Milliarden Euro4 an Steuern hinterzogen. Das Geld liegt buchstäblich vor den Türen der Finanzämter, ohne dass jemand hinausgeht, um es einzusammeln. Um diese Summe einzutreiben, braucht man keine neuen, schärferen Gesetze. Es würde vollkommen ausreichen, die Finanzämter, die Abteilungen der Steuerfahnder personell und logistisch aufzustocken, die Staatsanwaltschaften anzuweisen, die Straftaten, die im Zuge der Steuerhinterziehung begangen wurden, zu verfolgen und den jetzt möglichen Strafrahmen voll auszuschöpfen, anstatt in aller Regel Verfahren gegen lächerliche Bußgelder einzustellen.

30 bis 40 Milliarden Euro jährlich mehr im Staatshaushalt zu haben, würde jeder Regierung gut tun. Warum haben alle Regierungen der letzten Jahrzehnte darauf verzichtet, ganz gleich ob es sich um eine CDU – oder SPD-geführte Regierung handelt oder um eine Große Koalition? Warum stockt man nicht die Zahl der Steuerfahnder in den Finanzämter um das fünffache um – die einzige Behörde, die ihre Kosten selbst einspielt? Warum verabschiedet man nicht neue Steuergesetze, wenn die bestehenden nicht effektiv sind?

Die Rattenlinie5 eines Parallelsystems

Hinter dem Straftatbestand der Steuerhinterziehung verbergen sich zwei unterschiedliche Motive. Das erste Motive ist schlicht privater Natur. Bürger, die genug Geld haben, wollen so wenig wie möglich Steuern bezahlen und bedienen sich dabei ihrer Hausbanken, die ihnen ›steuerschonende‹, ›steueroptimierende‹ Angebote machen. Diese maßgeschneiderten Angebote sind selbstverständlich – entgegen der dümmlichen These ›Alle machen mit‹ – nicht für jedermann, sondern für Geschäfts- und Privatkunden ab einem Anlagevermögen von ca. einer Million Euro. Also alles andere als Rentner und Kleinverdiener, wie uns der Finanzminister Karlheinz Weimar weiß machen will. Zu diesem Kundenkreis zählen ›Kaiser‹ Franz Beckenbauer, ›Bäderkönig‹ Eduard Zwick bis hin zum Ex-Post-Chef Zumwinkel. Sie können den Hals nicht voll bekommen und wissen, dass die Gefahr, erwischt zu werden, ein vielfaches geringer ist als Schwarzfahren. Im Medienfeuer stehen gut platziert diese unmoralischen ›Leistungsträger‹: Die Empörung über diese maßlose Gier hat gemeinschaftsstiftenden Charakter und verlangt gelegentlich ein ›Opfer‹: Wer erinnert sich nicht an die Bilder, wie Zumwinkel in Begleitung der Staatsanwaltschaft aus seiner Villa abgeführt wurde. Das sind die Bilder, die sich einprägen sollen. Das märchenhafte Gegenbild zur alltäglichen Erfahrung: Die Kleinen hängt an, die Großen lässt man laufen.

In diesen Fällen ist die parteiübergreifende Empörung  vielleicht sogar glaubwürdig. So etwas macht man nicht, vor allem hat man es nicht nötig, hört man aus Privatier-Kreisen. Dass diese Persönlichkeiten dennoch geschont werden, hat in der Tat viel mit den Amigo-Strukturen zwischen Politik- und Wirtschaftseliten zu tun.

In diese Nahtstelle aus ganz persönlicher Bereicherung und politischer Macht stieß der rechtskonservative Schweizer Nationalrat Alfred Heer mit seiner Ankündigung, »Schweizer Konten von deutschen Amtsträgern offenzulegen, wenn Deutschland illegal erlangte Schweizer Bank-Daten kaufe …« (Welt Kompakt vom 16.2.2010).

Ein feiner, rechter Schachzug, der die bilateralen Verhandlungen in gegenseitigem Einvernehmen und freundlicher Atmosphäre enden lassen wird.

Doch es handelt sich nicht nur um Problem der Korruption, der viel zitierten Vetternwirtschaft. Die konsequente Verfolgung dieser privaten Gier stößt an eine ganz andere Grenze…

Das illegale Tunnelsystem, durch das Banken Milliarden von Euros ins Ausland schleusen, hat Dual-Use-Charakter: Es werden eben nicht nur vermögende Privatpersonen durch diese Pipelines gelotst, sie sind ein Abfallprodukt einer ganz anderen Form von organisiertem Verbrechen, eines kriminellen Systems, das staatstragende, staatsaffine Aufgaben erfüllt.

Wenn zum Beispiel der Siemenskonzern, der zweifellos eine systemische Größe im ökonomischen und politischen Sinne darstellt, Milliarden spurlos ins Ausland transferiert, dann geht es nur ganz beiläufig, geradezu unbeabsichtigt um Steuerhinterziehung. Diese ist nicht zu vermeiden, aber nicht der eigentliche Grund für diese außerbilanziellen Geschäftsaktivitäten.

Wenn Siemens Regierungen kaufen, durch Bestechungen Milliarden-Aufträge akquirierten, dann lässt sich das schlecht im Geschäftsbericht einpreisen und ausweisen. Man braucht also illegale Kassen, aus denen man diese Operationen finanziert. Geld, das keine nachweisbare Herkunft vorweist, Geld, das nicht zurückverfolgbar ist, Geld, das es nicht gibt.

Primäres Ziel des Siemenskonzernes ist es also nicht, Steuern zu hinterziehen, sondern Geld aus Firmenvermögen zu anonymisieren, um es im Wirtschaftskrieg einsetzen zu können.

Wenn die CDU illegale Spenden von Großfirmen und Millionären in einer Stiftung in Liechtenstein anonymisiert, dann ist ihr eigentliches Motiv eben nicht Steuerhinterziehung. Die ›Stiftung Zaunkönig‹ wurde mithilfe von deutschen Banken gegründet, um eine ›Kriegskasse‹ anzulegen, mit dem Ziel, einen schmutzigen und rassistischen Wahlkampf in Hessen (1999) zu finanzieren, den man ohne diese anonymen Financiers nicht zu gewinnen glaubte.

Wenn der Bundesnachrichtendienst/BND den Auftrag von Regierungs- und Oppositionsparteien bekommt, das rätedemokratische Modell der ›Volksmacht‹ im Zuge der ›Nelkenrevolution‹ in Portugal 1974 mit allen Mitteln zu bekämpfen, dann schickt der BND keinen Kofferträger mit 30 Millionen Mark los, um ihn konterrevolutionären Kräften an einem dunklen Ort in Lissabon zu übergeben6. Selbstverständlich verfügt auch der BDN über getarnte Auslandskonten, die denselben Weg der Anonymisierung gehen wie den der schlagzeilenträchtigen Steuerhinterzieher.

Wenn ostdeutsche Kommunen und Landesregierungen Gelder im Rahmen des Programmes ›Aufbau Ost‹ auf ausländischen Konten ›aussondern‹, dann geht es nicht in erster Linie um Steuerhinterziehung, sondern um massiven Subventionsbetrug, für das man ein professionelles System der Anonymisierung braucht.

Wenn die deutsche Gewerkschaftsführung oppositionelle (Gewerkschafts-)Bewegungen in den ehemaligen Ostblockländern mit Millionen Mark unterstützt, was sie in den 80er Jahren getan hat, dann konnte man diese Summen nicht brav in der Bilanz ausweisen. Wie in allen Fällen zuvor wendete man sich in dieser diskreten Angelegenheit an seine Hausbank, die stille Konten im Ausland anlegte – was in aller Regel ohne ›schützende Hände‹ schnell aufgeflogen wäre.

Kriegskassen der Wirtschafts- und Staatsunternehmen bewegen sich in einer verfolgungsfreien Zone

Ist es nicht auffallend, dass am Ende der meisten Korruptions- und Bestechungsskandale die Einstellung des Verfahrens gegen eine vergleichsweise lächerliche ›Buße‹ in Form von Geldstrafen steht?

Am Beispiel des größten Korruptionsfalles in der Geschichte des Siemenskonzernes lässt sich dies eindrucksvoll nachzeichnen. Die Staatsanwaltschaft im München ermittelte seit 2006 gegen den Siemenskonzern:

»Nach den bisherigen Erkenntnissen besteht der Verdacht, dass durch diese überwiegend im Bereich der Firmensparte Communications (COM) tätigen Personen seit dem Jahre 2002 bis heute Gelder in Höhe von rund 20 Mio. Euro aus dem Geschäftsbereich der Siemens AG über Tarnfirmen und Off-Shore Gesellschaften und deren Schweizer und liechtensteinischen Konten ausgeschleust wurden.«7

Eine Woche später konkretisierte die München Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe:

»Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass sich die in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten zu einer Bande zusammengeschlossen haben, um fortgesetzt Untreuehandlungen zum Nachteil der Firma Siemens durch die Bildung schwarzer Kassen im Ausland zu begehen.«8

Drei Jahre später standen die meisten Urteile fest, die nur noch durch die Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung übertroffen wurde: »Siemens – erst schwarze Kassen, dann eine gründliche Selbstreinigung.«9

Mehrere Firmenchefs im Mittelbau wurden wegen Untreue zulasten des Siemenskonzernes zu Geldstrafen verurteilt. Der Vorwurf der Bestechung wurde nicht weiter verfolgt. Auch der Banden-Vorwurf, also die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 wurde in aller Stille fallen gelassen. Um das Ganze zu einem solch glücklichen Ende zu führen, griff der Siemenskonzern tief in die Tasche: Etwa 2.000 Millionen Euro kostete dieses Cleaning.

Kurz zuvor einigte sich der Siemenskonzern mit dem US-amerikanischen Verfolgungsbehörden:

»Gegen Zahlung von 800 Millionen Dollar (rund 600 Millionen Euro) stellen die amerikanischen Behörden ihre Korruptionsermittlungen gegen Siemens ein. Das hat am Montag Nachmittag deutscher Zeit das Bundesbezirksgericht in Washington gebilligt. Das Justizministerium und die Börsenaufsicht hatten sich mit dem Elektrokonzern darauf geeinigt, die Strafverfahren gegen ihn auf diese Weise zum Abschluss zu bringen. Siemens bekannte sich schuldig, zwischen 1999 und 2006 Bestechungszahlungen in Höhe von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro geleistet zu haben.«10

Es ist nicht nur das ›Strafmaß‹, das fassungslos macht, wenn man bedenkt, dass man für wiederholten Taschendiebstahl drei Jahre Knast in Deutschland bekommen kann. Der in Deutschland übrig gebliebene und für erwiesen erachtete Straftatbestand der »Untreue zum Nachteil der Firma Siemens« sollte bei jedem Student der Betriebswirtschaft einen Lachanfall auslösen: Allen Ernstes will man damit Glauben machen, dass der Siemenskonzern aus vielen autonomen Zellen bestehe, die führungs- und weisungslos ihren eigenen Geschäften nachgehen! Mit diesen Urteilen löst sich nicht nur die straffe (Befehls-)Hierarchie eines Großunternehmens in Luft auf, sie tragen nicht minder zur fortgesetzten Verschleierung, statt zur Aufklärung bei.

Der Straftatbestand der Untreue unterstellt, dass führende Siemenschefs Firmengelder für Bestechungen etc. verwendet haben, um sich persönlich zu bereichern und dem Konzern zu schaden. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sie haben Großaufträge akquiriert, Regierungen bestochen, um Weltmarktpositionen des Konzern zu stärken und die Gewinne des Konzerns zu steigern. In keinem einzigen Fall wurde der Nachweis geführt, dass sich die angeklagten Firmenchefs persönlich bereichert hatten! Sie haben ihren Job gemacht und das im Auftrag und zum Wohl des Konzerns.

Wer auf solche Weise irreführt und ›abschreckt‹, darf sich über die Kontinuität dieses organisierten Verbrechens nicht wundern: Das Ex-Siemens-Zentralvorstandsmitglied Volker Jung steht im Verdacht, an einem Schmiergeldsystem beteiligt zu sein, das insgesamt 1,3 Milliarden Euro zum Erlangen von Aufträgen im Ausland bereit gestellt hat: »Nach Schätzungen in der griechischen Presse könnten an griechische Politiker und Funktionäre Schmiergelder in einer Gesamthöhe von bis zu 100 Millionen Euro geflossen sein. Dabei soll es um Aufträge für die Digitalisierung des griechischen Telefonnetzes in den 90er Jahren, Kommunikationssysteme für das griechische Heer und um den Auftrag für das Überwachungssystem für die Olympischen Spiele 2004 gegangen sein.«11

Wie lautet noch einmal die Lehre, die die Siemensspitze aus den juristisch abgeschlossenen ›Skandalen‹ gezogen haben will: »Dies ist, über Siemens hinaus, eine der wichtigsten Lehren aus dieser Affäre: Deutsche Konzerne dulden nicht mehr, was früher üblich war: die kleine oder große Zahlung nebenbei.«12

Waffengleichheit oder Waffenbrüderschaft

Selbstverständlich tragen diese Einstellungen einem selbst geschaffenen Umstand Rechnung: Überforderte Staatsanwaltschaften, Steuerfahnder und Richter stehen einem hoch professionellen Apparat aus Anwaltskanzleien gegenüberstehen, denen die Verfolgungsbehörden nichts ebenbürtiges entgegensetzen können. Doch selbst wenn man dieses strukturelle Manko beseitigen würde, bliebe eine zentrale Frage unbeantwortet: Wenn von diesem illegalen System all jene profitieren, die politische und ökonomische Macht haben, wenn parteipolitische Kräfte, die im öffentlichen Raum heftige Kontroversen ausfechten und Gegensätze generieren, in diesem System vereint sind, dann stellt sich die Frage: Wer will, wer kann dieses System auffliegen lassen, wer will es zerschlagen, wenn jene, die dazu per Amt dazu berufen sind, selbst Teil dieses Systems sind?

Wolf Wetzel

Eine gekürzte Fassung erschien bei Telepolis am 13.2.2010

Quellennachweise:

1 »Das Family Office von Deutsche Bank Private Wealth Management konsolidiert Ihr Vermögen grenzüberschreitend, macht seine Wertentwicklung transparent und lässt Sie die Leistung Ihrer Vermögensmanager besser beurteilen.« http://www.db.com

2 Auf die ›Schwarze Liste‹ sollte all jene Länder, die man für Steueroasen hielt.

3 www.tagesschau.de/wirtschaft/steinbrueck222.html

4»Der deutsche Staat wird durch Steuerhinterziehung jährlich um schätzungsweise 100 Milliarden Euro betrogen. Dies sagte Finanzminister Peer Steinbrück am Donnerstag im Bundestag in der Debatte über das neue Gesetz gegen Steuerflucht. Weltweit betrage der Schaden sogar zwei bis zwölf Billionen Euro. Steuerbetrug und Steuerhinterziehung seien kriminell und müssten wirksam bekämpft werden, betonte der SPD-Politiker.« Basler Zeitung vom 7.5.2009

5 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mithilfe des Vatikans ein Fluchtsystem geschaffen, das führenden Nationalsozialisten und Faschisten ermöglichte, in Länder zu fliehen, die ihre Menschheitsverbrechen deckten und sie mit neuen Identitäten versorgten.

6 Wie ernst es damit war, verdeutlicht ein Detail, das in einer kleinen Rand-Notiz im Zuge der zahllosen ›Spendenskandale‹ an die Öffentlichkeit drang. Parteiübergreifend wiesen alle im Bundestag vertretene Parteien den BND an, in einer geheimen Aktion über 30 Millionen DM nach Spanien/Portugal zu transferieren, um dort die jeweiligen ›demokratischen‹ Kräfte gegen ›linke Extremisten‹ zu unterstützen.

7 Pressemitteilung 04/06 der Staatsanwaltschaft im München vom 16. November 2006

8 Pressemitteilung 05/06 vom 22. November 2006

9 SZ vom 6.12.2010

10 FAZ vom 2.12.2009

11 computerwoche.de vom 29.5.2009

12 Sueddeutsche.de vom 6.12.2010

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