9.7.2009 – Traumberuf Terrorist und V-Mann ›123‹ nach Koma auf der Intensivstation des Bundessamt für Verfassungsschutz/BfA

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“Traumberuf Terrorist”

Frankfurter Rundschau vom 9.7.2009:

“Verfassungsschutz in Erklärungsnot

Berlin. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin ging es an diesem Mittwoch um einen Spion, der womöglich nie lebte. Die Beklagte war die Bundesrepublik Deutschland, der Kläger ein Künstler und Politaktivist – der Fall ein Lehrstück darüber, wie schnell man bisweilen zum ›Terroristen‹ werden kann.

Am 7. Dezember 2006 erhält Wolf Wetzel einen Brief vom Bundesamt für Verfassungsschutz. 1998, heißt es darin, sei er rund sechs Monate lang abgehört worden, auch seinen gesamten Briefverkehr habe man kontrolliert.

Ein schwer wiegender Grundrechtseingriff. Der Anlass: Der Frankfurter wurde verdächtigt, Mitglied einer Terrorgruppe namens ›Autonome Rhein-Main-Koordination‹ (ARMK) zu sein. Entsprechende Ermittlungen verliefen jedoch im Sand. Wetzel ist erstaunt.

Der 54-Jährige macht keinen Hehl daraus, dem Staat kritisch gegenüberzustehen. Er war bei Aktionen gegen die Startbahn West, Castor-Transporte und anderen linken Vollversammlungen dabei. Auch wurde er 1996 im Frankfurter Szenetreff Café Exzess festgenommen und sofort wieder freigelassen, nachdem er sich als Journalist ausweisen konnte. Aber mit Brandstiftern und Saboteuren, beteuert er, habe er nichts zu tun. Angeklagt oder gar verurteilt wurde er nie. Von der ARMK wisse er nichts. Wolf Wetzel nimmt sich einen Anwalt.

›Das gibt’s nicht mal bei James Bond‹

Die Schriftsätze, die seither hin und her fliegen und der FR in Auszügen vorliegen, zeigen einen bemerkenswerten Umgang staatlicher Stellen mit Mutmaßungen und Fakten. Um die Überwachung Wetzels zu rechtfertigen, stützen sich die Ermittler im wesentlichen auf ein Gespräch, das er am 27.2.1998 mit dem ›V-Mann 123‹ geführt haben soll.

Folgt man dem Verfassungsschutz, beichtete Wetzel darin nicht nur psychische und arbeitsrechtliche Probleme, verriet Anschlagspläne und -ziele, plauderte gar über mögliche Mitstreiter. Auch soll er – angeblicher Mitgründer einer angeblich hoch konspirativen Bande – dem nicht zur Gruppe gehörenden Mann anvertraut haben, sein ›Traumberuf‹ sei ›Berufsrevolutionär‹. ›Das gibt’s nicht mal bei James Bond‹, sagt Wetzel.

Auch die Verwaltungsrichter zeigten sich am Mittwoch erstaunt: Von derartiger Zutraulichkeit, so der Vorsitzende Hans-Peter Rueß, ›träumt ja jeder Verfassungsschutz‹. Wer so rede, könne ›nur unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden haben‹. Da sich der Verfassungsschutz weigert, den genauen Ort und die Zeit der Terror-Beichte preiszugeben, und Wetzel schwört, das Gespräch habe nie stattgefunden, sagt sein Anwalt Thomas Kieseritzky: ›Den V-Mann gibt es nicht.‹ Wie so oft hätten Ermittler einen Terrorverdacht konstruiert, um in Ruhe die linke Szene auszuforschen.

Merkwürdig auch, dass die damalige Rundum-Überwachung von Wetzel nach drei Monaten vor allem deshalb weiter genehmigt wurde, weil er ›intensive Kontakte‹ zu einer Person unterhielt, deren Name in den Akten geschwärzt ist. Dummerweise übersah das Amt an einer Stelle den Namen, Wetzel weiß daher, dass es sich um Barbara B. (Name der Red. bekannt) handelte. Sie war damals Sozialarbeiterin in einem kirchlichen Jugendtreff in Frankfurt-Griesheim, den Wetzel leitete. ›Intensive Kontakte‹ mit ihr bestreitet er naturgemäß nicht. Eine ARMK-Zugehörigkeit konnte auch der Frau nie nachgewiesen werden. Dass der G10-Ausschuss des Bundestages, der weitreichende Überwachungen genehmigen muss, Grundrechtseingriffe auf derart dünner Beweislage durchwinkt, hält Kieseritzky für erstaunlich: ›Dem Ausschuss kann man offenbar einiges zumuten, ohne dass kritisch nachgefragt wird.‹

Das Gericht erklärte die gesamte Abhöraktion nun für rechtswidrig. Der Verfassungsschutz habe nur behauptet, aber nie bewiesen, dass es tatsächliche Anhaltspunkte für sein Vorgehen gebe. Zu den ›erheblich geschwärzten‹ Akten sagte Richter Rueß: ›Das erschließt sich uns nicht.‹ Das wiederum fand der Prozessvertreter der Bundesrepublik unfair: ›Im Vergleich zu anderen Fällen ist das hier ein sehr transparentes und faires Vorgehen.‹ Das heißt wohl nichts Gutes für andere Fälle.”

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 9.7.2009

Klein(lich)e Anmerkung

Abgesehen von einigen nicht gemachten Äußerungen zu meinem (Nicht-)Tun, gibt der Bericht recht eindrucksvoll den wirklich überraschenden Verlauf der Verhandlung wieder.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich für die große Unterstützung bedanken. Obwohl ich im Vorfeld dieses Prozesses vielen Zeitungen einen Betrag angeboten hatte, antworteten die allermeisten ›großen‹ Zeitungen mit mutigem Schweigen. Um so mehr freut mich, dass das ›Twittern und Zwitschern‹ auch hier das Schweigen durchbrochen hat.

9.7.2009          Wolf Wetzel

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  1. Personenbezogener sachverhaltsbezogener Anfangsverdacht

    Ich war Zuschauerin bei der Verhandlung zum “V-Mann, den es gar nicht gibt”.

    Dabei wurde erklärt, wann und wie die Genehmigung zum Abhören eines Telefons bei der G 10-Kommission eingeholt wird.
    http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kontrollgremien/g10

    Vorgeschrieben ist dazu die konkrete Begründung für einen tatsächlichen Anfangsverdacht zu einem “Katalogpunkt”.
    http://bundesrecht.juris.de/g10_2001/BJNR125410001.html

    In der PRAXIS, wie sie von Prof. Wolff in der Anhörung beschrieben wurde,
    muss der vielzitierte “Anfangsverdacht” gegen eine bestimmte Person NICHT nachgewiesen werden,
    sondern es reicht, wenn sie mit einem verdächtigen Personenkreis “vernetzt” ist,
    also nur selbst mit einem Verdächtigen telefoniert.

    Prof. Wolff erklärte, es gäbe eine “personenbezogene” und einer “sachverhaltsbezogene” Genehmigung.
    Es solle dann ja gerade erst die “Vernetztheit” überprüft werden.

    Werden dann mit dieser anderen verdächtigen Person telefonisch Treffen vereinbart,
    dann bedeutet das “intensive Kontakte”,
    bei denen nur ein “gebündelter Einsatz Erfolg versprechend” sei.

    Wenn dabei in den üblicherweise veranschlagten 3 Monaten
    kein relevantes Ergebnis gespeichert werden kann,
    wird die Maßnahme nicht etwa unverzüglich abgebrochen,
    sondern im Gegenteil kann das als besonders “konspiratives” Verhalten gedeutet
    und damit noch zum Anlass genommen werden, eine Verlängerung zu beantragen.

    Dieser Antrag für weitere 3 Monate wird aber nicht erst zum Ende der Lauschzeit gestellt,
    sondern bereits nach wenigen Wochen, wenn erst ein Drittel der Zeit abgelaufen ist
    – wegen der der langen Bearbeitungszeiten für die Anträge.

    Der Richter fragte, ob diese gängigen Routinen eventuell rechtlich bedenklich sind
    und bemerkte dazu, dass diese Frage in der Rechtsprechung wohl noch nicht ausreichend gewürdigt und geklärt wurde.

    Nach seiner Ansicht dürfe auch nicht lediglich angegeben werden,
    dass die Aufklärung auf andere Weise unmöglich sei, sondern das müsse konkret begründet werden.
    denn schließlich handele sich bei der Überwachung der Telekommunikation um “erhebliche Grundrechtseinschnitte”.

    Der Richter äußerte mehrmals während der Anhörung grundsätzliche Bedenken und Klärungsbedarf allgemeiner Art zu der gängigen Praxis,
    (O-Ton: “Vernetzte Gefahrenlage” gilt nicht),
    so dass ich ihn am Ende der Anhörung bat, diese in der Begründung ausführlich darzustellen,
    da zurzeit ein großes öffentliches Interesse an diesen Themen bestehe.
    Er sagte das zu und erwog zusätzlich, eine Pressemitteilung darüber zu veröffentlichen.
    Ich warte gespannt auf diese Ausführungen, denn wie z.B. auf http://www.vorratsdatenspeicherung.de zu lesen,
    ist für die Bürger die immer mehr ausufernde Überwachung wirklich beängstigend.

    R.S.

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