60 Jahre NATO sind genug
Eine Geisterstadt als Filmkulisse für Kriegsherren
»Die Innenstadt Baden-Badens ist gegen Mittag leer. 5000 Polizisten sind für den Schutz der Staatsgäste in der Kurstadt stationiert worden … Die meisten sind zum ersten Mal in ihrem Leben in der Schwarzwaldstadt. Sie können deshalb die meisten Fragen der Bürger nicht beantworten… Die Zone IV, sie umfasst den ganzen Grüngürtel an der Lichtentaler Allee, dürfen nur ›erfasste Anwohner‹ betreten. Wer nicht registriert ist, braucht eine Polizeibegleitung. Die Stadt musste die Karte mit den Sicherheitszonen, die als Bürgerservice verteilt worden sind, mehrmals neu drucken lassen – die Polizei hat immer wieder nachgebessert und die Sicherheitszonen ausgeweitet. In die rote Sicherheitszone zwischen Trinkhalle im Norden und der südlich gelegenen Staatlichen Kunsthalle haben nur die Staatsgäste und das Sicherheitspersonal Zutritt… Etwa 150 handverlesene Bürger schauen auf dem Rathausplatz zu, als Bundeskanzlerin Angela Merkel den amerikanischen Präsidenten empfängt und die Ehrenformation der Bundeswehr auf den Platz marschiert. Anders als zunächst angekündigt, haben die Sicherheitsleute bei der Fahrt des Konvois vom Hubschrauberlandeplatz zum Kurhaus dann doch noch Zuschauer an einem kurzen Abschnitt der Protokollstrecke zugelassen. 500 Fähnchen mit Stars and Stripes verteilt die Stadtverwaltung am Mittag in der Caracalla-Therme. Die Cafés in der Innenstadt sind am Mittag menschenleer.«
So beschreibt die FAZ den Auftakt der NATO-Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen dieses Kriegsbündnisses. Kein Anflug von Unbehagen angesichts dieses Bekennerschreibens.
In Deutschland werden Demonstrationen verboten, indem man sie bis zur Unkenntlichkeit erlaubt
Anlässlich dieses NATO-Jubiläums riefen zahlreiche Organisationen zu Gegendemonstrationen auf – gegen die Fortsetzung der ›Finanz- und Wirtschaftskrise‹ mit allen Mitteln. Parallel zur NATO-Auftaktveranstaltung im Kurhaus-Casino von Baden-Baden sollte eine Demonstration stattfinden. Sie wurde – einer Demokratie würdig – nicht verboten, sondern bis zur Unkenntlichkeit erlaubt: Die genehmigte Demonstrationsroute hatte nichts, aber auch gar nichts mit dem Ereignis zu tun, gegen das sich die Demonstration eigentlich wandte. Sie hätte irgendwo stattfinden können, in einem Stadion, am Rechner, als Computeranimation. Die Auflagen für diese Scheindemonstration hätte ein Comedian verfassen können: Clownschminke und Jongleurkugeln waren verboten, und selbstverständlich, gerade auch Wasserspritzpistolen. Eine Informationsstelle am Kundgebungsort wurde untersagt, jeder Zentimeter Demokratie scharf berechnet: »Die Abstandsregel zu Polizistenkörpern (1,50 Meter) und die Maximalstärke von Holzgriffen für Transparente (zwei Zentimeter).«[1] Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte nichts vergessen: »Untersagt war das Tragen von Kapuzenpullovern, vorgegeben eine Lärmbegrenzung für den Lautsprecherwagen.«[2]
Vor Ort machte sich die Polizei konsequent an die Umsetzung und verbot die Nutzung des Lautsprecherwagens. Schließlich deutete der Name in provokanter Weise auf eine eklatante und vorsätzliche Bereitschaft zur Missachtung der Auflagen hin.
Wie gesagt, Demonstrationen sind in Deutschland nach wie vor erlaubt … wenn man es schafft, dorthin zu kommen, was nicht vorgesehen war: Zahlreiche Kontrollstellen und Straßensperren verunmöglichten vielen aus Deutschland, an dieser Demonstration teilzunehmen, zumal die friedliche Bereitschaft zu Lebensvisitationen und polizeilichen Videodokumentationen Bedingung für eine Teilnahme waren. »Und den Demonstranten, die aus Frankreich ausreisen wollen, verweigert die Polizei die Einreise nach Deutschland …«[3]
Das Ergebnis dieses blinden Zusammenspiels aus Politik, Justiz und Polizei konnte sich sehen lassen: Gerade einmal 300 – 500 Menschen schafften es zu dieser Demonstration und die Polizei hatte neben der Stadt auch sonst alles im Griff: Auf jeden Demonstranten kamen 10 Polizeibeamte, ein robustes Mandat.
»Gegen 13.15 Uhr setzt sich der Miniaturdemonstrationszug endlich in Bewegung. Die Polizei wird ihn (…) nur eine kurze Strecke in Richtung Innenstadt marschieren lassen.«[4]
Zwei Kilometer vor dem Kurhaus-Casino war Schluss. Das reichte zu Demonstrations- und Vorführzwecken.
Auch nach Beendigung dieser Demonstration in Form eines Piktogrammes ließ sich der Polizeisprecher Lothar Haak nichts anmerken, als er zusammenhangslos, frei von komplexen Gedankengängen resümierte: »Wir hatten eigentlich mit etwa 5.000 Teilnehmern, darunter mit vielen gewaltbereiten Autonomen gerechnet …«
Wo diese geblieben sein könnten, weiß möglicherweise der baden-württembergische Polizeipräsident Erwin Hetger: »Sollte sich bei uns ein schwarzer Block bilden, wird der hier verarbeitet.«[5]
Ähnlich konstituiert, zog die FAZ eine äußerst zufriedene Bilanz: »Mehrere hundert Menschen haben am Freitag in Baden-Baden friedlich gegen den NATO-Gipfel demonstriert«, ohne den eigenen Wahnwitz dieser Aussage auch nur im Ansatz zu begreifen.
Am Samstag, den 4.4.2009, als sich die NATO-Kriegsherren in Strasbourg trafen, um sich neue Feinde zu machen, sollte sich nach dem Willen der Regierenden das Ganze wiederholen: Genehmigte Demonstrationen im virtuellen Raum, Behinderungen, wo es nur geht und grenzenlose Macht den eigenen Inszenierungen und Kriegszielen: Mehr Krieg (wie zum Beispiel in Pakistan), mehr Bereitschaft zum Krieg (wie z.B. die Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan und mehr), Outsourcing von Kriegen, die nicht mehr gewonnen werden können (an die irakische Armee, z.B.), alles mit mehr Abstimmung und mehr Mitgliedern, mit mehr leisen Tönen für dasselbe Neue…
Auch auf französischer Seite tat man alles, um Demonstrationen zu verhindern. Bis zuletzt blieb völlig unklar, welche Route überhaupt genehmigt werden würde. Schließlich gab man das mehrere Kilometer von der Innenstadt entfernte Hafengelände frei. Selbst diese Aquarium-Variante war nur mit mehrstündigen Fussmärschen zu erreichen, da der öffentliche Nahverkehr komplett eingestellt wurde. Was dennoch wie eine Demonstration aussah, wurde mit Gummigeschossen, Tränengas und Blendschockgranaten auseinandergetrieben. Die Wut darüber entlud sich schließlich an einem alten Zollhaus, einem (unbewohnten) Hotel, die angesteckt wurden.
Was mit 25.000 Polizeibeamten im Keim erstickt werden sollte, ging nun in Rauch- und Tränengasschwaden über. Stundenlang berichtete der n-tv-Sender live von den verschiedenen Brennpunkten. Stundenlang suchten deren Reporter und Berufskollegen nach Erklärungen, nach Zusammenhängen … und konnten sie nicht finden.
Stattdessen brannte das leerstehende Zollhaus an der deutsch-französischen Grenze zum 100. Mal und der Militärjeep, der tags zuvor attackiert wurde, fuhr mindestens 150 Mal in das und aus dem Bild heraus, mit einem Soldaten, der die Waffe gezogen hatte …
Mit den Worten »Der NATO-Gipfel liegt in den letzten Minuten« leitete die n-tv-Moderatorin kurz vor 16 Uhr, dem offiziellen Ende der NATO-Tagung, die x-te Wiederholung des Unerklärbaren ein. Ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastisches Ende der Sprachlosigkeit.
Nachbetrachtungen
- Die radikale Kritik an der NATO als ein Kriegsbündnis darf sich nicht an den Möglichkeiten messen, für deren Auflösung einzutreten, sondern an der Fähigkeit, genau und nachvollziehbar zu beschreiben, welchen Frieden die NATO verteidigt, wem und was sie den Krieg erklärt. Alleine die Tatsache, dass sich alle NATO-Mitgliedsstaaten seit dem 9.11.2001 im Kriegszustand befinden (dem sogenannten Bündnisfall), der bis heute fortbesteht, macht deutlich, dass der Krieg Normalzustand geworden ist. Dieser permanente Kriegszustand rückt näher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die größte Wirtschaftskrise seit 1929 immer auch eine Kriegsdrohung nach innen beinhaltet, wenn die Folgen dieses Billionen-Desasters nicht mit ›friedlichen‹ Mitteln (Lohnverzicht, Steigerung der Arbeitshetze, Prekarisierung von Leben) abgewälzt werden können.
- Die konkreten Ziele, die anlässlich solcher NATO-Gipfeltreffen formuliert werden, dürfen sich nicht an dem ›An-sich-richtigen‹, sondern an dem ›Jetzt-möglichen‹ messen. Wer die NATO-Tagung verhindern will, muss sich daran messen lassen, ob die Fähigkeit zur Mobilisierung und zur Durchsetzung dieses Zieles bestand. In den letzten Jahren hat sich eine Art von Ankündigungspolitik durchgesetzt, die sich selbst nicht mehr ernst nimmt – was sich immer fatal auf das dennoch Mögliche auswirkte.
- Bezogen auf das Ziel, die NATO-Tagung zu verhindern, empfindlich zu stören, war der Misserfolg eindeutig. Die Diskrepanz zwischen dem, was man vorgibt und dem was man einlöst, einfach nicht mehr (als politische Problem) wahrzunehmen, zwingt in Folge gerade dazu, die Wirklichkeit zum Feind zu erklären, anstatt sich an der Wirklichkeit (des eigenen Tuns) zu messen. Die ersten Reaktionen aus allen Spektren imaginierten ›Erfolge‹, die keine waren. Alle erklärten sich zum Gewinner, die Interventionistische Linke mit dem Blockadekonzept, die Friedensbewegung mit ihrer Demonstration in Kehl, die großen Partei- und Gewerkschaftsorganisationen in Frankreich mit ihrer Demonstration im Hafenviertel von Strasbourg und die Medien den ›schwarzen Block‹, die Autonomen, denen man den ›Sachschaden‹ und die Ausschreitungen zu- und gutschrieb.
- In den Text ›Welt beherrschen und Beherrschung verlieren‹ habe ich die kafkaeske Demonstration in Baden-Baden beschrieben – den Umstand, dass in Deutschland Demonstrationen verboten werden, indem man sie bis zur Unkenntlichkeit erlaubt. Das trifft auf viele Demonstrationen der letzen Jahren zu. Viele TeilnehmerInnen und OrganisatorenInnen fragen sich gar nicht mehr, wer hier tatsächlich demonstriert, wer in solchen Wanderkesseln Subjekt, wer Statist ist, welch deprimierende Wirkung von solchen Demonstrationen ausgeht, wenn man sie von außen betrachtet. Demonstrationen sind dazu da, andere zu erreichen, anderen Mut zu machen – es geht nicht darum, sich selbst zu genügen und zu beweisen. Demonstrationen sind nicht dazu da, viel auszuhalten, sondern ein Bespiel dafür zu geben, Dinge, Verhältnisse nicht hinzunehmen, weil man sich nicht alleine fühlt, weil man nicht alleine ist. Die Gruppen rund um das ›out of control‹ Konzept sind im Augenblick die einzigen, die unter den gegebenen Bedingungen, ihre Ideen zur Diskussion stellen.
- Für viele waren die Rauchsäulen, das brennende IBIS-Hotel und das ehemalige Zollhaus ein Zeichen dafür, nicht alles hinzunehmen. Für genauso viele (die wir nicht hören und sehen wollen) war es eine Eskalation, die sie nicht wollten, auf die sie nicht vorbereitet waren. Die Riesenlücke zwischen Sympathie und Unerklärlichkeit schließen andere (z.B, durch die dümmliche ›Agent provocateur‹-These), wenn wir nicht in der Lage sind, Militanz vorher genau zu bestimmen, im Vorfeld politisch tragfähig und nachvollziehbar zu machen. Wer Militanz und Gegen-Gewalt für berechtigt und legitim hält, darf genau dies nicht der ›Gunst des Augenblicks‹ überlassen, sondern muss dafür politische Verantwortung übernehmen. Auch wenn es vielen wie eine Zumutung in den Ohren klingt: Ein militantes Konzept, das Gegen-Gewalt als Möglichkeit einschließt, schließt Verantwortung auch gegenüber jenen ein, die ein solches Konzept nicht teilen können und wollen. Um dafür ein packendes Beispiel zu geben, müssen wir über die Grenze fahren, nach Frankreich: Wenn man Firmenbosse in ihren Chefzimmern einschließt, bis sie ihr ›unternehmerisches Risiko‹ einlösen, dann klingt das abenteuerlich und verwegen. Militant wird es, wenn 40 % der Befragten in Frankreich dies für eine angemessene Gegenwehr halten und die Zahl der ›Bossnappings‹ täglich steigt: »Das Modell ›Bossnapping‹ ist in Frankreich inzwischen zu einem richtigen Volkssport geworden. Die Serie von Geiselnahmen von Firmenmanagern reißt nicht ab.« SZ vom 21.4.2009
Wolf Wetzel
Wolf Wetzel
Wer mehr zur Geschichte der Nato und ihrer Mitglieder wissen will, dem sei der Text: “Vom Krieg gegen den Irak bis zur NATO im permanenten Kriegszustand” empfohlen – unter der Kategorie: Imperialismus abgelegt.
[1] FR vom 3.4.2009
[2] FAZ vom 4.4.2009
[3] FAZ vom 4.4.2009
[4] FAZ vom 4.4.2009
[5] Junge Welt vom 4.4.2009
[1] FAZ vom 4.4.2009
[2] Junge Welt vom 4.4.2009
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Hallo Wolf,
als Teilnehmer (1,2,3) hatte ich nicht den Eindruck, daß es sich um ein “blindes Zusammenspielaus Politik, Justiz und Polizei” handelte, sondern eher um ein von vornherein abgekartetes _bewußtes_ Zusammenspiel.
Die französichen Behörden hatten kein Interesse an sichtbaren Protesten in Strasbourg. Aus dem Grund gab es beinahe bis zuletzt keine planbare Route, die Demostrecke lag dann ja auch im beinahe bevölkerungslosen Hafen. Ein Zusammenschluß mit dem Ostermarsch wurde verhindert, der öffentliche Nahverkehr eingestellt. Die Entfernung zwischen Camp und Startpunkt der Demo bzw. zu den Blockadepunkten setzte einen mehrstündigen Fußmarsch voraus, von den Repressionen während der ganzen Tage mal ganz abgesehen.
In Baden-Württemberg sollte ursprünglich eine Verschärfung des Versammlungsrechtes ab 1.1.2009 legale Grundlagen für die verschiedenen Behinderungen der deutschen Polizei geschaffen werden. Bekanntlich wurden aber auch ohne diese juristischen Grundlagen vom Anti NATO Bündnis bzw. Friedensbewegung beispielsweise die persönlichen Daten von 50 Ordnern für den Ostermarsch vorab verlangt.
Dazu wurde ohne Voraussetzungen seitens der Demonstranten das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt, 6 Leute aus Stuttgart erhielten rechtlich unhaltbare Ausreiseverbote und Meldeauflagen usw. usf.
(1) http://www.trueten.de/permalink/Strasbourg,-04.04.2009-Vor-wem-hatten-die-NATO-Verteter-eigentlich-Fracksausen.html
(2) http://www.trueten.de/permalink/Strasbourg,-03.04.2009-Von-wegen-ich-bin-mal-eben-auf-dem-Camp.html
(3) http://www.trueten.de/archives/4967-Strasbourg-Today-and-tomorrow-no-democracy.html