Es geht nicht darum, einen guten Verfassungsschutz zu haben, sondern gar keinen

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Am 18.9.2008 begann im Hessischen Landtag eine Anhörung zum Hessischen Polizeigesetz (HSOG).

Zum einen wird es darum gehen, wie sich die Parteien zu dem Bundesverfassungsgerichtsurteil stellen, das die generelle Erfassung von Autokennzeichen als polizeiliche Präventivarbeit für verfassungswidrig erklärt hat. Zum anderen ist diese Anhörung natürlich auch ein Prüfstein für die Parteien, die die CDU-Regierung Koch ablösen wollen. Ob dabei z.B. ›Die Linke‹ als mögliche Mehrheitsbeschafferin so viele Kröte (die ein führender SPD-Politiker als Tolerierungsmahlzeit versprochen hat) schluckt, bis sie daran erstickt, wird man sehen. Der Programmpunkt der Linken jedenfalls, der die Abschaffung des Verfassungsschutz fordert, ist bereits heftig am Wanken.

Was es mit dem HSOG im Detail auf sich hat, wie damit der Verdacht, die Annahme polizeiliche Maßnahmen rechtfertigt und nicht die Verhinderung von sogenannten Straftaten, war auch Gegenstand der Informations- und Diskussionsveranstaltung: ›Alle unter Verdacht! Auf dem Weg in den Überwachungsstaat?‹ Die Linke/Fraktion im hessischen Landtag am 17.9.2008.

Im folgenden wird eine szenische Lesung dokumentiert, die die mittlerweile sechsjährigen Recherchearbeiten zusammenfasst. Sie führt von der ›Gefährderansprache‹ nach §11 HSOG, über Präventivhaft nach §32 HSOG, schnurgerade in die Welt der Geheimdienste…

Der Gefährder – und eine Freifahrt durchs Panoptikum der Geheimdienste

(1) Berichterstatter

(2) Mandant

(3) Polizeipräsidium/LKA/Bundesamt für Verfassungsschutz

Prolog

(1) 2001 scheiterte der Versuch von 800 – 1.000 Neonazis aus dem Umfeld der ›freien Kameradschaften‹ kläglich, mit einem Aufmarsch in Frankfurt Fuß zu fassen. Das lag am aller wenigsten an der Polizei, die sich mit tausenden Beamten große Mühe gab, den Aufmarsch der Neonazis durchzusetzen. Es war vielmehr der breiten antifaschistischen Mobilisierung zu verdanken, die von Blockaden der U- und S-Bahnen, spontanen Demonstrationszügen, bis hin zu verschiedenen Blockadepunkten auf der Route der Neonazis reichte. Die Neonazis mussten ihren Aufmarsch abbrechen, selbst der Nachhauseweg war ihnen alles andere als sicher.

Erwartungsgemäß kündigten die Neonazis für den 1. Mai 2002 einen weiteren Aufmarsch an. Die Polizei erklärte den ›polizeilichen Notstand‹, das Verwaltungsgericht wies dieses Ohnmachtsanfall angesichts von über 4.000 aufgebotenen Beamten als lächerliche Simulation zurück – und genehmigte den Neonazi-Aufmarsch.

Man kann mit Vorsicht davon ausgehen, dass dem CDU-geführten Innenministerium eine deutsch-nationale Konkurrenz z.Z. nicht unbedingt ins Bild passt. Während man über das Ausmaß heimlicher Sympathie mit deutsch-nationalen Theoreme nur mäßig streiten muss, kann eines ganz zweifellos festgehalten werden: Ein weiterer Erfolg antifaschistischer Mobilisierungen sollte auf jeden Fall vermieden werden. Ein Erfolg, der nicht dadurch zu Stande kam, dass man das ›anständige Frankfurt‹ beschwor, an Politiker appellierte oder Gerichte anrief – sondern eigenmächtig handelte – egal, welches Recht Neonazis Demonstrationsfreiheit garantiert, egal welches Recht eine Verhinderung neonazistischer Aufmärsche verbietet.

Während bei Kooperationsgesprächen mit der Anti-Nazi-Koordination/ANK hohe Polizeibeamte ›Gemeinsam gegen Rechts‹ simulierten, erhielten ein paar Tage vor dem 1. Mai 2002 zwanzig bis dreißig Personen aus dem antifaschistischen Spektrum Anrufe bzw. Heimsuchungen von Staatsschutzbeamten. Übereinstimmend berichteten die Betroffene, dass die Beamten der jeweiligen politischen Staatsschutzabteilungen eine mehrseitige Liste bei sich führten, auf der sie ca. 30-50 Namen aufgeführt sahen.

Eine weitere Information fügte sich ein: In Bad Homburg verweigerte eine Richterin, die über die Maßnahme der Präventivhaft nach §32 HSOG zu entscheiden hatte die dafür notwendige richterliche Zustimmung.
Der Verdacht erhärtete sich, dass eigentlich etwas ganz anderes geplant bzw. umgesetzt werden sollte: die präventive Festsetzung von AntifaschistInnen im Vorfeld des 1.Mai 2002.

Die Anti-Nazi-Koordination (ANK) hielt mehrere Pressekonferenzen ab, legte Belege vor und forderte die zuständigen Behörden auf, dazu eindeutig Stellung zu nehmen – vergebens.

Auch der Verfasser dieses Textes erhielt am Vortag des 1. Mai einen solchen dienstlichen Anruf. Trotz der behördlichen Aufwertung seines möglichen oder unmöglichen Tuns fragte er sich, ob er eine solche Sonderstellung überhaupt verdient habe. So beauftragte der Verfasser seinen Rechtsanwalt, diesen Ungerechtigkeiten nachzugehen.

Das Ergebnis dieser rechtschaffenden Bemühungen lässt sich politisch wie folgt zusammenfassen:

Der Sprecher des hessischen Innenministeriums hat die Arbeit seines Ministeriums nicht transparent gemacht, sondern bewusst verschleiert.

Das wenige, was er zu den erhobenen Vorwürfen sagte, ist falsch und wissentlich gelogen.

Das hessische Innenministerium hat nicht nur Präventivhaft nach §32 HSOG »erwogen«, sondern die zur Durchsetzung notwendigen Schritte angeordnet!

Das hessische Innenministerium hat in bewusster Absicht der Öffentlichkeit unterschlagen, dass eine Liste existiert, auf der die Namen derer aufgelistet waren, gegen die nach §32 und/oder §11 HSOG vorgegangen werden sollte.

Akt 1: Wie alles anfing

(1) Einen Tag vor dem 1.Mai 2002 bekommt der Mandant einen mysteriösen Anruf. Eine Männerstimme meldete sich am Telefon:

(3) »Sind Sie Herr X?«

(2) »Ja, das bin ich. Worum geht’s?«

(3) »Ich bin von der Polizei. Sie wollen morgen auch demonstrieren?«

(2) »Da wissen Sie mehr als ich. Wollen Sie mich dazu auffordern?«

(3) »Ich bin beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass die Polizei konsequent einschreiten wird, wenn es zu Gewalt- bzw. Straftaten kommt bzw. wenn Sie zu Straftaten aufrufen.«

(2) »Das ist sehr nett von Ihnen, mich mit dem Strafrecht vertraut zu machen. Ist das jetzt ein neues Serviceangebot der Polizei?«

(3) »Nein, so kann man das nicht sagen. Das ist eine Gefährdungsansprache.«

(2) »Jetzt wird es ja richtig gefährlich. Aber Moment einmal: Sie können mir ja am Telefon viel erzählen. Wie ist Ihr Name noch einmal?«

(3) »Herr Klein. Vom Polizeipräsidium Frankfurt.«

(2) »Das ist groß… «

(3) »Vom K 41.«

(2) »Gut, und wie komme ich zu dieser Ehre, persönlich von der Staatsschutzabteilung betreut zu werden. Ich gehe mal davon aus, dass das nicht allen zuteil wird?!«

(3) »Das stimmt. Sie sind in einer Veranstaltung im Exzess aufgefallen und bei der letzten 1. Mai- Demonstration.«

(2) »Das ist nicht mein Problem, wenn Ihnen etwas auffällt. Woher wissen Sie, dass Sie nicht einer Verwechslung aufsitzen?«

(3) »Sie sind doch der Mann mit der hohen Stirn und den blonden Haaren?«

(2) »Und Sie, Herr Klein rufen jetzt alle an, die Ihnen aufgefallen sind, um ihnen das mitzuteilen. Sie wollen mich aber nicht einschüchtern, oder?«

(3) »Nein, so kann man das nicht sagen. Wir sind zur Neutralität verpflichtet und daran halte ich mich. Glauben Sie mir, ich würde am liebsten wieder mit dem Fahrrad in den Taunus fahren, wie ich das sonst am 1. Mai gemacht habe.«

(2) »Damit zeigen Sie aber nicht unbedingt Zivilcourage. Sie wissen schon, unser Bundespräsident, Gesicht zeigen und so. Aber vielleicht verstehen Sie ihn nur besser als ich.«

(3) »Ich habe lediglich den Auftrag, die Personen auf der Liste abzuarbeiten. Und jetzt sind Sie dran.«

Akt 2: Die Polizei der Zukunft

(1).Wer gefährdet wen? Von wo kommt die Gefahr? Wo beginnt eine Tat? Was könnte man alles tun, wovon die Polizei überzeugt ist, dass man es täte, wenn die Polizei nicht rechtzeitig davor warnen würde?

Das Polizeipräsidium Frankfurt hat darauf eine fundamentale Antwort:

(3) »Eine sogenannte Gefährdungsansprache wird grundsätzlich als geeignetes präventives Instrumentarium angesehen, um mögliches Störerpotenzial bereits im Vorfeld von Veranstaltungen, bei denen aufgrund polizeilicher Erkenntnisse mit einem gewalttätigen Verlauf gerechnet werden muss, darauf hinzuweisen, dass Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit der Veranstaltung nicht geduldet werden. Diese Maßnahme wird insbesondere vor dem Hintergrund der polizeilichen Erfahrungen aus vorherigen Einsatzlagen als der Gefahrenabwehr dienlich angesehen und ist von der polizeilichen Generalklausel des § 11 des hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung – HSOG – gedeckt. Mithin stellt sich die Gefährdungsansprache unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens als diejenige Maßnahme dar, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.« Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 18.7.2002

(2) Wie lange saß der Beamte an diesen Formulierungen.

Zweifellos handelt es sich hier um einen hoch-komplexen Zusammenhang, der schlichte Erklärungen verbietet. Um einiges einfacher hingegen ist die nette Geste am Schluss des Schreibens: Es hätte auch schlimmer kommen können!

Bleibt nur noch die Frage zu beantworten: Woran erkennt man ein »mögliches« Störerpotential und wie erkennt man es im »Vorfeld«, also so früh, dass das ›Mögliche‹ unmöglich wird und ›störende‹ nicht mehr stört?

Auch darauf weiß das Polizeipräsidium Frankfurt – im Allgemeinen und im Besonderen – eine Antwort:

(3) »Die Gefährdungsansprache wurde im Vorfeld des 1.Mai 2002 bei Personen eingesetzt, die im Zuständigkeitsbereich meiner Behörde sesshaft sind und bei denen polizeiliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich demonstrativer Veranstaltungen aus der Vergangenheit vorliegen (…). Wie Ihrem Mandanten bekannt sein dürfte, wurden die Ansprachen hessenweit durchgeführt.

Ihr Mandant ist meiner Behörde seit seiner Festnahme anlässlich der Durchsuchung des dem linken Spektrum zuzuordnenden Café Exzess am 27.9.1996 bekannt. Zudem befand er sich auch am 1.Mai 2001 in Frankfurt im Kreis der Gegendemonstranten.« (Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 18.7.2002)

3.Akt: Marsch durch die Institutionen

(2) Der Mandant gibt zu, sesshaft zu sein und beginnt Zweifel gegenüber »Erkenntnissen« aus dem Jahre 1996 zu hegen, die es laut eines Schreibens des General-Bundesanwalts gar nicht mehr geben dürfte. Jetzt will der Mandant alles über sich wissen und beauftragt seinen Rechtsanwalt.

Der Marsch durch die Institutionen beginnt – bekanntlich ganz unten, beim Polizeipräsidium in Frankfurt, das wie folgt Stellung nimmt:

(3) » Ihr Antrag ist hier eingegangen.

Eine Überprüfung der Personalien Ihres Mandanten im Polizeilichen Auskunftssystem Hessen (Polas-he, früher Hepolis) ergab, dass über die Person Ihres Mandanten keinerlei Daten gespeichert sind (…). Ein gleiches Ergebnis wurde bei der Abfrage in nationalen und internationalen Systemen erreicht. » Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 6.6.2002

(1) Dem Schreiben ist ein Ausdruck beigefügt:

(1) »Trefferliste POLAS (Anzahl der Treffer: 0)

Trefferliste INPOL (Anzahl der Treffer: 0)

Trefferliste ausländische Schengenfahndung

(Anzahl der Treffer: 0)« (Abfrageparameter vom 6.6.2002 Uhrzeit: 8.52)

(2) Trotz dieser martialischen Auskunft lässt sich der Mandant nichts anmerken. Schließlich wurde er kein einziges Mal getroffen.

Nichts desto trotz setzt sein Rechtsanwalt nach und verstopft das letzte Schlupfloch:

(3) » Ihr erneutes Schreiben ist hier eingegangen… Eine gesonderte Nachfrage von mir bei den Kriminalkommissariaten K 41/42 (Politisch motivierte Kriminalität) ergab das gleiche (negative, d.V.) Ergebnis. Auch dort werden keinerlei automatisierte oder nicht automatisierte Dateien über die Person Ihres Mandanten geführt.« (Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 12.7.2002)

4. Akt: Der äußere Anschein trügt

(2). Der Mandant sorgt sich um die Ausstattung einer polizeilichen Behörde, die sich alles im Kopf merken muss, ohne eine einzige Akte über all diese ›Erkenntnisse‹ anzulegen, ohne eine einzige Notiz, eine einzige (Daten-)Spur zu hinterlassen. Der Mandant fragt sich, ob diese kopfgestützte Erfassung von Daten noch zeitgemäß ist.

(1) Sein Rechtsanwalt bleibt sachlich, sucht nach einer weiteren Lücke im System und setzt sich mit dem hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden ins Benehmen:

(3) »Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

bei hiesiger Dienststelle besteht keine nichtautomatisierte Datei, in der die Daten Ihres Mandanten gespeichert sind.« (Schreiben des hessischen LKA vom 8.7.2002)

(1) Der Rechtsanwalt sorgt sich um seinen Mandanten, der nirgendwo eine Akte, eine Notiz wert ist und zur selben Zeit über Jahre im Gedächtnis des Polizeipräsidiums in Frankfurt bleibt – und wendet sich mit der gebotenen Skepsis an den Hessischen Datenschutzbeauftragten:

(3) »Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

der vorstehende Sachverhalt legt den Schluss nahe, dass die angefragten hessischen Polizeibehörden dem Betroffenen auf seine detaillierten und expliziten Anfragen falsche Auskünfte erteilt haben. Es liegt weiterhin der Schluss nahe, dass die vorgenannten Behörden geheime Akten/Dateien führen, über die sie in Widerspruch zu § 29 HSOG den Berechtigten keine Auskunft erteilen. Diese Praxis ist rechtswidrig.« (Schreiben des hessischen Datenschutzbeauftragten vom 26.7.2002)

(2) Der Mandant fühlt sich mit diesem fulminanten Plädoyer gut vertreten und wartet gespannt auf des Rätsels Lösung – die auch der Datenschutzbeauftragte nicht hat:

(3) »Ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens…

Tatsächlich ergibt sich einerseits aus den Briefen des Polizeipräsidiums Frankfurt vom (…) und andererseits vom (…) ein Widerspruch, den ich Ihnen (…) nicht zu erläutern imstande bin. Nach dem äußeren Anschein muss eine der Auskünfte falsch sein.« (Schreiben des hessischen Datenschutzbeauftragten vom 26.7.2002)

(1) Über den trockenen Humor des Datenschutzbeauftragten freuen sich der Mandant und sein Rechtsanwalt. Ob der Schein trügt, will der Datenschutzbeauftragte mit einer Stellungnahme vom Polizeipräsidium Frankfurt herausfinden.

(2) Der Mandant nimmt sich die Zeit, fühlt sich in das Polizeipräsidium hinein und sieht schwitzenden und brütenden Polizeibeamten dabei zu, wie sie aus Gedächtnisleistungen, nicht existenten Akten und Dateien eine wasserdichte Geschichte zusammenzimmern.

5.Akt: Keine Dateien

(1) Ca. vier Monate nehmen die Umbau-Maßnahmen in dieser fraglichen Angelegenheit in Anspruch, bis das neue Kartenhaus stand.

Das Polizeipräsidium Frankfurt beharrt darauf, dass die ›Erkenntnisse‹ in diesem einen Fall einzig und alleine in der »Erinnerung eines Mitarbeiters des Kommissariats 41« gespeichert seien, was so gesehen folgende Schlussfolgerung geradezu unwiderstehlich macht:

(3) »Es ist also zutreffend, dass über (die fragliche Person, d.V.) bei meiner Behörde keine Dateien geführt werden.« (Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 13.12.2002)

(1) Mit allem anderen will das Polizeipräsidium Frankfurt nichts zu tun haben und verpetzt dabei höhere Dienststellen:

(3) »Die Gefährdungsansprachen im Zusammenhang mit den Veranstaltungen am 1.Mai.2002 in Frankfurt am Main wurden von meiner Behörde (…) lediglich durchgeführt. Die Festlegung des Personenkreises erfolgte nicht durch meine Behörde, sondern durch das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz, die meiner Behörde eine entsprechende Liste übersandte.« (Schreiben des Polizeipräsidium Frankfurt vom 13.12.2002)

6.Akt: Verflixt und zugenäht

(1) Der Mandant denkt an ein beliebtes Kinderlied und summt freudig vor sich hin:

(2) Ein Loch ist im Eimer, oh Henry, oh Henry…hol Wasser, oh Henry, oh Henry, geschwind…

(1) Kaum scheint ein Loch gestopft zu sein, platzt an anderer Stelle ein Rohr.

(2) Behauptete nicht das hessische Innenministerium, dass es von einer solchen Liste nichts wüsste?

(1) Der Rechtsanwalt ist am Ende seiner Dienstfahrt. Sein Mandant ist zwiegespalten: Nach über neun Monaten relativer Ungewissheit kann zumindest eine Neuronen-gestützte Datenspur gesichtet werden. Aber was passiert, wenn der namenlose Staatsschutzbeamte sein Gedächtnis verliert? Und was passiert mit all den Vorgesetzten, die diesen Schwachsinn bei vollem Bewusstsein decken?

Nichts.

(2) Irgendwo hört der Spaß auf.

Akt 7: Vier Jahre später

(1) Der Rechtsstaat sammelt sich, erholt sich von seinem partiellen ›Blackout‹ und meldet sich putzmunter mit einem Schreiben des Bundesamt für Verfassungsschutz zurück:

(3) »… gemäß § 12 Abs. 1 G 10 teile ich Ihnen mit, dass zwischen dem 29. April 1998 und dem 23. Oktober 1998 der Fernmeldeverkehr auf Ihrem Festnetzanschluss … überwacht und aufgezeichnet wurde. Ferner sind vom 11. Mai 1998 bis 28. Oktober 1998 für Sie bestimmte Postsendungen geöffnet und eingesehen worden.

Diese Maßnahmen wurden seinerzeit wegen des gegen sie gerichteten Verdachts durchgeführt, Mitglied der terroristischen Vereinigung ›Autonome Rhein-Main-Koordination‹ (ARMK) zu sein, deren Zweck und Tätigkeit darauf gerichtet sind, gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des §§ 306 ff StGB zu begehen…

Die Überwachung wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz beantragt…, vom Bundesministerium des Inneren angeordnet … und von der vom Deutschen Bundestag zur Überprüfung solcher Maßnahmen gebildeten Kommission für zulässig und notwendig erachtet….« (Schreiben des BfV vom 7.12.2006)

(2) Dass alle staatlichen Stellen dabei eingebunden waren, also keine übergangen wurde, dass alles mit rechten Dingen zuging, beruhigte den Mandanten… dass er vom einfachen Gefährder zu einem potentiellen Mitglied einer terroristischen Vereinigung hochgestuft wurde, nicht.

Der Mandant bittet erneut seinen Advokat , die Gründe für diesen ungeahnten Aufstieg in Erfahrung zu bringen. Schließlich nimmt die Lücke zwischen seiner polizeilichen Nicht-Existenz und seinem ihm zugeschriebenen terroristischen Tun eine mittlerweile atemberaubende Dimension an.

(1) Der Mandant und sein Rechtsanwalt warten über sechs Monate. Sie werden für ihre Geduld großzügig belohnt. Obwohl das Antwortschreiben des Datenschutzreferats des Bundesamt für Verfassungsschutz eingangs trocken daraufhin hinweist, dass für Auskünfte »kein gesetzlicher Auskunftsanspruch besteht«, drückte es diese eine Mal alle Augen zu. Im »Wege des Ermessens« geht es dann – mit spürbarem Stolz und kaum verborgener Absicht – durchs Panoptikum der Geheimdienstwelt. Ein Konfettiregen an Daten und Informationen ergießen sich über Mandant und Rechtsanwalt, als ginge es darum, eine jahrzehntelange Verstopfung zu beseitigen. Erinnerbares und dem Mandanten gänzlich Verborgen-gebliebenes wechseln sich über einen Zeitraum von 28 Jahren munter ab. Eine forensische Biografie, die keinen Verdacht auslässt und ohne jede strafrechtliche Relevanz auskommt:

(2) Sie reicht von einer Autofahrt mit »Personen des terroristischen Umfeldes« im Jahre 1977, streift die polizeiliche Erkenntnis, dass der Mandant 1982 »mit einem Fernglas einen Raketenstützpunkt im Raum Montabaur« beobachtet haben soll, erwähnt eine Polizeidatei aus dem Jahr 1987, in der der Mandant »als militanter Störer geführt« wurde und reicht bis ins Jahr 1996, wo man seine Teilnahme an einer Filmvorführung in Frankfurt festgehalten hatte. Zum Ausklang schließt sich ein kurzer Schwenk über die publizistischen Aktivitäten des Mandanten an, die man über 12 Jahre aufmerksam verfolgte. Und als wäre man auf einem Kindergeburtstag, streut der Datenschutzdezernent des BfV geradezu neckisch die Publikation der ›Gefährderansprache‹ in der »nach eigenen Angaben marxistischen Tageszeitung ›Junge Welt‹« in seine Fleißarbeit ein.

(1) Das dreiseitige Schreiben, das Zweifel an der Funktionsfähigkeit von Staatsschutzorganen, an der lückenlosen Verzahnung von Geheimdiensten und Polizeidienststellen eindrucksvoll zerstreut, endet mit einem kleinen Wink:

(3) »Eine weitergehende, umfassende Auskunft zu etwaigen Datenspeicherungen … kommt in Hinblick auf die Geheimhaltungsinteressen des BfV nicht in Betracht.«. (Schreiben vom 7.9.2007)

(1) Mandant und Rechtsbeistand reißen sich zusammen und begnügen sich mit dieser gesamt-deutschen ›Geruchsprobe‹. Sie sind bedient… und spulen noch einmal zurück: Woher hat der Verfassungsschutz so viele, ausgewiesen polizeiliche Erkenntnisse, die polizeiliche Exekutivorgane partout nicht besitzen wollen?

Akt 8 – Und die Moral der Geschicht…

(2) Gehen wir einmal – ganz der Moderne zugewandt – davon aus, dass die nahtlose Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten nicht auf Gedankenübertragung beruht, dann sind folgende Schlussfolgerungen erlaubt:

Es gibt Sektoren innerhalb staatlicher Verfolgungsbehörden, die nicht mit der Verteidigung, sondern mit der partiellen Abschaffung von Rechtsgarantien beschäftigt sind.

Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten existiert nur noch als zivilgesellschaftliches Phantasma – tatsächlich dient die formale Trennung von Polizei- und Geheimdienststellen nur noch als spanische Wand, durch die hindurch ›Erkenntnisse‹ je nach Lage und Bedarf hin- und hergeschoben werden – ein Hütchenspiel auf höchstem Niveau.

Wer behauptet, der Verfassungsschutz, die Polizei müssten nur politisch kontrolliert werden, der verkennt, dass all dies nicht gegen den politischen Willen der regierenden Parteien, sondern mit deren ausdrücklichen Zustimmung passiert.

Wir brauchen keinen guten Verfassungsschutz, sondern gar keinen.

Wolf Wetzel 2008

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