16.7.2009 – »Ob der V-Mann getürkt ist oder nicht, kann nur eine höhere Instanz entscheiden.«

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Der V-Mann 123 – ein Avatar des Verfassungsschutzes

Akt 2


Prozessbericht über die Verwaltungsstreitsache Wetzel ./. Bundesrepublik Deutschland am 8.Juli 2009 in Berlin

Neben dem Prozessbevollmächtigten des Bundesministeriums des Innern/BMI, Prof. Dr. Wolff, erschienen Hr. Brebeck vom Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV und eine weitere Mitarbeiterin des BfV, die im Zuschauerraum Platz nahm.

Vorab ließ der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts in Berlin, Hans-Peter Rueß aus, die Streitparteien wissen, dass diese Kammer zum ersten Mal mit einer Klage wegen G-10-Maßnahmen beschäftigt sei. Da sich das Gericht nur auf wenige Klagen bzw. Urteile in diesem Fall stützen konnte, habe man sich intensiv mit der Rechtslage bzw. den -voraussetzungen befasst. Diese Vorabinformation stellte sich im Laufe der Verhandlung alles andere als eine Lappalie heraus.

Zu Beginn rekapitulierte der Vorsitzende Richter die Vorgeschichte des Verfahrens.

Am 7. Dezember 2006 erhielt Wolf Wetzel ein Schreiben vom Bundesamt für Verfassungsschutz, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass zwischen dem 28.4.1998 und dem 23.10.1998 sowohl der Telefonanschluss als auch der Postverkehr überwacht worden waren. Begründet wurden diese G-10-Maßnahmen damit, dass Wolf Wetzel im Verdacht stand, Mitglied der terroristischen Vereinigung ›ARMK‹ zu sein, der »zahlreichen Brandanschläge und Sabotageaktionen mit erheblichem Sachschaden in der Zeit von 1988 bis heute«, also 1996, zugeordnet wurden.

Am 29. Februar 2007 legte Wolf Wetzel Widerspruch gegen oben bezeichnete G-10-Maßnahmen ein:

»Da es keine konkreten Verdachtsmomente gibt, die in dem Schreiben des Bundesamt für Verfassungsschutz aufgeführt sind, muss ich von einer Fantasiekonstruktion ausgehen. Eine selbst geschaffene Vorratsorganisation, mit dem verfassungswidrigen Ziel, mit den freigegebenen ermittlungstechnischen Mitteln die Verdachtsmomente erst zu finden, die Voraussetzung sein müssten, um einen solch schwerwiegenden Eingriff in die Schutzrechte vornehmen zu können.«[2]

Bereits ein Jahr zuvor, im Jahr 1997, wurden im Rahmen eines 129a-Ermittlungsverfahrens gegen mindestens drei Personen Maßnahmen zur Überwachung des Telefon- und Postverkehrs bewilligt.

Insgesamt vier Mal wurden die G-10-Maßnahmen verlängert.

Mit der 5. Verlängerung wurde die Ausweitung auf die Person Wolf Wetzel beantragt und genehmigt. Als ›tatsächlicher Anhaltspunkt‹ diente ein ›V-Mann 123‹, der in einem Gespräch am 27.2.1998 mit weiteren anwesenden Personen erfahren haben will, dass Wolf Wetzel u.a. Anschläge anlässlich von Castor-Transporten plane und perspektiv »Sabotage der Info-Verbindungen« vorbereite.

Nach Ablauf der Überwachungsmaßnahmen wurden sie um drei Monate verlängert. Als ›tatsächlicher Anhaltspunkt‹ diente dieses Mal ein abgehörtes Telefonat, das belegen sollte, dass Wolf Wetzel »intensive Kontakte« zu anderen Mitgliedern der ›ARMK‹ pflege.

Fortlaufend ergebnislos wurden die G-10-Maßnahmen eingestellt.

Mit der Klage gegen o.g. Eingriffe ist ein Hilfsantrag verknüpft, der das Bundesamt für Verfassungsschutz dazu verpflichten soll, entscheidungsrelevante Akten herauszugeben und substanzielle Schwärzungen rückgängig zu machen. Der Kläger begründet das mit dem Vorwurf, dass die massiven Schwärzungen und die vorenthaltenen Akten nicht dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland und deren V-Männer dienen. Vielmehr wird der Vorwurf erhoben, dass damit die gezielte und vorsätzliche Manipulation vertuscht, der G-10-Ausschuss im Bundestag mit frisierten und nicht vorhandenen ›Beweisen‹ getäuscht werden sollte.

Der Vorsitzende Richter erinnerte daran, dass in einem G-10-Verfahren die Eingriffsschwelle deutlich vorverlegt sei. Ein ›dringender Tatverdacht‹ sei nicht nötig. Das Bundesinnenministerium müsse lediglich ›tatsächliche Anhaltspunkte‹ vorzubringen. Da es sich um einen massiven Eingriff in Grundrechte handele, sei es um so mehr notwendig, diese ›tatsächlichen Anhaltspunkte‹ präzise und nachvollziehbar zu begründen.

Bevor das Gericht seine eigenen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der G-10-Maßnahmen vortrug, bestimmte es die Rangfolge geheimdienstlicher Mittel. In der Rechtsprechung seien geheimdienstliche Mittel wie offene und verdeckte Observationen zwar massive Eingriffe, jedoch in ihrer Schwere vor G-10-Maßnahmen einzuordnen. Man gehe davon aus, dass man sich einer Observation möglicherweise entziehen könne, jedoch machtlos sei, angesichts von Telefon- und Postüberwachungsmaßnahmen, denen sich der Betroffene nicht entziehen könne. Von daher seien G-10-Maßnahmen die ›Ultima Ratio« im Arsenal geheimdienstlicher Ermittlungen. Erst wenn sich andere Mittel, niedrig-schwelligere Eingriffe als wirkungslos erwiesen hätten, könnten G-10-Maßnahmen beantragt bzw. durchgeführt werden.

Nach diesem kleinen Rechtsdiskurs wandte sich der Vorsitzende Richter an der Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. Wolff. Wenn der Verfassungsschutz einen so erfolgreichen V-Mann besessen habe, von dem jeder Verfassungsschutz »träume«, dann gäbe es rechtlich keine Grundlage für die beantragten und durchgeführten G-10-Maßnahmen. Ob er ihm folgen könne? Prof. Dr. Wolff war gänzlich irritiert und folgte ihm nur schweigend, während der Vorsitzende Richter den Gedanken zuende führte. Nur wenn eine niedrig-schwelligere Maßnahme wirkungs- und aussichtslos bliebe, könne auf das ›letzte Mittel‹ zugegriffen werden. In jedem anderen Fall ist ein solch schwerer Eingriff rechtwidrig.

Im Folgenden legte der Beisitzer, durch die geschwärzten Akten blätternd nach, und konstatierte, dass die ›tatsächlichen Anhaltspunkte‹ nicht substanziiert seien, womit das BMI bzw. BfV ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen seien. Obwohl das Gericht das Innenministerium mit Schreiben vom 15.6.2009 aufgefordert habe, die »Übersendung des vollständigen Erstantrages« zu veranlassen, seien weiterhin alle Ausführungen zu den vorgeblichen ›tatsächlichen Anhaltspunkten‹ geschwärzt und somit nicht nachvollziehbar gemacht worden.

Schwarz-auf-Weiß

Dem schloss sich der Vorsitzende Richter an: Aus den vorliegenden Akten »erschließt sich uns nicht« die Begründung der Maßnahme. Das Gericht werde also einen Beschluss fassen müssen, der das BfV dazu verpflichte, jene Stellen zu entschwärzten bzw. Akten zur Verfügung zu stellen, die der Begründungspflicht tatsächlich genügen.

An mich gewandt, stellte er die Frage, ob ich bereit sei, jetzt die Belege vorzulegen, die beweisen, dass das Gespräch mit besagtem V-Mann 123 am 27.2.1998 nicht stattgefunden haben konnte. Er rekurrierte auf das Tagebuch, das ich erwähnt hatte, nachdem das BfV in einer Stellungnahme anführte, dass man sich nach so langer Zeit nicht mehr (genau) erinnern könne.

Ich erklärte, dass beim Stand des Verfahrens nicht ich begründen müsse, warum die Maßnahmen des BfV rechtwidrig waren. Vielmehr müsse das BfV bzw. Innenministerium ihrer Pflicht nachkommen, die Maßnahme zu begründen, anstatt zu verschleiern.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung stand die Existenz bzw. Nicht-Existenz des ›V-Mann 123‹ im Mittelpunkt. Der Vorsitzende Richter richtete die Frage an mich, ob ich bereit wäre, einige Belege dafür vorzubringen, dass besagtes Gespräch nicht stattgefunden haben konnte. Ich stimmte zu.

Beleg Nr.1:

Folgendes Beispiel belegt eindruckvoll, dass das vermeintlich Gehörte nicht einem Gespräch entstammen konnte, sondern anderen ›Quellen‹ geschuldet war, mit denen der V-Mann-Bericht ausgestattet wurde.

Der V-Mann 123 will am 27. Februar 1998 gehört haben, dass ich »seit vier Monaten … in psychotherapeutischer Behandlung« sei. Hätte ein solches Gespräch tatsächlich stattgefunden, hätte ich im redseligsten Fall gesagt, dass ich in diesem Monat mit einer Therapie begonnen habe.

Wie kommt das BfV respektive der V-Mann 123 zu diesen falschen Zeitangaben? Hat sich der V-Mann 123 vielleicht nur verhört? Nein, es wurden präzise und falsch zugleich andere Quellen ausgewertet und in ein fiktives Gespräch implantiert. Tatsächlich hat das BfV andere ›Quellen‹ ausgeschöpft, zum Beispiel Informationen, die es über die Krankenkasse erhalten hatte. In deren Unterlagen beginnt die Bewilligung der Therapie bereits mit Vorgesprächen, sogenannten probatorischen Sitzungen, die dazu dienen sollen, herauszufinden, ob die Therapieform zusagt bzw. der Therapeut der geeignete ist. Wenn also der V-Mann gehört haben will, dass ich vor vier Monaten mit der Therapie begonnen habe, sind zwar die Fakten korrekt ausgewertet und eingearbeitet worden, mit einem handwerklichen Fehler: Für die Krankenkasse beginnt die Therapie mit ihrer Bewilligung, für mich hingegen mit der ersten Sitzung, die wenige Tage vor jenem ominösen Gespräch am 27.2.1998 stattgefunden hatte.

Beleg Nr.2

In besagtem Gespräch will der V-Mann 123 gehört haben, dass ich »das Problem« habe, wieder eingestellt zu werden, nachdem ein Kündigungsverfahren eingestellt werden musste und ich meine Arbeit als Jugendklubleiter fortsetzen konnte. Ich hätte »keine Lust mehr« und wolle eh aufhören.

Ganz offensichtlich ging das BfV davon aus, dass zu einem »Berufsrevolutionär«, für den ich mich laut V-Mann 123 halte, nicht die Lohnarbeit eines Sozialarbeiters passe. Sollte also das Gespräch dem VS-Profil eines ›Berufsrevolutionärs‹ gehorchen, musste er ein »Problem« artikulieren. Tatsächlich widersprach ich der Kündigung mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Da sowohl meine arbeitsrechtlichen Einwände evident, als auch die Unterstützung vonseiten der MitarbeiterInnen und der kirchlichen Mitarbeitervertretung (MAV) groß war, zog der Arbeitgeber die Kündung zurück und musste mich zum 1.3.1998 wieder einstellen.

Abschließend führte ich aus, dass ein abgehörtes Telefonat, das zur Begründung einer Verlängerung der G-10-Maßnahmen angeführt wurde, in seiner eigentlichen Aussage manipuliert und in seinem Kontext verschleiert wurde, wodurch der G-10-Ausschuss des Bundestages wissentlich getäuscht wurde.

Das Telefonat sollte die »intensiven Kontakte« mit und unter Terrormitgliedern belegen. Um diesen Eindruck nicht zu stören, wurde der G-10-Ausschuss lediglich davon in Kenntnis gesetzt, die Gesprächsteilnehmerin stände im Verdacht, ebenfalls Mitglied der terroristischen Vereinigung ›ARMK‹ zu sein. Damit sollte suggeriert werden, dass es bei dem abgehörten Telefonat um ein Gespräch unter Terroristen handelte. Die Tatsache, dass es sich in Wirklichkeit um ein Dienstgespräch handelte, zwischen mir, als Jugendklubleiter und besagter Person, als Mitarbeiterin, wurde vorsätzlich unterschlagen. Der Inhalt des Gesprächs belege außerdem, dass sich hier eben nicht Mitglieder einer terroristischen Vereinigung unterhalten hatten, sondern zwei Angestellte einer Jugendeinrichtung.

Nachdem der Prozessbevollmächtigte Prof. Dr. Wolff diese Einwände nicht entkräftigen konnte, ergriff der Vorsitzende Richter wieder das Wort.

Auch er äußerte Zweifel an der Existenz des V-Mannes und ließ durchblicken, dass es in der Rechtspraxis üblich sei, eine Person dann für unglaubwürdig zu halten, wenn sie in mehreren Einlassungen erwiesenermaßen die Unwahrheit gesagt hat. Wäre dies der Fall, wäre das Gespräch in seiner Gesamtheit unglaubwürdig.

Prof. Dr. Wolff schwante Schlimmes, ein doppeltes Fiasko: Wenn der V-Mann 123 existieren würde, wären die angeordneten G-10-Maßnahmen rechtwidrig, wenn er nie existiert hat, erst recht.

Offensichtlich nicht von seinem Auftrag, sondern von der Lage der Dinge getrieben, stellte Prof. Dr. Wolff geradezu prophetisch fest: »Ob der V-Mann getürkt ist oder nicht, kann nur eine höhere Instanz entscheiden.«

V-Mann-Avatar-123

Offensichtlich ging Prof. Wolff in einem Anfall von Rechtlosigkeit davon aus, dass die Frage nach der Existenz eines V-Mannes selbstverständlich von keinem Gericht entschieden werden könne.

Nachdem auch er den Schaden seiner Aussage erkannte, beließ er es beim persönlichen Zwiespalt: »Ich weiß nicht, ob der V-Mann 123 existiert.«

Um 12. 32 Uhr beendete der Vorsitzende Richter die Verhandlung. Eine Stunde später stand das mündliche Urteil fest:

»Es wird festgestellt, dass die Anordnungen des Bundesministers des Inneren vom 20. April und 20. Juli 1998 zur Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs des Klägers (Zeitraum vom 28. April bis zum 23. Oktober 1998) sowie zur Öffnung und zum Einsehen der für den Kläger bestimmten Postsendungen (Zeitraum vom 11. Mai bis zum 28. Oktober 1998) rechtwidrig waren.«[3]

Mit der schriftlichen Begründung ist in drei bis sechs Wochen zu rechnen.

Dann besteht die Möglichkeit, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen.

16.7.2009                       Wolf Wetzel


[1] Herr Prof. Dr. Wolff, Prozessbevollmächtigter des Bundesministeriums des Innern/BMI

[2] Schreiben an das VG Berlin vom 29.2.2007

[3] Beschluss der 1. Kammer des Verwaltungsgericht Berlin vom 8.7.2009/ VG 1 A 10.08

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2 Kommentare

  1. nun, mit sicherheit sind alle entscheidungen des vorsitzenden richters dr.hans-peter rueß ein beweis für das funktionierende deutsche rechtssystem. bei allem elend das man als kritischer demokrat erfährt. ist es doch immer wieder angenehm zu sehen,
    das die rechtsprechung letztlich doch funktioniert.
    gruss manfred

  2. Ich verfolge mit interesse deine Einträge zu dieser Thema und freue mich, dass es momentan so gut für dich Aussieht

    Grüße,

    –Marenz

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