Bis alle da sind

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Vor 20 Jahren kam es zu den tödlichen Schüssen auf Polizisten an der Startbahn West (Teil 1)

Von Wolf Wetzel
 

Am 2. November 1987 wurde auf die Polizei an der Startbahn West geschossen. Neun Polizeibeamte wurden verletzt, zwei starben. Im Anschluß brach der Widerstand gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens im Rhein-Main-Gebiet zusammen. Es war ein traumatisches Ereignis für die radikale Ökologiebewegung. Den Verlauf dieser Nacht zeichnen wir als dokumentarische Erzählung von Wolf Wetzel nach. Er hat mehrere Zeitzeugen interviewt. Es handelt sich dabei um einen Vorabdruck aus seinem Buch »Tödliche Schüsse«, das im Frühjahr 2008 im Unrast-Verlag, Münster, erscheinen wird. (jW)

Vorgeschichte

Mitte der 60er Jahre bereits gab die Flughafen AG, der Betreiber des größten Airports der Bundesrepublik, bekannt, daß aufgrund stetig steigenden Flugverkehrs eine weitere Startbahn gebaut werden müsse. Als 1968 das erste Planfeststellungsverfahren eröffnet wurde, endete es mit einem Eklat: Über 4000 Einsprüche wurden schlichtweg unterschlagen. Als schließlich 1981 die Anhörung im Wiesbadener Landtag eröffnete wurde, verkündete der damalige Wirtschafsminister Heinz Herbert Karry (FDP): »Die Startbahn West muß gebaut werden, egal wie die Anhörung ausgeht.«.

Ein Teil der Startbahngegner wollte den Glauben an die Demokratie nicht verlieren und initiierte ein Volksbegehren gegen den Flughafenausbau. Noch bevor die Gerichte über dessen Zulässigkeit entscheiden konnten, wurden Fakten geschaffen: ein von den Startbahngegnern errichtetes »Hüttendorf« am 2.11.1981 polizeilich geräumt und dem Erdboden gleichgemacht, der Wald für die Startbahn 18 West gerodet und eingezäunt. Am 14.11. demonstrierten in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden 120000 Menschen gegen die Startbahn und übergaben dem Landeswahlleiter das Volksbegehren mit 220000 Unterschriften. Einen Tag später wurden der Frankfurter Flughafen blockiert und auf den Zubringer-Autobahnen Barrikaden entzündet. In Reaktion darauf nahm die staatliche Repression paramilitärische Züge an. Doch die Bewegung der Startbahngegner ließ sich davon nicht schrecken. Sie wurde größer und militanter.

Als 1984 die Startbahn West eingeweiht wurde, brach der Protest nicht ab. Es kam zu regelmäßigen »Sonntagsspaziergängen« an den Zaun, der mittlerweile einer Festungsmauer glich und immer wieder von Demonstranten attackiert wurde. Über die Jahre entwickelte sich daraus ein beliebtes Ritual breiter Schichten der südhessischen Bevölkerung – bis am 2.11.1987 während einer nächtlichen Demonstration tödliche Schüsse auf Polizeibeamte abgegeben wurden.

Diese Demo fand anläßlich des sechsten Jahrestages der Hüttendorf­räumung als Fackelzug, der durch den Mönchbruchswald an die Startbahn-Mauer führte, statt. In dieser Nacht war vieles anders als sonst. Die Polizeiführung versteckte Sondereinsatzkommandos im Wald. Sumpfige Wiesen, verbarrikadierte Brücken, brennende Strohballen, ein Bach und der dahinter liegende Wald wurden zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen.

18.30 Uhr: Allmählich füllt sich der Platz rund um die Weggabelung. Manche kommen gruppenweise, andere stoßen als Einzelpersonen dazu. Man steht herum, begrüßt sich kurz, unterhält sich, vertreibt sich die Zeit, bis alle da sind, bis man denkt, daß alle da sind. Das Wetter ist günstig. Es ist trocken. Kein Nebel behindert die Sicht. Wenn man sich an die Dämmerung gewöhnt hat, kann man sich gut im Wald orientieren.

18.45 Uhr: Peter steigt auf sein Fahrrad und folgt einem Weg, bei Tage ein Naturlehrpfad, der auf den Gundbach stößt, ein kleines Bächlein, über das eine Holzbrücke führt. Peter schiebt sein Fahrrad in den Wald, an die Stelle, wo er Tage zuvor ein Depot angelegt hatte. Er versorgt sich mit einer großen Schachtel Zimmermannsnägel, einem Hammer und einem Bolzenschneider. Zurück auf der Fischteichbrücke schlägt er zügig fünfzehn Zentimeter lange Nägel in die Holzbohlen, in einem engen Abstand von zwei bis drei Zentimetern. Dieses Nagelbrett präpariert Peter jeweils am Anfang und am Ende der Fischteichbrücke. Zum Schluß schneidet er mit einem Bolzenschneider die Köpfe der Nägel ab. Damit ist die Brücke für Polizeifahrzeuge unpassierbar.

19.05 Uhr: Es ist längst dunkel, als sich die Demonstration von zirka 400 Startbahngegnern in Bewegung setzt. Die meisten sind schwarz gekleidet. Viele tragen Leder- oder Motorradjacken. Viele tragen schwere Rucksäcke. Fast alle tragen Handschuhe bzw. halten sie bereit. Von dieser Kleiderordnung deutlich abgesetzt bewegen sich die älteren Startbahngegner aus der Region. Sie tragen Wanderkleidung, die nicht weniger praktisch ist. Einige von ihnen haben Fahrräder dabei und betätigen sich als Späher und Kuriere. Jörg, Mitte Vierzig, hat in der Lodenjacke immer einen Scanner dabei, mit dem der Polizeifunk abgehört wird.

Erste Rückblende

Beginn des Hüttendorfbaus 1980: Die Idee, eine Waldhütte auf dem ersten Bauabschnitt der geplanten Startbahn 18 West zu errichten, geisterte schon seit längerem durch die Reihen der Bürgerinitiativen. Anfang 1979 hatte eine Arbeitsgruppe diesen Vorschlag zu Papier gebracht: Ein entsprechender Bauantrag sollte gestellt und dann von der Stadt Flörsheim genehmigt werden lassen. Streng legalistisch und absehbar erfolglos. Am 3. Mai 1980 war es dann soweit – ohne Erlaubnis. Ausgestattet mit einem Bauplan, mit geschnittenem Holz und vorgefertigten Teilen trafen sich gegen fünf Uhr morgens an die 80 Startbahngegner aus dem Umfeld der BIs: »Es ist dann so zwischen 14 und 14.30 Uhr gewesen, wo die Polizei das erste Mal aufgetaucht ist (…) Und es sind Politiker aus Walldorf und Mörfelden dagewesen, und die haben auch gesagt, es sei klar, daß es illegal wäre, aber es müßte ein Zeichen gesetzt werden – und sie würden hinter diesem Zeichen stehen« (Wilma Treber/BI Mörfelden-Walldorf, in Horst Karasek: Das Dorf im Flörsheimer Wald, 1981).

Die BI-Hütte stand, und nach und nach schossen weitere Hütten wie Pilze aus der Erde. Am Ende waren es mehr als 50 Hütten, Baumhäuser, Türme und Erdwohnungen. Sie trugen so phantastische Namen wie »Ikarus«, »Niederräder Zornegickel«, »Darmstädter Kampfwagen«, »Roter Stern«, »Feste Trotzkopp«, »Villa Kratzberscht«, »Turmpalast«, »Null-Bock«, »Mond« und »Wächter der Freiheit«. Selbst eine Kirche und ein »Neubauviertel« sollten dort nicht fehlen.

19.30 Uhr: Der Demonstrationszug biegt halbrechts in die Hochschneise. Nach ungefähr 300 Metern macht der Weg eine leichte Linkskurve. Rechts gibt der Wald den Blick auf die Birkenseewiese frei. Nach weiteren 300 Metern stößt der Demonstrationszug auf den Gundweg. Dort kommt er zum Stehen. Man wartet darauf, daß Melder Bescheid geben, ob die Knüppeldammbrücke frei ist. Vor Jahren hatten sich dort Polizeitrupps positioniert. Das schrappende Geräusch eines Polizeihubschrauber ist von weitem zu hören. Kurze Zeit später sieht man ihn. Er fliegt, leicht nach vorne gekippt, über die Wiese. Wenig später erfassen seine Scheinwerfer den Waldweg. Clara schließt für Augenblicke ihre Augen.

Zweite Rückblende

Frankfurt/Rohrbachstrasse 3.11.1981: Als Antwort auf die gewaltsame Räumung des Hüttendorfes fand in den Abendstunden eine Demonstration von über 10000 Startbahngegner durch Mörfelden statt. Auf der Abschlußkundgebung wurde zu einer Demonstration in Frankfurt aufgerufen, für 23 Uhr am Friedberger Platz. Zu Hause angekommen haderte Johan, ob er wirklich noch zur Demonstration gehen sollte. Schließlich überwand er doch noch seine Müdigkeit. Als sich die Demonstration in Bewegung setzte, waren es über sechshundert Leute. Immer wieder kamen Menschen aus den Haustüren und schlossen sich spontan dem Demonstrationszug an.

Es waren keine Polizeisirenen zu hören, es war kein Blaulicht zu sehen, als mehrere Mannschaftswagen in die Hartmann-Ibach-Straße einbogen, bevor die Demonstration sie erreichte. Die Mannschaftswagen bogen sofort wieder links ab und parkten in einer kleinen Parallelstraße zur Rohrbachstraße.

»Die Schilder brauchen wir heute nicht«, rief der Einsatzleiter seinen Beamten zu, und teilte sie in zwei Gruppen ein. Alle waren mit überlangen, blanken Eschenholzknüppeln ausgerüstet. Die Demonstration folgte der Hartmann-Ibach-Straße noch ein paar Meter und bog dann links in die Rohrbachstraße ein. »Wir gehen weiter zum Friedberger Platz und beenden dort die Demo«, rief jemand durch das Megafon, als der Einsatzleiter, eine Parallelstraße weiter, den Befehl zum Abmarsch gab. Eine Gruppe bog in die Hartmann-Ibach-Straße ab, um der Demonstration jede Fluchtmöglichkeit zu rauben. Die andere Gruppe sollte von vorne kommen, bevor die Demonstration die nächste Querstraße erreichen konnte.

Johan war weder wachsam noch in Gedanken bei der Demonstration, als der SEK-Trupp wie aus heiterem Himmel vor der Spitze der Demonstration auftauchte. Mit ihren langen Knüppeln schlugen sie sofort zu. Ohne jede Gegenwehr prasselten die Schläge auf Köpfe, Schultern und Arme. Die ersten fielen zu Boden, wurden von weiteren Knüppelschlägen und Fußtritten erwischt, während die anderen versuchten, nach hinten auszuweichen, irgendwie davonzukommen. Das war jedoch nicht möglich.

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