Aktenkundig

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Frankfurter Rundschau vom 30.04.2003

 

 

Aktenkundig

 

Auf Wiedervorlage: Wie die Daten eines Frankfurter Mai-Demonstranten über Jahre hinweg durch die Polizeibehörden geistern

 

Von Stephan Loichinger

 

 

Am Vorabend des 1. Mai 2002 klingelt bei Maik Menkel (Name geändert) das Telefon. Maik Menkel erinnert sich an das Gespräch:

Mann: “Sind Sie Herr Menkel?”

Menkel: “Ja, das bin ich. Worum geht’s?”

Mann: “Ich bin von der Polizei. Sie wollen morgen auch demonstrieren?”

Menkel: “Da wissen Sie mehr als ich. Wollen Sie mich dazu auffordern?”

Mann: “Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Polizei konsequent einschreiten

wird, wenn es zu Gewalt- oder Straftaten kommt oder wenn Sie zu Straftaten

aufrufen.”

Menkel: “Nett von Ihnen, mich mit dem Strafrecht vertraut zu machen. Ist das ein

neues Serviceangebot der Polizei?”

Mann: “So kann man das nicht sagen. Das ist eine Gefährderansprache.”

Menkel: “Jetzt wird’s ja richtig gefährlich. Aber Sie können mir am Telefon viel erzählen. Wie ist Ihr Name noch mal?”

Mann: “Herr Senn (Name geändert), Polizeipräsidium Frankfurt.”

Menkel: “Das ist groß… ”

Senn: “Vom K 41 (zuständig für politisch motivierte Kriminalität, d. Red.).”

Menkel: “Wie komme ich zu der Ehre, persönlich betreut zu werden? Ich gehe davon aus, die wird nicht allen zuteil.”

Senn: “Stimmt. Sie sind bei einer Veranstaltung im ,Exzess’ aufgefallen und bei der letzten 1.-Mai-Demonstration.”

Menkel: “Nicht mein Problem, wenn Ihnen etwas auffällt. Woher wissen Sie, dass Sie mich nicht verwechseln?”

Senn: “Sie haben doch eine hohe Stirn und blonde Haare?”

Menkel: “Und Sie rufen jetzt alle an, die Ihnen aufgefallen sind, um ihnen das mitzuteilen? Sie wollen mich aber nicht einschüchtern, oder?”

Senn: “Nein, so kann man das nicht sagen. Wir sind zur Neutralität verpflichtet, und daran halte ich mich. Glauben Sie mir, ich würde am liebsten mit dem Fahrrad in den Taunus fahren, wie ich das sonst am 1. Mai gemacht habe.”

Menkel: “Damit zeigen Sie aber nicht Zivilcourage. Sie wissen doch, was unser Bundespräsident gesagt hat. Aber vielleicht arbeiten Sie einfach nur zusammen.”

Senn: “Ich habe einfach nur den Auftrag, die Personen auf der Liste abzuarbeiten. Und jetzt sind Sie dran.”

Maik Menkel, 48 Jahre alt und freier Autor, war am 1. Mai 2001 unter den Demonstranten, die sich in Frankfurt am Main im Stadtteil Dornbusch einem Aufmarsch von Neonazis in den Weg stellten. Die Polizei wollte beide Gruppen voneinander fern halten, ihr Vorgehen kritisierten die Gegendemonstranten später als übermäßig brutal. Die zweite Veranstaltung, auf die Polizist Senn sich in der Gefährderansprache Menkels berief, war am 27. September 1996 im Café Exzess, einem linksalternativen, linksautonomen Lokal in Frankfurt-Bockenheim. An jenem Tag, sagt Menkel, sei dort “ein Film über die Startbahn-Bewegung” gezeigt worden. Er sei unter den Zuschauern gewesen. Die Polizei nahm in einem “Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung” alle Anwesenden in Gewahrsam und notierte ihre Personalien. Er habe sich als Journalist ausgewiesen, sagt Maik Menkel.

 

Ein halbes Jahr danach fragte Menkels Anwalt nach dem Stand der Ermittlungen. Der Generalbundesanwalt ließ im Februar 1997 mitteilen: “(… ) dass Ihr Mandant (… ) zu keinem Zeitpunkt als Beschuldigter geführt wurde oder wird. Sollten (… ) Maßnahmen zur Identitätsfeststellung durchgeführt worden sein, so sind etwaig angefallene erkennungsdienstliche Unterlagen mittlerweile vernichtet, ohne in das Ermittlungsverfahren Eingang gefunden zu haben.”

Die Gefährderansprache ist durch die Paragrafen 1 und 11 des hessischen Gesetzes für Sicherheit und Ordnung (HSOG) gedeckt. In einem Schreiben an Menkels Anwalt vom 18. Juli 2002 erläutert Frankfurts Polizeipräsident Harald Weiss-Bollandt: “Eine so genannte Gefährderansprache wird grundsätzlich als geeignetes präventives Instrumentarium angesehen, um mögliches Störerpotenzial bereits im Vorfeld von Veranstaltungen, bei denen auf Grund polizeilicher Erkenntnisse mit einem gewalttätigen Verlauf gerechnet werden muss, darauf hinzuweisen, dass Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit der Veranstaltung nicht geduldet werden. (… ) Mithin stellt sich die Gefährderansprache unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens als diejenige Maßnahme dar, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.”

Woher, fragt sich Menkel, weiß die Polizei im Frühjahr 2002 aber von dem Vorfall im Herbst 1996? Sind seine Daten entgegen der Versicherung des Generalbundesanwalts doch nicht gelöscht worden? Wieso steht sein Name auf einer Liste, wie Polizist Senn sagte? Menkel beauftragt seinen Anwalt, darauf Antworten zu finden.

 

Der Jurist schreibt an das Polizeipräsidium in Frankfurt am Main und an das Hessische Landeskriminalamt in Wiesbaden. In mehreren Briefen ersucht er um “Auskunftserteilung über Datenspeicherung gem. § 29 HSOG”; fragt, ob Daten seines Mandanten “in automatisierten und auch in nichtautomatisierten Dateien” gespeichert würden; bittet, “sämtliche Dateien Ihrer Behörde, also schutzpolizeiliche, kriminalpolizeiliche, staatsschutzpolizeiliche, verwaltungspolizeiliche usw. usf.” zu prüfen; spricht konkret jene “Liste” an, die “dann insoweit als Datei – möglicherweise in nichtautomatisierter Form – anzusehen” sei. Das Polizeipräsidium antwortet in Briefen vom 6. und 12. Juni, das Landeskriminalamt in Briefen vom 31. Mai und 8. Juli: Daten von Maik Menkel würden nicht gespeichert.

 

Zwischenzeitlich erkundigt sich Menkels Anwalt beim Polizeipräsidium gesondert zur Gefährderansprache seines Mandanten. In einem Brief vom 18. Juli schreibt der Polizeipräsident: “Die Maßnahme der Gefährderansprache wurde im Vorfeld des 1. Mai 2002 bei Personen eingesetzt, die im Zuständigkeitsbereich meiner Behörde sesshaft sind und bei denen polizeiliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich demonstrativer Veranstaltungen aus der Vergangenheit vorliegen. Es wurden sowohl Personen aus dem linken als auch aus dem rechten politischen Spektrum angesprochen. (… ) Ihr Mandant ist meiner Behörde seit seiner Festnahme anlässlich der Durchsuchung des dem linken Spektrum zuzuordnenden Café Exzess am 27. 9. 1996 bekannt. Zudem befand er sich auch am 1. Mai 2001 in Frankfurt / Main im Kreise der Gegendemonstranten.” Weiter heißt es: “Mit dem so genannten Unterbindungsgewahrsam gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG steht der Polizei eine weitere Möglichkeit zur Verfügung, die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Allerdings wurde von dieser Maßnahme bei meiner Behörde im Vorfeld der Demonstrationen zum 1. Mai 2002 kein Gebrauch gemacht, da es an konkreten personenbezogenen Anhaltspunkten für die unmittelbar bevorstehende Begehung von Straftaten fehlte. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Auskunft das rechtmäßige polizeiliche Handeln im Zusammenhang mit der Demonstration am 1. Mai 2002 transparent gemacht zu haben und bitte um Verständnis für diese, für den Bürger sicherlich nicht gleich nachvollziehbare, aber aus unserer Sicht leider unvermeidliche polizeiliche Maßnahme.”

Auf diesen Brief hin packt Maik Menkels Anwalt die Unterlagen zu dem Fall zusammen und sendet sie an den hessischen Datenschutzbeauftragten. Der Schluss liege nahe, schreibt er, “dass die angefragten hessischen Polizeibehörden dem Betroffenen auf seine detaillierten und expliziten Anfragen falsche Auskünfte erteilt haben. Es liegt weiterhin der Schluss nahe, dass die vorgenannten Behörden geheime Akten / Dateien führen (… ).” Die 1996 aufgenommenen Daten von Menkel seien wohl “nicht so umfassend gecleant worden (… ), wie der Generalbundesanwalt (… ) glauben machen wollte”.

Das Büro des Datenschutzbeauftragten antwortet am 6. August. Aus den beiden Briefen des Polizeipräsidiums ergebe sich “tatsächlich (… ) ein Widerspruch, den ich Ihnen bzw. Herrn Menkel nicht zu erläutern im Stande bin. Nach dem äußeren Anschein muss eine der Auskünfte falsch sein.” Der Datenschützer sagt zu, beim Polizeipräsidium nachzufragen. “Davon unabhängig, werde ich die für solche Gefährderansprachen vorgehaltene Datensammlung in Augenschein nehmen und unter datenschutzrechtlichen Aspekten prüfen.”

Vier Monate danach, am 13. Dezember 2002, legt das Büro des Datenschutzbeauftragten in einem Brief dar, was es zur Sache herausgefunden hat. Das Polizeipräsidium, heißt es darin, habe mitgeteilt,dass Menkels Anwalt keineswegs eine falsche oder widersprüchliche Antwort bezüglich gespeicherter Daten über seinen Mandanten erhalten habe. Wörtlich wird das Polizeipräsidium

zitiert: “Soweit (… ) konkrete Angaben zu einer Festnahme sowie der Teilnahme an einer Demonstration des Herrn Menkel gemacht werden, beruhen diese auf der Erinnerung eines Mitarbeiters des Kommissariats 41, der im Rahmen einer polizeilichen Maßnahme im Café Exzess am 27. 9. 1996 eingesetzt war, bei der Herr Menkel festgenommen wurde. Da der Beamte auch anlässlich der Demonstration am 1. 5. 2001 im Einsatz war, erkannte er Herrn Menkel als Teilnehmer dieser Veranstaltung wieder. Es ist also zutreffend, dass über Herrn Menkel bei meiner Behörde keine Dateien geführt werden. Dies trifft natürlich auch auf die von Ihnen angesprochene Datensammlung für die so genannte Gefährderansprachen zu.”

Menkel sagt: “Es ist unglaubwürdig und absurd, dass ein Beamter sich so etwas über Jahre hinweg merkt. Er verarbeitet seinen Fall zu einem “Hörspiel”, wie er es nennt, das er im Frühjahr 2003 bei einer Veranstaltung linksautonomer Gruppen aufführt. Darin heißt es: “Der Mandant sorgt sich um die Ausstattung einer polizeilichen Behörde, die sich alles im Kopf merken muss, ohne eine einzige Akte über all diese Erkenntnisse anzulegen, ohne eine einzige Notiz, eine einzige Datenspur zu hinterlassen. Der Mandant fragt sich, ob diese kopfgestützte Erfassung von Daten noch zeitgemäß ist. (… ) Der Rechtsanwalt sorgt sich um seinen Mandanten, der nirgendwo eine Akte, eine Notiz wert ist und zur selben Zeit über Jahre im Gedächtnis des Polizeipräsidiums in Frankfurt bleibt (… ). Der Mandant nimmt sich die Zeit, fühlt sich in das Polizeipräsidium hinein und sieht schwitzenden und brütenden Polizeibeamten dabei zu, wie sie aus Gedächtnisleistungen, nicht existenten Akten und Dateien eine wasserdichte Geschichte zusammenzimmern.” Einer Behörde ist Menkel eine Akte, eine Notiz wert: dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz. Auf die Idee, dort nach gespeicherten Daten zu fragen, bringt den Anwalt Menkels das Schreiben des Datenschutzbeauftragten vom 13. Dezember 2002. Diesem gegenüber bestätigt das Polizeipräsidium Frankfurt, es habe zwecks Gefährderansprachen vom Verfassungsschutz “eine entsprechende Liste” bekommen. Die Liste sei vom Verfassungsschutz erstellt. Die Gefährderansprache Frankfurter Personen sei vom Polizeipräsidium “lediglich durchgeführt” worden. Die Liste, so der Datenschutzbeauftragte, führe Namen von Personen aus dem “Rehts-, Links- und Ausländerextremismus” auf, “die nach Einschätzung dieser Behörde für präventiv-polizeiliche Maßnahmen in Frage kommen”.

 

“Da die Liste vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) stammt”, schreibt der Datenschutzbeauftragte weiter, “drängt sich die Frage auf, ob die mit der Übersendung der Liste verbundene Datenübermittlung sowie die dieser Datenübermittlung zu Grunde liegende Datensammlung rechtmäßig sind.” Der Datenschützer kommt zum Ergebnis, dass beides rechtens ist. Das Sammeln der Daten entspreche Paragraf 2 Absatz 2 des LfV-Gesetzes: “Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die

Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben (… ).” Das Übermitteln der Daten an das Polizeipräsidium sei von Paragraf 11 LfV-Gesetz gedeckt. In einem weiteren Brief an Menkels Anwalt vom März 2003 schreibt der Datenschutzbeauftragte: “Das Trennungsgebot gilt nicht absolut. (… ) Aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sind gesetzlich normierte und den Anforderungen an Transparenz und Erforderlichkeit genügende Informationsbeziehungen. Dies ist bei § 11 des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz der Fall.”

 

Die Liste vom Verfassungsschutz, die dem Polizeipräsidium zugekommen ist, wertet die Polizei nicht als eigene Dateien. Der Datenschutzbeauftragte auch nicht: “Dass die Daten in einer Liste aufgeführt sind, widerspricht nicht der Aussage, dass sie nicht in staatsschutzpolizeilichen Dateien gespeichert sind.” Maik Menkel sagt: “Das Polizeipräsidium will nur die Verantwortung weitergeben.” Sein Anwalt sagt: “Wenn das Polizeipräsidium diese Liste hat, muss man das als gespeicherte Datei verstehen.”

Eine Anfrage von Menkels Anwalt beim Verfassungsschutz beantwortet das Landesamt am 4. Februar 2003 mit der Auskunft, Menkel sei “datenmäßig erfasst”. Es schreibt unter Berufung auf den oben zitierten Satz aus Paragraf 2 LfV-Gesetz: “In diesem Zusammenhang ist Herr Maik Menkel im Bereich des Linksextremismus in Erscheinung getreten. Er ist als Aktiver der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe seit längerem bekannt.”

Am 24. Februar schreibt der Anwalt an den Verfassungsschutz: “Aus der von Ihnen mitgeteilten Erkenntnis, Herr Menkel sei als Aktiver der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe seit längerem bekannt, erschließt sich in Zusammenhang mit der Erstellung der Liste weder für unseren Mandanten noch für mich ein Zusammenhang. Ich nutze gleichzeitig die Gelegenheit, Ihre Datenbestände über unseren Mandanten dahingehend zu aktualisieren, dass in dem im Juli 2001 erschienenen Buch der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe (…) deren Auflösung bekannt gegeben worden ist. Die Löschung der insoweit veralteten Datenbestände bezüglich unseres Mandanten wird hiermit beantragt.”

Der Verfassungsschutz schreibt am 3. März: “Die Löschung von personenbezogenen Daten erfolgt spätestens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Stellvertreter trifft im Einzelfall eine andere Entscheidung (… ). Dies wird, wie in anderen Fällen, auch bei Herrn Menkel so durchgeführt.”

 

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