Eine Start- und Landebahn für den militanten Widerstand?

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Eine Start- und Landebahn für den militanten Widerstand?
Eine von vielen Geschichten aus der Startbahnbewegung

Wenn im Folgenden von ‚wir‘ die Rede ist, dann ist damit kein homogenes ‚wir‘ gemeint. Vielmehr hat sich der Autor in den ca. fünf Jahren, auf die im Folgenden zurückgeblickt werden soll, in vielen ‚wir’s‘ bewegt. Das ‚wir‘ kann für sich also nur einen gemeinsamen Prozess, einen Blickwinkel auf die Startbahnbewegung in Anspruch nehmen.

Anfang 1980 sah die politische Situation in Frankfurt wahrlich deprimierend aus. Die Sponti-Szene hatte sich zu dieser Zeit fast komplett parlamentarisiert. Sie war für uns kein Ausgangs- oder gar Bezugspunkt mehr. Auch die militanten Zusammenhänge, die sich dieser Entscheidung verweigerten, waren für uns nicht greifbar. Einzig und alleine das ‚Erbe‘ des Häuserkampfes 1970-74 hatte für uns noch eine gewisse Ausstrahlung.
Wir mussten bei Null anfangen

und entschieden uns für Stadtteilarbeit, um die Bedingungen für einen möglichen Häuserkampf auch in Frankfurt zu schaffen. Die ersten erfolgreichen Hausbesetzungen in Berlin gaben uns dazu Hoffnung, auch wenn wir gar nicht wussten, wie wir das in Frankfurt umsetzen sollten.


Wir beschäftigten uns mit der Geschichte der Stadtzerstörung, mit den damaligen Umstrukturierungsplänen der SPD, mit den Stadt-Politiken der CDU. Wir machten Stadtteilbegehungen, listeten die leer stehenden Häuser auf, versuchten die Hintergründe ausfindig zu machen. Makabererweise stützten wir uns dabei auf dieselben Listen der AG Westend, die bereits den HäuserkämpferInnen in den 70er Jahren gute Dienste leisteten. Wir verteilten Flugblätter, die über MieterInnenrechte aufklären sollten, wir machten kleine Aktionen im Stadtteil. Den Schritt hin zu einer Hausbesetzung wagten wir jedoch noch nicht. Schließlich geisterte seit den 70er Jahren eine inoffizielle städtische Direktive herum, bei jeder Hausbesetzung sofort zu räumen.
Wir wussten nicht, wie anfangen, wie weitermachen und malten – in aller Öffentlichkeit und mit peinlicher Ratlosigkeit – Fahrradwege. Wir wollten unsere Handlungsunfähigkeit, das Gefühl von Ohnmacht überwinden. Einfach irgendwo anfangen – statt dem großen Kuchen, kleine Brötchen backen. Nach einer dieser Aktionen wurden wir auch prompt von Polizeibeamten in einer Kneipe festgenommen und von der Frankfurter Rundschau in einem anschließenden Bericht milde und verständnisvoll in Schutz genommen.
1979 wollte die NPD in Frankfurt, auf dem Römer, ihr ‚Deutschlandtreffen‘ abhalten. Das führte zum ersten Mal seit langem zu einer recht großen Mobilisierung. Trotz generellen Demonstrationsverbotes wurde der Römer von uns besetzt. Über 5.000 Leute beteiligten sich daran, und die Polizei provozierte mit einer brutalen Räumung stundenlange Straßenschlachten im gesamten Innenstadtbereich. Es wurden Barrikaden gebaut und manchmal sogar gehalten. Genug Stoff, um ein Jahr später daran anzuknüpfen.
Als 1980 die NPD und die CDU-Regierung dasselbe Spektakel zu wiederholen drohten, waren die ‚Spontis‘ und ihr um sich gesammeltes kulturelles und politisches Kapital schnell und mittlerweile professionalisiert zur Stelle. Sie wollten dieses kleine Pflänzchen ‚Widerstand‘ sofort ausgraben und mit einem riesigen Rock gegen Rechts-Festival auf dem Rebstock-Gelände, also weit außerhalb der Stadt, ersticken.
Wir dagegen wollten in der Stadt bleiben, weder auf die Nazis starren, noch irgendwo kulturell abgefüllt werden. Am 15.6.1980, also ein Tag bevor das Festival beginnen sollte, besetzten wir die Siesmayerstraße 2-4:

Wir wenden uns auch und gerade an jene, die anlässlich des Rock gegen Rechts Festivals in Frankfurt sind. Denn für uns fängt antifaschistischer Widerstand da an, wo Rock gegen Rechts endet. Mit uns ist kein Staat zu machen – Mit uns ist diese Stadt nicht zu machen.“ (Besetzerinnenflugblatt)

 

 

Angesichts der unruhigen Stimmung in der Stadt verzichtete die Polizei auf eine sofortige Räumung. Damit schlugen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir besetzten ein Haus zu einer Zeit, die sich für eine Räumung nicht gerade anbot und wir setzten dem Rock gegen Rechts- Spektakel etwas entgegen.
Auch wenn die Polizei mit Sondereinsatzkommandos fünf Tage später das Haus räumte, so blieb doch eine Stimmung zurück, die weitere Hausbesetzungen möglich machte. Gleichzeitig fanden zum ersten Mal wieder Plenen statt, in denen die verschiedenen Vorstellungen und Ideen zusammengetragen wurden.
Trotz der vielleicht zehn bis fünfzehn Hausbesetzungen zwischen 1980 und 1981 blieb die HausbesetzerInnenszene eher marginal. Wir schafften es nie, mehr als 150 – 200 Leute für Hausbesetzungen und andere Ereignisse zu mobilisieren. Sehr oft waren solche Vorhaben so schlecht und dilettantisch vorbereitet, dass man für ihr Scheitern nicht einmal die Polizei brauchte. Das sinnlose Herumstehen, das Nicht-wissen-was-jetzt-tun schreckte mehr als einmal ab. Ganz zu schweigen von der ‚Verankerung‘ im Stadtteil. Meist wurde weder davor, noch danach das drum herum, die BewohnerInnen, wahrgenommen. Auch wir hörten bald mit der ‚unspektakulären‘ Stadtteilarbeit auf und verausgabten uns in den vielen Ereignissen, die für Schlagzeilen und Aufregung sorgten. Der neidische Blick nach ‚Berlin‘, nach ‚Freiburg‘ setzte Maßstäbe, denen wir nur selten gerecht werden konnten. Auch wenn uns der analytische Blick für einen solchen Aktionismus nicht fehlte, so war doch allzu oft der Reiz, die Verhältnisse zu überspringen größer, als den klugen Einsichten – mit langem Atem – zu folgen.

Als ein begeisterter Fußballfan aus unserer Gruppe in einem unserer Treffen einwarf, dass demnächst das Länderspiel Argentinien-Deutschland im Frankfurter Waldstadion stattfindet und wir die Gelegenheit nutzen sollten, etwas gegen die dortige Militärdiktatur zu machen, waren wir schnell dabei, den Ball aufzunehmen. In kürzester Zeit entwickelte sich die Idee zum Plan, in der Nacht vor dem Länderspiel ins Frankfurter Waldstadion einzudringen und mit Abbeizlauge eine so große Parole in den Rasen zu ätzen, dass es unmöglich ist, diesen ‚Schandfleck‘ im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bild zu bekommen. In unserer Phantasie stellten wir uns vor, dass Millionen von ZuschauerInnen in Argentinien vor den Fernseher sitzen, die Live-Übertragung verfolgen und sich von irgend jemand, der deutsch kann, erklären lassen, dass die Parole im Rasen eine Protestaktion gegen die argentinische Militärdiktatur zum Ausdruck bringen soll. Diese Vorstellung beflügelte nicht nur uns, sondern begeisterte auch noch einige andere. Der Plan weitete sich zu einem größeren Unternehmen aus, an dem sich schließlich 10-12 Personen beteiligten. Unsere Erkundigungen ließen uns an diesem Plan nicht zweifeln, denn zu unserer Überraschung wurde das Stadion nachts nicht bewacht und die Zäune stellten wahrlich kein Hindernisgrund dar.
Spät in der Nacht vor dem geplanten Länderspiel sammelten wir mit einem geschlossenen Ford Transit alle TeilnehmerInnen dieser Aktion ein und fuhren eng zusammen gedrängt zum ausgemachten Treffpunkt. Eine Polizeistreife zwang uns zwar dazu, noch eine Runde zu drehen und den Atem anzuhalten, doch der Schreck war schnell überwunden. Zur abgemachten Zeit waren wir komplett und machten uns auf den Weg ins Stadion. Wir schlichen uns an den Übertragungswagen einiger Fernsehsender vorbei, vergewisserten uns, dass diese ohne Besatzung auf ihren Einsatz warteten und schlüpften durch ein Loch im Zaun, das nachts zuvor präpariert wurde. Alles lief wie geplant und erwartet, nur eines nicht: in dieser Nacht tauchte die Flutlichtanlage das gesamte Stadion in gleißendes, helles Licht. Von einer typischen Nachtaktion konnte nun nicht mehr die Rede sein. Was vorher ein Grund gewesen wäre, von der Durchführung dieser Aktion abzulassen, war jetzt nur ein ungünstiger Umstand, den man ganz schnell vergessen musste. Wir verständigten uns kurz und zwängten uns durch den Zaun. Über die Tribünenplätze stiegen wir hinunter ins Stadioninnere, hielten uns an den Plan, die Aufgabenverteilung und Gruppeneinteilung – und ließen der Angst keinen Spielraum, uns einzuholen. Eine Gruppe hatte eine große Leiter dabei, stellte diese an die Anzeigetafel und sprühte eine Parole darauf. Eine andere Gruppe fing auf der Höhe der Mittellinie damit an, mit Abbeize große Buchstaben in den gepflegten Rasen einzugravieren. Eine dritte Gruppe versah die rund um den Rasen angelegte Tartanbahn mit weiteren Anmerkungen zum Stand der deutsch-argentinischen Freundschaft. Jede Gruppe hatte dafür 15 Minuten Zeit. Die Vorstellung, die sich ab und an doch ins rege Tun einschlich, von jeden beliebigen Ort aus, gesehen zu werden, trug dazu bei, dass sich alle an die Absprachen hielten und wir gemeinsam und planmäßig den Rückzug antraten.
Wir waren von unserer Aktion mehr als begeistert. Die meisten von uns hatten zwar von einer solchen »Nacht«-Aktion schon oft geträumt, aber noch nie in die Tat umgesetzt. Um so größer war die Enttäuschung, als wir tags darauf, während der Live-Übertragung so gut wie nichts mehr davon sahen. Die Anzeigetafel war gereinigt, die Tartanbahn wurde mit Plastikplanen abgedeckt und ziemlich fassungslos schauten wir –immer und immer wieder- auf das große Stück Rasen, rechts von der Mittellinie, um irgendetwas zu entdeckten, was noch auf unsere Aktion hinwies. Die Stadionverwaltung hatte kübelweise Sand über den verätzten Rasen ausschüttet, und da in diesem freien Land kein Wort in der Berichterstattung über unsere Aktion fiel, blieben wir die einzigen, die sich erklären konnten, warum die Fußballspieler mit solch widrigen Umständen zu kämpfen hatten.
Auch wenn uns die öffentliche Anerkennung für eine solch gut organisierte Aktion verweigert wurde, ermutigte uns diese Erfahrung immer wieder dazu, ähnliche Aktionen in Angriff zu nehmen und diese als Teil unserer politischen Praxis zu begreifen.

Ein Jahr später begannen die Räumungen der wenigen besetzten Häuser, Wohnungen und des einzigen Fabrikgeländes (›Intercity Nied‹). Sie führten weder zu einer Mobilisierungs- noch Sympathisierungswelle, sondern zum absehbaren Ende der mehr ausgeliehenen, als erlebten zweiten Häuserkampfära in Frankfurt. Hinzu kam eine Repressionswelle, die uns in eine Dimension stellte, die wir nie und nimmer ausfüllen konnten:

»Es war klug durchdacht! Ein Riesenaufgebot von Polizisten rückte an. Alle glaubten, es gehe ausschließlich um das besetzte Bundesbahnwerk in Nied. Während die Räumung begann, führten Anti-Terror-Spezialisten einen Schlag gegen mutmaßliche ›RAF-Helfer‹ – gegen den ›Schwarzen Block‹. 1.000 Beamte waren unterwegs. Sie durchkämmten (auf richterlichen Beschluss) 40 Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet. Ihr Auftraggeber: Generalbundesanwalt Rebmann.« (BILD vom 29.7.1981)

 

 

Aus dem kleinen, bunten, wahrlich chaotischen und meist lähmend – planlosen Haufen formte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes eine straff organisierte, schlagkräftige und gefährliche Gruppe: den »Schwarzen Block«. Gegen mehrere angebliche Mitglieder wurde wegen des »Verdachtes der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a)« Haftbefehl erlassen: »Im Mai 1980 wurde in Frankfurt/M eine Gruppe gebildet, die von ihren Mitgliedern als ‚Schwarzer Block‘ bezeichnet wird. Zu dem Zielen der Gruppe gehörte es, die gegenwärtig bestehenden Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland durch Terrorakte zu bekämpfen.« (zitiert aus: 1 BJs 324/81 vom 23.7.1981)
Neben eher bescheiden Bemühungen, die Verhafteten zu unterstützen und einer Demonstration von ca. 2.000 »Mitgliedern des Schwarzen Blockes« blieb nur noch blanke Ironie:

»Sehr geehrter Herr Rebmann,

Wir waren bis heute bester Laune und versuchten unseren Urlaub mit fetziger Reggaemusik bei strahlender Sonne schwarz gebräunt zu genießen. Doch die Schlagzeilen der letzten Tage holten uns jäh in den Frankfurter Alltag zurück. Uns plagte bereits im Flugzeug die quälende Frage, ob unsere Bemühungen in den letzten Jahren, Öffentlichkeit herzustellen, nun endgültig in falsche – sprich Ihre – Hände geraten ist.
Wir sehen uns nun geradezu genötigt, dazu unwiderruflich Stellung zu nehmen.
Der Streit unter uns geht ja nun bereits ins zweite Jahr, wie wir uns selbst als Schwarzer Block begreifen können. Nun ist es Ihnen gelungen, eine für uns entscheidende Wende einzuleiten. All den Knatsch können wir nun begraben und uns ganz auf Ihre hervorragende Definitionsgabe stützen: Der Schwarze Block ist schwarz, weil schwarz gekleidet, er ist ein Block, weil – das Wort lässt es schier erahnen – er geschlossen auftritt.
Bleiben wir für Augenblicke bei dieser Ihrer intelligenten Farben- und Mengenlehre. Sie müssen den schwarzen Faden verloren haben. Denn was kann Ihrer Meinung nach der Schwarze Block mit der Roten Armee Fraktion gemein haben? Beißen sich da nicht die Farben? Hätte es nicht näher gelegen, uns in einem Atemzug mit dem Schwarzen Freitag, dem Schwarzen September oder Black Panther in Verbindung zu bringen?
Für die entsprechenden Kontaktadressen wären wir Ihnen selbstverständlich dankbar.
In Feuer und Flamme                        Ihr Schwarzer Block.«

(Offener Brief vom 28.7.81)

Da weder die Verhafteten noch diejenigen, die erschreckt, eingeschüchtert und/oder sich geschmeichelt fühlten, den hohen Erwartungen gerecht werden konnten, löste sich der ‚Schwarze Block‘ in alle Windesrichtungen auf: »Ende letzter Woche erschienen in Frankfurt Aufkleber: Wir sind in Urlaub, der Schwarze Block grüßt aus Mallorca.« (Spiegel Nr. 32/1981)

Mit einem blauen Auge davongekommen, verfolgten wir die Ereignisse rund um die geplante Startbahn. Auf der einen Seite schauten wir abschätzig auf diesen ‚gewaltfreien‘ Protest, der die längst verlärmte und mit Kerosin getränkte Idylle, den (Stadt-)Wald verteidigen wollte. Auf der anderen Seite schauten wir neidisch auf die Massen von Bürgerinnen und Bürger dieser Region, die dieser Protest mobilisieren konnten. Massen, die wir gerne im Häuserkampf auf unserer Seite wissen wollten, aber nie hatten. Mit diesem geringschätzigen und ganz und gar nicht analytischen Blick verfolgten wir den Countdown, der sich anbahnte. Aus dieser Haltung heraus waren wir weder Teil der BI-Strukturen, noch nahmen wir an den Diskussionen teil, die den ersten bevorstehenden Rodungsarbeiten vorausgingen. Mit einer gewissen Arroganz gingen wir davon aus, dass das von der BI beschlossene Konzept des gewaltfreien, aber aktiven Widerstandes an der Realität scheitern würde. Erste Gelegenheit bot dazu der angekündigte Baubeginn auf dem bereits gerodeten Sieben ha-Gelände. Die BI rief am 4.10.1981 zur Bauplatzbesetzung auf – und auch wir kamen. Wir hatten zwar andere Vorstellungen von Widerstand im Kopf. Doch weder selbst, noch in Zusammenarbeit mit anderen GegnerInnen des BI-Konzeptes, unternahmen wir die Anstrengung, ein anderes Konzept zu formulieren und sichtbar zu machen. Ganz praktisch füllten wir das gewaltfreie Konzept mit aus, immer um den kleinen Vorsprung bedacht, das Scheitern vorauszusehen. Die Räumung des Hüttendorfes am 2.11.1981, die ersten Auseinandersetzungen mit der Polizei im Wald, zogen uns zwar immer mehr dorthin. Doch nicht wir, sondern das Vorgehen der Polizei entzog Tag für Tag, dem gewaltfreien Konzept die Basis. Wie wenig unsere Vorstellungen von Militanz und Gegen-Gewalt Hand und Fuß hatten, wurde uns nur ein Tag später, am 3.11.1981, in Frankfurt vor Augen geführt. Zwar trugen wir damit den Startbahn-Protest in die Stadt und lösten die Fixierung auf den Wald. Doch damit waren wir auch schon an die Grenzen unserer Möglichkeiten angelangt. Als der Demonstrationszug in die Rohrbachstraße einbog, riegelte die Polizei vorne und hinten ab. Sondereinsatzkommandos machten nun minutenlang Jagd auf fluchtunfähige DemonstrantInnen. Mehrere Schwerverletzte waren die Folge dieses geplanten polizeilichen Exzesses.

Nur ein paar Tage später, am 7.11.1981, folgte der berühmt gewordene »Nacktensonntag« an der Startbahn. Die Wut war groß, die Mobilisierung unglaublich erfolgreich: Etwa 30.000 demonstrierten im Wald gegen die Hüttendorfräumung und gegen die Polizeiexzesse. Dazwischen Nato-Drahtrollen, die quer durch den Wald gingen. Und wieder standen wir mit nicht viel mehr da als Wut, d.h. ein paar Seitenschneidern und Handschuhen, vor den mehrfach gestaffelten Polizeiketten. Ohne eigenes Konzept, ohne eine Koordinierung mit anderen Gruppen, warteten wir – letztendlich – auf BI-Durchsagen. In einem kafkaesken Akt der Gewaltfreiheit überschritten Mitglieder aus dem Kreise der BI, mit nacktem Oberkörper und erhobenen Händen, die Nato-Drahtrollen, um auf der anderen Seite sinnlose Verhandlungen zu führen. Das Ergebnis war beschämend und abzusehen: »Man wolle über einen Baustopp reden«, so ein BI-Vertreter, über den Lautsprecherwagen der Polizei. Wie zum Hohn verkündete die Polizei anschließend noch die Fußball-Bundesligaergebnisse. So sehr wir auch verschaukelt wurden, so handlungsunfähig waren wir auch.
An diesem Verhältnis, an dieser Rollenverteilung änderte sich im Großen nichts. Auch nicht in den folgenden Jahren. Die BI machte Politik, leitete das von uns abgelehnte Volksbegehren ein, während wir, im Zuge der begonnenen Sonntagsspaziergänge, mehr und mehr das Vorgehen rund um die Mauer bestimmten. Dazu gehörten sowohl Aktionen gegen die Mauer selbst, als auch nächtliche Aktionen gegen Baufahrzeuge und Lichtmasten hinter der Mauer. Ganz allmählich erweiterte sich der Aktionsradius und immer mehr Sabotageaktionen gegen Baufirmen und Flughafenbetreiber ließen vage Umrisse eines militanten Konzeptes aufscheinen. Dennoch wäre es falsch, von einem koordinierten und politisch eingebundenen Konzept zu reden.

Im Gegenteil: Bis zur Einweihung der Startbahn am 14.4.1984 existierte keine autonome Organisierung. Im besten Fall beteiligten sich einzelne an den Diskussionen über das weitere Vorgehen innerhalb der BI-Strukturen und der dazu durchgeführten Vollversammlungen. Zwar zog sich mit dem Scheitern des Volksbegehrens de facto das gesamte Parteienspektrum (von CDU bis hin zur DKP) aus der BI-Zusammenarbeit zurück, doch die großen Lücken, die damit entstanden, wurden nicht durch unsere Teilnahme geschlossen. Anstatt unsere Vorstellungen und Ideen in der Auseinandersetzung mit den übrig gebliebenen BI-Strukturen zu überprüfen oder gar andere Organisationsstrukturen anzubieten, blieben wir politisch (mit ein paar Ausnahmen) unsichtbar und weitgehend unter uns. Wirklich politische und organisatorische Verantwortung für die Startbahnbewegung übernahmen wir erst mit der bundesweiten Mobilisierung gegen die Einweihung der Startbahn.

Im August 1983 veröffentlichte die RZ ein sehr langes und beachtlich detailliertes Papier: »Die Bewegung gegen die Startbahn West.«
Darin kommen sie politisch zu einer sehr ähnlichen Zwischenbilanz: »Der Begriff der Gewaltfreiheit ist nie politisch und offensiv diskutiert worden.« (Die Früchte des Zorns, S.424). Das hatte zur Folge, dass »es weitgehend bei einem sich akzeptierenden Nebeneinander geblieben ist. Es ist nicht gelungen – und auch kaum versucht worden – von der Duldung der Vielfalt zu einer politischen Auseinandersetzung und Verbindung der verschiedenen Teile und Strömungen zu kommen.« (S. 411)
Die Nichtanwesenheit in der politischen Auseinandersetzung innerhalb der Startbahnbewegung und –strukturen, das Fehlen eines politisch und fassbaren Gegenkonzeptes ließ zurecht nur die Konsequenz zu, dass militante Ansätze als politischer Katalysator so gut wie ausfielen: »Den Linksradikalen der Region ist es nicht gelungen, diese Funktion zu übernehmen. Sie haben es kaum versucht oder konnten es auch nicht (objektiv gesehen). Die politische Praxis zeichnete sich vor allem durch plakative Verbalradikalität aus, die Militanz theoretisch für sich beanspruchte. Die Einlösung dieses Anspruches bereitete enorme Probleme, was sich im Verlauf der Auseinandersetzungen in einer höchstens ansatzweisen Umsetzung ausdrückte.« (S.424)
Viele fanden dieses Urteil arrogant, überheblich, gemein – und unsolidarisch. Sicher, man hätte es einfühlender beschreiben können. Am Kern dieser berechtigten Kritik hätte das nichts geändert.
Das Problem an dem RZ-Papier ist – aus heutiger Sicht – ein ganz anderes. Gerade wenn man ihre Kritik teilt, fährt die RZ mit ihren Konsequenzen die zuvor richtige politische Kritik mit atemberaubend – hohem Tempo über den Haufen:
»Die Aktionen der Revolutionären Zellen im Frankfurter Raum haben in den letzten Monaten in beispielhafter Weise die ökonomische und politische Struktur der Startbahnbauer, der Baufirmen Bratengeier, Bilfinger & Berger, Holzmann, Züblin, das hessische Wirtschaftsministerium, Flugsicherungsanlagen usw. angegriffen. Neben den Auseinandersetzungen im Wald, den Demos in den Städten hat der Widerstand gegen die Startbahn West mit solchen Aktionen auch die politische Initiative behalten.«
(Die Früchte des Zorns, S.459)

Das Problem der Militanten an der Startbahn war jedoch nicht der Umgang mit den Möglichkeiten von Sabotage. Bis 1983 wurde eine Unzahl solcher Aktionen durchgeführt.

Diese, wenn auch bescheidene Praxis existierte, meist in Kleingruppen, die nichts oder wenig voneinander wussten. Ein wenig großspurig könnte man sagen, dass das RZ-Konzept von der Kleingruppen-Militanz in Ansätzen aufgegangen ist, die dort zugänglich gemachten Erfahrungen Eingang gefunden hatten. Das viel dringlichere Problem war die fehlende politische Auseinandersetzung untereinander, der ausgebliebene Versuch, diese Praxis in ein politisches Konzept einzubinden und mit diesem in den Diskussionen um das weitere gemeinsame Vorgehen zu überzeugen. Genau auf dieses Dilemma gaben die Anschläge auf Baufirmen etc. keine Antwort. Im Gegenteil: Sie machten sich damit zum Gegenstand ihrer eigenen politischen Kritik: »Der Ausdehnung und Festigung des Kleingruppenkonzepts und einer großen Akzeptanz militanter Aktionen steht auf Massenebene das Fehlen eines politische Pendants gegenüber.« (S.448)
Nicht minder unernst ist die Einschätzung, mit dieser Anschlagsserie die »politische Initiative behalten« zu haben – wenn die RZ zuvor zurecht bemängelt, dass wir sie zu keinem Zeitpunkt hatten.
Auf niedrigerem Niveau holte die RZ mit dieser Antwort etwas ein, was sie in der Selbstkritik an der Karry-Aktion so treffend beschrieben hat: »Der Trugschluss, die organisatorischen und politischen Unzulänglichkeiten der Bewegung wie des eigenen Selbstverständnisses durch Entschlossenheit ersetzen zu können, charakterisiert sich sowohl durch eine verhängnisvolle Tendenz zum Militarismus, als auch durch ein zwar begründetes, in dieser Form aber praktisch und inhaltlich falsches Endzeitbewusstsein.« (S.446).
Die RZ wollte dieses Papier als »Zwischenbilanz« verstehen wissen. Tatsächlich endete das uneheliche Verhältnis zwischen ihr und den militanten Teilen der Startbahnbewegung genau hier.

Die italienische Genossin Sandra Schiaffi aus der damaligen ›movimento femminista‹ wurde in einem Gespräch über die autonome Bewegung gefragt:

»Wie war in den 70er Jahren das Verhältnis zwischen der Frauenbewegung und der autonomia?«
»Ich würde sagen: es war in der Hauptsache ein sexuelles

Mit so vielen erotischen Gefühlen kann ich nicht zurückblicken. Dafür standen uns zu viele Eifersüchteleien und Unachtsamkeiten im Weg. Und wie in vielen Beziehungen erkennt man manchmal ihren Wert und ihre Bedeutung erst dann, wenn man sich getrennt hat.

Auszug aus dem Buch: Die Hunde bellen …Von A bis (R)Z. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Unrast-Verlag, 2001

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5 Kommentare

  1. Hallo Wolf,

    vieles von dem was du hier zur Startbahn scheibst, kann ich unterschreiben, auch wenn ich 1980/81 nicht in autonomen, sondern in Frankfurter Stadtteil-BI-Strukturen aktiv war.
    Den Nackten-Samstag (!) habe ich weitgehend so in Erinnerung, wie du ihn beschreibst: Als Niederlage und Demütigung. Allerdings haben zumindest die meisten Frankfurter BI-LerInnen dies ebenso gesehen. Wir sind mit “Scheiße”-rufen aus dem Wald gegangen und die Kritik auf der Frankfurter Delegierten-Konferenz am folgenden Montag war fast allgemein. Auch in der Gesamt-BI gab es überwiegend Kritik am Nackten-Samstag. Du machst das Verhalten des KO-Gremiums (viele in der BI sprachen damals von einem “Putsch”) zur Sache “der” BI, was von außen vielleicht so ausgesehen haben mag, den internen Diskussionen aber nicht gerecht wird.
    Die Polarisierung in deinem Text, hier gewaltfreie BIlerInnen und dort zuwenig organisierte aber entschlossene Autonome, entspricht nicht meinen Erfahrungen. In den Stadtteil-BIs organisierten sich militante wie gewaltreie GegnerInnen der Startbahn West, alte und junge, Menschen mit viel und wenig politischer Erfahrung.

    Das Volksbegehren gegen die Startbahn West wurde nach langen Diskussionen im Frühsommer 1981 offiziell gestartet (also keineswegs nach der Hüttendorfräumung, wie es in deinem Text scheint). Abschlußpunkt der 1. Phase sollte von Anfang an die Demonstration am 14. November in Wiesbaden sein, bei der auch die ca. 220.000 Unterschriften übergeben werden sollten. Diese Mobilisierung nach der Räumung des Hüttendorfes zu stoppen wäre kaum möglich und ein Fehler gewesen (unabhängig davon, wie mensch zur Idee des Volksbegehrens damals stand oder heute steht). Ca. 150.000 Menschen beteiligten sich daran und dies war ein Pfund, mit dem mehr hätte gewuchert werden können, die aber in der unseligen Diskussion über die schlecht vorbereitete (das meine ich mehr inhaltlich als praktisch) und deshalb politisch gescheiterte Flughafenblockade unterging.

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