Als Günter Korbmacher, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht in Berlin, die 50 Meter Fußweg von seiner Wohnung in Lichterfelde zur Garage geht, rasen zwei Vermummte auf einem Yamaha-Motorrad heran. „Hände hoch“, schreit der Sozius, zieht eine Pistole vom Kaliber 22 und schießt. Zwei Kugeln zerfetzen Korbmachers linken Unterschenkel. Die Attentäter entkommen unerkannt.
Der Anschlag auf den Richter geschah am 1. September 1987. Zehn Monate zuvor war auf Harald Hollenberg, den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, geschossen worden.
Zu den Terrortaten bekannten sich die Revolutionären Zellen (RZ).
Nach nunmehr 13 Jahren glaubt die Bundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe zwei Planer und Vollstrecker der Berliner RZ-Verbrechen zu kennen: Sabine Eckle und Rudolf Schindler.
Beide lebten in den vergangenen Jahren ein unscheinbares bürgerliches Leben in der Main-Metropole Frankfurt. Vorvergangenen Sonntag verhafteten Bundesanwälte Eckle und ihre mutmaßlichen Berliner Komplizen Axel Haug und Harald Glöde. Eckles Freund Schindler sitzt bereits seit dem 13. Oktober in Haft.
Dabei sind den Terroristen-Jägern nicht ein paar verrentete Uralt-Radikale ins Netz gegangen – offenbar steht die gesamte RZ vor der Enttarnung. Es waren Gefängnisbeichten, die den einmaligen Fahndungserfolg ermöglichten.
Plauderer Nummer eins: der 1998 gefangene Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein. Der beim mörderischen Anschlag auf die Wiener OPEC-Konferenz 1975 beteiligte Klein führte die Polizei auf die Spur des gelernten Drehers Schindler. Der 57-Jährige mit dem RZ-Namen „Philipp“ soll Klein („Angie“) für das Wiener Attentat rekrutiert, Wohnungen angemietet und das OPEC-Büro ausspioniert haben.
Plauderer Nummer zwei: der Deutsch-Palästinenser Tarek Mohamad Ali Mousli. Der 40-jährige Karatekämpfer – Träger des sechsten Dan und Berliner Verbandstrainer – war am 23. November in Berlin verhaftet worden. Mousli stand zunächst „nur“ im Verdacht, Sprengstoff gehortet zu haben, der für mehrere RZ-Anschläge, unter anderem auf die Berliner Siegessäule 1991, verwendet wurde. Inzwischen gilt der Fighter auch als mitverantwortlich für die Schüsse auf Korbmacher und Hollenberg. Der verhaftete Mousli packte aus und belastete Schindler und dessen Freundin Eckle (Kampfname „Roxy“) schwer.
Das hessische Gangsterpaar Schindler/Eckle lebte, den neuen Ermittlungen zufolge, zumindest von 1985 bis 1990 unter falschem Namen in Kreuzberg, unweit vom „MehringHof“. In dem linken „Projektzentrum“ sitzt Eckles Schwager Hans B. im Verwaltungsrat. Im „MehringHof“ lernten die beiden Mousli kennen. Der Karatefreak trainierte dort in einem Fitness-Raum. Im „MehringHof“ arbeitete Axel Haug, 49, als „geschäftsführender Hausmeister“; Harald Glöde, 51, war Mitbegründer der dort untergebrachten Forschungsgesellschaft Flucht und Migration. Auch Haug und Glöde, der untergetauchte RZler finanziert haben soll, wurden bei der mit 1000 Polizisten durchgeführten Razzia verhaftet.
Laut GBA war Sabine Eckle die Pistolen-Lady bei den Beinschuss-Attentaten auf Korbmacher und Hollenberg. Zweimal half ihr Mousli, einmal war Glöde dabei. Schindler, Sprengstoffexperte und „Instruktor“, soll Drahtzieher gewesen sein.
Die Legende von den im ganzen Land verteilten RZ-Filialen, betrieben von autarken Feierabend-Terroristen, ist wohl erledigt. Bundesanwalt Peter Morre: „Das hat zweifellos eine höhere Qualität. Die Rolle Schindlers hat mich elektrisiert.“
Jahrelang hatte die RZ größten Wert auf „Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit der Militanten“ gelegt. Am „Prinzip der selbständigen Widerstandszellen“, so höhnten die Verächter des RAF-Zentralismus, würden sich „die Bullen erfolglos die Zähne ausbeißen“. Längst jedoch hatten die Fahnder den Verdacht, dass hinter den immerhin 186 RZ-Attentaten auch bundesweit aktive Terror-Manager stünden. In einem vertraulichen Bericht notierte das Bundeskriminalamt schon 1992, ein „enger zu begrenzender Personenkreis“ knüpfe bei der RZ „weitreichende logistische wie auch personelle Verbindungen“. Nur die Namen fehlten.
Seit den Razzien in Berlin und Frankfurt ist nichts mehr, wie es war. Als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft legte Mousli ein umfangreiches Geständnis ab und verpfiff 50 Genossen des „klandestinen Kampfes“.
Eva Schübel, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, hofft auf „weitere Festnahmen“. Glödes Anwältin Silke Studzinsky: „Zum Jahresende läuft die Kronzeugenregelung aus. Deshalb macht Karlsruhe Dampf.“ Auch ihrem – schweigenden – Mandanten habe man die Kronzeugenschaft angeboten.
Mit den plappernden Ex-Kombattanten stirbt auch der RZ-Mythos der populären Guerilleros, die das vom Imperialismus geknechtete Volk zum „Klauen, Plündern, Schwarzfahren, Häuserbesetzen, Volksstrombenutzen und Krankfeiern“ aufriefen und den „politischen Mord“ als „Mittel revolutionärer Politik“ ablehnten.
Gerade im Mordfall Heinz Herbert Karry hoffen die Fahnder nun auf neue und entscheidende Indizien. Der hessische Wirtschaftsminister (FDP) war 1981 in seinem Haus in Kassel von unbekannten RZ-Terroristen angeblich aus Versehen erschossen worden. „Auch wenn es noch keinen direkten Hinweis auf Karry gibt, ist der Fall wieder auf der Tagesordnung“, so Schübel vorsichtig.
Sabine Eckle und Rudolf Schindler müssen sich in jedem Fall auf eine lange staatliche Betreuung einrichten. Die Haftprüfung bestätigte die Haftbefehle.
Eckles Mutter Elise ist nur noch erschüttert: „Meine Tochter war zwölf Jahre verschwunden. Vor neun Jahren tauchte sie wieder auf. Über die Zeit davor haben wir nie gesprochen. Doch jetzt muss sie reden.“
DER RZ-BOSS IM DIENSTE DES TERRORISTEN CARLOS
Am 21. Dezember 1975 überfiel ein von Topterrorist Carlos geführtes Kommando die Konferenz der OPEC-Minister in Wien und richtete ein Blutbad an.
RZ-Mann Schindler soll für das Attentat den deutschen Terroristen Hans-Joachim Klein angeworben und das OPEC-Büro ausspioniert haben.
BRUTALER ANSCHLAG
Ein verletzter Beamter wird abtransportiert. Drei Männer starben bei der Schießerei
ATTENTÄTER KLEIN
stieg nach dem Überfall aus der Szene aus
DAS BÜRGERLICHE LEBEN DER RZ-TERRORISTEN
Die Chefs der Revolutionären Zellen in Berlin und Frankfurt bauten sich über Jahre hinweg eine unscheinbare Fassade auf.
TAREK MOUSLI
Der Berliner Kopf der Revolutionären Zellen arbeitete ein Jahrzehnt erfolgreich als Karatetrainer. Zuletzt war er an zwei Kampfsport-Studios in Berlin beteiligt
RUDOLF SCHINDLER
Der gelernte Dreher und Feinmechaniker verkaufte in seiner Frankfurter Galerie selbst gefertigte Luftbefeuchter. Das Ölbild zeigt ein Porträt Schindlers. Es hängt in der Galerie
DIE AKTIVITÄTEN DER FRANKFURT-BERLIN-CONNECTION
Tarek Mousli und Rudolf Schindler gelten als Drahtzieher von mindestens drei spektakulären RZ-Anschlägen in den 80er-Jahren in Berlin.
6.2.1987: SPRENGSTOFFANSCHLAG
Die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin war Ziel der Revolutionären Zellen
28.10.1986: BEWAFFNETER ÜBERFALL
Harald Hollenberg, Chef der Berliner Ausländerbehörde, wurde von drei Tätern überrascht
ZWEI SCHÜSSE in die Beine: Hollenberg
1.9.1987: SCHÜSSE AUF RICHTER
Günter Korbmacher, Vorsitzender am Bundesverwaltungsgericht, wurde schwer verletzt
DIE TODESSCHÜSSE DER RZ MORD AN HEINZ HERBERT KARRY
Im Gegensatz zu den übrigen Attentaten endete der Anschlag auf den FDP-Politiker tödlich. Mitglieder der Terrorgruppe bekannten sich schriftlich, sprachen jedoch von einem Unfall.
Am 11. Mai 1981 wurde der hessische Wirtschaftsminister ermordet. Pistolenkugeln durchschlugen das Schlafzimmerfenster des Politikers und trafen ihn in den Bauch. Karry verblutete.
VERBRECHEN: Revolutionäre Plaudertaschen – weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/deutschland/verbrechen-revolutionaere-plaudertaschen_aid_179687.html
Aufrufe: 524